BS-Beitrag Juli 2019
(BS/Uwe Kranz) Der Sarin-Angriff auf Ghuta bei Damaskus im August 2013 dürfte ein Fanal für Terroristen gewesen sein. Dabei erstickten bis zu 1.300 Menschen qualvoll, zumeist Zivilisten. Die Giftgasattacke soll angeblich durch Anhänger des syrischen Machthabers Baschar al-Assad verübt worden sein. Die Regierung in Damaskus bestreitet das.
Sie hatte schon zuvor die Aufnahme in die Chemiewaffenkonvention beantragt und wegen eines anderen Chemiewaffenanschlages UN-Kontrolleure eingeladen, die ausgerechnet zur Zeit des Ghuta-Anschlages im Land ihre Inspektionen durchführten. Darüber hinaus bestätigte das Chemiewaffenlabor des britischen Militärs im englischen Porton Down, dass die Sarin-Proben nicht aus den syrischen Beständen stammten. 2014 wiesen zwei renommierte US-Wissenschaftler nach, dass die in Ghuta eingeschlagenen Giftgasgeschosse nur aus dem Rebellengebiet abgefeuert worden sein konnten. Ihre Reichweite habe bei maximal 2,5 Kilometern gelegen. Letztlich hat Syrien angeblich auch seine gesamten Giftgasbestände unter internationaler Kontrolle vernichtet – soll aber zuvor auch mehrere Hundert Tonnen versteckt oder an die Hisbollah geliefert haben.
Anleitungen immer hochwertiger
Zeitgleich entstanden mehr und mehr, vor allem qualitativ bessere Anleitungen im Internet (zum Beispiel leicht verständliche, einfach nachvollziehbare Videos) für die Herstellung von Chemiewaffen. Dazu gehörten unter anderem Chlorgas, Senfgas und das wesentlich schwerer herzustellende Sarin.
Derartige Chemiewaffen wurden in der Zeit von 2014 bis 2016 tatsächlich auch von Terroristen produziert und nachweislich gegen irakische Polizisten, syrisches, irakisches und kurdisches Militär (und Zivilisten!) eingesetzt. Die chemischen Anschläge forderten Tausende Opfer und produzierten darüber hinaus noch wirksame Bilder für die PR-Aktionen des Daesh. Selbst nachdem man im März 2016 den Chefingenieur des Daesh-Chemiewaffenprogramms, Suleiman Daoud al-Afari, festnehmen konnte und die USA massiv mehrere Produktionsstätten für Chemiewaffen des Daesh bombardierten, riss die Serie dieser Anschläge nicht ab.
Terroristen hatten Sarin früh zur Verfügung
Auch die Daesh-Vorhut in Syrien verfügte schon früh und nach belegten Erkenntnissen des militärischen US-Geheimdienstes DIA über das Nervengift Sarin. Sie war, nicht zuletzt dank Unterstützung anderer Staaten, zu Giftgaseinsätzen bereit und befähigt. Sie wurde später übrigens zur syrischen Al-Qaida-Filiale, anschließend zur syrischen Terrororganisation „al-Nusra Front“ und noch später vereinte sie sich mit anderen Terror- und Rebellengruppen unter dem Namen „Ha‘yat Tahir al-Sham“ (HTS).
Im Juli 2016 habe ich an dieser Stelle erstmals darüber berichtet, dass die im niederländischen Den Haag angesiedelte und eigentlich weltweit geachtete internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) öffentlich davor warnte, dass der Daesh zumindest über Restbestände syrischer Chemiewaffen verfüge beziehungsweise diese inzwischen in dem eroberten Mosul sogar selbst herstellen könne. Dort würden Produktionsstätten, Technik, Grundstoffe und Experten zur Verfügung stehen, hieß es. Die Chemiewaffe gilt als die „Atombombe des kleinen Mannes“.
2017 warnte dann auch das Bundeskriminalamt (BKA) hierzulande vor der entsetzlichen Gefahr chemischer Anschläge, die eine „realistische Option“ für Terroristen seien. Attentate mit Sarin, Senfgas oder Chlorgas auf Bahnhöfen, in Zügen oder Flugzeugen seien ebenso zu befürchten, wie Trinkwasservergiftungen oder Entführungen von Transporten mit hochgefährlichen Ladungen, wie Chlorgas, Brom oder Phosphor.
Dass Syriens Präsident Baschar al-Assad sein eigenes Volk mit Giftgasbomben angreift, galt nicht nur als gesicherte mediale Erkenntnis. Die Vereinten Nationen haben bisher 40 Chemiewaffenangriffe dokumentiert, von denen 33 dem syrischen Regime oder seinen Verbündeten anzurechnen sind.
Als im April 2017 auf Anordnung des US-Präsidenten Donald Trump Marschflugkörper auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt asch-Schairat abgeworfen wurden, sollte dies eine Vergeltung für den tödlichen Sarin-Angriff auf Khan Schaichun sein, der zwei Tage zuvor stattfand. Dabei starben 86 Menschen, darunter viele Kinder. Für die Attacke war das syrische Regime verantwortlich gemacht worden. Damaskus selbst bestritt die Schuldzuschreibung vehement, nannte sie zu „hundert Prozent konstruiert“ und wurde darin nur von Russland unterstützt, das auch im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen die Vorverurteilung Syriens einlegte.
Zahlreiche Fragezeichen
Schon früh gab es allerdings viele Fragezeichen in diesem internationalen Kriegs-Vexier, denen nicht ausreichend nachgegangen worden war. Es galt nur als gesichert, dass die festgestellten Symptome typischerweise bei Opfern von Sarin oder ähnlichen Giftgasen auftreten. Unklar blieb, wer die Sarin-Bomben abwarf. Die Sonderkommission der Vereinten Nationen, die nie vor Ort recherchierte, kam jedoch im September 2017 auf der Basis von Fotomaterialien, Satellitenaufnahmen und Augenzeugenberichten zu dem Schluss, dass die auf den Fotos zu sehenden Splitter von einer zu Sowjetzeiten üblichen chemischen Bombe stammten, die von einem syrischen Militärflugzeug (SU-22) abgeworfen worden sei. Gegenüber diesem Ergebnis herrscht bis heute gehörige Skepsis. Die Beweise sind mehr als dünn, die Motivlage spricht dagegen eine eindeutigere Sprache.
Auch die Frage, wer verantwortlich ist für die Giftgasbomben (vermutlich Chlorgas), die im April 2018 auf das syrische Duma abgeworfen worden waren und mehrere Dutzend Menschen töteten und noch mehr verletzten, bleibt bis heute unbeantwortet. Waren es Assads Truppen oder doch Daesh- oder HTS- Rebellen? Die von der OPCW beauftragte Fact Finding Mission (FFM) kam zu dem Schluss, dass die Bomben durch Dach und Wände in die Wohnungen fielen. Das bedeute im Umkehrschluss, dass nur syrische Flugzeuge, die die Lufthoheit haben, sie aus größerer Höhe abgeworfen haben können. Ausgespart wurde in diesem Bericht, dass die Bomben ansonsten dort deponiert worden sein müssten. Dies würde bedeuten, dass sie von Rebellen oder Terroristen platziert wurden, die dort die Bodenhoheit haben.
OPCW unterschlug Teilbericht
Die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich warteten diesen Bericht erst gar nicht ab, sondern beschossen schon kurz nach dem Vorfall in einer „Strafaktion“ syrische Ziele. In der Folge mehrten sich jedoch die Zweifel an der „Urheberschaft“ der Bomben.
Die Tatsache, dass die OPCW einen eminent wichtigen Teilbericht vom Februar dieses Jahres einfach unterschlug, stimmt nachdenklich. Schlimmer: Mit der Sicherheitseinstufung „OPCW sensitive – Do not circulate“ wird signalisiert, dass man die Einschätzung des Berichterstatters Ian Hederson bewusst geheim halten wollte. Dieser kam nämlich zu dem Ergebnis, dass seinen Analysen zufolge es „wahrscheinlicher ist, dass die beiden Bomben von Hand platziert wurden und nicht von einem Flugzeug abgeworfen wurden.“ Dass die Weltöffentlichkeit hierüber erst Mitte Mai von einem Whistleblower informiert wurde – das ist der eigentliche Skandal.
+ Kranz
BU: Uwe Kranz, Terrorismusexperte des Behörden Spiegel, hinterfragt kritisch, ob tatsächlich nur das syrische Regime für Giftgasangriffe verantwortlich sein kann.
Foto: BS/Dombrowsky
0 Kommentare