EU-Mission „Irini“: Alter Wein in neuen Schläuchen? (Matthäus 9,17)

22. Juni 2021

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Uwe G. Kranz

Irini, der griechische (weibliche) Vorname[1] steht für „die Friedliche“ oder „die Friedfertige“. Der neuen EU-Mission im Zusammenhang mit Libyen diesen Namen zu geben, ist allenfalls ein frommer Wunsch EUropas. Vor allem, wenn man sich deren neuen (?) hehren Ziele und Aufgaben anschaut: Kontrolle des UN-Waffenembargos, Verhinderung illegale Ölexporte und Kampf gegen Flüchtlingsschlepper / Menschenhändler. Ein „Déjà-vu“? Sicher, die gleichen Ziele standen doch schon seit 2011 im Fokus des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen[2]) und die gleichen Aufgaben waren der ersten, seitdem Jahr für Jahr verlängerten UN-Unterstützungsmission UNSMIL gestellt. Doch trotz der ständigen Verlängerungen und Anpassungen des Auftragsrahmens: So richtig erfolgreich war diese Mission nicht. Geradezu bedrückend lesen sich die Berichte der UNSMIL (zumeist gemeinsam mit dem OHCHR verfasst),[3] welche die Erfolglosigkeit der Mission geradezu in Stein meißelt. Nacheinander sollte man diese Berichte lieber nicht lesen.

Im Januar 2020 wurde auf der „Berliner Internationalen Konferenz zu Libyen“[4] feierlich als „großer Fortschritt“ verkündet, dass man das Waffenembargo durchsetzen, die Waffenruhe in einen gefestigten Waffenstillstand umwandeln, das Gewaltmonopol des (libyschen) Staates durchsetzen und ein sogenanntes Fünf-plus-Fünf-Militärkomitee (JMC) einrichten wolle, damit der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassen Samalmé, die weiteren Maßnahmen hierüber koordinieren könne. Zufrieden konstatierte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, dass „alle einig sind, dass wir das Waffenembargo respektieren“ und alle Konferenzteilnehmer zugesagt hätten, „keine weitere Unterstützungsleistungen“ für die libyschen Konfliktparteien zu geben. Keine zwei Wochen später waren die feierlichen Erklärungen bereits Makulatur[5]: Sprunghaft gestiegene Lieferungen von Waffen und Kriegsgerät per Schiff, per Flugzeug und auf dem Landweg, vor allem von Konferenzteilnehmern, Einschleusung syrischer, türkischer oder russischer Kämpfer und Söldner, hundertfaches Brechen der Waffenruhe, Luftangriffe auf Krankenhäuser und Schulen, Massenvertreibungen, massiver Artilleriebeschuss, Einsatz von Cluster-Bomben, Belagerungen von Städten und Hafen- und Ölblockaden sind die Realität.

Die in der Resolution angedrohten Sanktionen stehen nur auf dem Papier.

Alle Anläufe, alle Bemühungen zu Trotz sind die „Berliner Ziele“ heute weit entfernt von jeglicher Realisierung[6]. Dazu mögen auch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-Pandemie (Ausgangssperren, Kontaktverbote, etc.) beigetragen haben. Sie erklären aber nicht die Fortdauer der Luft- und Bodenangriffe, den Zugriff auf die Ölexporte oder den fortdauernden Menschen- und Waffenschmuggel. Diese erklären eher das Wiedererstarken des Terrors, sowohl der Daesh-Provinz ISWAP, der Al-Qaida Filiale JNIM und partiell auch der Boko Haram.

Auch die EU-Mission „EUNAVFOR MED Operation Sophia“[7] war, trotz des vielversprechenden Namens, nicht der Weisheit letzter Schluss. 2015, übrigens ohne Zustimmung der international anerkannten Regierung Libyens, wurde auch sie mit dem gleichen Auftrag versehen, Schlepper und Schleuser zu bekämpfen und (seit 2016) den libyschen Küstenschutz zu ertüchtigen (Finanz-, Ausbildungs- und Ausrüstungshilfen) sowie das UN-Waffenembargo durchzusetzen. 2019 musste die Mission nach einer geradezu beschämenden Endphase glanzlos eingestellt werden, weil sie sukzessive zu einer Flüchtlingsrettungsmission verkommen war[8] (EU-Spott für die Kriegsschiffe: „Wassertaxis“), sich das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU-Mitgliedsländer nicht auf die Verteilung der geretteten Flüchtlinge einigen konnte[9] und daher die Kriegsschiffe in Gebieten manövrieren mussten, in denen keine Schlepperaktionen auf See stattfanden.

Wie konnte man dann auf die Idee kommen, die eigentlich gescheiterte Mission „Sophia“ zu reanimieren und als taugliches Mittel zur Gewährleistung der Ziele der Berliner Libyen-Konferenz vorzuschlagen, der gleichen unerreichten Ziele, wie schon für UNSMIL und EUNAVFOR MED Operation Sophia? Und dennoch mutierte der Vorschlag in der Folge zur EU-Mission „Irini“.

EU-Mission „Inri“ – alter Wein in neuen Schläuchen?

Vermutlich, vor allem, weil die eigentlichen Probleme damit nicht angegangen sind. Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel/-schmuggel beginnen nicht auf hoher See – dort enden diese Verbrechen eher. Die Drahtzieher sitzen in den Führungskadern des globalen islamischen Terrorismus und der häufig damit verwobenen transnationalen organisierten Kriminalität (TOK) – oder in Chefetagen von Rüstungskonzernen und (ihren) Regierungen. Verbrechens- und Terrorbekämpfung scheitern seit rund einem Jahrzehnt an Kultur, Korruption und dauer-defizitären staatlichen Strukturen. Nirgends wird dies so deutlich, wie in Nordafrika, insbesondere in Libyen, und in der Sahelzone, wo der transnationale Waffen-, Zigaretten-, Drogen- und Menschenhandel/-schmuggel den Terrorismus schon seit Dekaden am Leben hält, wie ein Beatmungsgerät den Corona-Patienten.

Ein Vergleich liegt nahe: „Sophia“ griff das ab, was in der Drogenkriminalität die Junkies, die Straßendealer, allenfalls die örtlichen Residenten sind. Auf hoher See ist es der korrupte Kapitän eines Frachters, der Steuermann eines Gummibootes, der von einer der kriminellen Schleuser- und Schmuggelbanden alleine gelassen wird und sich oft selbst letztlich als einer der illegalen Migranten herausstellt. Bei genauerer Analyse schmelzen die stolz berichteten Erfolge dahin, wie die Eisberge in der Antarktis.

Wie soll dies auch gemeinsam mit Libyen gelingen? Die von der UN anerkannte „Einheitsregierung“ (Government of National Accord -GNA) mit Sitz in Tripolis (West-Libyen) unter Leitung von Premierminister Fayez al-Serraj wird von der „Interim Regierung“ mit Sitz in Benghazi (Ost-Libyen) unter Führung von General Chalifa Haftar und dessen Libyan National Army -LNA, nicht anerkannt und bekämpft. Seit Monaten belagern und beschießen LNA-Truppen die Hauptstadt Tripolis. Über 850 Mal wurde von beiden Parteien die in 2020 die in Berlin gefeierte Waffenruhe gebrochen (Stand Ende April 2020). Haftar wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Saudi-Arabien unterstützt, al-Sarraj von der UN und sehr speziell von der Türkei.

Beide Parteien waren zwar ebenfalls in Berlin eingeladen, waren aber „nicht Teil der Konferenz“ und wurden jeweils separat über die Verhandlungsstände und -ergebnisse „informiert“; Zahlreiche internationale Akteure mischen in Libyen teils offen, teils verdeckt die Karten für jeweils ihre Konfliktpartei. Permanent wurde das Waffenembargo gebrochen, auch von Teilnehmern der Berliner Konferenz. Die militärischen Aktionen eskalierten, die Zivilbevölkerung leidet und flieht. Eine leichte Abschwächung dieser Negativentwicklung in 2020 verdankt die Welt allenfalls der Covid-Pandemie und bis Juni 2020 dem Fastenmonat Ramadan. Wie soll auf dieser Basis, mit diesem jahrelangen Hintergrund, mit dieser unversöhnlichen und offensichtlich unversöhnbaren Haltung beider Parteien Waffenruhe gehalten und Frieden gestaltet, geschweige denn der Menschen-, Waffen- und Drogenschmuggel und der islamische Terror bekämpft werden? Auf hoher See bestimmt nicht.

Kein Wunder, wenn die deutsche Beteiligung an der neuen EU-Mission IRINI halbherzig, geradezu mutlos und, freundlich formuliert, karg wirkt: Kein Schiff der deutschen Marine (zunächst), nur ein einziges Aufklärungsflugzeug und etwas Personal für den Einsatzstab, insgesamt maximal bis zu 300 deutsche Soldaten“, Einsatzbeginn immer noch unklar[10]. In solch inkonsistente militärische Missionen sollten deutsche Soldaten überhaupt nicht entsandt werden, Deutschland sollte sich, auch angesichts der angespannten Migrations- und Pandemie-Lage, besser in humanitärer, politischer und vor allem wirtschaftlicher Hilfe engagieren[11] – und mit der Bekämpfung des Waffenschmuggels daheim beginnen, zusammen mit der deutschen Waffen- und Rüstungsindustrie und deren internationalen Vertragspartnern (und Tochtergesellschaften!). Damit könnte die permanente Aufrüstung von Kriegsgegner und Terroristen wenigstens zu einem Teil aufgehalten werden: Ein erster, kleiner, aber aufrichtiger Schritt zu Frieden und Stabilität in Libyen.

 

 

 

 

 

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