„Ermächtigungsgesetz“ – Nix dazu gelernt

19. November 2020

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Uwe G. Kranz

Das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ findet man im Internet unter dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923944.pdf. Nur wenige haben es einmal selbst gelesen oder sich ausreichend darüber informiert, dass CDU/CSU und SPD gemeinsam mit diesem Gesetzesentwurf mehr oder weniger die Grundrechte aushebeln wollen, angeblich um die Bevölkerung besser vor dem SARS-CoV-2-Virus und anderen Infektionen zu schützen. Am 6. November, mitten in der heißen Phase der polit-medialen Terrorismusdebatten wegen der Anschläge in Paris, Nizza, Avignon, Dresden und Wien, zusätzlich verborgen im Dickicht der Berichterstattung über die US-Wahlen, fand die erste Lesung dieses nun schon dritten Gesetzes dieser Art in nur einem Jahr statt. Das Gesetz soll zügig, möglichst noch am 18. November verabschiedet werden. So schnell können Regierung und Parlament sein! Gesetze zum Schutz unserer Kinder werden schon mal über ein paar Jahre beraten oder kommen erst gar nicht zustande.

Epidemische Lage von nationaler Tragweite

Mit allen Mitteln wurde im Frühjahr eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ konstruiert. Das Parlament hat diese Lage unverzüglich, brav und äußerst vorausschauend, geradezu prophetisch, gleich für die Dauer eines ganzen Jahres beschlossen.

Die Vorgeschichte: die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte im April 2009 im Zusammenhang mit der damals ebenfalls „hochgejazzten“ Schweinegrippe, die (H1N1) 2009- Influenza) seine eigene Definition von 2005 deutlich abgeschwächt.[1] Danach war nur noch eine Zunahme von Zahl und Schwere einer Infektion in mindestens zwei der sechs WHO-Regionen erforderlich, um eine Pandemie auszurufen. Das davor noch gültige Definitionsmerkmal, dass eine Pandemie eine „beträchtliche Zahl von Toten“ erfordere, wurde nach zweijähriger Diskussion still beerdigt.

Kritische Stimmen, die sich gegen die neue Definition stemmten, bemängelten, dass sie jetzt nur unzureichend und zu ungenau den Schweregrad berücksichtige und bezweifelten vor allem die „Verfahrenslegitimität im Krisenmodus“. Durch die Streichung des Aspekts der Sterblichkeitsrate wurde nämlich nach zweijähriger Diskussion sozusagen die Pandemiedefinition der Schweinegrippe angepasst.[2] Der Schwanz wedelte jetzt mit dem Hund. Davon profitierten vor allem externe nicht-staatliche Akteure wie Unternehmen oder Stiftungen, die so genannte „Pharmalobby“, die die WHO regelrecht für ihre eigenen Zwecke instrumentalisierte und in dieser Phase enormen Einfluss auf das operative und normative Geschäft der WHO ausübte[3].

2013 wurde das System noch „elastischer“, indem durch die Einführung der Risiko-basierten Betrachtungsweise (a risk-based approach) noch weniger formale Kriterien die Grundlagen der WHO-Phasen-Definition darstellten. Auch die von der WHO erarbeiteten Strategien und Pandemiepläne waren mit der Pharmaindustrie zuvor auf das Engste abgestimmt und machte das Ausrufen einer Pandemie samt Folgemaßnahmen wesentlich einfacher – und zumindest für die Pharmaindustrie deutlich lukrativer.

Es war die Generalprobe für das Aktionsmuster in der Corona-Lage.

„Schwein gehabt“

Wie man weiß, verlief die Schweinegrippe relativ mild. 2009 rechneten in Deutschland die üblichen Apokalyptiker mit einer Todesrate zwischen 8.000 und 80.000 Menschen. Tatsächlich starben nur 256![4] Das war aber keine Folge des Krisenmanagements der WHO, der Politik, der Öffentlichen Gesundheitsdienste (ÖGD), der verabreichten chemotherapeutischen Medikamente (Tamiflu® oder Relenza®)[5] oder gar einer der fünf Schweinegrippe-Impfstoffen, sondern eine Folge der bereits vorhandenen gewissen Teilimmunität der über 65-jährigen und weil das Virus keine sehr starken Eigenschaften hatte. Übrigens: von letztlich 37 Millionen (statt ursprünglich 50 Millionen) bestellter Impfdosen wurden höchstens acht Millionen verbraucht, die restlichen repräsentieren einen Wert von 225 Millionen Euro, mussten teuer gelagert und anschließend noch teurer entsorgt werden. Wie üblich ist hinterher niemand für die Fehlentscheidungen verantwortlich und trägt niemand die Folgen dieser immensen Verschwendung von Steuergeldern, weder die professionellen Kassandra-Rufer noch die ängstlichen politischen Entscheidungsträger.

Risikoentscheidungen

Die Objektivierbarkeit von Risikoentscheidungen ist lediglich durch das gegenwärtige Erkenntnisvermögen beschränkt. Sobald man über zusätzliches Wissen ein genaueres Bild über ein Risiko gewinnt, lässt sich anhand der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes sehr wohl messen, ob die vorherige Risikoentscheidung aus der ex-post-Perspektive angemessen war. Die Abwägung, welches rechtliche Gut gegenüber welchem anderen Gut zurücktreten soll, ist auch einer rechtlichen Prüfung zugänglich. Auf Grundlage der in der Risikoerkennung, -abschätzung und -überwachung gewonnenen Faktenlage erfolgt die Risikobewertung. Dieses Stadium stellt eine zentrale Schnittstelle von naturwissenschaftlicher und normativer Ebene dar. (Rest-)Risiken müssen analysiert und auf unvollständige Faktenlage hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und Folgeschwere gewichtet werden.

Für die Corona-Lage waren also „dank“ Vogelgrippe, Schweinegrippe, Influenza & Co mehr als ausreichende Erkenntnisse vorhanden, auch hatten Politik und Verwaltung Erfahrungen im Prozess der Risikoentscheidung gewonnen, das Prozedere wurde sogar mehrfach geübt und die Risiken der getroffenen Entscheidungen wurden rechtzeitig im März 2020 von einem hohen, fachlich versierten Beamten des Bundesinnenministeriums trefflich abgewogen und den zuständigen Stellen vorgelegt – und dennoch lief alles aus dem Ruder: Der hohe Beamte wurde suspendiert, die beruflichen Kassandra-Rufer gewannen die Oberhand, die falschen Entscheidungen wurden getroffen und aus Angst sich zu blamieren (?) nicht revidiert; Im Gegenteil, die berufliche Ober-Kassandra Karl Lauterbach (ex-CDU, seit 2001 SPD) erwartet bis Weihnachten 50.000 Tote, falls wir uns nicht einsperren ließen. Der grundrechtswidrige Überbiete-Wettbewerb für staatliche Zwangsmaßnahmen, gestützt auf hypothetische Annahmen und falscher Interpretation der Faktenlage, wird gnadenlos fortgesetzt, bis hoffentlich Gerichte darüber entscheiden. Dafür wurden den Pharmariesen dank der abgeschwächten Pandemie-Definition Milliardengewinne beschert.[6]

Zwei parlamentarische Vorstöße, diesen BT-Beschluss zur Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite angesichts der tatsächlichen Entwicklung zu revidieren, wurden im Bundestag zu Fall gebracht – einmal, weil es die AfD war, die den Antrag stellte, das andere Mal, weil es die AfD und die FDP waren. Eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages ging aus wie das Hornberger Schießen. Hunderte von Wissenschaftlern und Ärzten haben sich in Appellen gegen die staatliche Darstellung und Interpretation der Corona-Krise aufgelehnt.

Hunderttausende, wenn nicht Millionen Bürger haben bei Grundrechtsdemonstrationen, die friedlich verliefen, dennoch polit-mediale Verachtung und teilweise sogar unverhältnismäßige Polizeigewalt erfahren. Weltweit werden derzeit Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe vorbereitet und erhoben. Alles umsonst?

Gesetz statt Anordnung oder Rechtsverordnung

Und jetzt kommt noch dieses „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Es soll gesetzlich fixieren, wozu bislang das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) durch die Feststellung der Pandemie gem. § 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) nur vorläufig ermächtigt ist: Durch Anordnungen oder Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates verschiedene Maßnahmen zu treffen. Davon hat das BMG bislang auch regen Gebrauch gemacht: Lockdown I, Abstandsregeln, Maskenpflicht, Hotel-, Restaurant-, Kino- und Schulschließungen,  Ausgangsbeschränkungen, Ausgangssperren, Untersagung von Freizeit-, Kultur- und ähnlichen Veranstaltungen, Betriebs- und Gewerbeuntersagungen, Alkoholverbote, Besuchsverbote, Versammlungsverbote, Beschränkungen von Sportveranstaltungen, Reisebeschränkungen und -Meldepflichten, Lockdown light, Weihnachtsfeier: Ade!

Der Gesetzentwurf spricht erneut von einer „länger andauernden Pandemielage“ (die tatsächlich aber nicht besteht) und sieht daher die Notwendigkeit, einer gesetzlichen Präzisierung der erforderlichen eingriffsintensiven Maßnahmen durch den Gesetzgeber. So, wie die pandemische Lage monatelang von der Mehrheit der Parlamentarier unwidersprochen blieb und offensichtlich auch weiterhin bleibt, so bleiben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach dem „Abnicken“ des Gesetzentwurfs durch die Parlamentarier die bislang verordneten oder angeordneten „eingriffsintensiven Maßnahmen“ bestehen, nunmehr rechtlich nur noch besser abgesichert und damit „gerichtsfester“[7], das heißt, die Einschränkungen der Grundrechte der Freiheit der Person, der Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit, der Unverletzlichkeit der Wohnung und der körperlichen Unversehrtheit sind vor allem in dem neuen § 28a IfSG manifestiert. Lesenswert!

Nix dazu gelernt

Die pandemische Influenza (H1N1) 2009 (Schweinegrippe) hatte gezeigt, dass viele staatliche Entscheidungsträger den Bürgern nicht zutrauen, mit Unsicherheiten vernünftig umzugehen. Gleichzeitig hatten sie selbst enorme Defizite in ihrer Informationspolitik: Wissen und Nicht-Wissen wurde nicht vollständig und transparent kommuniziert; Statt Bürger sachlich und faktisch eindeutig zu informieren, wurden diese oft paternalistisch oder moralisierend-vorwurfsvoll behandelt; Dies führte schon damals zu schweren Vertrauensverlusten der Öffentlichkeit in Impfungen und Institutionen. Künftig sollten solche Probleme vermieden werden: Transparente Beschreibung der Lage statt Schlagwörter wie „Pandemie“, transparente Kommunikation von Wissen und Nicht-Wissen statt dramatischer Schätzungen von Todesraten und Offenlegung politischer, evidenzbasierter Entscheidungsprozesse einschließlich bestehender Interessenskonflikte.

Nichts davon wurde aber zwischen 2009 und 2020 umgesetzt, die gleichen Fehler wurden in der Corona-Lage erneut gemacht. Im Gegenteil: sie wurden potenziert, um Corona-Ängste zu verbreiten[8] – und unsere Parlamentarier liegen immer noch in einem tiefen Hypno-Schlaf mit schrecklichen Konsequenzen fürs Volk. Da fällt einem nur noch der Kalauer ein, in dem ein Beamter nach Aufforderung, doch endlich Vernunft anzunehmen, antwortet: „Ich bin Beamter und darf nix annehmen!“

(zuerst veröffentlicht in der 47. KW bei hallo-meinung.de)

[1] A pandemic is defined as “an epidemic occurring worldwide, or over a very wide area, crossing international boundaries and usually affecting a large number of people”.

[2] „WHO Guidance on pandemic influenza preparedness planning and response”, April 2009.

[3] Dies stellten selbst die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages im März 2019 in einem Sachstandsbericht zur WHO fest.

[4] Feufel/ Antes/ Gigerenzer 2010: S. 1286

[5] https://www.aerzteblatt.de/archiv/19907/Neuraminidasehemmer-Neue-Option-bei-Influenza

[6] Novartis alleine verzeichnete im 1.Quartal 2009 eine Umsatzsteigerung von 1,1 Mrd. USD, der Reingewinn stieg um die Hälfte.

[7] Über 60 % der Corona-Zwangsmaßnahmen wurden von Gerichten als verfassungs- oder rechtswidrig eingestuft und aufgehoben

[8] Siehe BMI-Papier vom 22.03.2020: „Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen“ (Verschlusssache NfD), jedoch nachzulesen unter: https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/

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