EU-Migrationspakt vs. Kriegstreiberei

20. Juni 2021

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Uwe G. Kranz

UWE 13                                                                                                                                      01.04.2021

Im dichtesten Corona-Nebel, vor dem Hintergrund der österlichen Notbremse und garniert von der (leider) einmaligen Bitte um Verzeihung unserer sonst so eisernen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel wurde mal so am Rande der Afghanistan-Auslandseinsatz unserer 1.300 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für die internationale Mission „Resolute Support“ vom Parlament verlängert – zum x. Mal, dieses Mal bis zum 31.01.2022. Das Ziel bleibt gleich: Der in der Allianz abgestimmte und geordnete Abzug, „sobald die Situation am Hindukusch es erlaubt“ und unter Wahrung der in den vergangenen zwei Jahrzehnten erreichten bisherigen Erfolge. WOW – das hieße ja: Nie!

Wir reden von einem Mandat, das schon lange seine Sinnhaftigkeit verloren hat, eigentlich schon von Anfang an illusorisch und zum Scheitern verurteilt war und nur aus einer Art von Nibelungentreue, sozusagen als Vasall der USA seine Bestandskraft bezog – bis zum bitteren Untergang bzw. in diesem Falle bis zum bitteren Abgang. Als Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) am 04.12.2002 markig in die Mikrofone sprach: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“ besiegelte er damit auch den Tod von 59 Bundeswehrsoldaten[1]. Dabei ist die Erfahrung alt: Frieden und Demokratie mit militärischer Gewalt zu erzwingen, ist eigentlich unmöglich. Gleichwohl mahnt der SPD-Vorsitzende Franz-Walter Borjans vorsorglich dunkelrote und grüne „Möchtegern“-Koalitionäre, dass ohne ein „Ja“ zu Bundeswehr-Einsätzen im Ausland keine Regierungsbeteiligung zu erreichen wäre. Dabei liegen die Halbwertzeiten solcher politischen Postulate und Forderungen längst im Bereich von Radium 224 (rund vier Tage).

Steigende Flüchtlingszahlen weltweit

Die Zahl der Flüchtlinge, die derzeit in Deutschland leben, liegt offiziell (und damit angeblich) bei über 1,1 Millionen und diese haben mindestens ebenso hohe Bleibe-Halbwertszeiten, wie Radium 228 (rund sechs Jahre), die mit den geplanten Familiennachzugsregelungen um ein Vielfaches steigen werden. Wahrscheinlich ist die Dunkelziffer sehr hoch. Die Zahl der (Erst-) Asylanträge sank in Deutschland 2020 im Vergleich zu 2019 um sagenhafte 28 Prozent auf 102.581 ab, wahrscheinlich ist dies zum größten Teil der Corona-Lage zuzuschreiben. Europa liegt aber inmitten eines europäischen Trümmergürtels von failed states oder states of conflict[2], der sich erstreckt von Tunesien über Algerien, Libyen, Ägypten, Israel, Syrien, Irak, Libanon, Türkei, Ukraine – und immer mehr Staaten droht, in diesen Orkus gezogen zu werden. Die UNO-Flüchtlingshilfe[3] hat die Zuspitzung der Lage noch deutlicher sichtbar gemacht: 2021 wurden weit über 80 Millionen Flüchtlinge in der Welt gezählt. 45,7 Millionen sind Binnenvertriebene. 85 Prozent dieser Flüchtlinge leben in Entwicklungsländern. Mehr als Zweidrittel der Flüchtlinge kommen aus nur fünf Ländern: Syrien (6,6 Millionen), Afghanistan (2,7 Millionen), Venezuela, Südsudan und Myanmar, dicht gefolgt von Sudan, Somalia, Eritrea sowie dem Jemen. Was muss denn eigentlich noch geschehen, um diese millionenfache Konstante des Weltelends endlich zu beenden?

Die Migrationspakte der UN und der EU sind es jedenfalls ganz sicher nicht, denn diese fokussieren auf Aufnahme und Integration der existierenden Flüchtlingsmillionen, statt auf Hilfe vor Ort! Diese Migrationspakte sind öffentliche Einladungen für noch mehr Millionen, die z.B. auf dem afrikanischen Kontinent schon jetzt Schlange stehen und auf Einzug in das gelobte Land Europa, insbesondere auf den „Garten Eden“ (Deutschland) warten. Und diese Migrationspakte sind die Tickets für ein Milliarden (!) großes Flüchtlingsheer, wie es das World Economic Forum (WEF) in seiner Great-Reset-Initiative 2020 – 2030 vor(her)sieht.

40 Jahre Unsicherheit

Seit rund 40 Jahren prägen Unsicherheit, Unterdrückung, Terror, Konflikte, Kriege, Vertreibung und die unterschiedlichsten militärischen Interventionen Afghanistan. Fast 1,5 Millionen afghanische Flüchtlinge leben immer noch in Pakistan, rund 1 Million im Iran. Trotz aller Bemühungen der internationalen Gemeinschaft ist Afghanistan kein demokratischer Rechtsstaat geworden. Die Bevölkerung, derzeit rund 35 Millionen, davon jeder vierte ein heimgekehrter Flüchtling, ist von Friedensverhandlungen der Alliierten mit den Taliban „bedroht“. „Friedensverhandlungen“ bei denen die eigene Regierung keine wirkungsvolle Mitsprache hat. Zudem stehe nach Ansicht des SPD-Wehrexperten Fritz Felgentreu[4] und anderer Analytiker die afghanische Regierung selbst für Menschenrechtsverletzungen und Korruption. Hinzu kommt schon jetzt, dass „die Rückkehr von Hunderttausenden afghanischer Bürgerinnen und Bürger aus Iran, Pakistan, der Türkei und Europa jedes Jahr, zusammen mit dem Verlust von Heimatüberweisungen, die für das Überleben ihrer Familien zu Hause von entscheidender Bedeutung sind, eine destabilisierende Wirkung auf Frieden, Wohlstand und Sicherheit in Afghanistan hat“.[5] Zwischen 2016 und dem 1. Quartal 2020 kehrten alleine aus Pakistan und dem Iran fast 3,3 Millionen Afghanen nach Afghanistan zurück.[6] Die Situation hat sich nach COVID-19 jedoch drastisch verschärft. 

Was wäre wenn?

Eine neue Ära erheblicher Unsicherheit wäre zu befürchten, wenn die internationalen Truppen den geplanten Abzug tatsächlich verwirklichten, denn danach würden, je nach Provinz, wieder die Taliban bzw. die Terroristen von Al-Qaida oder dem Daesh (ISKP[7]) herrschen. Das Leben der Menschen dort würde danach erneut von Terror, Unterdrückung, Hunger, Krankheit, prekärer Gesundheits-/Daseinsvorsorge und Zusammenbruch des Bildungssystems geprägt sein; von Rechtssicherheit und Gleichberechtigung könnte dann wegen der vermutlich unverzüglichen Einführung der Scharia keine Rede mehr sein. Das Land hätte aber eine eigene Regierung, die die Geschicke leiten müsste, so wie im Iran oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten auch. Afghanistan braucht keine militärische Intervention (wie auch immer sie camoufliert wird), sondern Unterstützung bei der Stärkung der lokalen/regionalen Wirtschaft und Infrastruktur, Aufbauhilfe vor allem dort, wo Flüchtlinge und freiwillige Rückkehrer leben oder leben sollen. Nur so kann noch eine nachhaltige humane Intervention gelingen. Die fast 16 Milliarden Euro, die Deutschland bislang direkt in den militärischen Afghanistaneinsatz investierte, sind buchstäblich in den afghanischen Sand gesetzt.

Kriegswaffenexporte boomen

Das Gegenteil ist jedoch erschütternde Wirklichkeit: Die globalen Militärausgaben wuchsen 2019 um 3,6 Prozent auf 1.917 Milliarden US-Dollar (circa 1.775 Milliarden Euro).[8] Das sind circa 230 Euro Militärausgaben pro Kopf der Weltbevölkerung (7,7 Milliarden). Auch die deutschen Kriegswaffenexporte stiegen und übertrafen 2019 mit 7,95 Milliarden Euro den bisherigen Höchststand aus dem Jahr 2015 bereits am 15. Dezember. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete das also schon vor Jahresende eine Steigerung um 65 Prozent.[9] Genauere und vor allem vollständig transparente Aussagen machte die Bundesregierung nicht.

Insbesondere wurden keine Angaben zum Wert der Exporte und zu den meisten Empfängerländern, namentlich zur Türkei, gemacht. Die anfragende Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linke) nannte dies daher zu Recht „feige“, nicht akzeptabel“ und insgesamt ein „Armutszeugnis“.

Heuchelei

Bei derartig heuchlerischer Politik zwischen indirekter Kriegstreiberei und scheinbarer Demokratisierung kann niemand erwarten, dass das Ziel der Allianz, „unter Wahrung des Erreichten“ und „in Abstimmung“ miteinander die Truppen „geordnet abzuziehen“, je Realität werden kann – schon gar nicht unter der verräterischen Prämisse „wenn die Situation am Hindukusch es erlaubt“. Dieser Formulierung wohnt gewissermaßen eine Ewigkeitsgarantie inne. Die innerafghanischen Friedensverhandlungen sind eine Farce. Das Friedensabkommen zwischen den USA und den islamistischen Taliban vom 29.02.2020 war für den US-Präsidenten Donald Trump nur ein Alibi, ein Feigenblatt, um unter geringstmöglichem Gesichtsverlust die unselige afghanische Bühne, auf die ihn seine Amtsvorgänger zwangen, verlassen und seine Wahlversprechen einhalten zu können. Seine Vertragspartner hatten noch kurz vor der Unterzeichnung des Vertrages und auch danach ungerührt Terroranschläge gleichermaßen auf Afghanen und Amerikaner verübt, obwohl sie vertraglich verpflichtet gewesen wären, zumindest Angriffe auf afghanische Regierungstruppen zu unterlassen. Die afghanische Regierung war an den „Friedensverhandlungen“ gar nicht beteiligt worden. Sie wurde erst im Nachhinein informiert und als quantité negligéable behandelt, schließlich kontrolliert sie ohnehin nur einen kleinen Teil des Landes. Am meisten litt aber die Zivilbevölkerung: Nach Angaben der afghanischen Menschenrechtskommission (AHRC) seien noch im Jahr 2020 knapp 3.000 Zivilisten bei Kampfhandlungen und Attentaten getötet und rund 5.500 verletzt worden. Über die Hälfte gingen auf das Konto der Taliban. Der neue US-Präsident Joe Biden hat es offensichtlich auch nicht eilig. Er wies den alten Sondergesandten für Afghanistan, Zalmai Khalilzad, an, gemeinsam mit dem Talibanunterhändler Mullah Baradar „die Mission fortzusetzen“, als ob nicht schon Mitte 2021 die US-Truppen gemäß Vertragstext abgezogen sein sollten. Homöopathische Streicheleinheiten sind hier nicht von Nutzen. Auf allen Seiten herrscht jedenfalls tiefstes Misstrauen, denn die Taliban wollen unmissverständlich im Namen des Islam eine religiöse Diktatur errichten, in welcher das weltliche Recht dem religiösen untergeordnet sein muss. Damit sind aber alle Verhandlungserfolge und das Friedensabkommen insgesamt gefährdet.

Vorwärts in die Vergangenheit

Auch Deutschland steht vor einem Dilemma, denn im Falle des Truppenabzugs werden alle bisher erreichten, auch noch so kleine Erfolge (Bildung, Frauenrechte, Demokratie, Schulen, kommunale Selbstverwaltung, Reduzierung der Kindersterblichkeit), auf die die deutsche Politik so gerne, z.B. in den Hochglanzprospekten des Auswärtigen Amtes verweist[10], ebenso Makulatur, wie die afghanische Verfassung von 2004. Die Ausbildung der „Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern“ (klassisches Gender-Gaga-Amtsdeutsch), die schon bis 2010 insgesamt 60 Millionen Euro deutscher Steuergelder verschlang, ist dann Geschichte, denn die Scharia wird Einzug halten, und die alten Gerichts- und Schlichtungssysteme werden wiedererrichtet. Blutrache, Blutfehde und Ehrenmorde erfahren wieder gesellschaftliche Akzeptanz[11]. Der Aufbau freier und unabhängiger Medien ist ebenfalls dann Geschichte, wenn die „mehr als 80 Radio- und 30 Fernsehstationen“ nur noch Koranverse rezitieren oder zum Gebet rufen. Anfang 2020 besuchten noch 8,8 Millionen Kinder und Jugendliche eine Schule, darunter 3,5 Millionen Mädchen, denen der Zugang zu Schulen künftig versagt werden wird; Jungs müssen dort in Zukunft nur noch den Koran auswendig nachsprechen lernen (Taliban: Bildung ist unislamisch und „verwestlich“ die Menschen). Malalas lebensgefährlicher Einsatz für Frauenrechte und Bildung wird zur winzigen Anekdote der afghanischen Geschichte.

Die Mikro-Erfolge auf dem Gebiet der Drogenbekämpfung werden in sich zusammenfallen. Was aber ansteigen wird, ist die Drogenproduktion, der Drogen- und Menschenhandel, und die Zahl der Flüchtlinge, insbesondere derer, die sich einst in den Dienst der ausländischen Aufbauhelfer und der militärischen Allianz stellten! Diese kommen dann zusätzlich zu den über 250.000 Afghaninnen und Afghanen, die schon jetzt in Deutschland leben und seit Jahren nicht zurückgeschickt werden können, obwohl sie dort beim demokratischen und wirtschaftlichen Aufbau oder bei der Friedenssicherung hätten helfen können. Dann aber wird es zwingend notwendig, in Deutschland bislang verweigerte oder zeitlich verschleppte Alphabetisierungs- und Deutschkurse anzubieten, evtl. Ausbildungsabschlüsse anzuerkennen bzw. Anpassungs- und Fortbildungskurse einzurichten sowie Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, um diesen Menschen endlich Gewissheit über ihre Zukunft zu geben.

Unsere Soldatinnen und Soldaten sollten wir aber so bald wie möglich heimholen. Wir haben in Afghanistan von Anfang an nichts verloren; nur Illusionisten hoffen auf eine Demokratisierung und Friedenssicherung des Landes.

[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153902/umfrage/in-afghanistan-gefallene-bundeswehrsoldaten/ ; nach anderen Quellen seien es 59 Soldaten: https://www.dw.com/de/meinung-afghanistan-mandatsverl%C3%A4ngerung-ist-ein-fehler/a-56989906

[2] FAZ vom 27.1.2016; Munich Security Report; https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/muenchner-sicherheitsreport-ueber-kriege-krisen-und-konflikte-14031523.html

[3] https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluechtlingszahlen/

[4] https://www.dw.com/de/meinung-afghanistan-mandatsverl%C3%A4ngerung-ist-ein-fehler/a-56989906

[5] UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA), Report zum humanitären Bedarf 2020, Dezember 2019

[6]https://www.ecoi.net/en/file/local/2044477/2020_08_EASO_COI_Report_Afghanistan_Key_Socio_Economic_Indicators_Forcus_Kabul_Citry_Mazar_Sharif_Herat_City_DE.pdf

[7] Islamic State Khorasan Province, 2015, zumeist ex-Mitglieder der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) Gruppe, die aus rund 2.500 Terroristen besteht und oft gemeinsam mit den Taliban (Haqqani-Netzwerk) agiert

[8] Internationalem Friedensforschungsinstitut Sipri, 2020, und ZDF v. 27.12.2019, siehe: https://www.zdf.de/nachrichten/heute/bundesregierung-genehmigt-ruestungsexporte-in-rekordhoehe-102.html

[9] Diese betreffen nur Kriegswaffen wie U-Boote, Panzer, Kampfflugzeuge oder Geschütze, nicht aber sonstige Rüstungsgüter wie gepanzerte Sanitätsfahrzeuge, militärische Lastwagen oder ähnliches.

[10] https://www.auswaertiges-amt.de/blob/204850/dadcad1a4d1dc194d322d3c76f68a580/afghanistan-data.pdf

[11] https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/69993

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