Giftgasanschläge in Syrien und Irak:

22. Juni 2021

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Uwe G. Kranz

BS-Beitrag 2019

Giftgasanschläge in Syrien und Irak: Ghuta, Idlib, Marea, Erbil, Taza, Bashir, Deir e-Zour, Duma, …

Cui bono: Dem syrischen Regime, der Al-Qaida, dem Daesh, den Rebellen – oder Dritten?

Ein Fanal für Terroristen dürfte der Sarin-Angriff auf Ghuta bei Damaskus am 21. August 2013 gewesen sein, der angeblich durch Anhänger des syrischen Machthabers Baschar al-Assad verübt wurde und bei dem bis zu 1.300 Menschen, zumeist Zivilisten, qualvoll erstickten. Syrien bestritt, dafür verantwortlich zu sein. Es hatte schon zuvor die Aufnahme in die Chemiewaffenkonvention beantragt, wegen eines anderen Chemiewaffenanschlages UN-Chemiewaffenkontrolleure eingeladen, die ausgerechnet zur Zeit des Ghuta-Anschlages im Land ihre Inspektionen durchführten. Darüber hinaus bestätigte das Chemiewaffenlabor des britischen Militärs im englischen Porton Down, dass die Sarin-Proben nicht aus den syrischen Beständen stammten. 2014 wiesen zwei renommierte US-Wissenschaftler[1] nach, dass die in Ghuta eingeschlagenen Giftgasgeschosse nur aus dem Rebellengebiet abgefeuert worden sein konnten: Ihre Reichweite habe bei maximal 2,5 Kilometern gelegen. Letztlich hat Syrien angeblich auch seine gesamten Giftgasbestände unter internationaler Kontrolle vernichtet – soll aber zuvor auch mehrere Hundert Tonnen versteckt oder an die Hisbollah geliefert haben[2].

Zeitgleich entstanden mehr und mehr, vor allem qualitativ bessere Anleitungen im Internet (z.B. leicht verständliche, einfach nachvollziehbare Videos) für die Herstellung von Chemiewaffen: Chlorgas, Senfgas und selbst für das wesentlich[3] schwerer herzusttellende Sarin. Derartige Chemiewaffen wurden in der Zeit von 2014 bis 2016 tatsächlich auch von Terroristen produziert und nachweislich gegen irakische Polizisten, syrisches, irakisches und kurdisches Militär (und Zivilisten!) eingesetzt. Die chemischen Anschläge forderten Tausende Opfer und produzierten darüber hinaus noch wirksame Bilder für die PR-Aktionen des Daesh. Selbst nachdem man im März 2016 den Chefingenieur des Daesh-Chemiewaffen-Programms, Suleiman Daoud al-Afari, festnehmen konnte und die USA massiv mehrere Produktionsstätten für Chemiewaffen des Daesh bombardierte, riss die Serie dieser Anschläge nicht ab.

Auch die Daesh-Vorhut in Syrien, die dann die syrische Al-Qaida-Filiale wurde, um als  die syrische Terrororganisation “al-Nusra Front“ berüchtigt zu werden und die sich noch später mit anderen Terror- und Rebellengruppen unter dem Namen HTS (Ha‘yat Tahir al-Sham) vereinte, verfügte schon früh und nach belegten Erkenntnissen des Militärischen US-Geheimdienstes DIA über das Nervengift Sarin und war, nicht zuletzt dank Unterstützung anderer Staaten, zu Giftgaseinsätzen bereit und befähigt. Lesenswert sind in diesem Zusammenhang die sorgfältig recherchierten Reportagen des Stars unter den Investigations-Journalisten, Seymour M. Hersh („The Red Line and the Rat Line“, London Review of Books, 17.04.2014), in denen er versuchte nachzuweisen, dass der Giftgasangriff auf Ghuta in Wirklichkeit von den Rebellen inszeniert worden war, um die USA zum Kriegseintritt zu zwingen. Zur Erinnerung: US Präsident Barack Obama verfügte 2012, dann in Syrien einzugreifen, wenn das Assad-Regime Giftgas einsetze, d.h. wenn die rote Linie („red line“) überschritten werde.

Im Juli 2016 habe ich an dieser Stelle erstmals darüber berichtet, dass die in Den Haag, NL, angesiedelte und eigentlich weltweit geachtete internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) öffentlich davor warnte, dass der Daesh zumindest über Restbestände syrischer Chemiewaffen verfüge bzw. diese inzwischen in dem eroberten Mosul sogar selbst herstellen könne, da dort Produktionsstätten, Technik, Grundstoffe und Experten zur Verfügung stünden. Die Chemiewaffe gilt als die „Atombombe des kleinen Mannes“.

2017 warnte dann auch das BKA vor der entsetzlichen Gefahr chemischer Anschläge, die eine „realistische Option“ für Terroristen seien. Attentate mit Sarin, Senfgas oder Chlorgas auf Bahnhöfen, in Zügen oder U- und S-Bahnen oder Flugzeugen, seien ebenso zu fürchten, wie Trinkwasservergiftungen oder Entführungen von Transporten mit hochgefährlichen Ladungen, wie Chlorgas, Brom oder Phosphor.

Dass Syriens Präsident Baschar al-Assad sein eigenes Volk mit Giftgasbomben angreift, galt nicht nur als gesicherte Erkenntnis der Mainstreammedien. Die Vereinten Nationen haben bisher 40 Chemiewaffenangriffe dokumentiert, von denen 33 dem syrischen Regime oder seinen Verbündeten zuzurechnen sind.

Als am 06.04.2017 auf Anordnung des US-Präsidenten Trump Marschflugkörper (Tomahawk Missiles) auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt asch-Schairat abgeworfen wurden, sollte dies eine Vergeltung für den tödlichen Sarin-Angriff auf Khan Schaichun sein, der zwei Tage zuvor stattfand, bei dem 86 Menschen, darunter viele Kinder, qualvoll starben und für den das syrische Regime verantwortlich gemacht worden war. Syrien bestritt die Schuldzuschreibung vehement, nannte sie zu „hundert Prozent konstruiert“ und wurde darin nur von Russland unterstützt, das auch im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen die Vorverurteilung Syriens einlegte. Schon früh gab es allerdings viele Fragezeichen in diesem internationalen Kriegs-Vexier, denen nicht ausreichend genug nachgegangen worden war. Es galt nur als gesichert (Ärzte ohne Grenzen, WHO, OPCW), dass die festgestellten Symptome typischerweise bei Opfern von Sarin oder ähnlichen Giftgasen auftreten. Unklar blieb, wer die Sarin-Bomben abwarf. Die Sonderkommission der Vereinten Nationen, die übrigens nie vor Ort recherchierte, kam jedoch im September 2017 auf der Basis von Fotomaterialien, Satellitenaufnahmen und Augenzeugenberichten zu dem Schluss, dass die auf den Fotos zu sehenden Splitter von einer zu Sowjetzeiten üblichen chemischen Bombe stammten, die von einem syrischen Militärflugzeug (SU-22) abgeworfen worden seien. Gegen dieses Ergebnis herrscht bis heute gehörige Skepsis, denn die Beweise sind mehr als dünn, die Motivlage (cui bono?) spricht dagegen eine eindeutigere Sprache.

Auch die Frage, wer verantwortlich ist für die Giftgasbomben (vermutlich Chlorgas), die am 07.04.2018 auf Duma (nördlich von Damaskus) abgeworfen worden waren und mehrere Dutzend Menschen töteten und noch mehr verletzten, bleibt bis heute unklar und wird von den Medien bis heute sträflich stiefmütterlich behandelt: Assads Truppen oder Daesh- oder HTS- Rebellen? Die von der OPCW beauftragte Fact Finding Mission (FFM) kam in seinem am 01.03.2019 veröffentlichte Bericht[4] zu dem Schluss, dass die Bomben durch Dach und Wände in die Wohnungen fielen. Das bedeute im Umkehrschluss, dass nur syrische Flugzeuge, die dort die Lufthoheit haben, sie aus größerer Höhe abgeworfen haben können. Ausgespart wurde in diesem Bericht, dass die Bomben ansonsten dort deponiert worden sein müssten, was bedeute, dass sie von Rebellen/Terroristen platziert wurden, die dort die Bodenhoheit haben.

USA, Großbritannien und Frankreich warteten diesen Bericht erst gar nicht ab, sondern beschossen schon am 14. April 2018 (!) in einer „Strafaktion“ syrische Ziele, um die „Kriegsverbrechen des Assad Regimes“ (NZZ) zu sühnen. In der Folgezeit mehrten sich jedoch Zweifel an der „Urheberschaft“ der Bomben. Die äußerst widersprüchlichen Medienaussagen (beispielhaft: ZDF, NZZ, RT), erinnerten den aufmerksamen Breitband- und Viel-Leser eher an einen Propagandakrieg, denn an seriöse Medienarbeit. In diesen Zeiten des „Framings“, des „Agenda Cutting“, des „Dirty Campaigning“ oder der „alternativen Fakten“ ist der Medienkonsument zwar schon einiges gewohnt, aber dass die renommierte OPCW einen eminent wichtigen Teilbericht vom 27. Februar 2019 einfach unterschlug, stimmt mehr als nachdenklich. Schlimmer: Mit der Sicherheits-Einstufung „OPCW sensitive – Do not circulate“ wird signalisiert, dass man die Einschätzung des für seine objektiven Analysen bekannten Berichterstatters Ian Hederson bewusst geheim halten wollte: Dieser kam nämlich zu dem Ergebnis, dass seine Beobachtungen zufolge es „wahrscheinlicher ist, dass die beiden Bomben von Hand platziert wurden und nicht von einem Flugzeug abgeworfen wurden.“ Angeblich sei diese Einschätzung weggelassen worden, weil die OPCW nicht mandatiert sei, die Verursacher eines Giftgasanschlages zu ermitteln. Dass die OPCW auch heute noch nicht dazu befugt ist, ist unfassbar; ebenso, dass es keine Sanktionen für die Missachtung der UN-Konvention gibt. Dass die Weltöffentlichkeit hiervon erst am 15.05.2019 von einem Whistleblower informiert wurde – ist ein skandalös. Der eigentliche Skandal aber ist, dass bis heute Giftgase, Fass- und Nagelbomben, Tret- und Tellerminen eingesetzt werden. O tempora, o mores!

Anlage:

  • Am 20. April 2018, eine Woche nach dem US-Raketenbeschuss berichtete ZDF-Korrespondent Hans-Ulrich Gack als Erster über Zweifel, dass die Chlorgasbomben aus der Luft abgeworfen wurden. Seine Quellen waren Menschen in einem Flüchtlingslager, die «in einem Ton der Überzeugung erzählten, dass diese ganze Geschichte inszeniert wurde». Islamistische Kämpfer hätten an Orten, die Ziele der syrischen Luftwaffe waren, Behälter mit Chlorgas installiert und abgewartet, bis dort bombardiert wurde. Andere Beweise als diese Zeugenaussagen hatte Gack nicht. Das Magazin Focus titelte darauf: «ZDF-Mann verbreitete Verschwörungstheorie zu Syrien.»

Medien in der Schweiz informierten über diese Zeugenaussagen überhaupt nicht. Für russische Medien wie «RT» dagegen waren Gacks Aussagen ein gefundenes Fressen.

  • Am 16. Februar 2019 berichtete Reporter Riam Dalati, der für die britische BBC in Syrien arbeitet: «Nach fast sechsmonatigen Recherchen kann ich ohne Zweifel beweisen, dass die Szene im Krankenhaus von Duma inszeniert wurde. Im Krankenhaus gab es keine Todesfälle. Die Attacke erfolgte tatsächlich. Sarin wurde nicht verwendet, aber wir müssen die Resultate der OPCW abwarten, um Chlorgas oder anderes nachzuweisen. Alles andere rund um den Angriff wurde jedoch konstruiert, um eine maximale Wirkung zu erzielen.»
  • Es waren vor allem die Weisshelme, die der Opposition nahestehen, welche Informationen und scheussliche Bilder über Folgen des Giftangriffs den Medien übergaben.
    Über die «zivilen Helfer der Rettungsaktion Weisshelme» hatte die NZZ wie auch andere Medien breit berichtet und deren grauenhafte Bilder verbreitet
    . Tamedia-Zeitungen nannten als Quelle die «Hilfsorganisation Weisshelme».
    Über die monatelangen Recherchen des unabhängigen BBC-Korrespondenten informierten die grossen Schweizer Medien nicht.
  • Am 15. oder 16. Mai 2019 veröffentlichte ein Whistleblower einen bisher geheim gehaltenen Bericht («OPCW sensitive – Do not circulate»), den Ian Hederson am 27. Februar 2019 OPCW-intern in eine Vernehmlassung schickte. Der Bericht kam zum Schluss, dass «Beobachtungen vor Ort mit nachfolgenden Analysen nahelegen, dass es wahrscheinlicher ist, dass die beiden Bomben von Hand platziert wurden und nicht von einem Flugzeug abgeworfen wurden.»

[1] https://s3.amazonaws.com/s3.documentcloud.org/documents/1006045/possible-implications-of-bad-intelligence.pdf

[2] https://unitedwithisrael.org/former-syrian-general-hezbollah-has-chemical-weapons/, Mar 12, 2018, quoting Sha’arq Zuhair al-Saqit, Ex-Syrian General

[3]

[4] https://www.opcw.org/sites/default/files/documents/2019/03/s-1731-2019%28e%29.pdf

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