Hamza bin Laden ist tot – ist das auch Al-Qaidas Ende?

22. Juni 2021

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Uwe G. Kranz

BS-Beitrag September 2019

Hamza bin Laden, 30, ist bei einem US-Luftangriff in Afghanistan gefallen, vermutlich schon vor einiger Zeit. Das zumindest berichteten schon Ende Juli 2019 gewöhnlich „gut unterrichtete Geheimdienstkreise“. Seit Anfang August gilt es als bestätigt[1], obwohl es immer noch keine öffentliche Bestätigung durch offizielle US- oder Al-Qaida-Stellen gibt.

Hamza bin Laden, vermutlich 31 Jahre alt, auch „HbL“ genannt, galt als der Lieblingssohn von Osama bin Laden (ObL) und dessen auserkorener Nachfolger („Crown Prince of Terror“). Er entging im Mai 2011 der US- Operation „Neptune’s Spear“) in Abbottabad, Pakistan, nur knapp. Er kam von einem Terror-Trainingscamp, wollte zum „Versteck“ seines Vaters und war nur noch wenige Kilometer entfernt, als der Angriff der US Navy Seals begann, der auch seinen Tod bedeutet hätte. Ein „Versteck“ dürfte man die imposante Wohnanlage eigentlich nicht nennen, in der ObL lebte. Es war schon eher eine Residenz, eigentlich war es aber sein pakistanisches „Gefängnis“, in dem er vermutlich schon seit 2006 festgesetzt worden war.[2]

HbL war durch seinen Vater Osama bin Laden von Kindesbeinen an mit der Dschihadismus-Ideologie indoktriniert worden und davon vollkommen überzeugt. Durch engste Kriegsgefährten seines Vaters war er im pakistanischen Waziristan militärisch ausgebildet worden. Der derzeitigen Al-Qaida Chef, Ayman al-Zawahiri, erteilte ihm nach dem Tod seines Vaters die weitere religiöse und strategische Ausbildung. Behutsam wurde er von diesem vorbereitet, die Nachfolge zu übernehmen. Rasch stieg er in der Hierarchie zum Scheich auf, ein Zeichen hoher Wertschätzung. Schon 2017 wurde er als solcher in einer Audio-Botschaft zur Unterstützung des Kampfes in Syrien erwähnt, wenig später mit dem Aufruf, einfache Attentate in den jeweiligen Heimatländern zu begehen.[3] Zuletzt hielt er sich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet auf. So, wie schon 2009 sein älterer Bruder Saad, starb nun auch Hamza bin Laden bei einem Drohnenangriff, vermutlich in Waziristan, bei einem der insgesamt neun US-Drohneneinsätzen auf pakistanisches Hoheitsgebiet.

Mit Hamza Bin Laden sollte die Legende des ehemaligen AQ-Gründers fortleben. Der Name stand in der arabischen Welt symbolisch für den erfolgreichen Widerstand gegen das verhasste US-Regime, Israel, Besatzungskräfte und westlichen Werte. Dieser Widerstand wurde im letzten Jahrzehnt drastisch durch weltweit verübte Anschläge demonstriert, exemplarisch durch die Doppelanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania (1998), den Selbstmordanschlag auf das Kriegsschiff USS Cole im Jemen (2000), die Anschlagsserie auf New York, Washington D.C. und Pennsylvania/USA (2001), die den unseligen „Krieg“ gegen den Terror auslöste, die Anschläge auf Londoner U-Bahnen und Busse (2005), die Bombenanschläge auf die US-Botschaft in Sana’a/Jemen (2008 und 2012), die versuchten Paketbombenanschläge auf US-Flugzeuge in Dubai/VAE und Nottingham/VK (2012) oder den zuletzt mit dem Anschlag in Paris/Frankreich (2015, „Charlie Hebdo“).[4] Mit dem Aufstieg des Daesh ab 2014 zur Terrororganisation Nr. 1, ging die Bedeutung der AQ-Kommandozentrale zurück (AQC), das C steht für Core oder Command), mit dem Aufbau des AQ-Führers Hamza bin Laden und der Umsetzung des neuen Strategiekonzeptes (“Jihadi Unity“) sollte die Führungsrolle nach Jahren des Stillstandes endlich wieder erlangt werden.

Der Tod von HbL ist daher zweifellos ein erheblicher Verlust für das Terror-Unternehmen. Der Stern der AQ-Zentrale ist zumindest in Pakistan ohnehin im Sinkflug, wo die Bin Ladens ihr Ende fanden und heute geradezu als Verräter an der islamischen Sache geächtet werden. Der aktuelle AQ-Führer, al-Zawahiri (68) ist Ägypter (was in der arabischen Welt kein Vorteil ist), ihm fehlt das Charisma der Bin Ladens, er gilt eher als pedantischer Verwalter als inspirierender Anführer und er ist selbst sehr krank[5]. Im Hintergrund wartet nun vermutlich Ibrahim al-Makki, der saudi-arabische Operationschef der Terrororganisation, darauf, die globale Organisation fortzuführen; Denn immer noch existieren gut funktionierende, schlagkräftige AQ-Filialen: In West-Afrika (JNIM), in Ost-Afrika (HSM), und im Jemen (AQAP) – und in Mittelasien (AQIS) wächst eine neue heran.

JNIM (Jama’at Nasr al-Islam wal Muslimin) gilt als großer strategischer Erfolg von Ayman al-Zawahiri und HbL. Es gelang ihnen, mit Gründung dieser Filiale, in Nordwestafrika alle regionalen AQ-Terrorfraktionen , AQIM (Al-Qaida im Islamischen Maghreb), Ansar Dine, Al Mourabitoun, Ansarul Islam und Macina Liberation Front, unter der Führung von Iyad Ad Ghaly, dem ehemaligen Anführer von Ansar Dine zusammenzuschweißen, die neue Kernstrategie von HbL, die „Jihadi Unity“ erfolgreich umzusetzen. Das Ziel von JNIM:  Kampf gegen alle „Besatzungmächte“, Errichtung eines islamischen Staates, Einführung der Scharia. Als Teilnehmer an den Missionen UN-MINUSMA Mali, EUTM Mali und Atalanta sowie als Unterstützer der G5-Sahel-Gruppe ist auch Deutschland im Visier von JNIM.

Al-Shabaab im Osten Afrikas (bekannt als Harakat al-Shabaab al-Mujahideen, HSM) ist eine der gefährlichsten AQ-Filialen. Sie erwuchs aus der Islamic Courts Union (ICU), die Somalia, damals ein failed state, beherrschte. Auch sie will die Regierung und die „Besatzungsmächte“ (AMISOM) bekämpfen, die Scharia einführen und einen islamischen Staat errichten (auch in Kenia). In diesem Kampf sollen 2018 über 100 Anschläge mit fast 4.000 Toten worden sein[6]. Angeführt wird die HSM von Fuad Mohamed Khalaf, alias „Fuad Shangole“ (geboren 1965 in Somalia). Als somalischer Flüchtling lebte er seit 1992 in Schweden, wo er sich als Hass-Prediger hervortat. 2004 kehrte er nach Somalia zurück, seit 2006 kommandiert er die HSM-Terrorfiliale, verübt die schlimmsten Anschläge und expandiert ihre Aktivitäten nach Kenia, Tansania und Äthiopien. Das Lkw-Bombenattentat in Mogadischu am 14.10.2017, bei dem 512 unbeteiligte Zivilisten starben und fast 230 verletzt worden waren,  gilt bislang als ihr schlimmster Anschlag. Al-Shabaab gilt als die gefährlichste AQ-Terrorfiliale Afrikas. Wegen ihr richtete die Afrikanische Union eine 22.000-Mann-starke Friedensmission ein (AMISON), die aber wenig gegen die hochmobile und guerillamäßig agierende HSM ausrichten kann.

AQAP (Al-AQaida on the Arabian Peninsula) erwuchs aus saudi-arabischen und jemenitische Terrorgruppen sunnitischen Glaubens, die 2009 fusionierten und sich als AQ-Filiale etablierten. Auf der arabischen Halbinsel, insbesondere im Jemen, haben sie seit der Jahrtausendwende immer wieder schwerste Anschläge begangen (siehe die obige exemplarische Aufzählung zur generellen Gefährlichkeit Al-Qaidas). Die Gruppe wuchs rasch von „einigen Hundert“ auf derzeit bis zu 7.000 Kämpfer an. Anführer ist seit 2015 Qasim al-Raymi, ein Afghanistan-Veteran. Er sei verantwortlich für den Versuch, den US-Boschafter im Jemen zu ermorden (2005), für das Bombenattentat auf die US-Botschaft in Sana’a (2009) und für den versuchten Bombenanschlag auf ein US-Flugzeug (2009, bekannt als „Unterhosen-Bomber-Attentat.“[7]). Im Jemen wird er zudem verfolgt, weil er ein Terror-Camp in der Abyan-Provinz aufbaute und betrieb. 2017 rief auch er weltweit dazu auf, einfache Anschläge in den Heimatländern zu begehen („easy and simple“) und lobte beispielhaft den US-Attentäter Omar Mateen (obwohl dieser sich zum Daesh bekannte), der im Juni 2016 in Orlando/USA in dem LBGT-Nachtclub Pulse 49 Menschen ermordete.  AQAP ist eine janusköpfige Terror-Organisation: Einerseits eine international einst sehr aktive Terrororganisation, andererseits eine der derzeit sehr aktiven konkurrierenden aufständischen Gruppen im Jemen.[8]  Ja, die Bedeutung von AQAP auf internationalem Parkett ist im Schwinden. Die heftigen Luftangriffe der saudisch-geführten Allianz (und die gezielten, intensivierten US-Drohnenangriffe) haben die Zahl der AQAP-Führungskräfte und -Experten heftig dezimiert. Letztlich ist auch von Bedeutung, dass Raymi schwer krank sein soll, worauf eine Twitter-Botschaft vom Herbst 2018 hinweist.[9] Auf nationaler Ebene bleibt AQAP jedoch ein bedeutender Akteur, zumal im Kampf gegen die Huthis. Nicht selten kämpfen AQ-Truppen gemeinsam mit VAE- und KSA-unterstützten Milizen oder stehen gar auf der Gehaltsliste der Allianz. Zudem hat die AQAP-Führung ihre Lektionen gelernt: Eine moderatere Form der Scharia wurde eingeführt, die Strukturen mehr fragmentiert und an lokale Bedürfnisse angepasst, die „Indigenisierung“ der Kämpfer vorangetrieben und die Anzahl somalischer Führungskräfte reduziert, um den Eindruck einer Besatzung abzuschwächen. AQAP ist auf lokaler Ebene angepasster, geschmeidiger und schwerer zu detektieren („go dark“), aber sie ist nicht geschwächt. Auch die Unterschätzung der internationalen Bedeutung AQAPs dürfte ein schwerer analytischer und strategischer Fehler sein.

AQIS (Al-Qaida in the Indian Subconinent) war ein weiterer Versuch von al-Zawahiri und HbL, getreu dem strategischen Ziel „Jihadi Unity“ die Fusionierung verschiedener Terrorgruppen und AQ-Filialen voranzutreiben. Dieser Versuch ist 2004 zwar in den Anfängen stecken geblieben, dennoch gelang es, mächtige Terror-Organisationen in Indien (die Indian Mujahideen -IM und das Student  Islamic Movement of India -SIMI), im Kaschmir (die größte dschihadistische Privatarmee des asiatischen Kontinents, die Lashkar-e-Taiba -LeT) in Pakistan (die Tehrik-i-Taliban Pakistan -TIP, die Harkat ul-Mujahideen -HuM, die Terek-e-Taliban Pakistan -TTP und einige andere, kleinere Gruppen) und in Bangladesch (Ansar al-Islam- AaI) zusammenzubringen – im bevorstehenden, „apokalyptischen“ Krieg gegen das hinduistische Indien. Die Zeichen der Zeit sehen bedrohlich aus. Das 20-seitige AQIS-Handbuch („Code of Conduct“) wurde schon 2017 veröffentlicht. Darin findet sich auch die Passage, dass das „Islamische Emirat von Afghanistan“ in enger Zusammenarbeit mit den Taliban zu verteidigen sei

Das große Ziel ist vorgegeben: Der Kampf gegen alle Ungläubigen, die Schaffung eines islamischen Staates und die Einführung der Scharia. Vielleicht wird es dem jungen Osama bin Laden (10?), Sohn von Hamza und seiner Frau Maryam, Tochter des Ägypters Abdullah Ahmed Abdulla, dem Stellvertreter von Ayman al-Zawahiri, vorbehalten sein, dereinst die Terroristendynastie fortleben lassen? Die Anlagen dafür hätte er mehrfach, vom Vater und von beiden Großvätern.

 

[1] https://www.dw.com/de/hamza-bin-laden-soll-tot-sein/a-49838489

https://www.bbc.com/news/world-us-canada-49187315

[2] https://www.heise.de/tp/features/Die-Toetung-von-Bin-Laden-Alles-gelogen-3372139.html

[3] SITE, 14.09.2017

[4] Umfassender: https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/zahlen-und-fakten-islamismus/zuf-is-uebersicht-ausgewaehlter-islamistisch-terroristischer-anschlaege

[5] https://edition.cnn.com/2019/08/01/politics/zawahiri-al-qaeda-heart-complaint/index.html

[6] Africa Center for Strategic Studies, Washington/US

[7] Umar Farouq Abdulmutallab, siehe: https://abcnews.go.com/International/aqap-terror-group-claiming-charlie-hebdo-attack/story?id=28223532

[8] https://warontherocks.com/2018/10/the-two-faces-of-al-qaeda-in-the-arabian-peninsula/

[9] https://twitter.com/dr_e_kendall/status/1060220845677666304?lang=de

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