Lone Wolf – Terrorist Instant

20. Juni 2021

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Uwe G. Kranz

BS-Beitrag Oktober 2016

Vom Attentat auf das Münchener Oktoberfest im Jahre 1980[1] bis hin zu den Attentaten in Hannover, Essen, Würzburg, Ansbach und Reutlingen in 2016 – stets finden für diese Attentate vorgeblicher Einzeltäter diese beiden Begriffe rasch in die deutschen Medien. In den vergangenen 15 Jahren wurden EU-weit 98 solcher Anschläge verübt[2], zu einem beachtlichen Teil missglückten sie, jeder dritte Anschlag war übrigens rechtsextremistisch.

Der Terminus „Instant Terrorist“ ist neu und einprägsam: Das ist Englisch und uns bildhaft-vertraut (Kaffee/Nudelsuppe). Der Begriff ist zwar eine kreative Wortschöpfung, in der kriminalistischen Analyse aber wenig hilfreich. Die Vorstellung, dass sich jemand beim Blick ins Internet „auf die Schnelle“ selbst radikalisierte und in den Dschihad ziehe, ist abwegig. Jeder der Attentäter hatte Bezugspersonen, die mit ihm während der Tatvorbereitungen kommunizierten oder ihn auf verschiedene Weise unterstützten, sei es aus dem Ausland, im Inland oder in der digitalen Welt- und viele Attentäter annoncierten ihre Taten auf vielfältige Weise.

Der Begriff „Lone Wolf“ (einsamer Wolf) ist zunächst einmal biologischer Unsinn, selbst wenn er von Experten benutzt wird[3]: Wölfe jagen im Rudel! Und sie jagen nur, um sich zu ernähren, nicht aus Mordlust, um Angst zu verbreiten oder um zum finalen Glaubenskampf aufzuhetzen. Und sie morden sich nicht gegenseitig, trotz harter Kämpfe um die Rangfolge.

Stimmiger wären typologische Begriffe wie „lone-actor“ (dann könnte man auch gleich „Einzeltäter“ schreiben) oder „lone wolf pack“, wobei letzterer eine „selbst“(?)-radikalisierte Kleingruppe bezeichnete, die sich der Ideologie des DAESH verschrieben habe – oder der al-Qaeda, die diese ursprünglich anarchistische Idee („Propaganda der Tat“), später rechtsextreme Strategie („Führerloser Widerstand“), 2008 aufgriff, als Osama bin Laden über sein online-Magazin „Inspire“ die „strategy of a thousand cuts“ propagierte, die Strategie der 1000 kleinen Schnitte. Es war die Abkehr von teuren, personalintensiven und komplexen Anschlägen zugunsten vieler kleinerer, häufigerer Anschläge, welche die wachsenden Sicherheitsbarrieren leichter überwinden können und die dem Feind weitere Sicherheitskosten aufbürden. Dies ist auch das Konzept des DAESH und seine Kleingruppen hatten die Terrorszene der vergangenen Monate auch geprägt.

Vor der Analyse dieser Attentate sollte man sich aber nochmals die grundlegende strategische Veröffentlichung des DAESH vom 09. 09. 2014 in Erinnerung rufen: „Indeed Your Lord Is Ever Watchful“ (Wahrhaft, Dein Gott ist immer wachsam). Abu-Mohammad al-Adnani, der offizielle Sprecher des DAESH, rief darin zur Tötung aller Ungläubigen auf – als muslimische Pflicht eines jeden Einzelnen, in seinem Heimatstaat, wo und wie auch immer (siehe Kasten). Und er rief dazu auf, mehr zivile Ziele anzugreifen, als militärische.   

Kasten mit Quellenangabe[4] und Übersetzung:  .

..„If you are not able to find an IED (improvised explosive device, Anm. des Autors) or a bullet, then single out the disbelieving American, Frenchman, or any of their allies. Smash his head with a rock, or slaughter him with a knife, or run him over with your car, or throw him down from a high place, or choke him, or poison him. …If you are unable to do so, then burn his home, car, or business. Or destroy his crops“).         

Abu Muhammad al-Adnani hielt an dieser Strategie bis kurz vor seinem Ende durch ein US-Luftangriff im August 2016 fest. In seiner letzten Audio-Veröffentlichung vom Mai 2016 sagte er:

„If the tyrants have closed in your faces the door of hijrah [migration] then open in their face the door of jihad and make their act a source of pain for  them. The smallest action you do in the heart of their land is dearer to us than the largest action by us, and more effective and more damaging to them [5]

Der Einzeltäter vor Ort ist in diese Strategie eingeplant, geradezu als Vollstrecker vorgesehen, wie nicht nur diese Botschaft beweist, sondern auch die vielen ähnlich formulierten der Folgezeit. Die „Propagandamaschinen“[6] des DAESH verbreiteten seitdem auf allen ihnen zur Verfügung stehenden Medien, z.T. in „kinematischer“ Film-/Video- bzw. vorzüglicher Druckqualität (z.B. das Magazin „DABIQ), dass man im DAESH zwar militärisch ausgebildet werde, die Anschläge nun aber im jeweiligen Heimatland verüben solle. Dies wird zudem von freiwilligen sogenannten „Dschihobbisten“ in viele Sprachen übersetzt und in sozialen Medien weiterverbreitet, Es wird gezielt missioniert und mit speziellen, z.B. auf Europa oder den Balkan zugeschnittenen PR-Videos für den militärischen Dschihad geworben. Der Attentäter radikalisiert sich nicht selbst, er wird gezielt medial dazu verführt und anschließend persönlich in seinem Do-It-Yourself-Dschihad betreut. Kein Wunder, dass die Zahl der Staaten, in denen solche Attacken begangen wurden, seit 2014 rasant steigt, zugleich steigen auch die Opferzahlen.[7]

Analysiert man auch die im Ausland begangenen Attentate, erweist sich, dass die Ratschläge von al-Adnani tatsächlich in der ganzen Bandbreite umgesetzt wurden. Es wird gesprengt, geschossen, gestochen, in die Menge gerast, in Brand gesetzt – mit oder ohne „Allahu akbar“-Rufen.

Das „Institute for Economics and Peace“ stellte schon 2014 fest, dass weltweit die islamistischen Anschläge auf private Ziele im Vergleich zum Vorjahr um 172 Prozent und die Zahl der Todesopfer um 80 Prozent gestiegen waren – Opfer waren größtenteils Muslime, gezielt aber auch Juden. Diese Entwicklung setzte sich 2015 fort und wird auch 2016 zu erwarten sein.

Bevorzugte Anschlagsziele waren und sind Reisezentren (Bahnhöfe, Flughäfen), Großveranstaltungen (z.B. Oktoberfest, Fußballspiele, Konzerte) oder Tourismus- und, Vergnügungszentren (Hotels, Lokale, Badestrände) – alle sogenannte weiche, auf jeden Fall weltliche, wirtschaftliche Ziele, die nur schwer zu schützen sind, allenfalls mit nahezu polizeistaatlichen Mitteln und stets mit immer weiterwachsenden Kosten.

Die Zielauswahl bewirkt ein Höchstmaß an wirtschaftlicher und sozialer Verunsicherung, verursacht eine zunehmende Desintegration der europäischen Muslime und vergrößert die immer undifferenziertere Abneigung der säkular-pluralistischen Kräfte in der EU gegen Islam und Islamismus – bis hin zur offenen Feindschaft. Das ist das eigentliche strategische Ziel des Kalifen: Er will den Glaubenskrieg, die finale Schlacht (Al Malhama al-Kubra). Der Weg ist das Ziel, selbst wenn Einzeltäter versagen, sieht er dies als Erfolg.

Berücksichtigt man diesen Hintergrund, ist der „lone-actor“ entzaubert: Er fühlt sich desintegriert, gespeist aus seinem „Frust-Cocktail“ folgt er dem Weckruf seines Kalifen, erhält informationelle, ideelle und logistische Unterstützung aus der islamistischen Gemeinschaft und vollstreckt letztlich den vorgegebenen Willen des Kalifen. Er ist schlicht Erfüllungsgehilfe in einer weltweit angelegten Choreografie. Das haben auch die deutschen Terroristen von Ansbach und Würzburg bewiesen.

Die deutsche Sicherheitspolitik muss ein signifikant stärkeres repressives und -vor allem- präventives „Pressing“ betreiben, sonst folgt dem Horror-Juli 2016 ein Deutscher Herbst 2.0.

[1] Gundolf Köhler handelte am 26.10.2016 nach neueren Erkenntnissen wohl auch nicht alleine.

[2] Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI) & University Leiden & Chatham Hous & Institute Strategic Dialogue: „Lone-Actor Terrorism“, April 2016, Untersuchung in 30 Staaten für den Zeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2014;

Europol, 2016 Report Terrorism Situation and Trends (TESAT)

[3] Raffaello Pantucci vom International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR)  oder Peter Neumann vom Londoner King’s Collegeim Gespräch mit Focus Online am 13.06.2016

[4] https://archive.org/details/IndeedYourLordIsEverWatchful     oder

http://triceratops.brynmawr.edu/dspace/bitstream/handle/10066/16495/ADN20140922.pdf?sequence=1

[5] Washington Post, 09.09.2016

[6] „Al-Hayat Media Center“ für den Westen und das „Al-Furqa Media Center“ für die arabische Welt

[7] Sara Teich, International Institute for Counter Terrorism), Oktober 2013,

2015 IHS Global Attack Index

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