Study European Parliament – Child sexual extorsion and Abuse (CSEA -dtsch.-

20. Juni 2021

l

Uwe G. Kranz

 

Studie

zur

internationalen Kooperation

im Kampf gegen

sexuelle Gewalt von Kinder

und Produktion / Vertrieb

von

Missbrauchsabbildungen/-filmen

sexueller Gewalt gegen Kinder

 

 

Dezember 2020 ©

Lean Europe – Uwe G. Kranz

Independent Security Consultant

Obernzell/Germany

Disclaimer

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Gliederung

Vorbemerkungen

Summary

Internationaler Schutz des Kindswohls

Die Lebenswirklichkeit

Die Lage in Deutschland

Tatraum Internet

Die Lücken im Recht

Die Opfer

Die Täter

Das Dunkelfeld

Die Strafverfolgungsbehörden

Vorratsdatenspeicherung

Die Privatwirtschaft

Das BKA

Cyberzentren

Bilderkennung

NCMEC/IWF

Europol

+Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)

+EC3 Co-operationen

Eurojust

Interpol

European Union 

 

Vorbemerkungen

Der Auftrag wurde am 23.10.2020 erteilt, wie vorgegeben umgesetzt und mit Datum vom 31.12.2020 geliefert. Der Auftrag umfasst nur zwei Segmente der Verletzung des Kindswohls, die sexuelle Gewalt gegen Kinder und die Produktion/den Vertrieb von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt gegen Kinder. Diese beiden Segmente überlappen sich natürlich mit den Kriminalitätsphänomenen Kindesvernachlässigung, psychische und physische Gewalt gegen Kinder, Tötung von Kindern, vermisste Kinder, Menschenhandel, Handel mit Kinderorganen und reisende Pädokriminelle.

Sie wurden auftragsgemäß nicht abgehandelt, können aber, wie auch eine PPT-Präsentation zum Thema der Studie, nach einem Folgeauftrag ebenfalls recherchiert und analysiert werden. Für den Bereich „Sport und sexueller Missbrauch“ wurde aktuell vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung das Forschungsprojekt „Safe Sport“ gestartet; daher wurde das Thema hier nicht aufgearbeitet. Interessant wäre auch eine Studie zum Thema „Sexueller Missbrauch, Strafmaß und Strafe“, an dem die Uni Passau, Prof. Dr. Holm Putzke (CSU) Interesse hätte (https://www.jura.uni-passau.de/putzke/), der sich derzeit dem Thema „Kirche und sexueller Missbrauch“ widmet, das hier wegen der Spezifik und der geringen Bedeutung in Fragen der internationalen Zusammenarbeit ebenfalls nicht abgehandelt wurde. Zum Thema „künstliche Intelligenz“ empfehle ich einen Forschungsauftrag an Prof. Christian Kronseder von der Fachhochschule Nordwestschweiz für Data Science in Applied Life Science (https://www.fhnw.ch/de).

Die mündlich erteilte Auftragserweiterung, einen Fragenbogenkatalog für den Wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments zu erarbeiten wurde kurzfristig umgesetzt und liegt seit dem 10.11.2020 vor.

Für diese Studie hätten Experteninterviews vor Ort gemacht werden müssen. Dies war zunächst einmal aus Corona-Gründen nicht möglich. Leider erhielt ich die Letters of Recommendation (LoR) erst am 07.12.2020. Obwohl unverzüglich postalisch mit entsprechenden Anschreiben versandt wurden, hatten bis Jahresende weder der Präsident des BKA; noch der Generalsekretär von Interpol oder der Stellvertretende Direktor von Europol geantwortet. Somit entfiel auch die Möglichkeit, direkt mit den Experten der jeweiligen zentralen Dienste zu kommunizieren oder auf interne Studien zurückzugreifen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde weitgehend das generische Maskulinum verwendet.

Summary 

Das Europäische Parlament muss seine Aufgaben im Bereich der Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und der Herstellung, des Besitzes und des Vertriebs von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt gegen Kinder (i.d.F.: CSEA: Child Sexual Extortion and Abuse) annehmen und intensivieren. Gefragt sind „Bold Actions“, die eine beschleunigte Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften, Terminologien, Prozedere, Organisationen, Strukturen, Richtlinien etc. auf EU-Ebene bewirken.

Es gibt keinen Mangel an Anti-CSEA-Agenturen (staatliche und nichtstaatliche Organisationen, Einrichtungen, Vereinigungen, oder Spezial-Units). Es gibt eher einen Überfluss internationaler Agenturen (Interpol, ECPAT, NCMEC, WeProtect/Global Alliance, UNODC, CETS Australien, VGT, VITF, GSM Global Alliance, INHOPE u.a.), europaweiter Agenturen (Europol, Eurojust, EFC, EUCPN, CEPOL, CPTF, COSPOL diverse CoE-Initiativen [Lanzarote Committee] oder In-4-mation) bzw. nationaler Agenturen (IWF, CETS-Kanada, u.a.). Gefragt sind Bold Actions, die die parallelen, teil- bis diskongruenten oder gar konkurrierenden Agenturen so weit wie möglich vereinen; Positive Beispiele sind die Fusion von WeProtect & Global Alliance oder die Übernahme der Funktion der European Financial Coalition durch Europol. Als globale Zentralstelle sollte Interpol die Aufgaben und Funktionen konkurrierender Agenturen übernehmen. Auf kontinentalen Ebenen sollten solche Zentren möglichst durch Europol, NCMEC, CETS Australien o.ä. gestellt werden. Auch auf nationalen Ebenen sollten solche Zentren aufgebaut werden (IWF, BKA, CETS Canada…).

Eine neue EU-Agentur für CSEA-Prävention sollte sehr sorgfältig geprüft werden, um Duplizierungen mit den Aufgaben und Funktionen von EUCPN zu vermeiden.

Eine neue EU-Agentur für CSEA-Repression ist völlig entbehrlich, ja geradezu kontraproduktiv, da Europols operative Fähigkeiten ausgebaut werden.

Die Europol-Konvention muss dringend fortgeschrieben werden, um der Agentur mehr operative Rechte einzuräumen. Europol muss berechtigt werden, personenbezogene Daten direkt von den OSP und anderen Datenbesitzern der Privatwirtschaft zu erhalten und mit den nationalen Polizeibehörden operativ, ermittelnd tätig zu werden. Das geplante Innovationszentrum und -labor als Ansprechstelle für die national einzurichtenden Zentren ist der richtige Schritt in eine bessere EU-weite Kooperation zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität. Europol braucht auch eine stärkere EU-parlamentarische Kontrolle, um die herrschenden Vorwürfe eines Demokratiedefizits zu beheben.

Es gibt keinen Mangel an Aktivitäten, Strategien, Aktionsplänen, Leitlinien und Regeln. Es gibt eher einen Überfluss.

Ein negatives Beispiel ist CIRCAMP von COSPOL und die damit verbundene Strategie der Blockiersysteme (CSAADF). COSPOL als „Gegenspieler“ von Europol aufzubauen, war eine Aktion von UK und der zuvor geforderten und in der Europol-Konvention zementierten operativer Schwäche Europols. Die damals favorisierten Filter- und Blockiersysteme verhinderten allenfalls die Verteilung des CSEA-Materials.

Gefragt sind jedoch Bold Actions zur Ermittlung der Produzenten, die die schrecklichen Verbrechen live begehen (lassen) und das Bild- und Filmmaterial immer wieder neu in die Netze stellen und bei Blockaden ins Darknet ausweichen.

Ein positives Beispiel, geradezu ein Leuchtturm, ist jedoch die 2011 EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie, die in erschreckender Weise nicht beachtet bzw. umgesetzt wurde. Die beiden Evaluierungsberichte von 2016 sollten intensiv studiert werden, sie dienen der Awareness und sind Handlungsanleitung für die parlamentarische Kontrolle der Planungen und Handlungen der Europäischen Kommission.

Auch die Leitlinien von 2016, die von der fusionierten internationalen Organisation WePROTECT/Global Alliance to end child sexual exploitation online veröffentlichte („‘Preventing and Tackling Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA): A Model National Response’) ist solch ein Leuchtturmprojekt, das weiterverfolgt, bzw. reanimiert werden sollte. Diese Leitlinien sollte es Staaten ermöglichen, die eigene Gesetzgebung, ihre Strukturen und Organisationen zu überprüfen, Schwachstellen zu erkennen und Maßnahmen zu priorisieren, um die Selbstverpflichtungen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch effektiver umzusetzen. Das Europäische Parlament sollte sich dieser Leitlinien annehmen und sie aktualisiert umsetzen.

Laufende Projekte, die sich bewährt haben (Joint Investigation Teams, HAVEN, TWINS, TraceAnObject, J-CAT, Say No!campaign, GSM Global Alliance o.ä.) sind zu intensivieren und fortzuführen. Die wachsende Problematik des self-generated-explicit materials (SGEM) muss aufgegriffen werden. Schwerpunkt muss auch die Präventionsarbeit werden (siehe z.B. das „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD), Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“) – das heißt jedoch nicht, dass eine neue Agentur geschaffen werden muss.

Schwerpunkt muss eine einheitliche, technische Antwort auf die Bilderflut werden. Dies verlangt eine enge Zusammenarbeit mit des Online Service Provider, den Tech-Giganten und der internationalen Strafverfolgungsbehörden. Ein positives Beispiel könnte die deutsche “Sicherheitskooperation Cybercrime”, sein, deren Ziel es ist, die phänomenologischen Erkenntnisse zu vertiefen, gemeinsame strategische Konzepte zur Bekämpfung von Cybercrime zu entwickeln, effektive Präventionsmaßnahmen abzuleiten und den technischen Wissenstransfer zu erweitern. Dort muss jedoch der Ansatz zur CSEA-Kriminalität verstärkt werden. Wie sich das EU-Projekt TITANIUM in 2021 entwickelt, muss sich noch herausstellen. 

Eine EU-weite Studie zur „gesellschaftlichen Last von Traumafolge-Störungen“ sollte vergeben werden.

Die Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft muss durch gezielte Maßnahmen institutioneller Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden.

EU-weit einheitlich muss mehr Information, Aufklärung und Sensibilisierung über die Auswirkungen und langfristigen Folgen sexualisierter Gewalt erfolgen, um die Betroffenenperspektive durch Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für Betroffene sexualisierter Gewalt zu stärken; Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters sollte ein Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden;

Eine der Schwachstellen ist offensichtlich die Justiz. Hierfür sollte eine eigene Studie erstellt werden.

Internationaler Schutz des Kindswohls

Kindesmissbrauch und Kinder’pornografie‘ sind besonders schwere Formen der Verletzung des Kindswohls, das seit 1989 weltweiten Schutz durch Art. 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention genießt.

Auch der Europarat aktualisierte in Sofia seine Kinderrechte-Strategie (2016 bis 2021), in der das Kindswohl garantiert wird, insbesondere durch das Recht auf gewaltfreies Leben für alle Kinder (A life free from violence for all children), durch kindergerechte Rechtsprechung und Verwaltungshandeln (Child-friendly justice for all children) oder durch die Achtung der Kinderrechte in der digitalen Welt (Rights oft the child in the digital environment).[1]

Nach Artikel 3, Absätze 3 und 5 des Vertrags über die Europäische Union vom 26.10.1992 verpflichteten sich die EU-Mitgliedsstaaten ausdrücklich und, gleichsam verstärkend gleich in zwei Absätzen, die Menschenrechte, insbesondere die Rechte des Kindes zu schützen.

Auch die EU-Charta der Grundrechte, wofür eigens die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) eingerichtet wurde, schützt das Kindswohl. Danach haben Kinder einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Insbesondere sind Kinder vor allen Formen der Gewalt zu schützen.

2011 wurde außerdem die „EU-Agenda für die Rechte des Kindes“ angenommen, deren Umsetzung jedoch auch nur schleppend vorangeht, wie das Beispiel der EU-einheitlichen Notfall-Hotline 116 000 , die Hotline für vermisste Kinder, zeigt: Diese war auch zehn Jahre später immer nur in zwei Drittel der Mitgliedsstaaten installiert. Inzwischen sind aber sowohl diese Hotline als auch die europäische Notrufnummer 112 in allen EU-MS eingerichtet

Am 09.06.2020 kündigte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson angesichts der steigenden Fallzahlen an, europaweit den Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch zu stärken und will hierzu eine europäische Strategie vorlegen. Vor allem brauche die Polizei für die grenzüberschreitende Kooperation mehr Training und Technologie und die großen Internetfirmen müssten in die Pflicht genommen werden. Auch das eine Forderung, die schon recht alt ist.

Am 24.07.2020 wurde im Rahmen der EU-Strategie über die Sicherheitsunion als Sofortinitiative die „EU-Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ verabschiedet. Vorgeschlagen wurden darin: Neue Rechtsvorschriften, die die Betreiber von Online-Plattformen verpflichten, die Weitergabe dieser illegalen Inhalte aufzudecken und zu melden, sowie eine Prüfung, ob ein neues Europäisches Zentrum zur Prävention und Bekämpfung des Kindesmissbrauchs eingerichtet werden kann.

Am 10. September 2020 wurde von der Europäischen Kommission eine EU-“Interim Regulation on the processing of personal and other data for the purpose of combatting child sexual abuse” vorgeschlagen (COM(2020) 568 final).[2] Diese Übergangsverordnung ist Voraussetzung dafür, dass Service-Provider weiterhin freiwillig dabei mithelfen können, Missbrauchsabbildungen und -filme im Internet aufzudecken und zu entfernen, denn ab dem 21.12.2020 tritt der „Europäische Kodex für die elektronische Kommunikation“ in Kraft, wonach bestimmte Online-Kommunikationsdienste (wie z.B. Webmail oder Messaging-Dienste), nach den Regeln der e-Privacy-Richtlinie behandelt werden müssten. Das Europäische Parlament und die EU-Kommission müssen dieser Regelung noch zustimmen, ehe sie vermutlich im zweiten Quartal 2021 zwingend in Kraft treten.

Die UN-Kinderrechtskonvention (Convention on the Rights of Children – CRC) wurde inzwischen von allen EU-Mitgliedsstaaten (EU-MS) ratifiziert. Deutschland hatte die Kinderrechtskonvention zwar am 06.03.1992 ratifiziert, zunächst jedoch nur unter dem Vorbehalt des Vorranges des Ausländerrechts, das die Abschiebung auch von Kindern vorsah. Am 15.07.2010 wurde dieser Vorbehalt offiziell zurückgenommen, so dass seitdem auch in Deutschland “bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgan getroffen werden, … das Wohl des Kindes … vorrangig zu berücksichtigen ist”[3]

Obwohl Deutschland seit 1989 allen internationalen Verträgen und Konventionen zum Schutz von Kindern vor körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt beitrat, sie unterzeichnete und ratifizierte, dauerte es immerhin noch bis zum Jahre 2000, um das „Recht auf eine gewaltfreie Erziehung“ zu kodifizieren. Bis dahin waren Schläge als „Erziehungsmaßnahme“ nicht verboten.

Kinder ’pornografie‘?

International wird, wie auch vom deutschen Unabhängige Beauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern (UBSKM) gefordert, strikt der Terminus Kinder- oder Jugend’pornografie‘ vermieden. Pornografie ist ein Begriff, der für Erwachsene benutzt wird, die sich einvernehmlich in sexuellem Bild-/Filmmaterial darstellen, das meist rechtmäßig danach zum sexuellen Vergnügen vertrieben wird.

Mit dem Begriff ”Kinderpornografie” wird der sexuelle Missbrauch und die sexuelle Ausbeutung trivialisiert; das gilt auch für ähnliche Begriffe wie „kiddy porn“, „child porn“, „Kinderprostitution“. „Sugar Daddy“ oder „(Kinder)Sextourismus“, Begriffe, die gerne von Pädokriminellen selbst verwendet werden. Damit verbietet sich die Benutzung solcher Begriffe durch Strafverfolgungsbehörden, die Justiz, der Medien oder in der Öffentlichkeit.

Es gilt der Grundsatz: Wenn Kinder beteiligt sind, ist es keine Pornografie; Dann ist es sexueller Missbrauch und es ist ein Verbrechen.

Die auch hier in dieser Studie verwendeten richtigen Begriffe wurden in den so genannten Luxembourg Terminology Guidelines, einem 131-seitigen Terminologischen Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt, beschrieben[4]. Dieser Leitfaden wurde von einer Gruppe von 18 internationalen Partnern, darunter auch ECPAT und Interpol, im August 2018 vereinbart:

Abb. 1

Ausschnitt; Die gesamte Leitlinie liegt auch in deutscher Sprache vor

Ausbeutung (child sexual exploitation) oder sexueller Missbrauch (child sexual abuse) von Kindern werden im internationalen Raum mit den Akronymen CSE oder CSA bezeichnet, existieren aber auch zusammengezogen (CSEA), häufig auch mit einem angehängten „M“, das für Material steht. In dieser Studie werden daher die international vereinbarten Akronyme verwendet.

Die Lebenswirklichkeit

Auf dem Papier sind die Rechte der Kinder und das Kindswohl scheinbar aufs Beste geschützt, sogar weltweit

Die Lebenswirklichkeit zeigt aber erschreckend viele und erschreckend heftige Diskrepanzen. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche weltweit signifikant angestiegen. Von einer Million Fälle des sexuellen Missbrauchs in 2010 auf 17 Millionen Fälle in 2019.Im gleichen Zeitraum stiegen die Fallzahlen in Europa von 23.000 auf 800.000.[5] Dem LKA Nordrhein-Westfalen lieferten die Strafverfolgungsbehörden des Landes Ende 2020 in einer Woche 5 Millionen neue Bilder an, 310 Terabyte. Bei ungebremster Fortsetzung dieses Trends würde die neu eingerichtete polizeiinterne Cloud, dem „Forensic Destop“, die eine Größe von zwei Petabyte hatte, in nur 100 Tagen gefüllt.

Kindesmissbrauch hat kriminalphänomenologisch enorm viele Facetten. Sie reichen von psychischer über physischer und sexueller Gewalt mit lebenslangen physischen und seelischen Folgen für die Opfer, bis hin zur Kindstötung. Die sexuelle Gewalt tritt zumeist nicht als isoliertes Ereignis auf, sondern steht oft im Kontext von psychischer und physischer Misshandlung, Vernachlässigung und weiteren Gewalterfahrungen („Bullying, Mobbing“). Sexuelle Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen und die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen stehen in engster deliktischer Nähe, sind unabdingbare Vorbedingungen für die Herstellung und Verbreitung der Bilder, Videos und Filme durch Pädokriminelle.

Regelmäßig erschüttern weltweit Sex-Skandale, in denen Kinder sexuelle Gewalt erleiden und der Markt des darauf basierenden CSEA-Materials boomt wie nie (Missbrauchsabbildungen, -filme, und -texte).

Erst jüngst[6] führte ein Hinweis des US National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) zu einem Ring in Australien, bei dessen Aufdeckung in 128 Fällen weiterführende Spuren zu Tatverdächtigen in den USA, Kanada, Asien und Neuseeland führte. Unter den in Australien festgenommenen 17 männlichen Tätern befanden sich u.a. ein Fußballtrainer und ein Kinderbetreuer. Von den bislang ermittelten 46 australischen Opfer war das jüngste 16 Monate alt, das älteste 15 Jahre, viele der Opfer waren in Kinderbetreungseinrichtungen untergebracht.

2019 berichtete Human Rights Watch, dass viele Tausende Mädchen, Kinder und Jugendliche, aus Vietnam, Kambodscha, Indonesien, Laos, Burma, Nepal, Nordkorea und Pakistan von Menschenhändlern nach China gelockt oder entführt wurden, wo sie für $3.000 bis $13.000 an chinesische Familien verkauft wurden – angeblich als Ehefrauen, eher aber als Sex-Sklavinnen[7]. Ursache für das boomende und brutale Geschäft mit dem Menschenhandel ist Chinas wachsendes Gender-Ungleichgewicht, eine Spätfolge der chinesischen Ein-Kind-Politik (1979-2015). Derzeit sollen in China zwischen 30 und 40 Millionen Frauen fehlen („missing women“). 

Die Lage in Deutschland

Die jüngsten Steigerungsraten der bekannt gewordenen Fallzahlen sind exorbitant: In Deutschland wurden 2019 bei der Polizei 14.606 Fälle von sexueller Gewalt an Kindern angezeigt, knapp 800 mehr als im Vorjahr. 2016 waren es noch wenig mehr als 12.000 Ermittlungsverfahren.

Die Anzahl von polizeilich erfassten Opfern sexueller Gewalt an Kindern hatte in Vergangenheit (2011 bis 2015) langfristig scheinbar leicht abgenommen, seit 2017 ist jedoch eine signifikante Zunahme zu registrieren:

Abb. 2: Opfer sexueller Gewalt an Kindern

Quelle:  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38415/umfrage/sexueller-missbrauch-von-kindern-seit-1999/ 

Regelmäßiges Monitoring fehlt

Inwieweit die rückläufige Entwicklung in der Vergangenheit bzw. die drastische Steigerung in den letzten drei Jahren auf eine tatsächliche Abnahme bzw. Zunahme zurückgeführt werden kann, oder ob andere, bislang unerforschte Gründe vorliegen, bspw. ein verändertes Problembewusstsein und ein damit einhergehendes besseres Meldeverhalten – darüber kann nur spekuliert werden.

Dies könnte nur durch eine zwingend vorgeschriebene, umfangreiche Datenerhebungen und durch Wiederholung methodisch hochwertiger Befragungen ermittelt werden. Kriminologische Untersuchungen liegen hierzu kaum vor. Erst im Rahmen eines solchen regelmäßigen Monitorings, das übrigens eigentlich schon vor langem von der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen eingefordert wird, kann sich zeigen, ob eingeleitete Präventionsprogramme und gesetzgeberische Maßnahmen zu einer Verringerung der Prävalenz führen und ob gewährte Hilfen und therapeutische Interventionen Folgebelastungen reduzieren. Hier liegt zwingend Forschungsbedarf vor – auch auf europäischer Ebene.

Tatraum Internet

Die aktuellen Sex-Skandale in Deutschland (z.B. Lügde, Solingen, Bergisch Gladbach, Köln oder Münster) mit Hunderten Kindern als Opfer sexueller Gewalt demonstrieren dagegen eindrücklich die langjährige Arg- und Hilflosigkeit staatlicher Einrichtungen zur Überwachung und Gewährleistung des Kindswohls ebenso, wie die immensen Gefahren des Internet. Nie war es leichter, an kostenloses pornografisches Material zu kommen als heute. Dabei bleibt der Nutzer größtenteils anonym und hat jederzeit die Möglichkeit neue Inhalte zu betrachten.

Die im internationalen Raum „Triple A“ genannten Merkmale, mit schnellen Internetverbindungen anonym („Anonymity), kostengünstig („Affordability“) und leicht und ohne Hemmschwellen oder Hindernissen zugänglich („Accessibility“) alle Arten der Pornografie zu konsumieren, beschleunigen natürlich auch die zigtausend fache Verbreitung von Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern (die so genannte „Kinderpornografie“) und an Jugendlichen (die so genannte „Jugendpornografie“). Dieser virtuellen Tatraum überfordert sichtlich und zunehmend die nationalen Strafverfolgungsbehörden.

Auch die Verbreitungswege über das Internet weiten sich immer weiter aus – trotz des Zugangssperrengesetzes von 2009. Die Verbreitungswege durch peer-to-peer-Netzwerke, Usernets oder über das World Wide Web werden immer schwieriger zu verfolgen, insbesondere in geschlossenen Benutzergruppen. Dort wird zunehmend mit entsprechenden Verschlüsselungsprogrammen (z.B. AES 128 oder 256, PGP oder RSA) oder mit bereits auf der Festplatte eingebauter Verschlüsselungstechnik gearbeitet (z.B. Bitlocker oder My Passport Ultra). Zusätzlich müssen vor Eintritt in diese Gruppen bestimmte „Leistungen“ erbracht werden, die in der Regel im Einbringen neuer Missbrauchsabbildungen/-filme bestehen.[8]

Die Anfang 2020 von Facebook-Chef Mark Zuckerberg verkündete Initiative, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselungstechnik, die bereits auf WhatsApp installiert ist, auf alle seine anderen Plattformen auszuweiten (Facebook-Messenger oder Instagram), ist ein fatales Signal, auch wenn die Maßnahme dazu dienen soll, die Nutzer vor Hackern und Kriminelle zu schützen.

Das Europäische Parlament sollte verstärkt darauf dringen, dass die Ergebnisse des EU-Internetforums, das Ende 2020 vorliegen sollte, mögliche technische Lösungen zur Aufdeckung und Meldung von CSEA-Materialien vorgestellt werden, wonach alle OSP starke, mehr repressiv ausgerichtete Sicherheitsvorkehrungen einrichten müssen bevor sie Verschlüsselungsinitiativen starten – vor allem für den Schutz vor Kindern, aber auch für den Kampf gegen Extremismus, internationalen Terrorismus, Menschenhandel und andere schwere Kriminalitätsformen. Dies würde die bisherige EU-Politik, nur auf die Blockade von inkriminierten Internetseiten zu setzen, deutlich verbessern.[9]

Die Lücken im Recht

Die meisten  Lücken im Recht sind nur teilweise behoben. Beispiele:

Seit der Gesetzesänderung vom Januar 2015 ist in Deutschland auch die versuchte Verbreitung und Herstellung von kinderpornografischen Schriften strafbar. Die verbotenen Darstellungen umfassen Aufnahmen sexueller Handlungen aller Art, die vor oder an Kindern oder die von Kindern durchgeführt werden.

Zugleich ist auch im Gesetz klargestellt worden, dass Aufnahmen eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes unter 14 Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung verboten sind. Auch sexuell aufreizende Abbildungen des Genitals oder des unbekleideten Pos eines Kindes sind danach nun ausdrücklich in die Strafbarkeit aufgenommen. Die Herstellung, Besitz, Erwerb und Verbreitung solcher Fotos oder Filme sind strafbar – unabhängig davon, ob das Material in gedruckter oder digitaler Form vorliegt.

Die Verbreitung von „jugendpornografischen Schriften“ – also entsprechenden Darstellungen von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren – ist ebenfalls strafbar (§ 184c StGB). Darunter fällt nach der Gesetzesänderung vom Januar 2015 auch die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung. Davon ausgenommen ist allerdings die Herstellung solcher Bilder zum ausschließlich persönlichen Gebrauch, wenn die dargestellte Person in die Wiedergabe eingewilligt hat.

Seit März 2020 sind zumindest deutsche Ermittler für diese „Keuschheitsproben“ rechtlich besser abgesichert, z.B. wenn sie sich mit computergenerierten Bilder Zutritt zu Darknet-Foren verschaffen oder mit Tätern beim Cybergrooming als verdeckte Ermittler kommunizieren, so dass dieser wegen des versuchten Delikts (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 6 StGB) verfolgt werden kann.

Mit einer immer noch ausstehenden Gesetzesänderung sollen die Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet werden, nach einer eingereichten Beschwerde durch einen ihrer Nutzer strafbare Inhalte im Bereich des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornografie an die Zentralstelle im BKA zu melden (Ausleitungsverpflichtung).

Um einen besseren Zugang zu (geschlossenen) Missbrauchsforen zu erhalten und deren Nutzer sowie Administratoren zu identifizieren, müssen die Strafverfolgungsbehörden auch digitale Identitäten/Accounts übernehmen und weiterführen können – auch ohne die freiwillige Zustimmung des Inhabers des Accounts, der diese Zustimmung in aller Regel nicht erteilt. Hierzu fehlt eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

Ebenso fehlt ein neuer eigenständiger Straftatbestand, der das Betreiben illegaler Plattformen im Darknet generell sanktioniert. Die guten Erfahrungen, wie sie im Kampf gegen Betreiber von Kinderpornografie-Plattformen gemacht wurden, weil hier eine explizite Vorschrift existiert, müssen auch auf andere Plattform-Betreiber ausgedehnt werden, z.B. wenn dort etwa Betäubungsmittel oder Waffen verkauft werden. In diesen Fällen können die Strafverfolgungsbehörden gegen die Betreiber bisher in der Regel nur wegen Beihilfe zu einer Straftat vorgehen. Und da muss der Strafrahmen zwingend gemildert werden. Das wird der Sache und dem Rechtsempfinden nicht gerecht.

In der Strafprozessordnung fehlt auch eine explizite Ermächtigungsnorm für eine Beschlagnahme von eMails; die Strafverfolgungsbehörden behelfen sich derzeit mit der Ermächtigungsnorm zur Beschlagnahme von Postsendungen, es wäre aber wünschenswert, die Strafprozessordnung hier zu aktualisieren und zu präzisieren.

Letztlich fehlt auch eine konkrete, gesetzgeberische Norm zur Herausgabe von Kunden- und Sendungsdaten gegenüber Postdienstleistern, da dazu höchstrichterlich divergierende Auffassungen existieren.

Der aktuelle Gesetzesentwurf (GE), der den tatsächlichen Missbrauch eines Kindes als Verbrechenstatbestand einstuft, wird seit Jahrzehnten diskutiert, ist eigentlich längst überfällig und würde auch den Strafverfolgungsbehörden weitere Ermittlungsmöglichkeiten bieten. Die Anhörung im Deutschen Bundestages zu diesem Thema Anfang Dezember 2020 lässt allerdings keine große Hoffnungen aufkommen, dass der GE so wie vorgelegt realisiert wird, auch wenn Justizministerin Christiane Lambrecht (SPD) dies nach einem völlig überraschenden Sinneswandel vollmundig am 11.Juni 2020 immer wieder mit den Worten bekräftigte: „Solche widerlichen Straftaten sind Verbrechen ohne Wenn und Aber“. Staatsanwälte, Richter, Anwälte und Hochschullehrer kritisierten den GE zur Bekämpfung ‚sexualisierter‘ Gewalt massiv.[10]

Für alle (europäischen) Ermittlungsbehörden kann das im Ergebnis nur bedeuten, die eigene Digitalisierung zu forcieren. Es bedarf nicht nur einiger weniger „Cyber Cops“ und zentralen Ansprechstellen (die auch nicht überall existieren). Die Digitalisierung aller Lebensbereiche bedarf des Ermittlers 4.0, denn Kriminalistinnen und Kriminalisten müssen die Zusammenhänge verstehen, brauchen profundes technisches Wissen, das bereits während der Ausbildung vermittelt werden muss. Die digitalen Spuren bieten nicht nur neue Möglichkeiten und Ermittlungsansätze, es gibt bereits jetzt Kriminalitätsbereiche, die ausschließlich digital sind. Wir können es uns nicht leisten, diese Kriminalität nur zaghaft zu bekämpfen beziehungsweise dieser Entwicklung hinterherzulaufen

Die Opfer

Opfer sind Kinder oder Jugendliche. In der ganz überwiegenden Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten (Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern) gilt die UN-Kinderrechtskonvention (mehr oder weniger direkt), wonach „Kinder“ Personen bis zum 18. Lebensjahr sind; teilweise wird auch der Begriff „Minderjährige“ verwendet. Auch Luxemburg dürfte eher der dieser Ländergruppe zugeordnet werden, obwohl nach einer anderen rechtlichen Grundlage des Landes auch eine Zuordnung zur zweiten Ländergruppe denkbar wäre. In Griechenland gilt die Besonderheit der Minderjährigkeit vom 8. bis zum 18. Lebensjahr („A-Länder“

Nur in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Polen sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert. Die Volljährigkeit tritt mit dem 18. Lebensjahr ein. In Italien und Österreich sind zwar regionale oder altersmäßige Differenzierungen zu beachten, doch können auch diese beiden Staaten noch zu dieser Ländergruppe gerechnet werden. („B-Länder“).

Die geplanten Maßnahmen des Aktionsplanes sind an der Directive 2011/92/EU of the European Parliament and of the Council of December 13 ,2011, on combating the sexual abuse and sexual exploitation of children and child pornography auszurichten, die in ihrem Art. 2 die Definition der A-Länder festschreibt.

In Deutschland erhöhte sich 2019 die Zahl der polizeilich erfassten Delikte von Kinder“pornografie“ um etwa 65 Prozent von 7.450 Fällen (2018) auf mehr als 12.200 Delikte. Eine Vielzahl der Hinweise kam aus dem US-Meldesystem NCMEC.[11]Der Anteil der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern und Jugendlichen, der im Internet im Umlauf ist, wächst seit Jahren rasant. Schon 2011 wurde in einer Studie[12] nachgewiesen, dass etwa 35 % „schwere Übergriffe“ darstellten (Copine-Skala 7-10) und rund 26 % „detailliertes erotisches Posing“ (Copine-Skala 6). Weitere 12 % der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern stellten „Sexuelle Handlungen eines Kindes“ dar (Copine-Skala 7)[13]. Dabei war das Opferverhältnis zwischen Jungen und Mädchen in etwa gleich, den größten Anteil stellten Kinder im Alter von 9 bis13 Jahren (77%), gefolgt von der Altersgruppe der 4- bis 8-jährigen Kinder (20,5%). Die Anzahl jüngerer Opfer im Alter weniger Monate bis drei Jahren nahm schon damals deutlich zu (+2%). Dieser Trend setzt sich bis heute fort und nimmt europa- und weltweit zu.

Die Opferschicksale sind entsetzlich, für die Opfer sexueller Gewalt oft mit schwerwiegenden Folgen verbunden Seelisch, körperlich oder sexuell misshandelte Kinder tragen außerordentlich vielfältige, unspezifische und unterschiedliche Symptome. Auswirkungen von Gewalthandlungen können sich auf der Gefühls-, Verhaltens- und Körperebene ergeben. Dabei spielt die Art der Gewalt und ihre Dimensionen eine Rolle, die Tatsache, ob das Opfer ein Junge oder ein Mädchen ist und Verletzungen, die in einem direkten Zusammenhang zum Missbrauch stehen. In einigen Fällen sind diese drei Faktoren nicht klar zu trennen, da sie miteinander in Verbindung stehen können. Viele leiden nicht nur im Kindes- und Jugendalter, in der Tat- und Nachtatphase unter psychischen Störungen, wobei die Probleme oft bis ins hohe Erwachsenenalter anhalten. Die Folgen von sexuellen Missbrauchshandlungen sind um so größer und die Erinnerungen für das Opfer um so belastender, je größer der Altersunterschied und die verwandtschaftliche Nähe zwischen dem Täter und Opfer ist, je länger die sexuelle Gewalt andauert, je jünger das Kind bei Beginn der Tat ist, je mehr Gewalt angedroht und angewendet wird, je vollständiger die Geheimhaltung und der damit einhergehende Druck auf das Kind ausgeübt wird und weiterhin je weniger beschützende und vertrauensvolle Personen dem Kind als Ansprechpartner zur Verfügung stehen[14].

Zu Auswirkungen sexuellen Missbrauchs auf der Verhaltensebene werden selbstdestruktives Verhalten, Bettnässen, chronisches Weglaufen, wiederholte Suizidversuche gezählt. Jungen werden aufgrund von Missbrauchshandlungen oft aggressiv. Sie wollen ihre Männlichkeit unter Beweis stellen, die Kontrolle behalten, die ihnen so einschneidend genommen wurde und ihre Angst vor Homosexualität kompensieren.

Die Folgen auf der Körperebene sind dadurch gekennzeichnet, dass der Körper, meist unbewusst, auf die Psyche reagiert. Die Folgen sind häufig dissoziative Störungen, Verlust des Identitätsbewusstseins, Kontrollverlust über eigene Körperbewegungen, Lähmungen und Gefühlsstörungen, Verlust oder einer Veränderung von Bewegungsfunktionen, bzw. eines oder mehrerer Körperglieder und Krampfanfälle; in Angstträumen ist das Traumerleben sehr realitätsnah, meist auf die „Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit oder der Selbstachtung“ gerichtet und können ein misshandeltes Kind bis in den Tag hinein verfolgen. Auch Haut- und Magenerkrankungen, sexuelle Dysfunktionen[15], somatische Schmerzzustände, (chronische) Schmerzen im Unterleib und Essstörungen können als Folge von oben genannter psychosozialer Belastung auftreten. Bulimie und Anorexia Nervosa sind sogar sehr häufige Folgeerscheinungen nach dem Erleben von sexueller Gewalt: Das misshandelte Kind lehnt den eigenen Körper ab, Gefühle der Scham, Schuld und ein Strafbedürfnis gegenüber dem eigenen Selbst werden beherrschend.

Von besonderer Bedeutung, insbesondere für Opfer im Kindesalter, ist die so genannte Sekundärviktimisierung, die „zweite Opferwerdung“ die begrifflich diejenigen negativen psychischen, sozialen und ggfs. wirtschaftlichen Folgen für das Opfer erfassen, welche nicht unmittelbar aus der Straftat erwachsen, sondern indirekte Folgen sein sollen. Die Erscheinungsformen sekundärer Viktimisierungen sollen quasi spiegelbildlich zu den individuellen Bedürfnissen und Erwartungen des Opfers zur Unterstützung des Bewältigungsprozesses der Straftat, z.B. nach menschlicher Anteilnahme, Einfühlsamkeit und Verständnis, Beratung und Beistand, Schadenswiedergutmachung und angemessener Bestrafung des Täters stehen. Sowohl in der Kriminologie als auch in der Viktimologie hat der Sekundärviktimisierungs-Begriff eine „erhebliche Unschärfe“, zudem fehlen seit Jahren „Anstrengungen, die definitorische und terminologische Klärung“ voranzutreiben[16], d.h. dass bislang noch keine Verständigung darüber gesucht wurde, welche Auswirkungen beim Opfer zwingend feststellbar sein müssen, damit dieses überhaupt als sekundärviktimisiert anzusehen ist.

Der Begriff folgt eher einer prozesshaften Perspektive auf sekundäre Folgen, insbesondere in Kinderschutzfällen, welche durch das ungünstige Fallmanagement, durch Belastungen, z. B. im Strafverfahren oder durch Trennungserlebnisse im Rahmen von schützenden Interventionen, ausgelöst werden, deren Nebenwirkungen möglichst geringgehalten werden sollen.[17]

Im Rahmen dieser Studie werden diese eher präventionsbezogenen Themen nicht weiter vertieft.

Durch die Traumatisierung und Retraumatisierung nach sexualisierter Gewalt wird nicht nur vielfach individuelles Leid (re-)produziert, sondern auch gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Auswirkungen. Dies wurde schon 2012 durch die sogenannte Traumafolgekostenstudie (Habetha et al) festgestellt. Diese zieht folgendes Fazit:

Die Versorgung von Traumatisierten in Deutschland lässt in allen beteiligten Versorgungsbereichen Schwellen und Lücken erkennen, so dass bisher nur ein geringer Prozentsatz Betroffener überhaupt adäquat versorgt wird. Dabei spielen Organisations- und Kommunikationsdefizite im Zusammenspiel der unterschiedlichen Institutionen eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus bedarf es innerhalb einzelner Fachdisziplinen einer Optimierung der Arbeitsweise bzw. stärkeren Fokussierung auf das Thema sowie einer noch breiteren öffentlichen Aufklärung. Aufgrund eklatanter Datenlücken konnten bisher in keinem Land vollständige Folgekosten von kindlicher Traumatisierung erfasst werden, wobei die Datenbasis in Deutschland besonders schmal ist. Vor diesem Hintergrund stellt das Ergebnis in Höhe von 11,0 Mrd. Euro jährlichen Traumafolgekosten für Deutschland eine Annäherung an die realen Kosten dar. Die Trauma-assoziierten Gesundheitskosten allein bewegen sich in einer Größenordnung zwischen 524,5 Mill. Euro und 3,3 Mrd. Euro jährlich. (…) Nicht vergessen werden sollte neben der hier vorrangig dargestellten gesamtgesellschaftlichen Motivation der individuelle Nutzen, der sich in der Reduzierung persönlichen Leidens offenbart.“

Eine EU-weite Studie zur „gesellschaftlichen Last von Traumafolge-Störungen“ wäre wünschenswert, die es durch eine Verbesserung der Versorgung zu reduzieren gilt;

Die Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft muss durch gezielte Maßnahmen institutioneller Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden;

EU-weit einheitlich muss mehr Information, Aufklärung und Sensibilisierung über die Auswirkungen und langfristigen Folgen sexualisierter Gewalt erfolgen, um die Betroffenenperspektive durch Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für Betroffene sexualisierter Gewalt zu stärken;

Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters sollte ein Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden;

Die Täter

Der überwiegende Teil der Opfer kennt die Täter, meist schon lange vor dem Missbrauch. Mädchen werden zu etwa einem Drittel von Tätern aus dem Umfeld der Familie missbraucht. Jungen werden meist von anderen Bezugspersonen aus dem außerfamiliären sozialen Nahraum missbraucht (Trainer, Lehrer, Pfleger, Chorleiter, Priester, Personen mit ehrenamtlicher oder sonstig beruflicher Beziehung). Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Einzelne Täter bezahlen ihre Opfer dafür, ihnen weitere Opfer zuzuführen („Schlepperfunktion“)

Ein Drittel der Täter ist selbst noch im Kindes- oder Jugendalter, Tendenz leicht steigend. Nachdem bereits 2014 in Deutschland in 98 % aller Haushalten mit Jugendlichen ein Internetanschluss verfügbar war (JIM-Studie[18]), ist dies wenig verwunderlich; Schon Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren haben eine Besorgnis erregende „starke Bindung“ an ihr Smartphone, 8 % gelten sogar als suchtgefährdet[19].

Kinder sind heute doppelt so lang online, als vor 10 Jahren.

Abb.

Smartphone-Besitz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2019

Veröffentlicht von F. Tenzer, 07.04.202

Neben dem Telefonieren gehören zu den beliebtesten Funktionen das Hören von Musik, das Schauen von Videos (87%), die Nutzung von Kurznachrichtendiensten wie WhatsApp oder Facebook Messenger, der allgemeine Zugang zum Internet und die Kamerafunktion des Smartphones. Auf vielen Handys und Smartphones von Jugendlichen finden sich pornografische Filme oder Bilder, die einfach und in Sekundenschnelle weiterverbreitet werden.

Kulturkritiker stellten da schon mal die Frage: „Was the Internet made for porn?“ Dies gilt vor allem für die Generation „Z“, die heute 15- bis etwa 25-Jährigen, die von Geburt an mit Smartphones aufgewachsen ist und die die digitale Technik sozusagen als selbstverständliche Erweiterung der eigenen Person begreift.

Die Netz-Kommunikation von Kindern und Jugendlichen beruht zwar zum allergrößten Teil auf schriftlicher Sprache, aber bis zu 80 % aller Jugendlichen ab 13 Jahren haben Erfahrungen mit (Internet)Pornografie, Jungen wesentlich häufiger und intensiver als Mädchen. Bild- und Video-Pornografie schaffen jedoch sexuelle Normvorstellungen. Zwischen dem Ansehen von Pornografie und von Missbrauchsabbildungen/-filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist nur wenig Abstand. Auf jeden Fall werden problematische Rollenbilder internalisiert, Realitätskonzeptionen verzerrt und negative Normalisierungseffekte eingeübt – die Wertewelt gerät ins Wanken, ein besonders gefährlicher Moment in Pubertät und Adoleszenz.

In Social Communities (z. B. schülerVZ, facebook), Chats, Messengern (z. B. ICQ, msn) und Videoportalen (z. B. YouTube, MyVideo) sind inzwischen sexualisierte Übergriffe leider weit verbreitet, unabhängig davon, ob es sich um Übergriffe unter Heranwachsenden oder von Erwachsenen auf Jugendliche handelt.

Sexualisierte Grenzüberschreitungen können dabei verschiedene Formen annehmen:

  • Verbale sexuelle Belästigung
  • Übertragung sexueller Handlungen auf den Bildschirm über Webcam
  • Konfrontation mit Pornografie
  • Produktion von Pornografie, z. B. durch Aufforderungen oder Überreden in Chats, Nacktbilder preiszugeben bzw. nackt vor einer Webcam zu posieren.
  • Öffentliches Bloßstellen durch Veröffentlichung heimlich bzw. auch gemeinsam erstellter privater/ intimer Videos oder Fotos.
  • Anbahnung von sexuellem Missbrauch.

Kriminalistisch ist ebenfalls besonders bedeutsam, dass zwei Drittel der Täter, die innerhalb der Familie missbrauchen, auch Opfer außerhalb der Familie haben, und dass einzelne Täter häufig viele Kinder missbrauchen.[20]

Das Dunkelfeld

In den meisten Abhandlungen zum Thema der Studie werden Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) verwendet. Diese ist jedoch eine Ausgangsstatistik und dokumentiert in erster Linie die Arbeitsbelastung der Polizei. Nur wenige Forschungen beschäftigen sich mit der Erhellung des so genannten Dunkelfeldes, um die wahre Dimension der (sexuelle) Gewalt an Kindern/Jugendlichen zu erkennen.

In Deutschland werden fast neun Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen bis zum 16. Lebensjahr Opfer sexueller Gewalt[21]. Langfristig gesehen (1999-2019) lebten nach Angaben des Statistisches Bundesamtes in diesem Zeitraum in Deutschland zwischen 12 und 10,7 Millionen Kinder/Jahr.

Die Anteile von Jungen und Mädchen sind über die Jahre ziemlich gleich, auch wenn der Anteil der Mädchen etwas kleiner als der der Jungen ist (bis ca. 2 % Differenz). Grob geschätzt dürften in Deutschland danach durchschnittlich pro Jahr etwa 450.000 Mädchen und 150.000 Jungen Opfer sexueller Gewalt gegen Kinder geworden sein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) errechnete für Deutschland eine Million Kinder und Jugendliche, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren.[22]

2019 lebten in der Europäischen Union fast 448 Millionen Menschen, darunter etwa 100 Millionen Kinder und Jugendliche[23], das sind circa 21 % der Gesamtbevölkerung Eurostat). Europaweit müssten wir nach dem o.a. Berechnungsmodell mit etwa neun Millionen Mädchen und drei Millionen Jungen als Opfer sexueller Gewalt rechnen.

Die Fall- und Opferzahlen der deutschen Polizeilichen Kriminalstatistik, das so genannten „Hellfeld“, machen dagegen nur einen minimalen Bruchteil aus[24]. Dennoch schätzt das BKA das Dunkelfeld sehr vorsichtig nur auf ca. 1:15, d.h. man müsste mit bei einem Hellfeld von 16.000 Fällen realiter mit 240.000 Fälle rechnen, bzw. bei 15.000 Opfern realiter mit 165.000 Opfer. Andere Untersuchungen (Kavemann und Lohstöter) gehen von einer Relation 1:20 aus, eine allerdings ebenfalls recht konservative Schätzung. Eine neuere deutsche repräsentative Studie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste.[25]

Die Studien weichen jedoch in Definitionen, Forschungsdesign, Ein- und Ausschlusskriterien, methodische Artefakte (Rücklauf, Studiendesign, Stichprobenumfang und -gewinnung) z.T. stark voneinander ab und die Datenerfassung in den Versorgungs- und Betreuungssystemen ist grundsätzlich mangels Meldepflichten lückenhaft. Wie sich das Dunkelfeld im europäischen Raum darstellt, müsste von den Wissenschaftlichen Diensten des Europaparlaments bzw. im Rahmen eines noch zu vergebenden Forschungsauftrages genauer festgestellt werden.

Im Ergebnis sind derzeit daher keine klaren, definitiv verlässlichen Aussagen zum Vergleich zwischen Hell- und Dunkelfeld möglich – mit der Ausnahme, dass die Differenz enorm sein wird.

In Deutschland konzentrieren sich die präventiven und repressiven Interventionen daher sehr stark (vermutlich zu stark?) auf das polizeiliche „Hellfeld“ d.h. auf den polizei- und justizbekannten Täter. Die Täter des Dunkelfeldes und Männer, die sich selbst in Gefahr sehen, Täter zu werden (Pädophile, potentielle Täter) bleiben meist unberücksichtigt.

Pädophile leiden aber unter einer sexuellen Ansprechbarkeit auf kindliche Körper, die sich während der Pubertät manifestiert und von da an bestehen bleibt. Potentielle Täter haben sich diese sexuelle Ausrichtung daher zwar nicht „ausgesucht“, sind aber letztlich alleine verantwortlich für ihr sexuelles Verhalten. Nach ersten vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen[26] sollen rund ein Prozent der Männer auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben. Etwa 250.000 Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren könnten alleine in Deutschland als potentielle Täter angesehen werden? Die tatsächliche Zahl dürfte eher etwas niedriger liegen, da mit zunehmendem Alter auch die sexuelle Ansprechbarkeit und die Triebhaftigkeit zurückgehen, aber eine sechsstellige Zahl potentieller Täter ist auch so schon ausreichend alarmierend.

Ihnen wird seit 2004 in Deutschland ein vom Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité ins Leben gerufene „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD)“ Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ angeboten. 

Ein solches Projekt sollte auf EU-Ebene geprüft werden.

Die Strafverfolgungsbehörden

Alleine die bisher aufgezeigten, exemplarischen Fallkonstellationen und -komplikationen zeigen die ganze Breite des Deliktsfeldes, das es zu beleuchten gilt: Eng verwoben sind pädokriminelle Einzelfälle, Gruppentaten, Sex-Ringe, organisierte Verbrechen, Menschenhandel und komplexe, globale Syndikate.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder/Jugendliche und Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen sind Deliktsfelder mit internationaler Dimension. Nationale Grenzen verlieren in der Ära Internet rasant an Bedeutung, weil dort der Austausch von Gewaltbildern, -filmen und -videos und sonstiger Daten problemlos und in Sekundenschnelle über Ländergrenzen und Kontinente hinweg möglich ist – mit Internet, Darknet, Chatrooms, und andere digitale Medien und Kanäle sowie mit einem zunehmenden, weil immer leichteren und verbreiterten Einsatz von Verschlüsselungstechnik.

Strafverfolgungsbehörden stehen weltweit vor größten Herausforderungen, sie stehen vor einem Tsunami horrender, sich sändig multiplizierender Internetinhalten, sie stehen vor gewaltigen Verschlüsselungsproblemen. Daher verlangt die effektive Bekämpfung dieser Delikte engste, best- und schnellstmögliche Kooperation in- und ausländischer Strafverfolgungsbehörden und braucht die Zusammenarbeit mit Internet Service Providern und mit Firmen aus dem privaten Sektor. Ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), im internationalen Raum als artificial intelligence (AI) bekannt, und hochspezialisierter und -gerüsteter forensischer Unterstützungsteams können große Verfahren auch von großen Sonderkommissionen kaum mehr effektiv bewältigt werden.

Fallbeispiel: Im Falle Münster (Gartenlaube) sind alleine bei dem Hauptverdächtigen fast 800 TB Videomaterial sichergestellt worden (1 Terabyte ~ 1012 B). Eine unvorstellbare Datenmenge, für die allein für die erste Sichtung rund 30-40 Mannjahre erforderlich würden – und über 30.000 bereits bekannte Tatverdächtige sind im Visier der Ermittler oder müssen noch identifiziert werden.

Für alle europäischen Ermittlungsbehörden kann das nur bedeuten, die eigene Kompetenz in Sachen Digitalisierung zu forcieren. Es bedarf nicht nur einiger weniger Cyber-Cops mehr und auch zentrale Ansprechstellen Cybercrime reichen nicht.[27] Die Digitalisierung aller Lebensbereiche bedarf des Ermittlers 4.0, denn Kriminalistinnen und Kriminalisten müssen die Zusammenhänge vom ersten Zugriff an verstehen, brauchen profundes technisches Wissen, das bereits während der Ausbildung vermittelt werden muss. Die digitalen Spuren bieten nicht nur neue Möglichkeiten und Ermittlungsansätze, es gibt bereits jetzt Kriminalitätsbereiche, die ausschließlich digital sind. Wir können es uns nicht leisten, diese Kriminalität nur zaghaft zu bekämpfen, beziehungsweise dieser Entwicklung hinterherzulaufen.

Dies gilt in besonderem Maße für die Justiz. Viel zu lange vertrat das Bundesjustizministerium die Auffassung, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften zum Thema Cybercrime bzw. entsprechende justizielle Spezialeinheiten nicht zielführend seien.[28]

Dabei kann das für erfolgreiche und zugleich verhältnismäßige Ermittlungen notwendige immense technische Knowhow, das selbst jüngere und mit der Funktionsweise des Internets vertraute Staatsanwälte nicht en passant erwerben und sich erhalten können, nur mit der Einrichtung staatsanwaltschaftlicher Spezialstellen erfolgreich gebündelt werden. Einige Beispiele:

In Hessen wurde schon 2011 eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) mit Sitz in Gießen geschaffen, die eine Sondereinheit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist. Inzwischen macht sie sich einen Namen, weil sie sich auf Hate-Mails zu spezialisieren scheint und Facebook-likes en gros verfolgt.

Bei der Staatsanwaltschaft in Bamberg geht seit 2015 eine 13-köpfige Zentralstelle Cybercrime u.a. gegen „Kinderpornografie“ vor.

Bei der Staatsanwaltschaft in Köln wurde 2016 eine Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC) eingerichtet, die aber mit dem seit 2018 entwickelten Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“ den Schwerpunkt auf Hate-Speechs zu setzen scheint.

Seit 2017 wurde in Sachsen aus der integrierten Ermittlungseinheit Sachsen (INES) die Zentralstelle Cybercrime Sachsen (ZCS) geschaffen, die aber eher für Netzwerkarbeit innerhalb der Staatsanwaltschaften des Landes, für die Aus- und Fortbildung der Staatsanwälte i. S. Cybercrime und nur in umfangreichen Ermittlungsverfahren selbständig und gemeinsam mit dem LKA Sachsen (SN4C) ermitteln, inzwischen auch Clan-Kriminalität. Der Kampf gegen CSEA-Kriminalität verliert sich jedoch im Gewirr von Kompetenzerweiterung (Clan-Kriminalität) und Personalschwund.

Missbrauch und die Herstellung/Verbreitung des Bild-/Filmmaterials durch Pädokriminelle kann aber nicht en passant von DOS-Attacken, Cyber-Erpressungen oder Wirtschaftsverbrechen im Zusammenhang mit dem Internet bekämpft werden. Dies verlangt Aus- und Fortbildung, Professionalisierung/Spezialisierung und organisatorische Konzentrierung.

Vorratsdatenspeicherung

Ohne eine gesetzliche Regelung der Mindestspeicherfristen kann die Verbreitung von Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen nicht so effektiv bekämpft werden, wie es erforderlich wäre. Digitale Spuren an „Cyber-Tatorten“ sind daher unentbehrlich für die Aufklärung von Straftaten. Anders als an klassischen Tatorten, an denen es vom Augenzeugen bis zum Fingerabdruck zahlreiche Spuren gibt, liefern die Telekommunikationsverkehrsdaten im digitalen Raum oft die einzige Spur zum Täter. Bei diesen Telekommunikationsverkehrsdaten handelt es sich um rein technische Daten, nicht um Inhalte von Telefongesprächen oder SMS.

Solche Telekommunikationsverkehrsdaten sind beispielsweise Beginn und Ende eines Telefongesprächs oder die sogenannten Standortdaten, d.h. die Information, in welche Funkzelle ein Mobiltelefon während der Benutzung eingebucht war. Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Polizei ist außerdem die IP-Adresse, die einem Computer bei jeder Internetsitzung zugeordnet wird und die ebenfalls ein Telekommunikationsverkehrsdatum ist. Mithilfe der IP – Adresse lässt sich ermitteln, von welchem Telefonanschluss (Festnetz oder Mobilfunk) eine Internetverbindung hergestellt wurde. Da hinter einem solchen Telefonanschluss eine Person oder Firma steht, kann die IP-Adresse die Polizei so zum Täter führen, etwa in Fällen von Kinderpornografie, Erpressung oder bei der Terrorabwehr.

Die Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten ist unabdingbar für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Deshalb ordnet in Deutschland das Telekommunikationsgesetz (TKG) an, welche Telekommunikationsverkehrsdaten von den Telekommunikationsanbietern gespeichert und unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen gemäß der Strafprozessordnung (StPO) nach einem Antrag der das Ermittlungsverfahren leitenden Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter und nach dessen Prüfung und Anordnung an die Polizei im Einzelfall herausgegeben werden dürfen.

Ausgelöst durch Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die unter Berufung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes die deutsche Gesetzeslage als mit Unionsrecht nicht vereinbar ansehen, findet eine Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat derzeit faktisch nicht statt. Der Grund für die fehlende Umsetzung liegt hierbei nicht in einer gesetzlichen Regelungslücke, sondern in einem Vollzugsdefizit. Die für die Aufsicht und Durchsetzung der Vorratsdatenspeicherung zuständige Bundesnetzagentur hat verwaltungsgerichtliche Urteile zum Anlass genommen, Verstöße der Telekommunikationsunternehmen nicht zu sanktionieren. Durch die aktuell unsichere Rechtslage – eine letztinstanzliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sowie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und möglicherweise auch des Europäischen Gerichtshofes zu den einschlägigen Regelungen in TKG und StPO stehen noch aus – sehen sich viele Telefonanbieter derzeit weiterhin nicht in der Pflicht, Daten auf Vorrat zu speichern.

Schon 2017 berichtete das BKA, dass über 8.000 NCMEC-Hinweise auf entdeckte Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen nicht weiter ermittelt werden konnten, da beim Service Provider die IP-Adresse nicht mehr gespeichert war. Der mögliche andauernde Missbrauch einer letztlich zwar unbekannten, aber sicher großen Zahl von Kindern/Jugendlichen konnte in diesen Fällen nicht gestoppt werden.

2019 berichtete das BKA exemplarisch hierzu einen typischen Fall: 2019 erhielt es vom US-NCMEC einen Hinweis auf einen 17-jährigen, bislang polizeilich nicht in Erscheinung getretenen Täter, der den 7-jährigen Sohn seiner Schwester sexuell missbrauchte, dies live filmte und das Video über soziale Netzwerke verbreitete. Anhand der vorliegenden IP-Adresse konnte der Anschluss der Mutter des Opfers zugeordnet und in den nachfolgenden Ermittlungen der Täter selbst innerhalb von wenigen Tagen identifiziert und festgenommen werden. Die vorliegende IP-Adresse wurde am Tag des Eingangs der NCMEC-Meldung beim Provider angefragt, so dass bei diesem noch Bestandsdaten vorhanden waren. Wäre die Meldung nur zwei Tage später beim BKA eingegangen, wäre dieser Ermittlungsansatz weggefallen. Die Identifizierung wäre zumindest wesentlich erschwert, vermutlich eher aber verhindert worden. Zudem hätte die Gefahr bestanden, dass weitere Missbrauchstaten an dem Jungen verübt worden wären.

Die deutsche Polizei hat anhand von zahlreichen Fällen belegt, dass bei fehlender Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten und insbesondere der IP-Adresse die Aufklärung von schweren Straftaten oder die Gefahrenabwehr oftmals nur durch gespeicherte Telekommunikationsverkehrsdaten geklärt/verhindert wurden bzw. ins Leere laufen; die Delikte waren Terroranschläge, Mord, Bandstiftung, Amok, Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen (fast 40 %).

Die Privatwirtschaft

Unterstützung erhalten die Strafverfolgungsbehörden auch von Facebook, Google, Twitter und Dropbox, die im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern inzwischen im Rahmen des Project Protect“ eng zusammenarbeiten: Mit der PhotoDNA-software von Microsoft werden Missbrauchsabbildungen detektiert, herausgefiltert und gelöscht. Der Informationsverbund stellt sicher, dass gelöschte Inhalte bei den anderen ISP nicht wieder hochgeladen werden können; die Täter wandern dann jedoch zumeist ins Darknet ab.

Gerade Ermittlungen im Bereich des zwielichtigen Darknets sind sehr zeitaufwendig und rechtlich problematisch. Aus Mangel an polizeiintern verfügbaren Lösungen oder Ressourcen müssen Analysen zuweilen extern vorgenommen werden. Die Verarbeitung personenbezogener Daten stellt jedoch grundsätzlich einen Grundrechtseingriff dar. Eine Kooperation mit den privaten Analyseanbietern birgt nicht selten die Gefahr einer mangelnder Datenschutz-Kontrolle und kann zur fragwürdigen Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen werden

In diesem Spannungsfeld entwickelte das EU-Projekt TITANIUM (kurz für: Tools for the Investigation of Transactions in Underground Markets) eine mögliche Alternative, die zwar primär zur Bekämpfung von Cyberkriminalität im Zusammenhang mit Kryptowährungen entwickelt wurde, jedoch auch für die Bekämpfung der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen geeignet sei. 15 Partner aus ganz Europa entwickelten in einem interdisziplinären Team unter der Federführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Mitarbeit des BKA eine Software zur rechtskonformen und gerichtsfesten Suche nach öffentlich verfügbaren und vom entwickelten Algorithmus erkannten relevanten Informationen im Darknet und deren Analyse – unter größtmöglicher Wahrung der Grundrechte der Betroffenen[29]. TITANIUM ist seit Januar 2019 in Deutschland, Finnland, Spanien und Österreich in einer mehrmonatigen Testphase. Zwischen- oder Abschlussberichte wurden noch nicht publiziert.

In der “Sicherheitskooperation Cybercrime”, die in Deutschland schon seit 2011 besteht, sind neben dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) inzwischen sechs Landeskriminalämter vertreten (BW, NW, HE, NI, RP und SN). Ziel ist, die phänomenologischen Erkenntnisse zu vertiefen, gemeinsame strategische Konzepte zur Bekämpfung von Cybercrime zu entwickeln, effektive Präventionsmaßnahmen abzuleiten und den technischen Wissenstransfer zu erweitern. Wie den Jahresberichten jedoch zu entnehmen ist, wird die CSEA-Kriminalität dort leider aber sehr stiefmütterlich behandelt.

Eine weitere bedeutsame Zusammenarbeit findet im Forschungsprojekt VOICE des gleichnamigen Vereins “Voice e. V.” statt[30]. Es dient der Verhinderung sexualisierter Gewalt im Sport. Betroffene Opfer aus acht europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Slowenien, Spanien und Ungarn) sollen Gelegenheit bekommen, ihre persönliche Geschichte erzählen. In Deutschland sind Dr. Bettina Rulofs und Gitta Axmann vom Institut für Soziologie und Genderforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln sind für die Koordination und Gesamtleitung des Projektes zuständig. Dazu arbeiten Universitätspartner, nationale Sportverbände und unabhängige Opferschutzorganisationen in jedem beteiligten europäischen Land zusammen. Der Soziologe Mike Hartill forscht an der Edge Hill Universität in Großbritannien vor allem zum Thema sexueller Missbrauch von Jungen im Sport und appelliert vor allem an Männer, die in ihrer Kindheit oder Jugend im Sport sexuell missbraucht worden sind, sich bei ihm zu melden. European Non-Governmental Sports Organisation (ENGSO Youth), European Gay & Lesbian Sport Federation (EGLSF), European Paralympic Committee (EPC) und die European University Sports Association (EUSA) sind weitere Partner dieses Projekts.

Nach fünf Arbeitsschritten (Working Programms) soll am Ende auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Lehrmaterialien zur Prävention sexualisierter Gewalt im und durch Sport erstellt werden.

Das BK

Die Funktion des BKA als Nationales Zentralbüro der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) und des Europäischen Kriminalpolizeiamtes (Europol) erlangt vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung.

Die beim BKA eingerichtete „Zentralstelle Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ nimmt die Aufgaben eines Bindeglieds zwischen in- und ausländischen Strafverfolgungsbehörden sowie die einer nationalen zentralen Auswerte- und Koordinierungsstelle wahr. Beim BKA wird die so genannte „Hashwerte-Datenbank Pornografische Schriften (HashDBPS)“ geführt. Für jedes inkriminierte Bild wird mittels einer speziellen Software ein alphanumerischer Code, der so genannte „Hashwert“ errechnet. Dieser Code ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. So werden bereits erfasste Bilder erkannt und müssen nicht mehr manuell gesichtet werden. Das reduziert die auszuwertenden Bilddateien und entlastet die AuswertInnen und beschleunigt den Auswerteprozess. Datenbestand und Nutzung dieser Datenbank sind jedoch deutlich optimierbar.

Beim BKA eingehende Strafanzeigen und Tat-/Täterhinweise müssen jedoch an die jeweils zuständigen Polizeibehörden in den Bundesländern weitergeleitet werden, da das BKA keine ausdrückliche zentrale bzw. bundesweite originäre sachliche Zuständigkeit für die Verfolgung der Kriminalität im Internet hat.

Das BKA erhielt 2019 rund 62.000 Hinweise alleine vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). 2017 waren es über 35.000 Hinweise und 2018 rund 70.000 Hinweise mit Deutschlandbezug. Aus diesen 62.000 Hinweisen des Jahres 2019 ergaben sich 21.600 Fälle, ähnlich so viele wie im Vorjahr. Die Zusammenarbeitsprozesse zwischen NCMEC und BKA wurden inzwischen derart optimiert, dass die Hinweise vom BKA bearbeitet, und schnellstmöglich an die Strafverfolgungsbehörden der Länder weitergeleitet werden können, um dort ohne zeitlichen Verzug Ermittlungsverfahren einzuleiten und diese weiter zu verfolgen. Da die PKS eine Ausgangsstatistik ist, zeigt sie, was in den jeweils vergangenen Jahren bearbeitet werden konnte; insoweit war der Anstieg bei den Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen eine Art Spiegelbild der enormen Zunahmen der Hinweise, speziell von NCMEC. Auch zukünftig wird das NCMEC jährlich weitere Verdachtsfälle in etwa gleichen Größenordnungen melden.

Mit entsprechender Gesetzesänderung werden zusätzlich die Anbieter sozialer Netzwerke bei einer eingereichten Beschwerde durch ihre Nutzer verpflichtet sein, strafbare Inhalte im Bereich des sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung der Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen zentral an das BKA zu melden (die so genannte „Ausleitungsverpflichtung“). Auch diese Informationen werden dann schnellstmöglich den örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder zur Strafverfolgung zugeführt. Im Bundeskriminalamt sollen 300 zusätzliche Mitarbeiter gemeldete Postings überprüfen und Nutzer anhand der IP-Adressen identifizieren[31]. Auch will die Regierung einfachere Meldewege, damit Nutzer verdächtige Inhalte schneller melden und Plattformen schneller reagieren könnten.

Cyberzentren

Aus alledem folgt, dass die Fallzahlen in den kommenden Jahren zunächst weiter steigen werden – als Folge effektiverer kriminalistischer Kooperation und verbesserter rechtlicher Rahmenbedingungen, die zusammen eine weitere Aufhellung des Dunkelfeldes bewirken.

Die sichergestellten Datenmengen werden mittlerweile jedoch immer größer und ihre Auswertung und Bearbeitung binden erhebliche personelle Ressourcen. Daher hat das BKA sein Personal im Bereich der Bekämpfung von Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen seit 2016 um ein Drittel erhöht und arbeitet permanent an neuen technischen Verfahren zur Informationsgewinnung- und Auswertung.

Dies erfordert aber auch und gerade von den Bundesländern noch erhebliche Anstrengungen, um die vom BKA zur Verfügung gestellten, zum Teil enormen Sicherstellungsmengen überhaupt auswerten zu können.

Zentrale Ansprechstellen Cybercrime (ZAC) sind beim BKA und bei den LKÄ aller Bundesländer eingerichtet, in Flächenstaaten auch mit analogen Pendants in den Polizeipräsidien, haben vorrangig das Ziel, die Wirtschaft zu informieren und im Falle einer Cyberattacke (Angriffe auf die IT-Systeme, Distributed-Denial-of-Service-Attacken (DDoS),  Betrug, Wirtschaftsspionage, Computer-Sabotage, Ausspähen oder Diebstahl von Unternehmens- und Kundendaten, Erpressung, usw.) zu beraten und zu unterstützen.[32] Sie dienen als „Single Point of Contact (SPoC) für Unternehmen und öffentliche/nichtöffentliche Institutionen. Eine ähnliche oder vergleichbare Struktur gibt es für Cybercrime mit CSEA-Hintergrund kaum.

Eine Ausnahme bildet dabei vielleicht das LKA Nordrhein-Westfalen, das in den letzten Monaten einen großen und sehr erfolgreichen Entwicklungssprung im Kontext zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen machte. Zum einen hat es am 23.04.2019 eine Stabsstelle „Revision der kriminalpolizeilichen Bearbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie“ (Stabsstelle KiPo) im Innenministerium eingerichtet, die die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung in diesem Deliktsfeld umfassend überprüfte, Handlungsbedarfe identifizierte, Handlungsempfehlungen für eine optimierte Bearbeitung gab und ein Landescontrolling einführte. Die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der CSEA-Materialien wurden kriminalpolitische und kriminalstrategische Schwerpunkte. Das Personal wurde von 105 auf 268 Stellen angehoben. Das speziell und hochmodern ausgestattete Cybercrime-Kompetenzzentrum (ZAC), eine Unterstützungs- und -Auswerteeinheit, die im LKA mit Hilfe des niederländischen Unternehmens ZIOS aufgebaut wurde, und der „Forensik Desktop“ (virtueller Auswerterechner) sind Leuchtturmprojekte mit Vorbildcharakter, und unterstützen mit einer eigenen 2-Petabyte-Cloud inzwischen sogar Europol und das BKA. Ein landesweites „Hinweistelefon“ beim LKA NW ist in Vorbereitung.[33]

Das LKA NW steht in engem Kontakt mit der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NW (ZAC)“ bei der Staatsanwaltschaft Köln.

Auch beim LKA Hessen befindet sich solch ein starkes Kompetenzzentrum im Aufbau, das mit vier Millionen Euro und 134 Beschäftigten bis Ende 20121 eine Forensik-Plattform zur besseren Aufklärung von CSEA-Kriminalität fertig gestellt haben wird und eng mit der staatsanwaltschaftlichen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Frankfurt/a.M. zusammenarbeiten soll.

Dieser Entwicklung werden bald alle anderen Zentralen Ansprechstellen Cybercrime (ZAC) der anderen LKÄ nachfolgen müssen.

Es gibt eine Reihe von weiteren Einrichtungen bi- und multilateraler Art, die sich der bilateralen Kooperation in der Verbrechensbekämpfung widmen. Dazu gehört unter anderem auch das in Kehl angesiedelte „Gemeinsames Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit (GZ)“. Hier arbeiten deutsche und französische Polizeibeamte und Zöllner Seite an Seite. Es geht um die Bekämpfung grenzüberschreitender, eher regionaler Delikte. Ziel ist es, effektiv und schnell handeln zu können.

Ähnliche Zentren existieren im deutsch-polnischen Gebiet, im deutsch-tschechischen sowie im deutsch-niederländischen Raum. In Luxemburg gibt es eine Einrichtung, in der Bedienstete aus vier Ländern tätig sind (Deutschland, Belgien, Frankreich und Luxemburg).

Auf EU-Ebene schließlich gibt es noch weitere ähnlicher Einrichtungen und Dienststellen anderer EU-Mitgliedsstaaten.

Inwieweit diese Zentren bilateraler Zusammenarbeit in der internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen CSEA eingebunden sind, wurde (noch) nicht überprüft.

Bilderkennung

Die weltweit zumeist genutzte Technik, um Missbrauchsabbildungen zu entdecken, zu sichern und zu dokumentieren, dürfte die PhotoDNA-Technologie sein, die von Microsoft in Zusammenarbeit mit der Universität Dartmouth/UK entwickelt wurde. Sie wird bei Microsoft, Google, Adobe Inc., Facebook und Twitter eingesetzt, um Missbrauchsabbildungen sexueller Gewalt gegen Kinder aufzuspüren, zu blockieren und den Strafverfolgungsbehörden zu melden. Microsoft stellte NCMEC diese Technik kostenlos zur Verfügung

Das BKA setzt seit 2003 die „Computergestützte Bildersuche“ der Firma DotNetFabrik aus Heidenheim ein.

Mit ähnlichen Funktionen nimmt eine Software der hessischen Firma DigitEV GmbH einen „Vergleich von Videodateien kinderpornographischen Inhalts“ vor. Das Programm soll helfen, Inhalte in polizeilichen Datenbeständen zu filtern und doppelte Dateien zu löschen.

Das BKA ist im Forschungsprojekt „Multi-Biometrische Gesichtserkennung“ (GES-3D) als „Endanwender“ beteiligt. Eine dort entwickelte Software soll Suchanfragen auf Basis eines schlechten, nicht vollständigen Gesichtsfotos ermöglichen.

Die Bundespolizei arbeitet am Projekt „Multi-Biometriebasierte Forensische Personensuche in Lichtbild- und Videomassendaten“ (MisPel) mit, das vom Forschungsministerium gefördert wird. Dabei wird die „zeitnahe Erkennung von ermittlungstechnisch relevanten Personen“ untersucht und es werden „Strategien für nachhaltige Einsatzszenarien“ entwickelt. Beteiligt sind die Polizei Hamburg, das Mobile Einsatzkommando Karlsruhe und ein „Internetsoziologe“ vom Netzwerk Terrorismus- und Extremismus-Forschung. Das Vorhaben wird von der US-Firma L-1 Identity Solution koordiniert, die mit der Bundespolizei eine Biometrie-gestützte Grenzkontrolle einführt.

Verschiedene Fraunhofer-Institute arbeiten an der Entwicklung einer automatisierten Mustererkennung von Bildern und Videos mit CSEA-Inhalten.

Der evidente Wandel zum Tatmittel Smartphone verlangt schnelle, bezahlbare und effektive Funktionen der Mobilgeräte-Forensik, denn die Beweise finden sich heute mehr und mehr auf Smartphones und online-Apps, statt wie zuvor auf PCs und Laptops. Die Nutzer können so MMS-artige Nachrichten mit Fotos, Videos und Zeichnungen als Anhang verwenden. Die Kommunikation erfolgt in diesen Fällen über den Datenpfad, so dass Nachrichteninhalte nicht in den Datensätzen der Gesprächsdetails der ISP aufgezeichnet werden. Das verlangt nach neuen Techniken wie z.B. die von MSAB vertriebenen Software XRY und XAMN. Die Inhaltserkennungsfunktion filtert automatisch sämtliche Fotos heraus, auf denen Menschen abgebildet sind. Hash-Filter und Hash-Merklisten können genutzt werden, um Bilder herauszufiltern, die bereits als kinderpornografische Daten bekannt sind. Solche Bilder können entsprechend markiert und ausgeschlossen werden. Wenn “neue” Bilder gefunden werden, können diese markiert, gehasht und im Project-VIC-Format exportiert werden. So können sie dann an andere Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. XRY ermöglicht Ermittlern eine superschnelle Verarbeitung von Bildern – bis zu 15 Mal schneller mit Computern mit CUDA-fähigen NVIDIA-Grafikprozessoren. XAMN bietet Ermittlern die Möglichkeit, Daten aus unter-schiedlichen Fällen in einer Ansicht zu betrachten – um Zusammenhänge zwischen Verdächtigen und Opfern zu finden. Das mit dieser Software erlangte Beweismaterial ist forensisch sicher und verfügt über ein verifiziertes Protokoll, über das sich die Rechtsgültigkeit digitaler Beweise nachweisen lässt.

Eine zumindest bundeseinheitliche Strategie, besser noch eine europäische, zur Bündelung der Ressourcen, der Finanzmittel und des Personaleinsatzes wären auch hier wünschenswert.

NCMEC & IWF

Im Jahr 2019 registrierte die deutsche Polizei 12.262 Fälle von Kinderpornografie[34]. Das entsprach einem Zuwachs von fast 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Daten sind um etwa 2.100 weitere Fälle zu ergänzen, die vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) übermittelt wurden, zu denen aber keine Pesonendaten vorliegen.

NCMEC arbeitet eng mit amerikanischen Internetanbietern und Serviceprovidern wie Facebook, Microsoft, Yahoo oder Google zusammen, die ihre Datenbestände und die über ihre Dienste verbreiteten Daten mittels modernster Filtertechnologien permanent nach Missbrauchsabbildungen scannen. Die festgestellten Dateien werden von den ISP gelöscht und die verfügbaren Informationen werden dem NCMEC übermittelt (17 Millionen Fälle sexuellen Missbrauchs). Insgesamt gingen 2019 beim BKA über 62.000 NCMEC-Hinweise auf mögliche strafbare Handlungen in Deutschland ein. Aus diesen 62.000 Hinweisen ergaben sich 21.600 Fälle, die im BKA ausgewertet und an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer weitergeleitet wurden, um dort in eigener Zuständigkeit Ermittlungsverfahren einleiten zu lassen[35].

Auch das englische Pendent zu NCMEC, die IWF (Internet Watch Foundation) ist ein wichtiger key actor. In einer 3-Monats-Studie, gesponsert von Microsoft, fand es 2.082 live-streamed Bilder Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch[36]. Das IWF warnte am 18.05.2018 vor den erkannten Trends dieser Untersuchung: 98 Prozent all dieser Opfer des sexuellen Missbrauchs waren jünger als 13 Jahre alt, das jüngste war gerade mal drei Jahre. Fast jedes fünfte Kind wurde vor laufender Kamera vergewaltigt, sexuell gequält oder gefoltert, in 40 Prozent handelte es sich um schweren sexuellen Missbrauch (Kategorie A oder B),  ein besonders alarmierender Hinweis auf „grooming“ und „sexting“ .(“youth-produced sexual images”) sei, dass die Kinder offensichtlich in ihrer häuslichen Umgebung aufgenommen worden seien[37]. Darüber hinaus gehörten in den letzten sechs Monaten vor der Publizierung des Berichts beachtliche 38 % aller an IWF berichteten Nachrichten/Bilder inzwischen zur Kategorie „selbst-aufgenommene“ Bilder. Zunehmend gelingt es also Pädokriminellen, mit gefakten Identitäten (gleichaltriges Kind) das Vertrauen der Opfer zu erschleichen, um heimliche Aufnahmen zu fertigen. Der Missbrauch findet statt, obwohl der Täter nicht im Raum ist. Das bedeutet, dass jede Plattform, die live-streaming-Dienste anbietet, Tatort werden kann[38]. Die alternative Interpretation wäre, dass immer mehr Jugendliche/Kinder selbst inkriminiertes Bildmaterial von sich oder Peers produzieren und verbreiten

IWF setzt methodisch einen selbst entwickelten „Crawler“ ein, der über 470.000 Hashs bekannter sexueller Missbrauchsabbildungen und -filme gespeichert hat, um 2019 fast 72 Millionen Webseiten und rund zwei Drittel von einer Milliarde Bildern nach Duplikaten zu scannen. Zudem bietet IWF Usern die Möglichkeit, Bilder/Filme mit sexuellem Missbrauch mit dem „Report criminal content“-button anonym zu melden.

In ihrem Report 2019 berichtet die IWF von rund 260.500 gemeldeten Fällen, von denen fast 133.00 Bilder/Filme sexuellen Missbrauch zeigen (+25% zu 2018) und fordert von der EU eine „Zero-Toleranz-Politik“, denn in 9 von 10 Fällen stehen die Server in Europa (2018: 79 Prozent) und 73 Prozent der Fälle des Vertriebs sexueller Missbrauchsabbildungen stammten aus den Niederlanden (2018: 47 Prozent).

Europol

Europol ist die europäische Polizeibehörde, die nun 27 Mitgliedstaaten im Kampf gegen Terrorismus, Cybercrime und andere Formen schwerer und organisierter Kriminalität unterstützt – durch die Erstellung von Lagebildern (Situation Reports) und Beurteilungen von Bedrohungslagen (Threat Assessments), Informationssammlungen und -analysen, Informationsaustausch sowie durch operative Aktivitäten. Europol ist jedoch kein „europäisches FBI“, weil ihm exekutive Befugnisse fehlen. Obwohl das Europäische Parlament mittlerweile einige wichtige Kontroll-Zuständigkeiten erhalten hat, bleibt das Defizit an parlamentarischer Kontrolle Europols bestehen. Hinzu kommt, dass die „Gemeinsame Kontrollinstanz“, die für die datenschutzrechtliche Überwachung Europols zuständig ist, die Anforderungen an eine unabhängige Kontrollinstanz nicht ganz erfüllt.

Die Mitgliedsstaaten sehen nach wie vor die innere Sicherheit als zum Kernbereich nationaler Souveränität gehörig, was die langjährigen Widerstände gegen die Behebung von klassischen „Geburtsfehlern“ erklärt: Die deliktischen Abgrenzungen, das Übergewicht/die Autonomie der Analyse („intelligence-led“ vs. „expert-led“), die Überbetonung „nachrichtendienstlicher“/datenschutzrechtlicher Regeln („need to know principle“ vs. „need to share principle“) und die zu geringe Beteiligung an operativer Polizeiarbeit.

Von Anfang an gut lief die Zusammenarbeit der Europol Liaison Officers, der nationalen Verbindungsbeamten, die in ihren nationalen Büros unter dem Dach Europols arbeiten, von den nationalen Zentralstellen entsandt sind, nach nationalem Recht arbeiten und derer nationalen Fach- und Dienstaufsicht unterliegen.

Mit der Schaffung von Befugnissen für mehr operative Tätigkeiten im Rahmen der so genannten gemeinsamen Ermittlungsgruppen („Joint Investigation Teams “- JIT), wurde eine für alle Strafverfolgungsbehörden segensreiche Entscheidung getroffen.[39] Grundsätzlich agiert Europol nur auf Anforderung eines EU-Mitgliedsstaates; nach Art. 7 der Europol Council Decision[40] darf Europol aber auch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten auffordern, zu ermitteln[41]. Grundsätzlich soll Europol die nationalen Polizeien aber nicht ersetzen, sondern sie in ihrer Arbeit unterstützen. Mit Europol’s new Regulation, die am 01.05.2017 in Kraft trat, wurde endgültig der Weg zur einer effektiveren, flexibleren und mehr operativen Polizeiagentur geebnet, ohne dass Europols Kernfunktionen, Unterstützung und Stärkung der strafverfolgenden Tätigkeiten von mehr als zwei EU-Mitgliedsstaaten, geändert wurde. Europol darf künftig in begründeten und genehmigten Einzelfällen unmittelbar mit den zuständigen Behörden in den EU-MS zusammenarbeiten, die nationalen Zentralstellen sind nur noch zu informieren. Europol, Eurojust und das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF richten auf der Basis eines Treffer-/Kein-Treffer-Systems einen Informationsverbund ein, um diesen Informationsaustausch weiter zu intensivieren.

Damit Europols Funktion als Knotenpunkt für den Informationsaustausch der EU-Mitgliedsstaaten noch besser gewährleistet werden kann, wurden weitere verpflichtende Regelungen für die Informationsübermittlungen mit Dritten eingeführt und der innereuropäische Informationsaustausch ausgeweitet, z.B. werden danach auch bilaterale Informationsaustausche nachrichtlich Europol zu melden sein. Zum Informationsaustausch insgesamt wird Europol künftig jährlich dem Parlament, dem Rat, der Kommission und den nationalen Parlamenten berichten.

Cybercrime ist heute einer der neun Schwerpunkte, die Europol im Rahmen seiner Arbeitsplanung (four-year Policy Cycle – EMPACT, 2018-2021) und bei der Priorisierung seiner Aufgaben setzt: Der Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt an Kindern[42]  steht dabei ganz oben auf der Liste. Der sexuelle Missbrauch von Kindern, die Herstellung und online-Verbreitung von Missbrauchsbildern und -filme ist ein ständig wachsendes Phänomen, das verschärft wird durch die technischen Entwicklungen (mobile Vernetzungen, flächendeckende Internetanschluss-möglichkeiten – auch in Entwicklungsländern, wachsender Markt von Streaming-Lösungen und -dienste, die Nutzer immer stärkere Anonymität bieten, und die zunehmende Kommerzialisierung dieses pädokriminellen Marktes).

Das European Cybercrime Centre (EC3) wurde schon am 11.01.2013 installiert. Es ist die europäische Zentralstelle für alle Cybercrimefragen und soll die europäische Expertise und Analyse zusammenführen, um die Ermittlungsarbeiten von Polizei und Justiz der Mitgliedsstaaten zu unterstützen – in Kooperationen, mit Partnerschaften und mit gemeinsamen Verantwortlichkeiten.

Aktuell ist die Zahl von Missbrauchsabbildungen und -filmen, die in Europols Datenbank gesammelt und analysiert werden, auf fast 47 Millionen angewachsen, eine fast gleiche Menge (45 Millionen) berichtete NCMEC in den USA für 2019, was dort eine Verdopplung der Anzahl der Bilder im Vergleich zum Vorjahr bedeutete.[43]

Abb.4

STRATEGY: Die beiden strategischen Teams sorgen

  • für Prävention und Management (Gründung von Partnerschaften, Entwicklung standardisierter Aus- und Fortbildung, Koordination von Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen).
  • Strategie und Entwicklung (Strategische Analyse, Formulierung von Maßnahmen der Gesetzgebung und der Politik) und Steuerungsmaßnahmen für das Internet.

FORENSIC EXPERTISE: Die zwei forensischen Teams („Digital Forensics“ und „Document Forensics“), dienen der Forschung, Entwicklung und operative Unterstützung der Mitgliedsstaaten.

OPERATIONS: Von den abgebildeten Teams sind für den Gegenstand dieser Studie von besonderer Bedeutung

  • die Unit „Cyber Intelligence“ (für die nicht-operative, strategische Analyse);
  • das Analyseprojekt „AP TWINS“ (Prävention und Repression aller Formen der Kriminalität, die im Zusammenhang mit der sexuellen Ausbeutung und dem sexuellen Missbrauch von Kindern stehen; dies umfasst auch die Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexuellen Missbrauchs von Kindern auf allen online-Umgebungen und jegliches andere kriminelle Verhalten, das online zum Nachteil von Kindern begangen wird, wie z.B. grooming, selbst hergestelltes unzüchtiges Material, sexuelle Erpressung und live-Fernübertragung sexuellen Missbrauchs.
  • EC3 betreibt darüber hinaus ein Projekt namens HAVEN (Halting Europeans Abusing Victims in Every Nation), mit welchem die Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten dabei unterstützt werden können, pädokriminelle Sextouristen zu detektieren, die in typische „Opferländer“ reisen, um dort ihre Straftaten zu begehen. Die europäischen Strafverfolgungsbehörden sollten auch Europols PNR-Datenbank (“Passenger Name Record”) nutzen und die Hilfe des Travel Intelligence Teams von Europol anfordern.
  • die „Joint Cybercrime Action Taskforce (J-CAT)“, die seit September 2014 gemeinsam mit EC 3 die größten und wichtigsten Cybercrime-Fälle der EU-Mitgliedsstaaten mit Analyse und Auswertung wie folgt unterstützt (mit dem so genannten „intelligence-led approach“): Die 18 Strafverfolgungsbehörden, die Mitglied der J-CAT sind, kommen aus 16 Staaten, davon sind neun EU-Mitgliedsstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien und Spanien mit zwei verschiedenen Polizeiagenturen), und sieben non-EU-Staaten (Australien, Canada, Großbritannien, Kolumbien, Norwegen, Schweiz und die USA mit zwei Polizeiagenturen). Ein zugewiesener Verbindungsbeamter von Eurojust (der Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen) nimmt an den wöchentlichen Lagebesprechungen teil, um die justizielle Begleitung der Ermittlungsverfahren zu sichern. Sexueller Kindesmissbrauch ist eines der vier Prioritäten von J-CAT. Die Anzahl der vollendeten Operationen steigt kontinuierlich von Jahr zu Jahr (2019 waren es schon multinationale 18 Operationen);
  • CEPOL, die European Union Agency for Law Enforcement Training veranstaltete im Rahmen ihres Awareness-Programs, jährlich mehrere mehrsprachige webinars, mit denen 2019 mehr als 580 Stafverfolgungsbeamte aus 30 Staaten in Sachen J-CAT beschult werden konnten.
  • EC3 betreibt in enger Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten eine spezielle Website („#TraceAnObject“), analog zur gleichnamigen FBI-Seite mit gleichem Ansatz), wo zu abgebildeten Objekten (zumeist Einrichtungsgegenstände oder Kleidungsstücken missbrauchter Opfer) anonyme Hinweise auf Täter, Opfer oder Tatorte geben zu können. 2019 wurden 24.000 Hinweise registriert, die zur Rettung von neun Kindern führten, die sexuell missbraucht worden waren.

(Internet: www-europol.europa.eu/stopchildabuse,Twitter: #StopChildAbuse).

Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)

Jährlich veröffentlicht Europols EC3 einen Bericht („Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)“, zuletzt am 09.10.2019[44], in dem die drastische Überlastung der schieren Zahl der Missbrauchsabbildungen im Internet beklagt[45] wurde.

Abb.5

Folgende zentrale Bereiche (key areas) bei Methoden und Mitteln des sexuellen Kindesmissbrauchs (CSEM: Child Sexual Exploitation Material) wurden in diesem Bericht herausgestellt:

  • Peer-to peer Netzwerke (P2P), die zumeist Applikationen der sozialen Medien nutzen; dabei sind der zunehmend anonymisierter Zugang zum Darknet (z.B. mit Virtual Private Networks (VPN) oder Tor[46]) und die Verbreitung von Verschlüsselungstechnik die wichtigsten und zentralen Bereiche. Dort wird der Zugang zu Missbrauchsabbildungen und -filmen gefunden, dort werden diese weiterverbreitet und dort muss vordringlichst der Kampf gegen die Produktion und den nicht-kommerziellen Vertrieb dieses Bild- und Filmmaterials geführt werden;
  • Live-streaming von sexuellem Kindesmissbrauch wird durch ständig verbesserte/verbilligte oder gar neue Technologien erleichtert (z.B. Skype, Periscope, etc.). Dies gilt insbesondere für den Kindesmissbrauch in überseeischen Gebieten (Philippinen), oft auf Anforderungen westlicher Kunden. Das Phänomen des “Live-und Tele-Missbrauchs“ (“Live distant child abuse”-LDCA) wurde als eines der bedeutendsten Treiber im kommerziellen Vertriebsbereich („pay-per-click“) von Child Sexual Extortion Material (CSEM) festgestellt.

Neue Bilder oder Filme sexuellen Missbrauchs von Kindern, die live eingespeist werden, sind nicht nur rein mengenmäßig einfach mehr Bilder oder Filme, sondern häufig auch eine wertvolle „Währung“ in der Tätergemeinde und oft die „Eintrittskarte“ für pädokriminelle Chatrooms, für das Darknet und für manch andere dunkle Kreise.

  • Als relativ neues Gefährdungsmoment sieht EC3 die aktuelle Entwicklung der so genannten „Deepfake“-Technologie, eine AI-basierte Technik, mit der Bilder/Videos in andere Videos integriert werden können. Dadurch wird möglich, bekannte Persönlichkeiten in pornografische Videos zu kopieren. Obwohl diese Technologie relativ neu ist, entwickelt sie sich sehr schnell, ist einfach zugänglich und zu handhaben. Kernprobleme zur Authentizität des Sachbeweises müssen gelöst werden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.
  • Online-Ansprachen und sexueller Missbrauch korrelieren stark. Immer mehr Kinder und Jugendliche verfügen über ein eigenes Smartphone, immer mehr Kinder und Jugendliche stellen gedankenlos selbst unzüchtiges Material her (Europol: Self-generated explicit material/ SGEM). MMS-artige Nachrichten mit Fotos, Videos und Zeichnungen werden meist als Anhang verwendet, also erfolgt die Kommunikation in diesen Fällen nicht über den Datenpfad und Inhalte werden daher nicht in den Datensätzen der ISP aufgezeichnet. Für Ermittler ein zusätzliches schwerwiegendes Problem. Immer öfter findet dieses CSEAM auf Umwegen (Agenten, Hacker, Facebook, Groomer u.a.) seinen Weg zu Pädokriminellen, die u.a. mit dem Ziel des späteren Missbrauchs des Opfers auch den Kontakt zu ihnen aufbauen (grooming) oder sie mit den Bildern erpressen oder zur Herstellung weiteren CSEAMs nötigen. Die modi operandi sind unverändert: Meist beginnt der Tatverlauf mit einem einfachen chat im open web, über eine der vielen Dienste der sozialen Medien (Facebook, Instagram, online gaming, live video platforms …), häufig mit einem völlig falschen Profil oder mit der Behauptung, gleichaltrig zu sein. Nach dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses folgt die Aufforderung auf verschlüsselte Applikationen umzusteigen (z.B. WhatsApp oder Viber), um dort das inkriminierte Bild-/Filmmaterial besser und angeblich sicherer austauschen zu können. Danach wird das CSEAM für den weiteren Missbrauch, für Mobbing oder Erpressung etc. benutzt.

Abb. 6

Quelle: LKA NW, Präventionsvideo Cyber-Kompetenzzentrum

Seit 2018 versucht EC3 mit dem jährlichen European Youth Day at Europol (EYD), in Gesprächen seiner Cybercrime-Experten mit Minderjährigen (12 – 15 Jahre alt) auf die online-Gefahren aufmerksam zu machen (zuletzt am 11.02.2020).

Diese Aktion knüpft an die vorherige SayNo!campaign an, die mehr präventiv gegen die sexuelle Nötigung oder den sexuellen Missbrauch kämpfte und soll immer am 18. November eines Jahres stattfinden, am European Day of the Protection of Children Against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, um an die 1989 UN Convention on the Rights of the Child zu erinnern, die am 20.November verabschiedet wurde.

Diese Aktionen und dieser Termin müssten EU-weit viel stärker betont, wiederbelebt und instrumentalisiert werden.

Letztlich hat Europol ein operatives Zusammenarbeitsabkommen mit Interpol geschlossen. Das Abkommen kann auf der Internetseite von Europol (www.europol.europa.eu) abgerufen werden.

EC3 Co-operationen

Im Einklang mit Kapitel V von Europol’s New Regulation arbeitet auch EC3 mit einer Reihe von externen Partnern zusammen um seine Aufgaben noch besser zu erfüllen.

  • Um Missbrauchsabbildungen /-filme zu verhindern, sie im Netz zu detektieren, zu verfolgen und zu verhindern, dass sie weder in P2P-Gruppen angesehen und weiter verbreitet werden, noch kommerzialisiert Verwendung finden können, arbeitet EC3 mit speziellen Berichten auch der von der Europäischen Kommission finanzierten European Financial Coalition against Commercial Sexual Abuse of Children Online (EFC),[47] zu, einem Netzwerk von Strafverfolgungsorganen, NGOs und öffentlichen/privaten Partnern (Stakeholder), das ebenfalls CSEM bekämpft.
  • EC3 arbeitet auch mit ENISA, der European Union Agency for Cyber Security zusammen; Europol verabschiedete 2016 ein Joint Statement, in dem insbesondere kritische Fragen zur Proportionalität von Strafverfolgung vs. Datenschutz und Ver- oder Entschlüsselung behandelt wurden[48].
  • EC3 arbeitet auch mit dem European Crime Prevention Network (EUCPN) zusammen, das 2015 einen Bericht zum Thema “Cybercrime: a theoretical overview of the growing digital threat“ vorstellte.
  • EC3 beteiligt sich ebenso bei der Virtual Global Taskforce (VGT)[49], ein weltweiter Verbund von Strafverfolgungsbehörden, die sich ebenfalls vor langem dem Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern verschrieben haben. Die ‚P4-Strategie‘ der VGT umfasst:

Persue:           Verfolgung von Tätern und Netzwerken;

Prevent:         Verhinderung von Tatgeschehen und Tatgelegenheiten;

Protect:          Schutz der Kinder, Opfer oder Sekundäropfer zu werden;

Prepare:        Strafverfolgungsbehörden für den Kampf gegen CSE fit zu machen.

Auf der VGT-website gibt es einen “Berichtsknopf” („Report Abuse button“) mit dem Verdachtsfälle auf Kindesmissbrauch global gemeldet werden können – ein sehr effektives Mittel zur Bekämpfung der CSE.

  • Die Opfer werden stets mindestens zweimal viktimisiert: Bei der Aufnahme der Bilder/Filme und dann, wenn der Pädokriminelle die Bilder weltweit ins Netz stellt. Zur Identifizierung von CSE-Opfern ist eine enge internationale Zusammenarbeit aller Strafverfolgungsbehörden und Experten-Organisationen unabdingbar; 2015 veranstaltete EC3 deshalb eine 12-tägige Tagung der internationalen Victim Identification Taskforce (VITF), bei der Experten von 11 Polizeibehörden und -organisationen zusammenkamen[50] und über 240 neue CSEM-Sammlungen in Interpols Datenbank „Child Sexual Exploitation Image“ (ICSE DB) eingespeist werden konnten. Der Erfolg ermutigte Europol, weitere solche Fachtagungen zu veranstalten. Im Mai 2019 fand bereits die sechste, nunmehr zweiwöchige VITF-Tagung in Form eines workshops statt, bei der sich nunmehr 34 Experten aus 24 Staaten und Analyse-Experten von Interpol mit Europols EC3 trafen, um sich auszutauschen. Insgesamt konnten 466 neue Datensets zusammengestellt und in Interpols ICSE-Datenbank eingespeist werden, weitere 280 bereits bestehende Datensets konnten angereichert werden. Vermutlich konnten bereits dadurch drei weitere Opfer sexuellen Missbrauchs an Kindern identifiziert werden (je eines in der EU, USA und der RF).
  • Im Bereich der public-private co-operation arbeitet EC3 auch mit der 2014, u.a. von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene Organisation WePROTECT Global Alliance to end child sexual exploitation online[51] Diese Organisation ist aus einer Fusion der britischen WePROTECT und der EC-US- Organisation Global Alliance to end child sexual exploitation online, entstanden, die 2012 von 54 Staaten gegründet worden war. Beide Organisationen zusammen zählen derzeit über 80 Regierungen, 20 global agierende Technologieunternehmen und 24 führende internationale Organisationen und NGO.

2016 veröffentlichte „die Fusion“ die Leitlinien „‘Preventing and Tackling Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA): A Model National Response’. Diese Leitlinien sollte es Staaten ermöglichen, die eigene Gesetzgebung, ihre Strukturen und Organisationen zu überprüfen, Schwachstellen zu erkennen und Maßnahmen zu priorisieren, um die Selbstverpflichtungen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch effektiver umzusetzen. Ob es eine Evaluierung gab, oder ein Monitoring dieser Leitlinien erfolgte, ob es Berichte, Ergebnisse, o.ä. gibt, konnte nicht festgestellt werden. Dennoch: Ein interessanter und vielversprechender Ansatz, der die internationalen Rahmenvorgaben der verschiedenen Akteure (Vereinte Nationen, EMPACT, NCMEC, EC3…) endlich vereinen könnte.

  • Auch mit der GSMA Mobile Alliance Against Child Sexual Abuse Content (kurz: the Mobile Alliance), die 2008 gegründet wurde, arbeitet EC3 zusammen. Diese Internationale Gruppe bringt Vertreter der Smartphone- (mobile-) Industrie zusammen, um u.a. zu verhindern, dass die mobile payment services von Organisationen oder Individuen missbraucht wird, um CSEA zu monetisieren. Dadurch soll das online-Volumen von CSEA-Material reduziert werden. Die Operatoren werden angehalten, jegliche Information über CSEA unverzüglich und direkt den nationalen Hotlines (NCMEC, IWF, BKA…[52]) zu melden, bzw. dort, wo es (immer) noch keine Hotlines gibt, den jeweiligen nationalen Polizeibehörden.
  • EC3 ist auch Teil der weltweiten “Internet Regierung”, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), die geschaffen wurde, um ein sicheres und stabiles Internet zu schaffen. Namentlich ist es Mitglied der Public Safety Working Group (PSWG) seines Governmental Advisory Committee (GAC) und unterstützt hier den Kampf gegen den Domain Name System (DNS) Missbrauch (Malware, Botnets, Phishing, Pharming und Spam), der weltweit nicht nur mengenmäßig drastisch zunimmt[53].

ICANN sieht übrigens auch ohne gerichtliche Anordnung explizit in vier Fällen eine unmittelbare Handlungspflicht von Register und Registraren – und eine davon ist der sexuelle Missbrauch von Kindern, weil in diesen Fällen physische und oft irreparable Bedrohungen und Beschädigungen für menschliches Leben ausgehen.

  • Auf gesamteuropäischem Niveau ist EC3 in diesem Kriminalitätsbereich auch eng mit dem Europarat („Council of Europe – CoE“) verbunden: 2010 trat die Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse (CETS No. 201) in Kraft[54], die nach dem Tagungsort auch als „Lanzarote Convention“ bekannt ist und auf der UN-Kinderrechtskonvention (CRC) fußt. Art. 34 der CRC fordert von allen Staaten unmissverständlich, Kinder vor allen Formen sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs zu schützen. Für den Europarat und für die Vereinten Nationen sind „Kinder“ Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben[55]. Die CoE-Konvention verpflichtet die Teilnehmerstaaten, sexuellen Missbrauch von Kindern präventiv und repressiv stärker zu bekämpfen, die Rechte der Kinder-Opfer zu stärken und internationale Kooperation in der Bekämpfung dieser Kriminalitätsformen zu intensivieren, die vom CoE unter anderem Namen geführt wird: Online Child Sexual Exploitation and Abuse (OCSEA). Die Umsetzung dieser Maßnahmen überwacht das sog. Lanzarote Committee, das aus von den MS nominierten Experten besteht und in Straßburg tagt, wenn mindestens ein Drittel seine Mitglieder dies beantragt. Da die EU (wie die UN, Europol, Interpol, u.a.) Teilnehmer dieser Meetings sind, sollte mit einem Antrag an den CoE, Directorate-General I – Human Rights and Rule of Law davon Gebrauch gemacht werden.
  • Europol unterstützte auch die Präventionskampagne des CoE „KIKO And The Hand“[56], die Kinder von 3-7 Jahren erreichen will, um ihnen die „Unterwäsche-Regel“ beizubringen: Alles am eigenen Körper, was normalerweise von der Unterwäsche bedeckt ist, gehört nur dem Kind selbst und darf ohne seine Erlaubnis nicht von anderen berührt werden. Gelehrt wird zudem, dass es gute und schlechte Berührungen gibt, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt, oder dass es das Recht hat, Küsse oder Berührungen zu verweigern, selbst wenn sie von Verwandten kommen. Kinder sollen lernen, NEIN zu sagen und solche Vorfälle einem Erwachsenen erzählen, dem sie vertrauen. Dieser Präventionsansatz scheint sich in den vergangenen Jahren nicht mehr durchgesetzt zu haben und sollte je nach aktuellem Sachstand intensiviert/reaktiviert werden.
  • Europol unterstützt auch die CoE-Initiative „Missing Children Europe“[57] und das damit verbundene CoE-Projekt „Together against sexual exploitation of children“, welches die Umsetzung der von der EU-Directive 2011/92/EU geforderten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs, der sexuellen Ausbeutung und der Kinderpornografie überwachte.
  • EC3 übernahm 2015 die Aufgaben der European Financial Coalition against Commercial Sexual Exploitation of Children (EFC), die den online-Kindesmissbrauch bekämpfen wollte, indem sie die Hauptakteure zusammenführte, die für die Überwachung und Finanzierung der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) mit Missbrauchsinhalten zuständig sind („follow the money“).
  • Die Europol-Initiative Police2Peer ist ausgerichtet auf Personen, die in P2P-Netzwerken versuchen, auf CSEA-Material zuzugreifen oder dieses zu teilen. Die Strafverfolgungsbehörden stellen in diese File-Sharing-Netzwerke eigene Dateien ein, die wie CSEA-Material aussehen, meist jedoch Dateien ohne Inhalt sind. Sobald eine Person versucht, diese scheinbar missbräuchliche Datei herunterzuladen, warnt die Polizei vor den rechtlichen Risiken und gibt Informationen, wo Hilfe angeboten wird.
  • EC3 arbeitet eng mit dem UNODC zusammen, dem UN Office on Drugs and Crime Die Vereinten Nationen, die vor 30 Jahren die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedete (CRC), stellte in einer Analyse vom Januar 2020 (pdf-Version nach Bezahlschranke) international eine deutliche Zunahme des Kriminalitätsphänomens Kindesmissbrauch und -ausbeutung (Child Abuse and Exploition – CSA/E) fest[58]. Der zuletzt veröffentlichte Jahresbericht von UNODC fokussiert inhaltlich aber auf Terrorismusbekämpfung, Transnationale Organisierte Kriminalität, Drogenkriminalität, Korruption und Stärkung der Kriminalprävention / Effiziierung der Strafverfolgungssysteme und geografisch eher in Afrika, Südamerika und Asien. Das UNODC Global Programme on Cybercrime erwähnt zwar die weltweite Unterstützung bei der Verbesserung der Legislative und beim Expertentraining zur Bekämpfung der CSA/E, das Thema wird aber außer durch die Produktion von zwei Handbüchern zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder nicht vertieft; es hat dort derzeit offensichtlich keine Priorität[59].
  • Europol’s C3 arbeitet auch mit privaten Unternehmen und der Industrie zusammen, namentlich mit Internet Service Providern (ISP/OSP), um die Flut der CSEM zu detektieren, zu bearbeiten und gerichtsfest aufzubereiten – ein absolutes, international anerkanntes „must have“, um CSEAM einzudämmen. Dafür sucht es Hilfe durch Einsatz von künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence – AI“), Gesichtserkennungssystemen (Face Recognition Systems) oder neuer forensischer Technologien für die Untersuchung von Mobilgeräten (z.B. MSAB[60]). Gesucht werden ähnliche Modelle wie z.B. wie bei der erfolgreichen „No-More-Ransom-Initiative“, die vor zwei Jahren zusammen mit der niederländischen Polizei und zwei Industriepartnern ins Leben gerufen wurde und den „Kunden“ nicht nur relevante Informationen anbot, sondern mehr als 60 Werkzeuge zur freien Entschlüsselung von über 100 Arten von Verschlüsselungs-Schadsoftware zur Verfügung stellte.
  • Vor allem muss die Europol-Konvention fortgeschrieben werden, um der Agentur mehr operative Rechte einzuräumen. Um im Kampf gegen CSEAM effektiver führen zu können, muss Europol personenbezogene Daten direkt von den OSP und anderen Datenbesitzern der Privatwirtschaft erhalten dürfen. Das Gesetzgebungsprogramm der Europäischen Kommission hatte für Ende 2020 eine Überprüfung des Mandats für Europol angekündigt. Die angekündigten Rechtsvorschriften, die OSP verpflichten werden, bekanntes Material über sexuellen Kindesmissbrauch den Behörden zu melden, sollte so umgesetzt werden, dass diese OSP diese Daten Europol, EC3, anliefern sollen, nachrichtlich den nationalen Zentralbehörden, und sollten so schnell wie möglich verabschiedet werden.

Europol will den EU-MS bei Ermittlungsverfahren eine Top-Level-Unterstützung bieten (insbes. bei kriminellem Missbrauch von Verschlüsselungstechnik oder Kryptowährungen), inklusive Werkzeuge und Dienste, die den EU-MS zentral zur Verfügung gestellt werden können. Dabei bedarf es immer mehr operative Unterstützung und ein enges Zusammenspiel mit dem strategischen und taktischen Bereich. Dazu gehört neben der Analyse krimineller Verfahrensweisen und Trends auch die Bewertung von neuen und zukünftigen Technologien. Das Ziel ist, einen pro-aktiven, umfassenden und effektiven Ansatz der Ermittlungsbehörden zu ermöglichen. EC3 und seine vielen verschiedenen Partner in den Bereichen Strafverfolgung, Industrie und Wissenschaft sind ein Paradebeispiel für die Möglichkeiten einer vernetzten Reaktion auf Cyber-Kriminalität. Das Modell erlaubt allen Partnern, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, zu koordinieren und zu priorisieren und führt letztlich zu internationalen Erfolgen, wie die kürzlich erfolgte Schließung zweier großer Darknet-Marktplätze. Solche Lösungen brauchen wir auch für CSEM. Das geplante Innovationszentrum und -labor als Ansprechstelle für die national einzurichtenden Zentren ist der richtige Schritt in eine bessere EU-weite Kooperation zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität.

Es ist zu leicht vermuten, dass in der weiteren digitalen Entwicklung, z.B. dem Internet of Things (IoT), dem Internet of Everything (IoE) und den Cyber-Physical Systems (CPSs) jede Menge Cybercrime-Elemente schlummern werden. Die Cybercrime-Forensik wird künftig eine enorme Bedeutung erfahren und essentieller Teil aller Strafverfolgungsbehörden werden – weltweit.

Über die enge Zusammenarbeit zwischen Europol und Eurojust sowie Europol und Interpol siehe die dortigen Ausführungen.

Eurojust

Eurojust ist die Agentur der EU für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, gegründet 2002 für den Kampf gegen Terrorismus und schwere, organisierte Kriminalität die mehr als zwei (Mitglieds)Staaten betreffen, hält enge Verbindung zum Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) und hat mit vielen internationalen Organisationen Abkommen zur Zusammenarbeit geschlossen, vor allem natürlich mit Interpol, Europol, Frontex[61] OLAF[62] und UNODC[63]  Es besteht aus hochrangigen Staatanwälten oder Richtern der EU-Mitgliedsstaaten, die in den nationalen Verbindungsbüros arbeiten.

Abb. 7

https://www.eurojust.europa.eu/sites/default/files/Publications/AnnualReport/AR2019_DE.pdf

Seit September 2019 hat Eurojust ein Register zur Terrorismusbekämpfung (CTR) eingerichtet, um die Intensivierung und Beschleunigung transnationalen Ermittlungen europäischer Staatsanwälte zu ermöglichen. Von Januar 2021 bis Juni 2024 gilt ein neues Abkommen zur grenzüberschreitenden Beweissicherung in Cybercrime-Verfahren, das die 4.500 Praktiker, die auf der SIRIUS-Plattform zusammenarbeiten, noch besser vernetzen wird.[64] Eurojust arbeitet eng zusammen mit dem European Judicial Cybercrime Network (EJCN).

Nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist Eurojust ausersehen, den Nukleus für eine künftige europäische Staatsanwaltschaft zu bilden (Art. 85 ff. AEUV).

Eurojust gibt seit 2019 gemeinsam mit Europol und dem EJN den Jahresbericht „SIRIUS EU Digital Evidence Situation Report“ heraus, der zweite wurde im Dezember 2020 veröffentlicht und basiert stark auf einer Umfrage bei den SIRIUS-MS, den ECJN- und EJN-Kontaktstellen von 21 EU-MS und einem Workshop mit Experten aus den USA und Irland. Der Report thematisiert besonders die schwierige und langwierige Zusammenarbeit mit non-EU Online Service Provider (OSP), den komplizierten Prozess der Beweissicherung nach den Regeln der Mutual Legal Assistance (MLA), der allzu oft an der mangelhaften und Standardisierung scheitert (zu langwierig), die EU-weit fragmentarischen Regelungen zur „Vorratsdatenspeicherung“[65] bzw. die EU-weit unbefriedigend Frage nach einem Kostenregelungssystem, die Problematik der zunehmenden Verschlüsselung und die Wirksamkeit der in allen EU-MS zum Zwecke der grenzüberschreitenden elektronischen Beweissicherung eingerichtete-Single Points of Contacts (SPoCs) – Kernthemen auch diese Studie.

Zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit Europol führte Eurojust in 2019 ein Audit durch, um Schwachstellen in der Zusammenarbeit zu erkennen und die Effektivität zu erhöhen und führte zu einer Empfehlung, die in Eurojust‘s Action Plan 2020 ihren Niederschlag fand.[66]

Inzwischen koordiniert und bearbeitet Eurojust über 8.000 Anfragen um justizielle Unterstützung (Report 2019, Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 17 %) und hat eine besondere Bedeutung in den 270 gemeinsamen Ermittlungsgruppen (Joint Investigation Teams – JIT) erlangt. Deren Zahl stieg um 35%. Die fast 4.000 anhängige Fälle, 161 JIT, die aus den Vorjahren fortdauern, und über 1.384 Großeinsätze demonstrieren die zunehmende Komplexität grenzüberschreitender Strafermittlungen und die wachsende Bedeutung von Eurojust.

Im Bericht 2019 wird zwar exemplarisch und relativ ausführlich der Fall einer schwedischen Mutter publiziert, die 2016 ihre fünf Kinder gezwungen hatte, vor einer Webcam zu posieren und sexuelle Handlungen zu vollführen. Die Missbrauchsvideos sollten im Internet verkauft werden. Mit einem JIT konnte in Schweden ein Ring Pädokrimineller ermittelt werden, der insgesamt 12 Kinder missbrauchte; die Mutter floh, konnte aber mit Hilfe Europols 2018 in Malaga/Spanien ausfindig gemacht und festgenommen werden. Schwedische Jugendbehörden waren eingebunden, um die Kinder wieder sicher nach Schweden zurückzubringen. Die Mutter wurde 2019 zu einer Freiheitsstrafe von nur viereinhalb Jahren verurteilt, ein männlicher Kunde, der die CSEA-Materialien wiederholt kaufte, zu dreieinhalb Jahren.

Allerdings ist die Bedeutung Eurojusts im gesamten Bereich Cybercrime mit nur acht Fällen und nur drei Aktionstagen[67] offensichtlich noch recht überschaubar. Um welche Cybercrime-Fälle es sich handelt, ist nicht ausgewiesen. Eine Fachtagung im Juni 2019 war dem Thema Cybercrime gewidmet. Das Kriminalitätsphänomen CSEA ist ansonsten im Jahresbericht im Zusammenhang mit der GLACY-Konferenz[68] vom September 2019 und eher am Rande und/oder im Zusammenhang mit Menschenhandel erwähnt. 

Gerade im Hinblick auf die Vermögensabschöpfung bei CSEA-Tätern und die Einrichtung von Joint Investigation Teams wäre eine stärkere Aktivität von Eurojust wünschenswert. 

Interpol

Interpol ist die älteste internationale Polizeiorganisation, gegründet 1923 (IKPO), juristisch ein Verein, eingetragen nach französischem Privatrecht und inzwischen auf vertraglicher Basis auf 194 Mitgliedsstaaten angewachsen. Die Interpol führt keine internationalen Kriminalitätsstatistiken und verfügt über keine eigenen Fahnder und Ermittler, sondern koordiniert nur die Zusammenarbeit nationaler Ermittler. Es gilt der Grundsatz der nationalen Souveränität. Überlegungen wie sie derzeit bei Europol angestellt werden, ob man Polizeibeamte mit Exekutivbefugnissen auch im Ausland ausstatten sollte (Stichwort EuroCOP), sind bei Interpol kein Thema.

Die Bedeutung und Wirkung der Interpol ist zunächst ihre Pionierarbeit im Bereich der internationalen polizeilichen Kooperation, besonders im technischen und rechtlichen Bereich. Seit 1997 hat Interpol einen Sitz in der UN als Beobachter. Im Zeitalter der Globalisierung und der internationalen digitalen Vernetzung gewinnt das Interpol-Generalsekretariat durch das Interpol Global Communication System (I-24/7) zunehmend an Bedeutung. Seit 2002 verbindet I-24/7 fast alle Nationalen Zentralbüros (NZB), in Deutschland das BKA, in den USA wurde dafür eigens eine eigene Dienststelle eingerichtet. Der Austausch von Informationen erfolgt in vier offiziellen Sprachen (Englisch, Spanisch, Französisch und Arabisch).

Vor allem aber der Ausbau seiner Funktion als Sammelstelle internationaler Datenbestände, auf die die einzelnen Mitgliedsländer zurückgreifen können, ist von wachsender Bedeutung. Interpol verfügt heute über sehr umfangreiche Datensammlungen, z.B. über Personen, Fingerabdrücke, DNA-Profile vom Tatort oder vom Mundhöhlenabstrich Verdächtiger (noch im Aufbau), gestohlene Fahrzeuge / Fahrzeugscheine und Reisedokumente / Ausweise (Automated Search Facility – ASF), verschwundene Kunstgegenstände, zum unsachgemäßen Umgang mit radioaktivem Material oder eben zum sexuellen Kindesmissbrauch, speziell zu Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewalt gegen Kinder

INTERPOL hat eine eigene Spezial-Einheit für dieses Kriminalitätsphänomen aufgebaut, das Crimes Against Children Team (CACT), in dem über 100 speziell ausgebildete Ermittler aus mehr als 60 Staaten arbeiten, um Informationen auszutauschen und entsprechende Daten mit Kollegen aus der ganzen Welt zu teilen. Diese Gruppe besteht aus Strafverfolgern, regionalen und internationalen Organisationen, NGOs, Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft, und trifft sich jährlich um neue Trends und Techniken zu diskutieren, um die Analyse- und Ermittlungsarbeit zu verbessern („good practice approach“).

 

Die Unit betreibt seit 2008 eine spezielle Datenbank, die International Child Sexual Exploitation (ICSE)[69] und sammelt darin mit den an die Datenbank angeschlossenen 64 Staaten[70] und mit Europol über 2,7 Millionen von Bildern, Videos, sonstige digitale und audiovisuelle Inhalte, die die Basis für ihre kriminalistische Analyse und für die Unterstützung der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten sind. Algorithmen suchen key words in den pädokriminellen Foren und Chat Rooms, sie sind die basic tools der Ermittler. Die von Interpol inzwischen eingesetzte „Crawler“-Software erkennt u.a. auch die Nacktheit der abgebildeten Personen oder ihr vermutliches Alter (durch strukturierte Gesichtserkennungs-Software). Wenn immer Bilder, Filme oder Texte mit solchen Inhalten im Internet gefunden wird, fügt sie die Software der Datenbank hinzu, nachdem Experten geprüft haben, ob es sich tatsächlich um Missbrauchsabbildungen, -filme oder -texte handelt.

Die Abbildungen/Filme zeigen zwar nur selten den/die TäterIn, sondern meist nur die kindlichen Opfer – manche von ihnen sind jünger als ein paar Tage oder Wochen! Dennoch gelingt es den Ermittlern immer häufiger und schneller, durch den Einsatz spezieller, bildvergleichender Software weltweit über 23.500 Opfer zu identifizieren, Duplikate herauszufiltern, die Verbindungen zwischen den Opfern, den Tatorten und den Tätern herzustellen und 10.752 Tatverdächtige zu analysieren. Den Erfolg zeigt das nachfolgende Schaubild:

Abb. 8

https://www.interpol.int/Crimes/Crimes-against-children/International-Child-Sexual-Exploitation-database

Dennoch bleibt festzustellen, dass täglich immer noch Millionen von Bildern und Filmen missbrauchter Kinder im Netz kursieren, die nicht identifiziert und deren Täter nicht ermittelt werden konnten. Manches CSEA-Material bestimmter Kinder erscheinen über die Jahre sogar immer wieder im Netz.

Eine Studie nach einer Zufallsauswertung des Bildmaterials der ISCE-Database, die Interpol (CACT) im Februar 2018 gemeinsam mit ECPAT[71] International durchführte („Towards a Global Indicator on Unidentified Victims in Chield Sexual Exploitation Material”), ergab, dass es offensichtlich eine direkte Beziehung zwischen Alter/Gender und Schwere der pädokriminellen Verbrechen gibt: Jungen und sehr junge Kinder werden offensichtlich eher Opfer meist schwerer sexueller Gewalt. Anders gesagt: Je jünger die Opfer, desto schwerer der Missbrauch – das gilt selbst für Babys.[72]

Ein weiteres, stetig anwachsendes Problem sei das Phänomen des vom Opfer selbst produzierten CSEA-Materials, das vielfältige Probleme erzeuge.

Die ICSE-Datenbank ist jedoch nicht einzigartig, sie besteht neben zwei anderen, vergleichbaren Datenbanken, eine in den USA (NCMEC Child Recognition and Identification System- CRIS) mit dem angeschlossenen Child Victim Identification Program (CVIP) und in den UK (Child Abuse Image Database – CAID). Bis vor kurzem existierte noch in Kanada bei der Royal Canadian Mounted Police das Child Exploitation Tracking System – CETS-Canada). 2018 kündigte die Australian Intelligence Commission an, eine solche Datenbank mit gleichem Namen (CETS-Australia) zu schaffen.

Die Entwicklung weiterer Datenbanken und zusätzlicher Initiativen auf lokaler oder regionaler Ebene muss daher kritisch hinterfragt werden (wie z.B. das 2013 von den Niederlanden initiierte Projekt „In-4-mation“ oder die vom LKA Niedersachsen entwickelte, lernfähige Bildsichtungs-Software zur Erkennung von CSEA-Material, die seit Juni 2020 im Praxisbetrieb und inzwischen auch schon in mehreren anderen Bundesländern im Einsatz ist.[73]. Vielleicht mit Ausnahme von nationalen Datenbanken für Travelling Sex Offenders (TSO), führen sie eher zu einem Überfluss an Datensystemen, unnötige Duplizierung von Bilddaten, Vergrößerung der Koordinierungsproblemen und insgesamt zu höchst sub-optimalen Ergebnissen in Bezug auf Workflow und Effizienz.

Das Gegenteil ist m.E. erforderlich, zumal ja, technisch gesehen, alle derartigen Datenbanken dem gleichen Hash-Based-Matching-Prinzip folgen. „Microsoft Inc.’s PhotoDNA“ und „Videntifier Technologies’ visual fingerprints“ benutzen bei der Detektion von CSEAM, zudem unterschiedliche Algorithmen, um die Hash-Sets für jedes Bild zu schaffen, die in den nationalen oder internationalen Datenbanken gesammelt werden („hash sets“ = Fingerabdrücke für Bild-Dateien). Seit neuestem arbeiten die Tech-Riesen FacebookCVIPCAID / Instagram und Google im „Project Protect“ auch mit Twitter und Dropbox zusammen, um CSEAM ausfindig zu machen und deren Weiterverbreitung zu unterbinden. In der Folge verlagert sich der Markt immer mehr in das Darknet und/oder verschlüsselt in zunehmendem Maß das Material.

Diese Datenbanken für Bild- und Filmmaterial schwellen inzwischen extrem an. In einem durchschnittlichen Ermittlungsverfahren fallen inzwischen einem bis drei Terabyte an Daten an (Netclean 2017). Millionen von Bildern und Tausende Stunden an Videos warten auf tiefergehende Analysen für jeden Verdächtigen und für jedes Opfer. Da ist es sinnvoll, erst zentral und automatisiert CSEA-Material zu checken, um danach die zusammengefassten und bereinigten Zwischenergebnisse den IT-Forensikern zu präsentieren – auch aus Gründen der Fürsorge und der mentalen Hygiene.

Zentrale hash-sets erleichtern auch die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor; so nutzen prominente US-Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter hash-sets erkannter CSEA-Materialien, die von NCMEC geliefert werden. Damit können sie ihre Plattformen selbst überwachen, um schon den Ladevorgang dieser Materialien zu verhindern. Auch Interpol schuf einen solchen hash-set für sein Projekt „Baseline“, das sich zunächst an Internet Service Provider wendete (ISP), jedoch inzwischen auch non-ISP Unternehmen erreicht.

COSPOL (Comprehensive Operational Strategic Planning for the Police) war 2004 auf Initiative von Norwegen und dem Vereinigten Königreich von der European Police Chief Task Force (EPCTF) ins Leben gerufen worden, vereinte 14 Mitgliedsstaaten[74] und verstand sich als eine Art operative, ermittelnde Ergänzung in der Landschaft der internationalen Organe und Agenturen wie Europol und Interpol, denen es ja bekanntlich an eigenen Ermittlungsbefugnissen mangelt. Ziel von COSPOL sei die Entdeckung und Zerschlagung von kriminellen Netzwerken und Organisationen. Eines der Kriminalitätsphänomene ist die Produktion und die Verteilung von CSEAM. Hierfür wurde das Projekt CIRCAMP (COSPOL Internet Related Child Abusive Material Project) gegründet, das von Europol und Interpol analytisch unterstützt wird (werden muss), obwohl es neben den bestehenden oder möglichen Joint Investigation Teams (JIT) als zusätzlicher, paralleler Akteur m.E. nicht gerade dienlich ist. Der Block- und Filter-Methodik folgend war die Schwerpunktaktion von CIRCAMP die Entwicklung, Implementierung und Verteilung eines Child Sexual Abuse Anti Distribution Filters (CSAADF) – ein eher rein präventiver Ansatz, der gerade die von COSPOL angestrebte intensivierte repressive Ermittlungstätigkeit zur Identifizierung von Opfer, Tatort und Täter verhindert. Acht der Länder nutzen CSAADF, um Webseiten zu blockieren, stellen Listen mit den URLs dieser Webseiten und stellen sie den ISP zur Verfügung, damit diese über die Domainnamen eine Stopp-Seite auf dem Computer/mobilen -endgerät des Nutzers angezeigt wird. Die erfassten Daten werden an Europol weitergeleitet und Interpol erstellt eine „Worst of list of domains (IWOL)“ für die Mitgliedsstaaten.

Dieses Verfahren wird in der Internetgemeinde und von mehreren namhaften NGO durchaus kritisch, als eine Art Zensur gesehen („extreme action“… „goodbye democracy“)[75], zumal es sich als „Büchse der Pandora“ erweisen könnte, wenn u.a. auch Urheberrechtsverstöße damit gefiltert werden könnten. Eine Reihe anderer guter Gründe spricht gegen diesen Ansatz,[76] der jedoch nach Auswertung offener Quellen nach den heftigen internationalen Datenschutzreaktionen ohnehin seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr von sich reden macht. Es ist schwer verständlich, dass die Europäische Kommission, die Task Force der europäischen Polizeichefs, Europol und Interpol so viel Ressourcen in ein Blockier und Filtersystem investieren, statt die Verbrechen direkt zu verfolgen.

Auch m.E. ist es wichtiger, die CSEA-Produktion zu stoppen als die Verbreitung.

Weder die Strafverfolgungsbehörden und -organisationen, noch die Inhalteanbieter oder die Serviceprovider (OSP) können das Problem alleine lösen. Das Kriminalitätsphänomen Online-CSEA verlangt m.E. auf globalem Niveau eher mehr konzertierte Anstrengungen, Aktionen und mehr Fusionen.

OSP könnten erkanntes CSEA-Material, statt zunächst erst an eine nationale Zentralbehörde, theoretisch durchaus auch unverzüglich an eine globale (Interpol) oder kontinentale Stelle (Europol, NCMEC oder CETS Australia) senden und die nationalen Zentralbehörden nachrichtlich informieren. Letztlich: Die künftigen Investitionen in Automation, Cloud Computing, IT-Forensik und die unbedingt erforderliche Artificial Intelligence (AI) übersteigen ohnehin alle personellen und finanziellen Ressourcen der nationalen und auch internationalen Akteuren, was nach Pool-Lösungen ruft.

Abb. 9

Organisation von CSEM/CSAM in der ICSE Database (Quelle: 2018 Interpol/ECPAT- Technical Report)

European Union

Die Bemühungen der Europäischen Union, Missbrauchsabbildungen und -filme sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen von Internet Service Providern (ISP) blockieren oder filtern zu lassen, reichen zurück bis 1996, als die Communication on Illegal and Harmful Content on the Internet (COM (96) 487 final) und das Green Paper on the Protection of Minors and Human Dignity in Audio-Visual and Information Services (COM (96) 483 verabschiedet wurden. Die Wirkungen der beiden Dokumente waren jedoch arg begrenzt. Erstens haben die Mitgliedstaaten die beiden Papiere sehr unterschiedlich angesehen und umgesetzt, und selbst im Bereich der Missbrauchsabbildungen/-filme sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen variierten die nationalen Gesetzgebungen zum Teil erheblich. Zweitens minderte die Subsidiaritätsklausel ein einheitliches Vorgehen erheblich, indem die nationalstaatlichen Interessen im Vordergrund standen. Drittens betonte selbst die Europäische Kommission ihre begrenzte legislative Kompetenz, so dass von Anfang an zwischen illegalen und schädlichen bzw. gefährlichen Inhalten (harmful content) unterschieden wurde, die separat angegangen und behandelt wurden.

Der Schwerpunkt bei Kinderpornografie lag zunächst auf Annäherung oder gar. Harmonisierung der nationalen Gesetze. 1999 bis 2005 betrieb die EC ein sehr bedeutsames Programm, die Finanzierung und Einrichtung nationaler Hotlines und Kontaktstellen zur online-Meldung illegaler Inhalte und zur Benachrichtigung der ISP.

Die nächste Aktion war die 2000 Council Decision to Combat Child Pornography on the Internet (2000/375/JHA), nach der die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, mit „technischen Mitteln“ die Verteilung von kinderpornografischem Material zu blockieren.

Diese Empfehlung war jedoch nicht sehr erfolgreich. Diese Council Decision wurde zwei Jahre später durch das Europäische Parlament gestoppt[77], da sich technische Blockaden als weitgehend ineffektiv für die Bekämpfung der Kinderpornografie herausstellten, dagegen die Meinungsfreiheit übergebührlich bedrohten. Die nächste Council Framework Decision on Combating the Sexual Exploitation of Children and Child Pornography (2004/68/JHA) enthielt daher keine Empfehlung mehr für das technische Blockieren illegaler Inhalte – allerdings blieb es den Mitgliedstaaten freigestellt, solche Techniken einzusetzen.

2006, nach der Evaluation des 2003-2004 Safer Internet Programme (COM (2006) 663 final), wurde die Blockiertechnik erneut zu einem bedeutenden Hilfsmittel im Kampf gegen Kinderpornografie erklärt und die Mitgliedsstaaten aufgefordert, diese europaweit zu installieren und zugleich eine black list von bekannten illegalen Seiten einzurichten. Anlass für diesen Richtungswandel war die signifikante Steigerung der Zahl von Internetseiten mit kinder- oder jugendpornografischen Inhalten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) berichtete von einer Steigerung von 1.894 Domains (2014) auf 3.077 Domains (2006), was eine Art moralische Panik insbesondere bei den Mitgliedsstaaten, die bisher keine Blockaden installiert hatten, auslöste. Da zudem England und Schweden, die solche Blockiersysteme etabliert hatten, positive Erfahrungen demonstrierten, waren die früheren Sicherheitsbedenken behoben.

Dieser Trend wurde im Mai 2007 weiter fortgesetzt mit dem Commission document ‘Towards a general policy on the fight against cyber crime’ (COM (2007) 267 final), in welchem eine Politik der “public-private agreements” empfohlen wird, mit welcher  EU-weit Seiten mit illegalen Inhalten, speziell mit Material zum sexuellen Missbrauch, blockiert werden sollen[78].

Im März 2009 wurde dieser Ansatz durch die Europäische Kommission weiter verfestigt, indem sie eine Framework Decision on Combating the Sexual Abuse of Children (COM (2009)135 final) vorschlug, die erstmals die Mitgliedsstaaten verpflichtete, online den Zugang zu inkriminierten Seiten zu blockieren. Mit dem Inkrafttreten des EU-Lissabon-Vertrages wurde die gleiche Vorlage als Directive (COM (2010) 94 final) umgesetzt

Die in der Wissenschaft immer noch strittigen Blockier-/Filtersysteme sind in Dänemark, Finnland, Italien, Malta, Norwegen und Schweden mit Einführung des Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter (CSAADF), unter polizeilicher Führung in der Praxis und auf nationaler Ebene erprobt worden. Noch immer gibt es keine EU-weite Blocklist, allerdings arbeitet CIRCAMP mit Unterstützung von Interpol und Europol an einer „worst-of“ Liste, in der aufgenommen wird, was in allen Teilnehmerstaaten als illegal gilt. Andere Mitgliedsstaaten arbeiten mit „industriegeführten“ Systemen (IWF in UK), die wenigstens von staatlich unabhängigen Organisationen überprüft werden.

Um die gesetzlichen Regelungen noch mehr anzunähern/zu harmonisieren und das Monitoring dieses Prozesses zu verbessern, wurde 2011 die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie verabschiedet (vor 10 Jahren!).

Damit wurde eine ganze Reihe von online und offline begangenen Handlungen (sexuelle Missbräuche) neu eingestuft (20 verschiedene Straftatbestände), inhaltliche Verbesserungen oder Aktualisierungen vorgenommen), Regelungen zum Strafrahmen, zu Verjährungsfristen oder zum Informationsaustausch getroffen u.v.a.m. Im Dezember 2016 veröffentlichte die Kommission zwei Berichte über den Stand der Umsetzung dieser Richtlinie. Der Bericht zur Direktive selbst offenbart, dass erhebliche Probleme in der Umsetzung bestanden, d.h. dass die Richtlinie (noch) nicht befriedigend und schon gar nicht fristgerecht umgesetzt wurde. Die Kommission musste daher gegen die 15 säumigen Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren einleiten, um bis zum Berichtstermin Antworten zu bekommen. Die Ergebnisse der rechtlichen Umsetzungen sind eigentlich ein Art Offenbarungseid: Zu unterschiedlich sind die Art der Umsetzung, die Begrifflichkeiten, die Definitionen, zu vage die Antworten oder es wurden zu „wenig aufschlussreiche Informationen“ übermittelt. Kein einziger Artikel der Richtlinie ist einheitlich umgesetzt worden. Zwar wurden „erhebliche Anstrengungen“ konstatiert, doch wird auch beklagt, dass „gegenwärtig einige der größten Herausforderungen für die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den Präventions- und Interventionsprogrammen für Straftäter (Artikel 22, 23 und 24), dem materiellen Strafrecht (Artikel 3, 4 und 5) sowie den Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Opfer im Kindesalter (Artikel 18, 19 und 20) stehen – mit den Kernpunkten also.

Die Kommission sollte vom EP aufgefordert werden, diese EU-Richtlinie erneut zu evaluieren und sie sollte bereits im Vorfeld auf ihre Durchsetzungsbefugnisse hingewiesen werden (Vertragsverletzungsverfahren).

Auch die Zuarbeit zum Bericht über die Bewertung der von den MS getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderpornografie (COM (2016) 872 final vom 16.12.2016 wurde nicht von allen Mitgliedsstaaten termingerecht und vollinhaltlich geleistet. Wenigstens haben fast alle Mitgliedsstaaten Hotlines eingerichtet, die befugt sind, auf das Material zuzugreifen (mit Ausnahme von BE, ES und IT, die ihrer Informationspflicht vermutlich über Europol oder Interpol Genüge leisten); Die Dachorganisation dieser Hotlines ist INHOPE[79]. Jedoch sind die Meldeverfahren sehr unterschiedlich und damit unterschiedlich lang. In 93% aller Fälle wird das CSEAM aber innerhalb maximal 72 Stunden aus dem Internet entfernt – das ist eindeutig zu spät, in dieser Zeit kann das Material millionenfach weiterverbreitet werden. Selbst die Regelung zur Entfernung von CSEAM oder von Sperrungen sind nicht einheitlich umgesetzt worden.

Dennoch will die Kommission keine Änderungen des Art. 25 der Richtlinie erwägen, sondern baut darauf, dass der „geschaffene Mehrwert Kindern in vollem Umfang zugutekommt“ und die MS diese Bestimmungen uneingeschränkt umsetzen werden. Na, dann! Auch hier ist die Kommission darauf hinzuweisen, darauf zu drängen, dass die Richtlinie voll inhaltlich umzusetzen ist.

Die EU-Security Union Strategy für die Jahre 2020 bis 2025 adressiert insbesondere die Bedrohung der Cyber-Sicherheit in den Mitgliedsstaaten und fordert diese auf, ihre Anstrengungen zu Erreichung dieses Ziels zu verstärken, dafür auch eng zusammenzuarbeiten und gewonnene Erkenntnisse und Informationen zu teilen.   Zu diesem Zweck wurde 2016 die NIS-Richtlinie (Directive on security of Network and Information Systems)[80] verabschiedet, mit der die Gesetzgebung in Sachen Cyber-Sicherheit in allen Mitgliedsstaaten bis Ende 2020 harmonisiert/implementiert werden muss, die dann überprüft wird. Von besonderer Bedeutung sind die Einrichtung von nationalen NIS-Zentralstellen, Aufbau von Computer Security Incident Response Teams (CSIRT), eine homogene Sicherheitskultur in allen KRITIS-Bereichen und Austausch von „best-practice“-Modellen über das „NIS-toolkit“. Damit soll die EU fit für das digitale Zeitalter gemacht werden.

Am 27.06.2019 wurde der Cybersecurity Act verabschiedet, der ein EU-weites Rahmenwerk für die IT-Zertifizierung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen etabliert und das Mandat der Agentur der Europäischen Union für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) gestärkt werden soll, der auch eine zweijährige Berichtspflicht gegenüber der Kommission abverlangt wird. (nix Parlament?) Der Cybersecurity Act ist für das hier behandelte Kriminalitätsphänomen jedoch kaum relevant.

Die Überprüfung der NIS-Richtlinie[81] führte erneut zu sehr unterschiedlichen, unvollständigen und unerfüllten Ergebnissen und fiel insgesamt recht kritisch aus („Enforcement regime of NIS is ineffective“…“MS do not share information systematically with one another“). Mitte Dezember 2020 wurde daher ein Vorschlag für eine neuen NIS-Richtlinie (NIS2)[82] unterbreitet, mit der durch systematische und strukturelle Änderungen die erkannten Mängel behoben werden sollen und in der u.a. auch auf die Schaffung einer Gemeinsamen Cyber Einheit (Joint Cyber Unit), einer neuen Cyber Security Strategy, präzisere Vorschriften für Berichtspflichten, -inhalte und -termine bei besonderen Ereignissen gedrängt wird. Die Thematik CSEA wird mit dem letztgenannten Schwerpunkt allenfalls nur indirekt angesprochen. Ansonsten sind die Maßnahmen, die innerhalb der nächsten 18 Monate umgesetzt werden sollen, mehr technischer Natur und kaum relevant für das hier behandelte Kriminalitätsphänomen

Akronyme

AAPA                         Audiovisual Anti-Piracy Alliance

AI                                Artificial Intelligence (dtsch: Künstliche Intelligenz (KI))

AP                              Analysis Project (Europol)

ASF                            Automated Search Facility (Interpol)

BKA                            Bundeskriminalamt

CAAR                        Consolidated Annual Activity Report (Konsolidierter jährlicher Tätigkeitsbericht)

CACT                         Crime Against Children Team (Interpol)

CAID                          Child Abuse Image Database (UK/IWF)

CEDAW                     Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

CEOP                        Child Exploitation and Online Protection Center [Zentrum für Kinderschutz                  gegen                        Ausbeutung im Internet]

CEPOL                      European Agency for Law Enforcement Training

CETS                         Child Exploitation Tracking System (Kanada, Australien)

CIRCAMP                 Cospol Internet Related Child Abusive Material Project

CJM                           Cybercrime Judicial Monitoring

CMS                           Case Management System (Fallbearbeitungssystem)

CoE                            Council of Europe (Europarat)

COSPOL                   Comprehensive Operational Strategic Planning for the Police

CPSs                          Cyber Physical Systems

CRC (KRK)               Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz: Kinderrechtskonvention

CRC-Komitee           UN-Komitee über die Rechte des Kindes

CRIS                          Child Recognition and Identification System (NCMEC)

CSA                           Child Sexual Abuse

CSAADF                   Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter

CSE                           Child Sexual Exploitation

CSEA                         Child Sexual Exploitation and Abuse

CSEAM                     Child Sexual Exploitation and Abuse Material

CSIRT                        Computer Security Incident Response Teams

CTR                           Counter-Terrorism Register (Justizielles Terrorismusregister)

CVIP                          Child Victim Identification Program (NCMEC)

DDoS                         Distributed Denial of Service

DNS                           Domain Name System (ICANN)

EAW                           European Arrest Warrant (Europäischer Haftbefehl (EuHb))

eco                              Europäischer Verband der Internetwirtschaft e.V.

ECPAT                      Ending the Sexual Exploitation of Children [Sexuelle Ausbeutung von Kindern beenden]

EC3                            Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität bei Europol

EEA                            Europäische Ermittlungsanordnung

EFC                            European Financial Coalition against Commercial Sexual Exploitation of Children (Europol)

EIO                             European Investigation Order (Europäische Ermittlungsanordnung- EEA)

EJCN                         Europäisches Justizielles Netzwerk gegen Cyberkriminalität

EJN                            Europäisches Justizielles Netz

EJR                            Eurojust-Verordnung

EMPACT                   European Multidisciplinary Platform Against Criminal Threats (Europäische multidisziplinäre Plattform gegen kriminelle Bedrohungen)

ENISA                        European Union Agency for Cybersecurity

ENPE                         European Network of Prosecutors for the Environment (Europäisches Netz der in Umweltsachen tätigen Staatsanwälte)

EPPO                         Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA)

EU                              Europäische Union

EUCPN                      European Crime Prevention Network

EuHb                          Europäischer Haftbefehle

EU-MS                       EU-Mitgliedsstaaten

EUROMED               Euro-Mediterranean Partnership (Euro-mediterrane Partnerschaft)

EUROPOL                European Union Law Enforcement Agency (Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung)

EUStA                        Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO)

EYD                           EUROPEAN YOUTH DAY (EUROPOL)

Frontex                      Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der EU

GAC                           Governmental Advisory Committee (ICANN)

GLACY                      Global Action on Cybercrime (Weltweite Bekämpfung der Cyberkriminalität)

GSMA                        Mobile Alliance Against Child Sexual Abuse Content (Mobile Alliance)

GZ                              Gemeinsames Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit

HashDBPS               Hashwerte-Datenbank Pornografische Schriften (BKA)

HAVEN                      Halting Europeans Abusing Victims in Every Nation  (Europol)

ICANN                       Internet Corporation for Assigned Names and Numbers

IKT                             Informations- und Kommunikationstechnologien

INHOPE                    International Association of Internet Hotlines 8Dachverband der Internet-Beschwerdestellen)

INTERPOL                International Criminal Police Organization (Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO))

IOCTA                       Internet Organised Crime Threat Assessment (Europol)

IoE                              Internet of Everything

IoT                              Internet of Things

ISCE                          International Child Sexual Exploitation Database (Interpol)

ISP                             Internet Service Provider

IWF                            Internet Watch Foundation (UK)

IWOL                         Interpol Worst List of domains

J-CAT                        Joint Cybercrime Action Taskforce (Verbund zur internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität)

JCU                            Joint Cyber Unit

JHA                            Justice and Home Affairs (Justiz und Inneres)

JIT                              Joint Investigation Team (Gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG))

KSAK                         Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern

LDCA                         Live distant child abuse (Europol)

MENA                        Middle East and Northern Africa (Naher Osten und Nordafrika)

MLA                           Mutual Legal Assistance (Rechtshilfe)

NCMEC                     National Center for Missing and Exploited Children

NIS                             Network and Information Systems across the Union (NIS Dirctive)

NGO                           Non-Governmental Organisation [Nichtregierungsorganisation]

NZB                            Nationales Zentralbüro (für Interpol und Europol)

OAP                            Operativer Aktionsplan

OCG                           Organised Crime Group (Gruppe organisierter Kriminalität)

OCSEA                      Online Child Sexual Exploitation and Abuse (Europarat)

OLAF                         Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung

OPSC                        Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention über den Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornographie

OSCE                        Organisation for Security and Co-operation in Europe (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE))

OSP                            Online Service Provider

P2P                             Peer-to-Peer Netzwerke

PNR                           Passenger Name Record (Europol)

PSWG                       Public Safeety Working Group (ICANN)

SGEM                        Self-Generated Explicit Material (Europol)

SIRIUS                      Scientific Information Retrieval Integrated Utilisation System (Integriertes Nutzungssystem zur Auffindung wissenschaftlicher Daten)

SPoCs                        Single Points of Contacts (Eurojust)

TCM                           Terrorism Convictions Monitor (Bericht über Verurteilungen wegen terroristischer Straftaten)

THB                            Trafficking in human beings (Menschenhandel)

TOR                           The Onion Router

TSO                           Travelling Sex Offenders

TWINS                       Analysis Project Twins supports the prevention and combating of all forms of criminality associated with the sexual exploitation and abuse of children.

UK                              Vereinigtes Königreich

UN                              Vereinte Nationen

UNAIDS                    Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV/AIDS

UNICEF                     Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen

UNODC                     Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung

UNWTO                    Welttourismusorganisation

US(A)                         Vereinigte Staaten (von Amerika)

USAID                       Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung

VGT                           Virtual Global Taskforce

VITF                           Victim Identification Taskforce (Europol)

WHO                          Weltgesundheitsorganisation

ZAC                            Zentrale Ansprechstellen Cybercrime (bei Justiz, für Wirtschaft und für CSEA)

Anlage 1

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sexualisierte-gewalt-kinder-sexueller-missbrauch-kinderpornografie-anhoerung-bundestag-strafrahmen-verbrechen-keuschheitsprobe/

Sexting

These concerns have become all the more acute in the face of recent empirical evidence which suggests that sexual materials produced by children have become firmly embedded in the larger corpus of CSAM/CSEM in circulation.65Sexting may be broadly understood as the exchange of sexually explicit material via ICT,66 typically encompassing picture, video and textual content. While most research and public discourse on this phenomenon has addressed the problematic aspects of children’s sexting behaviours, sexting behaviour can function as a form of flirting and adolescent experimentation, and to enhance a sexual relationship.67 Notwithstanding, substantial concerns have been expressed around the permanence of the imagery that is produced in the context of sexting activities and its potential to lead to long-lasting and harmful consequences for children and young people.68 Particular focus has been given to legally problematic materials produced in the course of sexting exchanges, which have been described as ‘youth-produced sexual images’, or ‘pictures created by minors (age 17 or younger) that depict minors and that are or could be child pornography under applicable criminal statutes’.69Law enforcement, education, and social care professionals work with children whose formative sexual experiences are based upon such imagery.70 Problematically, many children perceive little wrong with the redistribution of sexually explicit images of their peers, or pressuring another child to producing and sharing a sexual image of themselves.71 At country level, schools in the United Kingdom have reported increasing experiences of cases featuring prepubescent children involved in the production or exchange of ‘youth-produced sexual imagery’.72 Here, the concern is not alone the production and dissemination of ‘youth-produced sexual imagery’ at increasingly young ages, but the associated problems of sexual abuse and exploitation of younger-age children that can result from this behaviour. The longer-term implications of this scenario are unclear, but can be linked to increasing criminal justice system engagement with children and young people as ‘perpetrators’ of CSAM/ CSEM-related offences. A recent Freedom of Information request to the UK’s Ministry of Justice by Phippen and Brennan73 demonstrated a year-on-year increase (2010-2015) in the number of prosecutions of 18-24 year olds under section 1 of the UK’s Protection of Children Act 1978. Indeed, a general increase in such offences was observed across this 5-year period where the perpetrator was a minor.74 This data indicates an increasing number of youth CSAM/CSEM users becoming engaged with law enforcement and the criminal justice system. Here the need for accurate classification and victim identification is particularly acute, given the complexity of some case presentations involving minors, where the distinction between victim and perpetrator is difficult to make. This cohort is at particular risk of falling through the cracks for victim identification, particularly where child subjects of ‘self-generated’ CSAM/CSEM are classified as perpetrators rather than victims. The victim-blaming attitudes towards those featured in exploited ‘self-generated’ material that prevail among young people, responses that emphasise the illegality of ‘sexting’ practices with frequent recourse to prosecution, and attendant reluctance for victims to report, act as major barriers to victim identification and assistance in these cases.75One obvious consequence of the variable presentation of sexting behaviours is that the cases that come to the attention of law enforcement are highly varied in presentation and context. Cases range from comparatively benign activities (e.g. where sexual materials are produced and shared in the context of a romantic adolescent relationship), to instances of explicit criminal harm (e.g. where a child is coerced into producing the material). Therefore, an on-going challenge remains: that of reliably distinguishing sexting behaviours and engagements with youth-produced imagery where some form of criminal harm is apparent, and where there is a public interest in sanctioning and managing the perpetrators. Outside of cases of illegal adult involvement, there may be a public interest in criminal sanction in a proportion of peer-perpetrated sexting cases, e.g. where the case features coercion and other exploitative dimensions, or the exploitation and abuse of prepubertal children. Indeed, the online sexual extortion of children has emerged as a substantial challenge in these investigations. Online sexual extortion activities targeting children occur at the intersection of a number of criminal behaviours, including financial extortion, sexual grooming and online solicitation, and may bear the characteristics of one or all of these offences. This apparent overlap can give rise to conceptual confusion regarding the nature of online child sexual extortion, the criminal offences that may be implicated in this activity, and present challenges to reporting, victim identification, and other management interventions.76 For example, a recent US survey of youth implicated in cases of sexual coercion and extortion determined that only 13% of victims reported their case to law enforcement

 

Anlage 2

Fragebogen für den wissenschaftlichen Dienst (WD) des Europaparlaments

Kindesmissbrauch und Kinderpornographie sind nicht nur eine besonders schwere Form der Verletzung des Kindeswohls, das auch von Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention geschützt ist (seit 1992 deutsches Bundesrecht), sondern sind besonders widerliche Gewaltdelikte, weil sie sich die Schwächsten unserer Gesellschaft, die Schutzbedürftigsten zum Ziel macht, welche die geringste Beschwerdemacht und realiter die wenigsten (politischen) Fürsprecher hat.

Für die Betroffenen ist sexuelle Gewalt oft mit schwerwiegenden psychischen Folgen verbunden: Viele leiden bereits im Kindes- und Jugendalter unter psychischen Störungen und sind während ihrem Erwachsenenleben weiterhin psychisch belastet, wobei die Probleme oft bis ins hohe Erwachsenenalter anhalten. Nicht nur auf individueller Ebene sind die Folgen teils dramatisch, auch die gesellschaftlichen Kostenfolgen sind u.a. durch anfallende Gesundheitskosten und Arbeitsausfälle hoch. Zusätzlich besteht das Risiko, dass Opfer von Kindsmisshandlung und von sexuellem Missbrauch als Erwachsene selbst zu Tätern und Täterinnen werden.

Aus diesem Grund erarbeitet die EVP im Rahmen der „EU-Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ (24.07.2020) einen umfassenden EU-Aktionsplan, um Prävention und Repression effektiver zu gestalten und die Errichtung eines „Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ voranzutreiben. Um diese Aufgabe mit größtmöglicher Effizienz erledigen zu können, bedarf es allerdings zuvor einer Erhebung der aktuellen Situation in den Mitgliedstaaten (IST-Analyse) und engster Zusammenarbeit der EU-Ausschüsse LIEBE, CULT, FEMM und JURI.

Primär bedarf es des Einverständnisses über oder zumindest der Vergleichbarkeit von rechtlichen Tatbestandsmerkmalen, einheitlicher(e) Begriffe, Definitionen und Operationalisierungen der Kernelemente dieses komplexen Kriminalitätsphänomens. Nur dann kann das Ziel eines umfassenden Aktionsplanes auch erreicht werden. Dies gilt übrigens für alle sonstigen OSINT-Intelligence-Cycles, den Arbeitszyklen, um relevantes Wissen zu erwerben um dieses in effiziente Aktionen umzusetzen (Planung, Informationssammlung, Datenverarbeitung, Analyse und Präsentation), im vorliegenden Fall auf der polit-strategischen Ebene.

Kindesmissbrauch hat kriminalphänomenologisch enorm viele Facetten. Sie reichen von psychischer über physischer und sexueller Gewalt bis hin zur Kindstötung, die häufig als gemischte Tatbegehungsform vorkommen. Sexuelle Gewalt tritt zumeist nicht als isoliertes Ereignis auf, sondern steht oft im Kontext von psychischer und physischer Misshandlung, Vernachlässigung und weiteren Gewalterfahrungen („Bullying, Mobbing“). Sexuelle Gewalt und die so genannte Kinderpornographie stehen in engster deliktischer Nähe. Diese Deliktsformen betreffen auch Jugendliche und Schutzbefohlene. In Deutschland hatten Straftaten der sexuellen Gewalt an Kindern langfristig abgenommen, nehmen aber seit ca. drei Jahren wieder deutlich zu. Inwieweit diese Fallentwicklung auf eine tatsächliche Abnahme zurückzuführen war oder andere Gründe hatte, bspw. in verändertem Meldeverhalten, kann nur durch umfangreichere Daten und Wiederholungen von methodisch hochwertigen Befragungen ermittelt werden – erst recht nach der deutlichen Steigerung der vergangenen Jahre. Erst im Rahmen eines solchen, auch von der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen geforderten regelmäßigen Monitorings kann sich zeigen, ob eingeleitete Präventionsprogramme und gesetzgeberischen Maßnahmen zu einer Verringerung der Prävalenz führen und ob gewährte Hilfen und therapeutische Interventionen Folgebelastungen reduzieren.

Trotz der vielfach artikulierten und publizierten Bedeutung des Kriminalitätsphänomens auf polit-medialer Ebene und gesetzgeberischen oder regulativen „Nachsteuerungen“ „muss die Datenlage zur Häufigkeit sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Deutschland insgesamt eher als mager, für einzelne Bereiche gar als dürftig gewertet werden“[83].

Im Dezember 2019 hat die Bundesregierung den „Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ ins Leben gerufen. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gemeinsam initiierte Gremium soll den interdisziplinären Austausch zwischen den staatlichen und nichtstaatlichen Verantwortungsträgern auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen vertiefen und fördern, schon 2021 sollen die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse für längerfristige Maßnahmen vorgelegt werden.

Der jüngste Appell der deutschen Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey[84] an Eltern, Fachkräfte und Beschäftigte in Schulen, Jugendämtern, bei der Polizei, in der Justiz und Medizin noch wachsamer zu sein, um frühzeitig Missbrauch zu erkennen und entschlossen eingreifen zu können, verlangt aber auch entsprechende Normen und Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene.

Umso bedeutsamer sind Datenerhebung und -analyse auf EU-Ebene, wo vermutlich in vielen MS noch offen ist, ob eine Mehrheit der Fälle überhaupt bekannt wird, wirksame Meldedienste und -wege eingerichtet sind, ob ausreichend Spezialdienststellen und Fachkräfte existieren, ob alters-, religions-, kultur- oder deliktsspezifische Versorgungslücken bestehen, usw. Mangelhafte Datenerfassung führt aber zu mangelndem Wissen über die Nachhaltigkeit von Präventions- und Interventionsmaßnahmen, zu denen auch Strafverfolgungsmaßnahmen zu zählen sind.

I         Die Opfer

Ein erster Rechtsvergleich auf EU-Ebene zeigt beispielhaft, welche Praxisprobleme sich bei der Betrachtung der Kriminalitätsphänomene Kinderpornographie und sexuellem Missbrauch von Kindern auftun, denn die Begriffe „Kinder“, „Jugendliche“, „Minderjährige“ oder gar “junge Menschen“ variieren z.T. erheblich, überlappen sich, sowohl in Hinblick auf Altersgrenzen als auf Rechtsbegriffe und -folgen:

In Belgien gilt man zum Alter von 18 Jahren man als minderjährig, jugendschutzrechtliche Bestimmungen verlangen, dass Kinder ab 12 mit den offerierten Unterstützungsleistungen einverstanden sein müssen. Auf föderaler Ebene ist man ab 14 Jahren strafrechtlich mündig

In Bulgarien gilt nach dem Gesetz für Personen und Familien eine Person bis 14 Jahre als Kind, Personen von 14 bis 18 Jahren als Jugendliche

In Dänemark gilt bis zum Alter von 14 Jahren eine Person als Kind. Jugendlich ist man zwischen 14 und 18 Jahren.

In Deutschland sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert.

In Estland sind Kinder nach dem Kinderschutzgesetz Personen bis 18 Jahren, nach dem Jugendarbeitsgesetz sind Jugendliche aber Personen zwischen 7 und 26 Jahren.

In Finnland ist nach dem Kinderfürsorgegesetz ein Kind eine Person unter 18 Jahren und als „junge Person“ werden diejenigen unter 21 Jahren bezeichnet.

In Frankreich gilt eine Person nach dem Code civil bis zur Vollendung des 18. Lebensjahr als minderjährig, Jugendliche sind Personen bis 21 oder 25 Jahren.

In Griechenland sind Personen zwischen dem 8. und dem vollendeten 18. Lebensjahr Minderjährige. 

In Irland gilt man bis zum Alter von 18 Jahren als Kind, es gibt jedoch bestimmte Regelungen, die Kindern unter 18 Jahren Rechte geben, die normalerweise Erwachsenen vorbehalten sind (zum Beispiel das Recht zur Eheschließung). 

In Italien gibt es keine spezifischen Normen für Kinder und Jugendliche. Im Allgemeinen pflegt man diese Zeitspannen mit der Schullaufbahn zu verbinden und sie dem Reifeprozess bis zum Erreichen der Volljährigkeit ab 18. Jahren zuzuordnen. Die Zeitabschnitte von der Geburt bis 13 Jahre dürften den verschiedenen Kindheitsphasen zugeordnet werden können („bambino“), das Alter von 14 bis 17 Jahren der Jugend („adoloscente“).

In Kroatien werden die Begriffe »Kind« und »Jugendliche« derzeit durch verschiedene Regelungen unterschiedlich definiert. Gemäß dem Familiengesetz ist das Volljährigkeitsalter 18 Jahre. Das Strafgesetzbuch, definiert ein Kind im Sinne dieses Kodex als eine Person, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Nach dem Jugendgerichtsgesetz ist ein Minderjähriger eine Person, deren Alter zum Zeitpunkt der Straftat zwischen 14 und 18 Jahren lag.

In Lettland gelten Personen als bis 18 Jahren als Kinder, Jugendliche sind Personen zwischen 13 und 25 Jahren

In Litauen gilt die Definition des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes. d.h. als Kind wird jede Person unter 18 Jahren angesehen

In Luxembourg gelten Personen unter 18 Jahren als Minderjährige, man macht grundsätzlich gesetzlich keinen Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen. Jedoch unterscheidet das Gesetz zum Schutz junger Arbeitnehmer vom 23. März 2001 zwischen Kindern unter 15 Jahren und Jugendlichen unter 18 Jahren. 

In Malta wird eine Person als minderjährig betrachtet, bis sie das 18. Lebensjahr erreicht.

In den Niederlanden werden Personen unter 18 Jahren gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch als minderjährig angesehen. In der niederländischen Jugendpolitik wird jedoch Jugend im Allgemeinen als Altersgruppe von 0-27 Jahren definiert. Innerhalb dieser Altersgruppe wird unterschieden (in der Politik, nicht in den Gesetzen) zwischen Kindern (0-12 Jahre), Jugendlichen (12-18 Jahre) und jungen Erwachsenen (18-27 Jahre). In den Niederlanden gilt der Begriff Jugend für Kinder und Jugendliche von 0 bis 23 oder 27 Jahren.

In Österreich gibt es keine bundeseinheitliche Legaldefinition der Begriffe „Kind“ und „Jugendlicher“. Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gelten als Minderjährige. Nach den Jugendschutzgesetzen der Länder Steiermark, Kärnten, Tirol und Vorarlberg gelten Personen bis zum vollendeten 14. Lebensjahr als Kinder und Personen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr bis zum vollendeten 18. Lebensjahr als Jugendliche. Nach dem Salzburger Jugendschutzgesetz gelten als Kinder Personen bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und Personen ab dem vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr als Jugendliche. Das Jugendschutzgesetz Oberösterreich bestimmt, dass alle Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Jugendliche sind. Jugendschutzgesetze der Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland verwenden anstelle der Begriffe „Kinder“ und „Jugendliche“ den Begriff „junge Menschen“ für Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.

In Polen gelten Personen von der Vollendung des 13. Lebensjahrs bis zu Ihrem 18. Lebensjahr als minderjährig, danach sind sie Erwachsene. Polen kennt einen Ombudsmann für Kinderrechte.

In Portugal gilt eine Person bis zu 18 Jahre als Kind, danach ist sie volljährig. 

In Schweden ist eine Person unter 18 Jahren ein Kind. Es gibt einige spezifische Bestimmungen über Jugendliche, die in unterschiedlichen Gesetzen geregelt sind. Die Altersbestimmungen für Jugendliche variieren innerhalb dieser Gesetze. 

In Slowakei sind gem. UN Kinderrechtskonvention sind Personen unter 18 Jahren Kinder

In Slowenien sind nach dem Ehe- und Verwandtschaftsbeziehungsgesetz Personen bis 18 Jahren Kinder 

In Spanien sind Personen unter 18 Jahren Minderjährige. Kinder gelten als minderjährige Personen. Jugendliche sind allgemein Personen zwischen 15 und 24 Jahren. Personen zwischen 15 und 17 Jahren werden als Kinder oder Jugendliche definiert

In Tschechien Bis 18 Jahre gilt eine Person als Kind und bis 26 Jahre als junge Person (nur praktisch, nicht im Gesetz geregelt). Gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch werden natürliche Personen, die nicht das 18. Lebensjahr erreicht haben, als Minderjährige bezeichnet

In Ungarn werden alle Personen unter 18 Jahre rechtlich als Kinder bezeichnet

In Zypern gilt man bis zum Alter von 18 Jahren als Kind oder Jugendlicher

Zusammenfassung:

In der ganz überwiegenden Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten (Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern) gilt die UN-Kinderrechtskonvention (mehr oder weniger direkt), wonach „Kinder“ Personen bis zum 18. Lebensjahr sind; teilweise wird auch der Begriff „Minderjährige“ verwendet. Auch Luxemburg dürfte eher der ersten Ländergruppe zugeordnet werden, obwohl nach einer anderen rechtlichen Grundlage des Landes auch eine Zuordnung zur zweiten Ländergruppe denkbar wäre. In Griechenland gilt die Besonderheit der Minderjährigkeit vom 8. bis zum 18. Lebensjahr. Diese Ländergruppe wird in der Folge als „Gruppe A“ oder „A-Länder“ zusammengefasst.

Nur in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Polen sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert. Die Volljährigkeit tritt mit dem 18. Lebensjahr ein. In Italien und Österreich sind zwar regionale oder altersmäßige Differenzierungen Untzu beachten, doch können diese beiden Staaten dieser Ländergruppe noch zugerechnet werden. Diese Ländergruppe wird in der Folge als „Gruppe B“ oder „B-Länder“ zusammengefasst.

Zu Rumänien liegen noch keine Angaben vor.

Der WD/EP wird gebeten, die erhobenen Daten rechtssicher zu überprüfen und die fehlende Information zu Rumänien einzuholen

II       Generelle Kinderrechte

Kinder haben in Deutschland grundsätzlich folgende Kinderrechte, die ihnen nicht nur zustehen, sondern die der Staat auch verteidigen soll, um die Kinder zu schützen:

  1. Alle Kinder haben die gleichen Rechte. Kein Kind darf benachteiligt werden. Kinder haben das Recht, so gesund wie möglich zu leben.
  2. Kinder haben ein Recht auf Schutz und Fürsorge durch ihre Eltern. Wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, muss der Staat dafür sorgen, dass die Kinder einen neuen Lebensplatz bekommen.
  3. Jedes Kind hat ein Recht auf eine Identität und auf Familie. Dazu gehört das Recht auf einen Namen, eine Geburtsurkunde und Nationalität.
  4. Kinder dürfen nicht willkürlich von ihrer Familie getrennt werden.
  5. Kinder haben nicht nur ein Recht auf Bildung, sondern auch die Pflicht zum Schulbesuch.
  6. Kinder haben das Recht auf Erholung und Spiel. Es muss also auch genügend Platz und Raum dafür zur Verfügung stehen.
  7. Kinder haben das Recht, sich zu informieren, eine eigene Meinung zu haben und an Entscheidungen beteiligt zu werden, die sie betreffen. Das gilt im alltäglichen Leben wie auch beispielsweise im Fall einer Scheidung. Hier müssen die Kinder angehört werden, bei wem sie zukünftig leben wollen.
  8. Jedes Kind hat das Recht auf einen bestimmten Lebensstandard. Sind Eltern dazu nicht aus eigener Kraft in der Lage, muss der Staat den Eltern Unterstützung bieten.
  9. Kinder dürfen nicht arbeiten oder ausgebeutet werden.
  10. Kinder müssen vor körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt geschützt werden. Erst 2000 wurde in Deutschland das „Recht auf eine gewaltfreie Erziehung“ festgeschrieben. Bis dahin waren Schläge als „Erziehungsmaßnahme“ nicht verboten.
  11. Behinderte Kinder haben ein besonderes Recht auf Fürsorge und auf ein aktives und möglichst selbstständiges Leben.
  12. Kinder brauchen besonderen Schutz im Krieg und auf der Flucht.

Zusammenfassung

Der WD/EB wird gebeten zu überprüfen, ob die o.a. generellen Kinderrechte in den EU-Mitgliedsstaaten identisch sind, bzw. ob und welche Abweichungen vorliegen, welche Rechtsebene diese Kinderrechte garantiert (Verfassung, Bundesgesetz, Landesgesetz)

III      Sexueller Missbrauch

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlene

In Deutschland wird der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 StGB verfolgt.

Strafbar ist der sexuelle Missbrauch durch Eltern oder durch Täter oder Täterinnen, denen die Kinder (und Jugendliche) zur Erziehung, zur Ausbildung oder sonst zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind (z.B. Lehrer, Heimerzieher, Ausbilder)

Ist das Opfer zwischen 16 und 18 Jahre alt, muss hinzukommen, dass der Täter oder die Täterin die durch das jeweilige Obhutsverhältnis bestehende Abhängigkeit ausgenutzt hat; dieses Obhutsverhältnis verlangt eine Unter- und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst.

Nach Gesetzesänderung 2015 können sich nun auch Vertretungslehrer und Vertretungslehrerinnen strafbar machen. Diese waren zuvor ausgeschlossen, weil ihnen die Kinder nicht „regelmäßig anvertraut“ waren.

Ebenso wurde 2015 der Schutz auf Stiefkinder, Enkel und die Kinder von Partnern ausgeweitet, die nun genau so wie leibliche Kinder geschützt sind und die Verjährung wurde bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers erweitert. . 

Wer sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

574Katholische 12.

2017 wurden in Deutschland 403 Fälle von Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen registriert, 2018 waren es 513 Fälle und 2019 waren es 574. Die Fallzahlen der früheren Jahre schwanken und sind in etwa gleichgeblieben. Herausragend waren die Fälle an der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg (2010) und die Missbrauchsfälle in vielen katholischen Einrichtungen, wie die von der Kirche in Auftrag gegebene bundesweite Studie für die Jahre 1946 bis 2014 (MHG-Studie) ergab.

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden, und welche Strafandrohungen und Verjährungsfristen gelten.

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren, die Strafandrohungen und institutionalisierte Formen der Hinweisaufnahme (Meldepflichten, Zentralstellen, Hot-Lines, bischöfliche Beraterstäbe, Ombudsmann usw.

IV      Sexueller Missbrauch

Sexuelle Gewalt an Kindern  

In Deutschland wird der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB verfolgt.

Sexueller Missbrauch oder richtiger: sexuelle Gewalt an Kindern (bis 14 Jahre) ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können.

Bereits der Versuch eines Sexualkontaktes mit einem Kind ist strafbar

Angebliche Einwilligungen von Kindern, sind rechtlich unwirksam. Der Täter oder die Täterin nutzt dabei seine/ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Die Strafandrohung bezieht sich also auch auf sexuelle Handlungen, die keinen unmittelbaren Körper- oder Hautkontakt voraussetzen: Das gilt auch dann, wenn Mädchen oder Jungen solche Sex-Szenen beispielsweise per Videostream verfolgen.

Diese sozialwissenschaftliche Definition bezieht sich dabei auf alle Minderjährigen. Bei unter 14-Jährigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie sexuellen Handlungen nicht zustimmen können. Die Formulierung „sexueller Gewalt an Kindern (bzw. Jugendlichen)“. stellt heraus, dass es sich um Gewalt handelt, die mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird. Der ebenfalls verwendete Begriff „sexualisierte Gewalt“ geht noch einen Schritt weiter und verdeutlicht, dass bei den Taten Sexualität funktionalisiert, also benutzt wird, um Gewalt auszuüben.

Wer sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, in besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.

Wer die sonstigen Formen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vornimmt, die in § 176 Abs. 4 und 5 StGB beschrieben sind, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Darunter fallen auch Fälle des Anbahnens von sexuellem Missbrauch in Chatrooms (so genanntes Grooming).

2017 wurden in Deutschland 11.547 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern registriert, 2018 waren es 12.423 Fälle und 2019 waren es 16.570. Diese Fallzahlen gehen seit Jahren nicht zurück. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Spektakuläre Missbrauchsfälle ereigneten sich zuletzt in Lügde, Bergisch Gladbach, Münster oder Köln.

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS, die Strafandrohungen und institutionalisierte Formen der Hinweisaufnahme (Meldepflichten, Zentralstellen, Hot-Lines, Ombudsmann usw.) 

V       Sexueller Missbrauch

Schwere sexuelle Gewalt an Kindern  

In Deutschland wird der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 a StGB verfolgt und liegt insbesondere in den folgenden drei Fallgestaltungen vor:

Sexueller Missbrauch durch Beischlaf oder ähnliche Handlungen (§ 176a Absatz 2 Nr. 1 StGB)

Strafbar sind alle Handlungen an Kindern, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind: Analverkehr, Oralverkehr, Eindringen mit dem Finger oder Ähnliches. Täter oder Täterinnen müssen in diesen Fällen regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechnen (Verbrechenstatbestand)

Gemeinschaftlicher sexueller Missbrauch (§ 176a Absatz 2 Nr. 2 StGB)

Im Falle des gemeinschaftlichen sexuellen Missbrauchs an Kindern, bei dem mindestens zwei Personen als Täter zusammenwirken, nimmt das Gesetz eine besondere Schutzlosigkeit des Opfers an. Wie auch bei den anderen Varianten des § 176a Absatz 2 StGB droht den Tätern oder Täterinnen hier eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren (Verbrechenstatbestand).

Sexueller Missbrauch mit der Gefahr schwerer Gesundheitsschädigung (§ 176a Absatz 2 Nr. 3 StGB)

Bestraft werden alle sexuellen Handlungen an einem Kind – oder solche, die der Täter oder die Täterin von dem Kind an sich hat vornehmen lassen –, wenn der Täter oder die Täterin das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung bringt. Zum Nachweis der konkreten Gefährdung von Gesundheit und Entwicklung eines Kindes ist in der Regel kinder- und jugendpsychiatrischer Sachverstand gefragt. Auch in diesen Fällen ist regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechnen (Verbrechenstatbestand)

2017 wurden in Deutschland …..Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch an Kindern registriert, 2018 waren es …. Fälle und 2019 waren es 2.631 erfasste Fälle mit 2.881 geschädigten Kindern. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Spektakuläre Missbrauchsfälle ereigneten sich zuletzt in Lügde, Bergisch Gladbach, Münster oder Köln. 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.  

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS und die Strafandrohungen.

 VI      Sexueller Missbrauch

Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB)

Jeder Täter bzw. jede Täterin – auch Jugendliche (14- bis 18-Jährige) und Heranwachsende (18- bis 21-Jährige) – macht sich wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen strafbar, wenn er oder sie eine Zwangslage des Mädchens oder Jungen ausnutzt oder Geld für die sexuelle Handlung bezahlt.

Eine Person über 21 Jahre macht sich durch jede sexuelle Handlung mit einer oder einem Jugendlichen unter 16 Jahren strafbar, wenn das Opfer ihr gegenüber nicht zur sexuellen Selbstbestimmung fähig ist. Notwendig ist dabei nach der letzten Gesetzesänderung nicht mehr eine generelle fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung, sondern die spezielle – gegenüber dem Täter oder der Täterin – fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung.

Wer sexuellen Missbrauch von Jugendlichen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wer sexuellen Missbrauch von Jugendlichen gemäß §182 Abs. 3 StGB begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, insbesondere in den „A-Ländern“, in denen der Kindesbegriff bis zum 18. Lebensjahr reicht, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS und die Strafandrohungen.

VII     Sexueller Missbrauch

Besitz, Erwerb und Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern (ehem. Kinderpornografie, §§ 184b, 184 c, 201a Abs. 3 StGB)

Die so genannte „Kinderpornografie“ ist nach § 184b StGB die „fotorealistische Darstellung“ von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen unter 14 Jahren. Um zu verdeutlichen, dass es keine erlaubten sexualisierten Darstellungen von Kindern geben kann, sollten Begriffe wie „Missbrauchsabbildungen“ oder „Missbrauchsfilme“ statt Kinderpornografie verwendet werden. Inzwischen ist auch die versuchte Verbreitung und Herstellung von kinderpornografischen Schriften strafbar.

Die verbotenen Darstellungen umfassen Aufnahmen sexueller Handlungen aller Art, die vor oder an Kindern oder die von Kindern durchgeführt werden. Seit der Gesetzesänderung vom Januar 2015 ist nun auch im Gesetz klargestellt, dass Aufnahmen eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes unter 14 Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung verboten sind. Auch sexuell aufreizende Abbildungen des Genitals oder des unbekleideten Pos eines Kindes sind danach nun ausdrücklich in die Strafbarkeit aufgenommen.

Herstellung, Besitz, Erwerb und Verbreitung solcher Fotos oder Filme sind strafbar – unabhängig davon, ob das Material in gedruckter oder digitaler Form vorliegt.

Die Verbreitung von „jugendpornografischen Schriften“ – also entsprechenden Darstellungen von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren – ist ebenfalls strafbar (§ 184c StGB). Darunter fällt nach der Gesetzesänderung vom Januar 2015 auch die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung. Davon ausgenommen ist allerdings die Herstellung solcher Bilder zum ausschließlich persönlichen Gebrauch, wenn die dargestellte Person in die Wiedergabe eingewilligt hat.

Der Anteil kinderpornografischen Materials der im Internet im Umlauf ist, wächst rasant. Schon 2011 wurde in einer Studie[85] nachgewiesen, dass etwa 35 % der kinderpornografischen Abbildungen „schwere Übergriffe“ darstellten (Copine-Skala 7-10) und rund 26 % „detailliertes erotisches Posing“ (Copine-Skala 6). Weitere 12 % der kinderpornografischen Abbildungen stellten „Sexuelle Handlungen eines Kindes“ dar (Copine-Skala 7)[86]. Dabei war das Opferverhältnis zwischen Jungen und Mädchen in etwa gleich, den größten Anteil stellten Kinder im Alter von 9-13 Jahren (77%), gefolgt von der Altersgruppe der 4- bis 8-jährigen Kinder (20,5%).Die Anzahl jüngerer Opfer im Alter weniger Monate bis drei Jahren nahm schon damals deutlich zu (2%). Dieser Trend setzt sich bis heute fort.

Auch die Verbreitungswege über das Internet weiten sich, trotz des Zugangssperrengesetz von 2009, immer weiter aus. Die Verbreitungswege durch peer-to-peer-Netzwerke, Usernets oder über das World Wide Web werden immer schwieriger zu verfolgen, insbesondere in geschlossenen Benutzergruppen. Dort müssen vor Eintritt bestimmte Leistungen erbracht werden, die in der Regel im Einbringen neuer Missbrauchsabbildungen/-filme bestehen.[87] Inzwischen sind deutsche Ermittler für diese „Keuschheitsproben“ rechtlich besser abgesichert, wenn sie sich mit computergenerierten Bilder Zutritt zu Darknet-Foren verschaffen, auch das Cybergrooming ist strafbar, wenn der Täter an eine(n) verdeckten Ermittler gerät und die Anbieter sozialer Netzwerke müssen Missbrauchsbilder/-filme mit den dazugehörigen IP-Adressen an die Zentralstelle im BKA melden.

Typisches Täterverhalten[88]:

  • Der überwiegende Teil der Opfer kennt die Täter bereits vor dem sexuellen Missbrauch.
  • Mädchen werden zu etwa einem Drittel von Tätern aus der Familie missbraucht.
  • Männliche Opfer werden meist von Bezugspersonen aus dem außerfamiliären Nahraum und von Fremden sexuell ausgebeutet.
  • Ein Drittel der Täter ist selbst noch im Kindes- und Jugendalter.
  • Einzelne Täter missbrauchen viele Kinder.
  • Zwei Drittel der Täter, die innerhalb der Familie missbrauchen, haben auch Opfer außerhalb der Familie.
  • Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten.
  • Häufig besteht eine berufliche (oder ehrenamtliche) Nähe zu Kindern.
  • Teilweise erfolgt eine gezielte Kontaktaufnahme zu alleinerziehenden Müttern.
  • Täter bezahlen Opfer, um weitere Opfer zum Täter zu bringen („Schlepper“).

Der bloße Besitz solcher Bilder wird mit einer Geldstrafe oder einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert. Für die Verbreitung solcher Fotos und Filme wird derzeit noch eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe angedroht, wird dies gewerbsmäßig gemacht, erhöht sich die Strafandrohung auf bis zu zehn Jahren.

Ebenfalls neu wird nach der letzten Gesetzesänderung nun auch die Herstellung (zum Zwecke des späteren Verkaufs) von und der Handel mit Bildaufnahmen von nackten Kindern und Jugendlichen unter Strafe gestellt (§ 201a Absatz 3 StGB). Dies betrifft Bilder, in denen Kinder und Jugendliche nicht in sexualisierter Art, sondern etwa beim Spiel, aber nackt abgebildet werden.

Dies wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Für jugendliche Täter gelten besondere Regeln, statt Haftstrafen sollen Weisungen, Verwarnungen oder Arrest ausgesprochen werden, selbst in schweren Fällen dürfen mehr als fünf Jahre Gefängnis nicht verhängt werden.

Derzeit werden aber nur in 0,2 % aller Verurteilungen Strafen von bis zu 15 Jahren ausgesprochen, ein Drittel aller Strafen wird ohnehin zur Bewährung ausgesetzt. Davon profitiert auch das Milliardengeschäft der Kinderpornografie. Deshalb wird in einem neuen Gesetz für Fälle in denen ein tatsächlicher Missbrauch eines Kindes vorliegt die Mindeststrafe von einem Jahr bis zur Höchststrafe von 10 Jahren angedroht. Die Tat wird dann als „Verbrechen“ eingestuft.

2019 erhöhte sich die Zahl der polizeilich erfassten Delikte von „Kinderpornografie um etwa 65 Prozent von 7.450 Fällen (2018) auf mehr als 12.200 Delikte. Eine Vielzahl der Hinweise kam aus dem US-Meldesystem NCMEC.[89] 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung der Herstellung, des Besitzes, des Erwerbs und der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen oder -filmen von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden. Wie regeln die anderen MS die „Keuschheitsproben“ im Darknet? Gibt es auch in den anderen MS die Pflicht für die Provider, Kinderpornographische Inhalte samt IP-Adresse an die Behörden zu melden?

Ist auch in den anderen MS die Anfertigung und der Vertrieb von Bildaufnahmen nur nackter Kinder und Jugendlicher strafbewehrt?

Welche Erkenntnisse bezüglich der Opfer (Alter, Geschlecht, soziale Beziehungen etc.) liegen in den anderen MS vor?

Welche Sonderregelungen liegen für jugendliche Täter vor?  

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren und die jeweiligen Strafandrohungen

 

VIII       Sexueller Missbrauch

Dunkelfeldforschung und praktische Ableitungen

In Deutschland werden fast neun Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen bis zum 16. Lebensjahr Opfer sexueller Gewalt[90]. Langfristig gesehen (1999-2019) lebten nach Angaben des Statistisches Bundesamt in diesem Zeitraum in Deutschland zwischen 12 und 10,7 Millionen Kinder/Jahr. Die Anteile von Jungen und Mädchen sind über die Jahre ziemlich gleich, auch wenn der Anteil der Mädchen etwas kleiner als der der Jungen ist (bis ca. 2 %). Grob geschätzt dürften danach durchschnittlich pro Jahr etwa 450.000 Mädchen und 150.000 Jungen Opfer sexueller Gewalt geworden sein.

Die Fall- und Opferzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, das so genannten „Hellfeld“, machen dagegen nur einen Bruchteil aus[91]. Dennoch schätzt das BKA das Dunkelfeld nur auf ca. 1:15, d.h. 16.000:240.000 (Fälle), bzw. 15.000:165.000 (Opfer), andere Untersuchungen (Kavemann und Lohstöter) gehen dagegen von der Relation 1:20 aus, eine allerdings ebenfalls sehr vorsichtige, konservative Schätzung.

Eine neuere deutsche repräsentative Studie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste.[92] Die Studien weichen in Definitionen, Forschungsdesign, Ein- und Ausschlusskriterien, methodische Artefakte (Rücklauf, Studiendesign, Stichprobenumfang und -gewinnung) z.T. stark voneinander ab und die Datenerfassung in den Versorgungs- und Betreuungssystemen ist grundsätzlich mangels Meldepflichten lückenhaft. Im Ergebnis sind daher keine klaren, definitiv verlässlichen Aussagen zum Vergleich zwischen Hell- und Dunkelfeld möglich

In Deutschland konzentrieren sich die präventiven und repressiven Interventionen daher sehr stark (zu stark?) auf das polizeiliche „Hellfeld“ d.h. auf den justizbekannten Täter. Die Täter des Dunkelfeldes und Männer, die sich selbst in Gefahr sehen, Täter zu werden (Pädophile, potentielle Täter) bleiben meist unberücksichtigt.

Pädophile leiden aber an einer sexuellen Ansprechbarkeit auf kindliche Körper, die sich während der Pubertät manifestierte und von da an bestehen bleibt. Potentielle Täter haben sich diese sexuelle Ausrichtung daher zwar nicht „ausgesucht“, sind aber letztlich alleine verantwortlich für ihr sexuelles Verhalten. Nach inzwischen gesicherten wissenschaftlichen Untersuchungen[93] haben rund ein Prozent der Männer auf Kinder gerichtete Fantasien, d.h. ca. 250.000 Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren sind alleine in Deutschland als potentielle Täter anzusehen.

Ihnen wird seit 2004 in Deutschland ein vom Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité ins Leben gerufene „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD)“ Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ angeboten.

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen,

  • ob eine vergleichbare Dunkelfeldforschung in anderen EU-MS betrieben wurde,
  • ob die o.a. Dunkelfeldschätzungen dort verifiziert werden können,
  • ob die o.a. sexualwissenschaftlichen Erkenntnisse (Manifestation des Sexualtriebs) durch andere europäische Studien bestätigt werden können,
  • ob in den EU-MS vergleichbare Primär-Präventionsprojekte existieren, die sich an die Gruppe potentieller Täter mit pädophiler Neigung sowie an Dunkelfeld-Täter wendet und präventive Therapien anbietet,
  • Falls möglich erbitten wir hierzu Erfahrungsberichte und Kontaktdate

 

IX     Meldepflichten[94]

Bei der Anzeigepflicht von deutschen Behörden und Amtsträgern unterscheidet der Gesetzgeber:

  1. Wer im Bereich der Strafverfolgung tätig ist -also etwa bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft – muss Straftaten anzeigen, wenn sie oder er dienstlich davon erfahren hat.
  2. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Behörden, wie beispielsweise der rund 600 Jugendämter, besteht eine solche Pflicht zur Strafanzeige generell nicht; sie gilt nur bei Gefahr im Verzug, wenn die Einschaltung der Polizei zur Abwendung einer Gefährdung erforderlich erscheint (§ 8 a Abs. 4 Satz 2 SGB VIII).[95]

Mitarbeiter der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe unterliegen jedoch einer Meldepflicht an die Jugendämter.

Für alle Fachkräfte besteht jedoch ein Melderecht.

Die Jugendämter sind daher im Rahmen der Wahrnehmung ihres so genannten staatlichen Wächteramtes verpflichtet, sorgfältig zu prüfen, welche Schritte aus Sicht des Kinderschutzes unverzüglich zu ergreifen sind. Zuallererst gehört hierzu die Prüfung des bestehenden Verdachtes. Abhängig hiervon sind weitere Maßnahmen zu ergreifen, wie insbesondere die Herausnahme aus der vermuteten Gefahrensituation. Gegebenenfalls sind zum Schutz des Kindes auch familiengerichtliche Entscheidungen herbeizuführen.

Die Anzeige einer vermuteten Straftat ist in diesem Kontext bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, sozusagen als „ultima ratio“, ebenfalls genauestens zu prüfen. Das Jugendamt hat insbesondere zu prüfen, ob die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden dem Wohl des Kindes dient oder es eher geboten ist, von einer Strafanzeige abzusehen. Hierbei sind insbesondere maßgeblich und leitend der Gedanke der Wiederholungsgefahr einerseits und die besonderen Aufklärungsmöglichkeiten im Rahmen der Strafverfolgung andererseits. Es ist im Einzelfall abzuwägen, welche Vor-und Nachteile ein Strafverfahren dem Kind bringt. Falls dann das Jugendamt sich nach Abwägen aller Güter zu einer Anzeige entschließt, wird die Strafverfolgungsbehörde durch die Amtsleitung des Jugendamtes eingeschaltet.

Neuerungen im Rahmen des am 01.01.2012 in Kraft getretenen „Bundeskinder-schutzgesetzes“ sollten zunächst in der Jugendhilfe zu einer bessere Erfassung von Verdachtsfällen verschiedener Formen der Kindesmisshandlung führen, insbesondere durch die bundeseinheitliche Regelung zu Meldungen von Kindeswohlgefährdung ans Jugendamt sowie durch den Versuch, die Handlungssicherheit bei Verdacht auf Kindsmisshandlung durch Einführung einer „insoweit erfahrenen Fachkraft“ zu stärken. Das vorliegende Zahlenmaterial und jüngste Fälle ermutigen nicht, von einer „entscheidenden Änderung“, gar von einem Erfolg zu sprechen.

Nach der geplanten Reform des Sozialgesetzbuches VIII, das 2021 in Kraft treten soll, ist zwar eine Informationspflicht der Jugendamtsleitungen an die Strafverfolgungsbehörden vorgesehen, jedoch nur in Fällen, in denen dem Kind eine konkrete „erheblicher Gefährdung“ eines seiner erheblichen Rechtsgüter, wie etwa dem Leben droht. Dieser Begriff war dem deutschen Kinder- und Jugendschutzrecht sonst fremd, es verwendete sonst immer den Begriff „gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung“.

Der Gesetzesentwurf wird in der Praxis mit dieser neuen Begrifflichkeit Unsicherheiten (insbesondere bei „nur“ Leibesgefahr oder bei „nicht gegenwärtiger“ Lebensgefahr) hervorrufen und zeigt erneut, dass eine strafrechtliche Verfolgung zum Schutz des Kindeswohls nur von geringfügig von staatlichem Interesse ist. Auch der Entzug des Personensorgerechts, der stärkste Eingriff in das Elternrecht, ist ein „letztes Mittel“, wenn andere Maßnahmen zur Beseitigung der Kindsewohlgefährdung nicht in Frage kommen.

Eine gemeldete potentielle Kindeswohlgefährdung, die vorzunehmende Risiko- und Gefährdungseinschätzung und das zu erstellende Hilfe-und Schutzkonzept sind durch die Fachkräfte der Jugendämter in jedem Einzelfall zu dokumentieren. 2019 gab es in Deutschland insgesamt 49.510 Inobhutnahmen und Herausnahmen von Kindern und Jugendlichen durch Jugendämter. Zum Vergleich: Vor etwa 10 Jahren mussten nur etwa 25.000 Kinder in Obhut genommen werden. Tendenz: Weiter steigend, denn der scheinbare Rückgang um 6 % ist dem Rückgang der Schutzmaßnahmen nach unbegleiteter Einreise geschuldet, der 8.600 Fälle betrug (-29%)[96], Leider werden erst ab 2019 die Anlässe für die Inobhutnahmen/ Herausnahmen separat nach jeweils eigenem Anlass erfasst. Nach Aussage des Statistischen Bundesamtes[97] stieg die Zahl der Inobhutnahmen wegen „Kindesmisshandlung“ auf 6.150, also um rund 25 Prozent. Nach Angaben von destatis mussten 2019 wegen körperlicher Misshandlung 5.863, wegen psychischer Misshandlung 3.019 und wegen Vernachlässigung 6.718 Kinder in Obhut genommen werden – welche Anlässe der häufigsten Nennung „Überforderung der Eltern“ zu Grunde liegen, kann nur geraten werden.

Eine vergleichende, retrograde Analyse der psychischen, physischen und sexuellen Gewalt an Kindern/Jugendlichen ist auf der Basis diesen Zahlenmaterials jedoch nicht möglich, insbesondere, weil noch heute die sexuelle Gewalt an Kindern/Jugendlichen nicht gesondert erfasst wird und weil nicht in allen Fällen eine Inobhutnahme/Herausnahme des Kindes erforderlich war. Eine kritische Evaluierung der Jugendämter ist auch aus vielerlei anderen Gründen geboten, wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Beschwerden der Deutschen Kinderhilfe und einige der jüngsten Fälle bundesweit herausragender Bedeutung zeigen.

  1. Auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Einrichtungen, wie beispielsweise der Schulen, in Klöstern, kirchlichen Einrichtungen oder bei den Pfadfindern besteht eine solche Pflicht zur Strafanzeige nicht. Die Schule ist jedoch alleine schon vom zeitlichen Umfang, den sie im Leben der schulpflichtiger Kinder einnehmen, beim Schulsport, durch geeignete Vertrauens- und BeratungslehrerInnen, schulpsychologischen Dienste oder vor Ort angebotene Schulsozialarbeit ein wichtiger Pfeiler in der Früherkennung von Kindeswohlgefährdung und dem Zugang zu Hilfen. Und diese Institutionen sind seit 2010 schwer in Verruf geraten, als eine Serie von Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule in Hessen (900 Opfer), am Casanius-Kolleg St.Blasien in Baden-Württemberg (30 Opfer), an den beiden Benediktinerklöster St. Ottilien und Ettal (70 Opfer) und bei den Regensburger Domspatzen (über 500 Opfer), alle in Bayern, aufgedeckt wurde und selbst in reformpädagogische Vorzeigeeinrichtungen pädokriminelle Pädagogen Kinder ausgebeutet, manipuliert und vergewaltigt haben.

 

Die im Oktober 2020 ins Leben gerufene gemeinsame Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ wollen der UBSKM, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Kultusbehörden der Länder (Kultusministerkonferenz -KMK) das Wissen zur sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ausbauen, Lehrerinnen und Lehrer zu Präventions- und Interventionsmöglichkeiten bei sexueller Gewalt zu schulen und an den mehr als 30.000 Schulen verbindliche Konzepte für Schutz und Hilfe zu entwickeln und umzusetzen. Hierzu müssen die Schulgesetze der 16 Bundesländer geändert werden.[98] Ganz sicher gehört auch die Diskussion über Meldepflichten an zentrale Stellen (Jugendamt/Strafverfolgungsbehörden) dazu.

  1. Einrichtungen im Gesundheitssystem sind häufig mit den körperlichen als auch psychischen Folgen von Kindsvernachlässigung, -misshandlung und sexuellem Missbrauch konfrontiert, entweder durch Hinweis oder aufgrund eigener Wahrnehmungen. In Deutschland sind neben den allgemeinen Versorgern auch spezialisierte Einrichtungen zu berücksichtigen (z.B. kinder-und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Institutsambulanzen, Schwangerschaftsberatungsstellen, oder sozialpädiatrischen Zentren).

Bei allen Überlegungen von Ärzt*innen ist die nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbewehrte Schweigepflicht zu beachten. Eine Strafbarkeit nach § 203 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der/die Berufsgeheimnisträger*in unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm/ihr in seiner/ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. Eine Weitergabe ist nur zulässig, wenn eine gesetzliche Befugnis eingreift oder eine Einwilligung des/der Betroffenen vorliegt. Ist der/die Minderjährige bzw. dessen/deren gesetzliche/r Vertreter*in mit der Information nicht einverstanden, so ist eine Weitergabe von Informationen über gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindswohlgefährdung an das Jugendamt (an die „insoweit erfahrene Fachkraft“) unter den Voraussetzungen der Befugnisnorm des § 4 Abs. 3 KKG zulässig – stellt jedoch keine Pflicht, sondern nur eine Befugnis zur Informationsweitergabe dar.

Inzwischen werden wegen der o.a. gesetzlichen/praktischen Hürden und angesichts des größeren Angebots die sogenannten medizinischen Kinderschutz-Hotlines zu Beratungszwecken bei vermuteter Kindeswohlgefährdung zunehmend in Anspruch genommen.

Im Übrigen kann die unbefugte Weitergabe an dritte Stellen aufgrund eines recht-fertigenden Notstands (§ 34 StGB) straffrei bleiben.

Eine Verpflichtung der Berufsgeheimnisträger*innen, Informationen über sexuelle Gewalt an Kindern gem. den Strafverfolgungsbehörden zu melden, besteht nicht, sodass eine Strafbarkeit aufgrund einer Nichtanzeige nach § 138 StGB entfällt. Der Katalog von anzeigepflichtigen Straftaten erwähnt Sexualstraftaten nicht.

Aus Sicht medizinischer Versorgungseinrichtungen wird aus vielfältigen Gründen des Schutzes junger Menschen generell eine Einbeziehung der Strafverfolgungsbehörden eher nicht als geboten angesehen. Daher ist eine wichtige Komponente medizinischer Erstbetreuung die -kostenfreie- so genannte „vertrauliche Spurensicherung“, die Spuren unabhängig von einer Anzeige des Übergriffs gesichert werden, also außerhalb eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens und allein zur Kenntnis der/des Betroffenen. Das Angebot vertraulicher Spurensicherung ist bei Kindern und Jugendlichen wichtig dafür, später in Ruhe über eine Anzeige entscheiden zu können,

Es kommt hinzu, dass es immer noch keine ausdrückliche gesetzliche Regelung gibt, die einer/einem einwilligungsfähigen Minderjährigen die Befugnis zuweist, zunächst selbst über die Inanspruchnahme einer medizinischen Untersuchung und Behandlung zu entscheiden. Nach überwiegender Rechtsmeinung ist jedoch eine eigenständige Einwilligungsbefugnis einwilligungsfähiger minderjähriger Patient*innen je nach ihrem/r individuellen Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit zu bejahen[99] und entsprechend zu dokumentieren. Es sollte gesetzlich geregelt werden, dass Minderjährige, die sexuelle Gewalt erlitten haben, eigenständig und unter Wahrung der Vertraulichkeit einen Behandlungsvertrag abschließen dürfen.

Da Ärzt*innen in keinem Fall verpflichtet sind, bei einem Verdacht auf (fortgesetzte) (sexuelle) Gewalt Anzeige bei der Strafverfolgungsbehörde zu erstatten und nur nach sorgsamer Abwägung befugt sind, das Jugendamt über erkannte oder vermutete (sexuelle) Gewalt an Kindern zu informieren, sind Datenerfassungen, Definitionen und Meldewege aus dem medizinischen Vorsorgebereich so unterschiedlich, dass sie nicht zu vergleichbaren, validen Daten führte.

Die jüngste Änderung des §294a SGB V führte zwar zu einer Verbesserung, aber deutschlandweit wurden 2013 erst 300 Fälle sexuellen Missbrauchs von medizinischen Versorgungseinrichtungen gemeldet – davon die Hälfte von einem einzigen Krankenhaus.  

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung der Meldepflicht der Jugendämter in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar geregelt ist.

Werden Verdachtsfälle in zentralen Registern erfasst?

Dürfen Ärzte interkollegiale Konsultationen durchführen?

Welche Meldepflicht gilt für Ärzte, für Schulen? 

 

XII    Hilfsportale, Hot-Lines, und andere Formen institutionalisierter Meldewege

In § 1 SGB VIII verpflichtet sich der Staat, die Entwicklung der jungen Menschen zu fördern und nötigenfalls durch helfend-intervenierende Angebote der Kinder-und Jugendhilfe zu sichern. Zahlreiche Institutionen und Organisationen sind für dieses Ziel aktiv.

A         Bundesebene

Bei der Bundesregierung wurde 2010 das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs eingerichtet (UBSKM). Er soll in Zusammenarbeit mit den Betroffenen Einfluss auf Gesetzesvorlagen und Strafrechtsreformen nehmen.

Der UBSKM entwickelte das bundesweite und kostenfreie Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 bzw. www.hilfetelefon-missbrauch.de, das inzwischen von der „N.I.N.A. Nationale Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt e.V. (http://www.nina-info.de) betrieben wird.

2015 installierte der UBSKM einen ehrenamtlichen Betroffenenrat, der alle fünf Jahre neu besetzt wird, zuletzt im Juni 2020. Er setzt sich für die Belange Betroffener ein, gibt ihnen Stimme und Gesicht und trägt ihre Anliegen in den politischen und öffentlichen Diskurs.

Eine Unabhängige Kommission erforscht seit 2016 systematische sämtliche Formen von Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der ehemaligen DDR und widmet in öffentlichen Hearings und in vertraulichen Anhörungen den individuellen Opfererfahrungen besondere Aufmerksamkeit.

Das Kinder- und Jugendtelefon 0800 – 111 0 333 bietet bei allen Sorgen und Problemen, ob mit Schule, Eltern, Freund oder Freundin, eine vertrauliche und kostenlose Beratung über das Festnetz und Handy: montags bis samstags von 14 – 20 Uhr, und ist zusätzlich erreichbar unter der Rufnummer 116111 bzw. im Internet unter www.nummergegenkummer.de. Es wird von dem Verein Nummer gegen Kummer e.V. angeboten, der Mitglied im Deutschen Kinderschutzbund ist und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Deutschen Telekom AG gefördert wird.

Beim Bundeskriminalamt (BKA) ist angesichts der internationalen Dimension der Kinderpornographie eine Zentralstelle für die Bekämpfung von Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen eingerichtet worden. Das BKA ist zugleich Nationales Zentralbüro für die Internationale Kriminalpolizeilicher Organisation (Interpol) und für das Europäische Kriminalpolizeiamtes (Europol). Das BKA nimmt die Aufgaben einer nationalen zentralen Auswerte- und Koordinierungsstelle sowie die eines Bindeglieds zwischen in- und ausländischen Strafverfolgungsbehörden wahr.

Eine ausdrückliche zentrale oder bundesweite Zuständigkeit für der Verfolgung der Internetkriminalität gibt es in Deutschland nicht.

Das Ergänzende Hilfesystem für Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs in Institutionen (EHS) im Sport (DOSB) unterhält einen Bundesfonds, in Deutschland gibt es eine Zentrale für VOICE, ein international angelegtes Aufarbeitungsprojekt für Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs im Sport  (www.voicesfortruthanddignity.eu)

Das ökumenische Netzwerk „Die TelefonSeelsorge“ betreibt bundesweit, kostenlos, anonym und verschwiegen die Sonderrufnummer 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 für Probleme und Krisensituationen. Hinter der TelefonSeelsorge stehen die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland, die Evangelische Konferenz für TelefonSeelsorge® und Offene Tür e. V. und die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Ehe-, Familie- und Lebensberatung, TelefonSeelsorge® und Offene Tür e. V.

Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) betreibt, gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit 2012 bis Dezember 2022 eine bundesweite Initiative mit dem Titel „Trau dich!“ mit dem Ziel der Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs (trau-dich.de bzw. multiplikatoren.trau-dich.de

Weitere spezialisierte Akteure der Kinder- und Jugendhilfe haben sich, meist in freier Trägerschaft, auf Bundesebene etabliert, so z.B. die Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKIM), die den „Leitfaden Vorgehen bei Kindesmisshandlung und –vernachlässigung, Empfehlungen für Kinderschutz an Kliniken“ oder den „Leitfaden für Kinderschutzgruppen im Öffentlichen Gesundheitsdienst“ herausgegeben haben.

Eine Übersicht über weitere Kinderschutz-Zentren und  Versorgungssysteme zum Schutz und zur Hilfe für misshandelte Kinder und Jugendliche auf Bundesebene gibt die Internet-Seite: http://www.kinderschutz-zentren.org.

(Wildwasser, Zartbitter, Igel, PETZE-Institut für Gewaltprävention usw.)

  1. Landesebene

Als öffentlichen Träger der Kinder-und Jugendhilfe müssen jede kreisfreie Stadt und alle Landkreise über ein örtlich zuständiges Jugendamt verfügen.

Auf Landesebene oder tiefer gibt es viele weitere Initiativen und Akteure, die hier nicht mehr untersucht werden können und auch in der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung der (sexuellen) Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nur in einem größer angelegten Untersuchungsrahmen erfasst werden können.

  1. EU-Ebene

Irland:

Commission to Inquire into Child Abuse (2000-2009)(CICA)

Missbrauch in irischen Erziehungsheimen und Institutionen

Abschluss mit dem Ryan-Report

www.childabusecommission.ie

Niederlande:

Commissie-Samson (2010-2012)

Missbrauch in Einrichtungen und Pflegefamilien unter der Verantwortung der Regierung

www.rijksoverheid.nl

Nordirland:

Historical Institutional Abuse in Northern Ireland (2013-2017)

Die Historical Institutional Abuse Inquiry (HIA) unter dem Vorsitz von Richter Sir Anthony Hart wurde im Januar 2013 per Gesetz eingerichtet. Ihre Aufgabe war es zu untersuchen, ob der physische, emotionale und sexuelle Missbrauch von Kindern, die zwischen 1922 bis 1995 in Institutionen (Erziehungsanstalten, Kinderheimen, Krankenhäusern, Jugendstrafanstalten und Internaten) untergebracht waren, systematisch erfolgte und ob die Behörden versagt haben.

Abschluss im Januar 2017 mit einem Bericht und Empfehlungen an die Politik.
www.hiainquiry.org

Schweden:

Commission to Inquire into Child Abuse in Institutions and Foster Homes

(2006-2011)
Misshandlung und sexuellen Kindesmissbrauch in Einrichtungen und Pflegeheimen. Knapp 900 Betroffene berichteten über ihre Erfahrungen. Der Parlamentspräsident nahm ausdrücklich die schwedische Gesellschaft in die Verantwortung und sprach in ihrem Namen.

England:

Independent Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA)

(2015- to date)

Truth Project (Anhörung aller Betroffenen), Public Hearings Project (13 ausgewählte Fallstudien mit Anhörungen), Research Project (wissenschaftliche Fallstudien), Public Relations (Veröffentlichungen von Statistiken, Anhörungen, Evaluation der Arbeiten)

https://www.iicsa.org.uk/

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, welche national bedeutsamen Gremien es in allen EU-Mitgliedsstaaten gibt, wie sie auf nationaler Ebene zusammenarbeiten, welche internationalen Beziehungen sie unterhalten, ob und wie sie evaluiert werden, bzw. welche Möglichkeiten bestehen, die Zusammenarbeit auf EU-Ebene zu intensivieren.  

 

 

 

Anlage 4

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 174 Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

(1) Wer sexuelle Handlungen

  1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
  2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
  3. an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,

vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuellen Handlungen

  1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
  2. unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.

(3)       Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2

  1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder
  2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,

um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.

 

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 176 Sexueller Missbrauch von Kindern

 

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt.

(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.

(4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

  1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt,
  2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist,
  3. auf ein Kind mittels Schriften (§ 11 Absatz 3) oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt, um

a)

das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einer dritten Person vornehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll, oder

b) eine Tat nach § 184b Absatz 1 Nummer 3 oder nach § 184b Absatz 3 zu begehen, oder

4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts, durch Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Informations- und Kommunikationstechnologie oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nummer 4 und Absatz 5. Bei Taten nach Absatz 4 Nummer 3 ist der Versuch nur in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 182 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage

  1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
  2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,

wird  mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.

(3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie

  1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
  2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,

und dabei die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

 

(6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.

 

 

Fassung aufgrund des Neunundvierzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21.01.2015 (BGBl. I S. 10), in Kraft getreten am 27.01.2015

 

 

 

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 184 Verbreitung pornographischer Schriften

 

(1) Wer eine pornographische Schrift (§ 11 Absatz 3)

  1. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht,
  2. an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, zugänglich macht,
  3. im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einem anderen anbietet oder überlässt,

3a.       im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einem anderen anbietet oder überlässt,

  1. im Wege des Versandhandels einzuführen unternimmt,
  2. öffentlich an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet oder bewirbt,
  3. an einen anderen gelangen lässt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein,
  4. in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird,
  5. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder einzuführen unternimmt, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 7 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder
  6. auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Ausland unter Verstoß gegen die dort geltenden Strafvorschriften zu verbreiten oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder eine solche Verwendung zu ermöglichen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

 

(2) Absatz 1 Nr. 1 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. Absatz 1 Nr. 3a gilt nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgt.

 

(3) bis (7) (weggefallen)

 

 

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 201a Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

 

  1. von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,
  2. eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,
  3. eine durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder
  4. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.

 

(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.

 

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat,

  1. herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen, oder
  2. sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft.

 

(4) Absatz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 3 oder Nummer 4, Absatz 2 und 3 gelten nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen.

 

(5) Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.

 

 

Anlage 5

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder (Stand November 2020)

 

  1. Problem und Ziel

 

Die ungestörte Entwicklung und ein gewaltfreies Aufwachsen von Kindern sind ein besonders hohes Gut. Sexualisierte Gewalt in der Kindheit kann Betroffene für ihr gesamtes Leben traumatisieren. Die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist deshalb eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit und zentrale Auf-gabe des Staates.

 

Im Zuge des technischen Wandels hat sich die Art der gegen Kinder gerichteten Straftaten verändert. Durch soziale Netzwerke und die Chatfunktionen von Onlinespielen besteht leichter denn je die Möglichkeit, aus sexuellen Motiven heraus Kontakt zu Minderjährigen herzustellen. Das Internet, insbesondere das Darknet, bietet viel Raum, um anderen kinderpornographische Inhalte zur Verfügung zu stellen oder auf diese Inhalte zuzugreifen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten hat sich aber das Gefährdungspotential für Kinder nicht bloß in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt erhöht. Denn der Verbreitung und dem Konsum von Kinderpornographie liegt häufig reale sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde.

 

Die Zahlen bekanntgewordener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung, des Besitzes und der Besitzverschaffung von Kinderpornographie sind deutlich gestiegen.

 

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die einschlägigen Straftatbestände zu ändern, damit sie ihre Schutzfunktion für Kinder besser entfalten können. Dafür bedarf es unter anderem einer deutlichen Verschärfung der Strafrahmen. Zugleich sind Maßnahmen notwendig, um eine effektivere Strafverfolgung zu erreichen. Die Anstrengungen dürfen sich aber nicht auf das Straf- und Strafprozessrecht beschränken.

 

Vor diesem Hintergrund verfolgt der Entwurf das Ziel, mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen, die insbesondere auch die Prävention betreffen, den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt zu verbessern.

 

  1. Lösung; Nutzen

 

Zum Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt schlägt der Entwurf Gesetzesänderungen vor, die auf einem ganzheitlichen Konzept gründen, das alle beteiligten Akteure in die Pflicht nimmt.

 

Mit einer begrifflichen Neufassung der bisherigen Straftatbestände des „sexuellen Miss-brauchs von Kindern“ als „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ soll das Unrecht dieser Straf-taten klarer umschrieben werden. Der Entwurf schlägt vor, den bisherigen Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Straftatbestände aufzuspalten, um den Deliktsbereich übersichtlicher zu gestalten und entsprechend der jeweiligen Schwere der De-likte abgestufte Strafrahmen zu ermöglichen. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll künftig bereits im Grundtatbestand als Verbrechen geahndet werden.

 

Auch wer Videos und Fotos verbreitet oder besitzt, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder zeigen, macht sich mitschuldig an schlimmsten Misshandlungen von Kindern. Die Verbreitung, der Besitz und die Besitzverschaffung von Kinderpornographie sollen daher ebenfalls als Verbrechen eingestuft werden. Mit einer Anhebung der Strafrahmen der Straftatbestände der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und der Kinderpornographie soll darüber hinaus die Bewertung solcher Taten als schweres Unrecht deutlicher im Strafrahmengefüge herausgestellt und den Gerichten ein ausreichender Handlungsspielraum zur tatangemessenen Ahndung solcher Taten eröffnet werden. Darüber hinaus werden vereinzelte Strafbarkeitslücken geschlossen und der Verjährungsbeginn beim Herstellen kinderpornographischer Inhalte, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, deutlich nach hinten geschoben.

 

Mit der Schaffung einer neuen Strafnorm soll zudem das Inverkehrbringen und der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild unter Strafe gestellt werden. Damit soll zugleich der Markt für solche Nachbildungen ausgetrocknet werden.

 

Um die Strafverfolgung effektiver auszugestalten, sollen den Strafverfolgungsbehörden weitergehende Ermittlungsbefugnisse im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und im Bereich der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornographischer Schriften an die Hand gegeben werden. Dies betrifft insbesondere Anpassungen der Straftatenkataloge der Telekommunikationsüberwachung, der Onlinedurchsuchung sowie bei der Erhebung von Verkehrsdaten. Für Fälle schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder soll darüber hinaus die Anordnung der Untersuchungshaft erleichtert werden. Außerdem soll in der Strafprozessordnung ein Beschleunigungsgebot in Strafverfahren mit minderjährigen Opferzeugen ausdrücklich verankert werden.

 

Für den besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen sollen durch Änderungen im Bundeszentralregistergesetz die Frist für die Aufnahme von Eintragungen auch geringfügiger Verurteilungen wegen besonders kinder- und jugendschutzrelevanter Straftaten, in erweiterte Führungszeugnisse erheblich verlängert und die Mindesttilgungsfrist für diese Verurteilungen verdoppelt werden. Zudem wird für Verurteilungen wegen bestimmter besonders kinderschutzrelevanter Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr eine Aufnahmefrist im erweiterten Führungszeugnis von zwanzig Jahren geschaffen.

 

Darüber hinaus schlägt der Entwurf spezifische Qualifikationsanforderungen an Familienrichterinnen und -richter sowie die für Beschwerden gegen Entscheidungen des Familien-gerichts zuständigen Richterinnen und Richter der Oberlandesgerichte vor. Des Weiteren sieht der Entwurf Änderungen im Beschwerdeverfahren vor, um sicherzustellen, dass Entscheidungen der Beschwerdeinstanz in den besonders grundrechtssensiblen Kindschaftsverfahren und insbesondere in Kinderschutzverfahren stets vom Kollegialorgan in Dreier-besetzung und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden. Zu-dem enthält der Entwurf die Einführung konkreter Qualitätsanforderungen für Verfahrensbeistände und führt zur Stärkung des Kinderschutzes Fälle einer obligatorischen Bestellung ein. Ferner werden die Regelungen über die Kindesanhörung überarbeitet und ergänzt.

 

Schließlich fasst der Entwurf durch eine Ergänzung des Jugendgerichtsgesetzes die besonderen Qualifikationsanforderungen an Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte verbindlicher als bisher.

 

Der Entwurf dient mit seinem ganzheitlichen Ansatz dem Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt in einem umfassenden Sinne: Abschreckung potentieller Täter durch eine Verschärfung des Strafrechts, bessere Aufklärung von Straftaten infolge der Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse und verbesserter Qualifikation der Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie der Jugendstaatsanwältinnen und -staatsanwälte, stärkere Prävention durch Verbesserungen im familiengerichtlichen Verfahren und im Bundeszentralregistergesetz

  1. Alternativen

Aufgrund der Bedeutung des Themas gibt es derzeit mehrere Initiativen, die Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexualisierter Gewalt beinhalten. Diese Initiativen haben jedoch zum Teil eine andere Ausrichtung, sind in ihrer Wirkung nicht zielgenau oder bleiben hinter den mit diesem Entwurf vorgeschlagenen Änderungen deutlich zurück.

 

Quelle und weiterführende Gesetzestexte: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Bekaempfung_sex_Gewalt_Kinder.pdf?__blob=publicationFile&v=2

 

 

 

Anlage 6

 

UBSKM

POSITIONSPAPIER 2020

Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Wie Bund, Länder und die politischen Parteien Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt schützen können

 

 

Sexuelle Gewalt ist keine Ausnahmeerscheinung, sondern Alltag für tausende Kinder und Jugendliche. Mehr als 13.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch wurden den Ermittlungsbehörden 2019 gemeldet, das sind mehr als 35 Missbrauchsfälle pro Tag. Dazu kommen mehr als 1.000 Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Jugendlichen, mehr als 12.000 angezeigte Fälle von Abbildungen sexueller Gewalt an Kindern, sogenannte Kinderpornografie, und mehr als 3.000 Fälle des Einwirkens auf Kinder mittels digitaler Medien, sogenanntes Cybergrooming. Diese Fallzahlen gehen seit Jahren nicht zurück. Bei Kinderpornografie ist die Zahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahr sogar um 65 Prozent gestiegen. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Das Dunkelfeld sexueller Gewalt ist enorm. Nur wenige Missbrauchsfälle werden bekannt und die meisten Taten weder aufgedeckt noch angezeigt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht für Deutschland von einer Million Kinder und Jugendlicher aus, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren. Das sind ein bis zwei Schüler*innen in jeder Schulklasse.

 

Kinder vor sexueller Gewalt schützen – eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Verantwortung

 

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zählt zu den grund- legenden Aufgaben des Staates – und erfordert eine an den Kinderrechten orientierte gesellschaftliche Grundhaltung. Wenn wir diese Aufgabe ernst nehmen und Kinder und Jugendliche wirklich besser vor sexueller Gewalt schützen wollen, müssen ALLE den Kampf gegen sexuellen Missbrauch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und aktiv führen. Viele Betroffene leiden ihr Leben lang unter den Folgen der traumatisierenden Erlebnisse, die sie als Minderjährige erfahren mussten: psychische Belastungen, Destabilisierung sozialer Beziehungen, wirtschaftliche Probleme und vieles mehr. Deshalb müssen wir gemeinsam, und trotz der neuen Herausforderungen durch die Corona-Krise, das Netz aus Prävention, Intervention und Hilfen für Kinder, Jugendliche und erwachsene Betroffene dringend weiter ausbauen und dauerhaft stärken. Das muss als vorrangige nationale Daueraufgabe von allen anerkannt und wahrgenommen werden: von Bund, Ländern, Kommunen, von den politischen Parteien, von der Zivilgesellschaft – etwa den Kirchen, der Wohlfahrtspflege, dem organisierten Sport – und nicht zuletzt auch von der Internetwirtschaft, der gesamten Medienlandschaft und der Bevölkerung. Nur gemeinsam können wir dem Ausmaß sexueller Gewalt begegnen, nur gemeinsam die Fallzahlen maximal und stetig verringern.

Die bessere Vernetzung und Kooperation der unterschiedlichen Akteure im Kampf gegen sexuellen Missbrauch und dessen Folgen ist dabei für den Erfolg entscheidend: Bildung, Soziales, Gesundheit, Jugendhilfe, Polizei und Justiz müssen ihre interdisziplinäre Zusammenarbeit in diesem Themenfeld weiter vertiefen. Zudem müssen auch Angehörige von Betroffenen, das soziale Umfeld und Fachkräfte, die in Kontakt mit Betroffenen sind, besser kooperieren, wenn es um Vorbeugung, Verhinderung und Aufdeckung von sexueller Gewalt gegen Minderjährige geht. Staufen, Lügde, Bergisch Gladbach und zuletzt Münster haben als Synonyme für spektakuläre Missbrauchsfälle traurige Berühmtheit erlangt. Und wie immer, wenn die Dimension und vermeintliche Einzigartigkeit von sexuellem Missbrauch für eine öffentliche Skandalisierung genutzt werden, gibt es eine breite öffentliche Debatte zum Thema „Strafverschärfung“. Dabei wird vielfach übersehen, dass die Androhung härterer Strafen allein nicht ausreicht, um sexueller Gewalt zu begegnen oder die große Zahl angezeigter Fälle und die noch viel größere Zahl nicht angezeigter Fälle deutlich zu reduzieren. Bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche handelt es sich nicht um „Einzelfälle“, so skandalös sie uns auch erscheinen mögen, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen enormen Ausmaßes. Sexueller Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt. Es ist angesichts des großen Dunkelfeldes sogar mehr als wahrscheinlich, dass wir alle ein Kind kennen, das sexuelle Gewalt erlitten hat oder aktuell erleidet. Im Dezember 2019 hat die Bundesregierung den „Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ ins Leben gerufen. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gemeinsam initiierte Gremium soll den interdisziplinären Austausch zwischen den staatlichen und nichtstaatlichen Verantwortungsträgern auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen vertiefen und fördern. Noch im Jahr 2021 sollen die Ergebnisse aus verschiedenen Arbeitsgruppen vorgelegt werden, wie den drängenden Fragen zu Schutz und Hilfen, sexueller Ausbeutung oder Justiz und Forschung langfristig begegnet werden kann. Mit der jüngst von der EU-Kommission vorgelegten EU-Strategie für eine wirksamere Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Juli 2020) ist darüber hinaus die Chance verbunden, gemeinsam und grenzüberschreitend in der EU und den Mitgliedstaaten gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen analog und digital vorzugehen. Bund und Länder sollten die europäischen Bemühungen für ein grenzüberschreitendes Handeln, insbesondere bei der Ermittlung und Strafverfolgung und bei der Einrichtung eines „Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ ausdrücklich unterstützen. Bund, Länder, kommunale Ebene und die politischen Parteien halten den Schlüssel zu einem besseren Schutz der Kinder in ihren Händen. Ihre Handlungsoptionen umfassen folgende Themenkomplexe:

 

Empfehlungen an die Bundespolitik und die politischen Parteien auf Bundesebene

 

  1. Eine gesetzliche Berichtspflicht einführen, das UBSKM-Amt gesetzlich verankern und dauerhafte Strukturen für die Aufarbeitung ermöglichen
  • Um eine konstruktive und kontinuierliche Auseinandersetzung mit Defiziten und Fortschritten im Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sicherzustellen, sollte eine regelmäßige Berichtspflicht der/des UBSKM gegenüber Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat zum Ausmaß und zum Stand von Prävention, Intervention, Hilfen, Forschung und Aufarbeitung gesetzlich vorgesehen werden – ähnlich wie es für die/den Datenschutzbeauftragte(n) geregelt ist.
  • Zudem sollte das Amt einer/eines UBSKM gesetzlich verankert werden. Unabhängigkeit, Aufgaben, Zuständigkeiten auf Bundesebene und die kontinuierliche Zusammenarbeit auch mit der Landesebene sollten gesetzlich geregelt werden.
  • Um auch künftig bereits verjährte Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche aufzuarbeiten und die Strukturen zu identifizieren, die sexuellen Missbrauch und seine Vertuschung ermöglicht haben, sollte aufbauend auf der bisherigen Arbeit der Aufarbeitungskommission, die zuletzt vom UBSKM bis Ende 2023 berufen wurde, das Recht von Betroffenen auf Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in institutionellen, familiären und sozialen Kontexten durch geeignete Strukturen und Formate dauerhaft sichergestellt werden.

 

  1. Eine breit angelegte Aufklärungs- und Sensibilisierungsinitiative starten
  • Damit ALLE wissen, was sexueller Missbrauch ist, wie Täter und Täterinnen vorgehen, welche Signale betroffene Kinder aussenden, an wen man sich bei Vermutung und Verdacht wenden kann und wo es konkrete Hilfe und Unterstützung gibt, sollten die Voraussetzungen für die Entwicklung einer auf Dauer angelegten Aufklärungs- und Sensibilisierungsinitiative, für die das Bundesfamilienministerium bereits Unterstützung zugesagt hat, jetzt zeitnah geschaffen werden.
  • Die Kampagne sollte von BMFSFJ und UBSKM in Kooperation mit weiteren relevanten Akteuren und Partnern ab dem Jahr 2021/22 umgesetzt werden. Im Bundeshaushalt sollte dafür jährlich ein Betrag von mindestens fünf Millionen Euro bereitgestellt werden.
  • Die geplante Strafrechtsreform zur verbesserten Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche differenziert umsetzen
  • Im Rahmen der Diskussion um Strafverschärfungen und härtere Sanktionen sollten differenzierte Regelungen, welche dem unterschiedlichen Unrechtsgehalt der einzelnen Taten gerecht werden, nicht aus den Augen verloren werden.
  • Trotz aller Debatten muss die wesentliche Entscheidungshoheit über das konkrete Strafmaß weiterhin bei den Gerichten liegen; die Aufgabe der Politik ist es, einen Rahmen vorzugeben, der es den Strafgerichten ermöglicht, über jeden Einzelfall differenziert und in angemessener Form entscheiden zu können.

 

  1. Qualifikation der Professionen in der Familiengerichtsbarkeit gewährleisten
  • Um den besonderen Anforderungen der Familiengerichtsbarkeit – in der Richter*innen in ihrer täglichen Arbeit über die Schicksale von Kindern, Eltern und Familien entscheiden und damit eine immense Verantwortung tragen – gerecht zu werden und Fehlentscheidungen zu vermeiden, sollten verbindliche Eingangsvoraussetzungen für den Zugang zu dieser besonderen richterlichen Aufgabe geschaffen werden.
  • Neben den rechtlichen Kenntnissen im Bereich des Kindschaftsrechts und des Kinder- und Jugendhilferechts sollten Familienrichter*innen über Grundkenntnisse im Bereich der Psychologie, Pädagogik und sozialen Arbeit verfügen.
  • Damit die Kinder und Jugendlichen im familienrechtlichen Verfahren bestmöglich unterstützt werden können, sollten zudem einheitliche Qualifikationsstandards für Verfahrensbeistände festgelegt werden, die neben den fachlichen Anforderungen auch Anforderungen an die persönliche Eignung des Beistands enthalten sollten.

 

  1. Die polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten stärken
  • Zusätzlich zu den bisherigen Verbesserungen für die polizeiliche Ermittlung gegen pädokriminelle Täter und Täterinnen (Stichwort: „Keuschheitsprobe“, Versuchsstrafbarkeit des Cybergrooming und eine gesetzliche Meldepflicht für Internet-Service-Provider zu Missbrauchsabbildungen) sollte eine EU-rechtskonforme Vorratsdatenspeicherung ermöglicht werden. Ohne verlängerte Mindestspeicherzeiten für IP-Adressen gehen die digitalen Spuren zu den Tätern und Täterinnen im Netz innerhalb kürzester Zeit verloren, eine Ermittlung der schweren Straftaten im Netz ist dann nicht mehr möglich.
  • Die Diskussion über die erleichterte Übernahme sogenannter digitaler Identitäten sollte dringend fortgeführt werden. Anreize für die Überlassung von Zugangsdaten ließen sich etwa durch einen expliziten Verweis auf die §§ 176, 184b StGB in § 46b StGB (sogenannte Kronzeugenregelung) schaffen.

 

 

  1. Daten- und Kinderschutz vor dem Hintergrund des sexuellen Kindesmissbrauchs neu ausbalancieren und justieren
  • Die berechtigten Interessen des Datenschutzes und die ebenfalls berechtigten Interessen des Kinderschutzes sollten dringend neu ausbalanciert und neu justiert werden – nicht nur zur Bekämpfung digitaler sexueller Gewaltformen gegen Minderjährige, sondern auch mit Blick auf die konkrete Fallarbeit und die alltäglichen Herausforderungen im Umgang mit sensiblen Daten in der Kinderschutzpraxis vor Ort.
  • Noch im Jahr 2021 sollte der dafür erforderliche Diskurs auf der Bundesebene gestartet werden, an dem neben dem Daten- und Kinderschutz auch Netzaktivist*innen, IT-Unternehmen und alle relevanten Verbände beteiligt werden sollten.

 

VII.                      Qualifizierte Häufigkeits- und Wirksamkeitsforschung    ausbauen

  • Die systematische und dauerhafte Beobachtung von Häufigkeit und Ausmaß (sogenannte Prävalenzforschung) von sexuellem Kindesmissbrauch in den verschiedenen Tatkontexten, von individuellen und gesamtgesellschaftlichen Folgen sowie von Schutz- und Risikofaktoren sexueller Gewalt gegen Minderjährige sollte dringend ausgebaut werden, um mit fundiertem Wissen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nachhaltiger bekämpfen und deren Folgen besser lindern zu können.
  • Die Forschung zur Wirkung von Präventions- und Hilfeangeboten (sogenannte Wirkungsforschung) sowie zu den Abläufen in straf- und familiengerichtlichen Verfahren sollte intensiviert werden, um konkrete Maßnahmen vor Ort zielgenau weiterentwickeln zu können.
  • Die Betroffenenbeteiligung sollte grundsätzlich in allen Forschungsvorhaben sichergestellt werden.
  • Ab dem Bundeshaushalt 2022 sollten mittelfristig die erforderlichen Finanzmittel für die oben genannten Forschungsvorhaben zur Verfügung gestellt werden.
  • Um Erkenntnislücken zu schließen und um flächendeckend Forschungsexpertise für Politik und Praxis verfügbar zu machen, sollte in Abstimmung zwischen Bund und Ländern, der strukturelle Ausbau von Forschung und Lehre zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen an Universitäten und Hochschulen vorangebracht werden.

 

  • Die gesundheitliche Versorgung und die Hilfen verbessern
  • Zum dringend notwendigen weiteren Ausbau der therapeutischen Versorgung Betroffener sollten bedarfsgerechte und niedrigschwellige Hilfeangebote für Betroffene sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend flächendeckend zur Verfügung stehen. Hierbei ist auch auf qualifizierte Angebote für Kinder und Jugendliche, für Menschen mit Migrationshintergrund oder Beeinträchtigungen und auf den Ausbau traumaspezifischer Angebote zu achten.
  • Da auch nach der Verabschiedung des neuen Sozialen Entschädigungsrechts (SER) viele Betroffene weiterhin große Probleme haben werden, die oft Jahre zurückliegenden Taten und den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Tat und aktueller gesundheitlicher Beeinträchtigung nachzuweisen, sollte flankierend das sogenannte Ergänzende Hilfesystem (EHS) schnell neu aufgestellt werden. Betroffene aus allen Tatkontexten müssen zukünftig zeitlich uneingeschränkt tatsächlich schnelle und unbürokratische Hilfe bekommen

 

  1. Förderungen des Bundes an Standards zum Schutz von Kindern und Jugendlichen koppeln
  • Die Förderung von Bundesprogrammen, Projekten und Vorhaben, die – auch indirekt – Kinder und Jugendliche betreffen (z. B. im Rahmen des Kinder- und Jugendplans (KJP), des sogenannten DigitalPakts Schule, bei der Förderung der Gamesbranche oder auch der Filmwirtschaft), sollte an Kinder-schutzstandards gekoppelt sein.
  • Wie zum Beispiel bei der Förderung des Leistungs- und Spitzensports durch das Bundesinnenministerium sollten verpflichtende Mindeststandards zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt überall dort zur Anwendung kommen, wo Bundesmittel verwendet werden.

 

Empfehlungen an die Landespolitik und die politischen Parteien auf Landesebene

 

  1. Einen „Masterplan zur Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ entwickeln

 

Jedes Bundesland sollte auf der Basis einer umfassenden Defizit- und Bestandsanalyse einen eigenen ressortübergreifenden „Masterplan zur Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und den Folgen“ entwickeln und umsetzen. Dazu gehört neben einer bestmöglichen Qualifizierung im vielschichtigen und interdisziplinär zu betrachtenden Themenfeld grundsätzlich eine bestmögliche interdisziplinäre Zusammenarbeit aller, die für das Kindeswohl in einem Land zuständig sind. Für die konkrete Kinderschutzarbeit und verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Kinderschutz-Akteur*innen vor Ort sollten regionale und auch kommunale Netzwerkstrukturen auf- und ausgebaut werden. Konkret sollte ein Masterplan mindestens folgende Themenfelder beinhalten:

 

 

  1. Schutzkonzepte in Kitas, Schulen und in der Kinder- und Jugendarbeit verbindlich umsetzen
  • Die flächendeckende Einführung und Anwendung von „Schutzkonzepten gegen sexuelle Gewalt“ muss maximal ausgebaut und verbindlich geregelt werden. Schutzkonzepte helfen Fachkräften, pädagogisch präventiv zu handeln, Signale betroffener Kinder und Jugendlicher zu erkennen und Zugang zu Hilfe zu bieten.
  • Die Schulgesetze aller Bundesländer sollten die Einführung und Anwendung von schulischen Schutzkonzepten und die dafür erforderliche personelle und finanzielle Unterstützung der Schulen verbindlich regeln.
  • Die Bundesländer sollten zudem in ihren Förderrichtlinien festschreiben, dass in allen Einrichtungen und Organisationen, die vom Land finanziert oder gefördert werden, die Erarbeitung und die Anwendung von Schutzkonzepten verbindlich und damit Voraussetzung für die Finanzierung sind.
  • Fachstellen und schulbegleitende Dienste sollten in die Lage versetzt werden, die Entwicklung und Implementierung von Schutzkonzepten in Einrichtungen und Organisationen flächendeckend zu begleiten.
  • Die Qualifizierung für pädagogische und soziale Berufe

(Aus-, Fort- und Weiterbildung) sollte weiterentwickelt werden, um zu gewährleisten, dass alle Fachkräfte wie Lehrer*innen, Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen über Grundlagenwissen zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie über spezifische Kompetenzen verfügen, wie sie Minderjährige schützen und ihnen helfen können.

 

  1. Beratungs- und Hilfeangebote bedarfsgerecht, niedrigschwellig und flächendeckend ausbauen
  • Spezialisierte Fachberatungsstellen müssen langfristig personell und finanziell gesichert werden, sodass keine Versorgungslücken entstehen. •Die psychotherapeutische Versorgung, insbesondere für Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen, muss verbessert werden. Dazu sind vor allem die Einrichtung von Traumaambulanzen sowie eine spezifische psychotherapeutische und fachärztliche Bedarfsplanung und Aus- bzw. Fortbildung notwendig. •Bei allen Hilfeangeboten ist auf qualifizierte Angebote für alle Kinder und Jugendlichen zu achten.
  • Bei der Umsetzung der Reform des Sozialen Entschädigungsrechts (SER) sollte ein kompetentes und betroffenensensibles Fallmanagement eingerichtet werden. Es sollte zudem eine Qualifizierung der Fachkräfte in den Versorgungsämtern gewährleistet werden.
  • Spezialisierte Fachstellen für Täterarbeit und Tätertherapie sind im Sinne des Kinderschutzes flächendeckend auszubauen und finanziell abzusichern.

 

  1. Intervention stärken
  • Um Täter und Täterinnen schnellstmöglich zu identifizieren und strafrechtlich zu verfolgen, sollten die Ermittlungsbehörden technisch und personell in dem erforderlichen Umfang ausgestattet und sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter*innen der Behörden im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, geschult und regelmäßig weitergebildet werden.
  • Damit sexueller Kindesmissbrauch möglichst früh erkannt und differenziert abgeklärt wird und das Kindeswohl durch passgenaue Hilfen sichergestellt werden kann, sollten die Strukturen der Jugendhilfe und andere Clearingstellen z. B. im Gesundheitswesen landesweit angemessen ausgestattet sein und Rahmenbedingungen geschaffen werden, die jederzeit eine qualifizierte Arbeit ermöglichen. Dazu gehört auch die Stärkung dieser Strukturen für die Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren.

 

  1. Die Justiz kindgerecht gestalten
  • Mit dem Ziel der kindzentrierten, qualifizierten und effizienten Strafverfolgung sollten örtlich und sachlich konzentrierte Jugendschutzverfahren durch Kompetenzzentren (Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktgerichte) eingerichtet werden.
  • Dort, wo Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktgerichte noch nicht eingerichtet wurden, sollte darauf geachtet werden, dass Jugendschutzverfahren von besonders qualifizierten und auf diese Verfahren spezialisierten Staatsanwält*innen und Richter*innen geführt werden.
  • Es sollte zudem sehr zeitnah in jedem Bundesland für alle Ermittlungsverfahren und strafgerichtlichen Verfahren sichergestellt werden, dass jederzeit die Möglichkeit besteht, kindliche Opferzeugen per Videoaufzeichnung vernehmen zu können.
  • Um Straf- und Familienrichter*innen bestmöglich zum Thema „Sexueller Kindesmissbrauch“ zu qualifizieren, sollten in den Landesrichtergesetzen eine Fortbildungspflicht zum Themenfeld verbindlich geregelt, die dafür notwendigen Kapazitäten aufgebaut und die Realisierung der Teilnahme an diesen Fortbildungen unterstützt werden.

 

  1. Forschung und Ausbildung intensivieren
  • Abgestimmt zwischen den Ländern und dem Bund sollte an Universitäten und Hochschulen der strukturelle Ausbau von Forschung und Lehre zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorangebracht werden, um Erkenntnislücken zu schließen und um flächendeckend Forschungsexpertise für Politik und Praxis verfügbar zu machen.

 

  • Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen in den Ländern sollten darin unterstützt werden, fundiertes Wissen zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu generieren und dieses der Praxis zugänglich zu machen.
  • Die Vermittlung von Basisinformationen zum Themenfeld „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ (wie zu Ausmaß und Dimension, Täterstrategien, Signalen von Kindern, Mythen) sowie Grundlagen der Gesprächsführung mit Kindern, Jugendlichen und mit Eltern sollte in die Ausbildungscurricula aller Fachkräfte aufgenommen werden, die mit dem Kinderschutz befasst sind.

 

  1. Landesbeauftragte für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt einsetzen

 

  • In allen Bundesländern sollte das Amt einer/eines hochrangig angesiedelten und möglichst gesetzlich verankerten Landesbeauftragten eingerichtet werden.
  • Diesem Amt sollten die Erarbeitung und die fachliche Unterstützung der Umsetzung des Masterplans übertragen und die dafür erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
  • Ein strukturierter und kontinuierlicher Austausch der künftigen Landesbeauftragten mit der/dem UBSKM sollte ebenso wie eine strukturierte Betroffenenbeteiligung auf Landesebene sichergestellt werden, möglichst auf gesetzlicher Grundlage.

 

 

Berlin, im September 2020

 

Anlage 7

 

Marion WALSMANN Konzept zum CDU/CSU Papier zu Kindesmissbrauch

 

  1. Allgemein

 

Zwischen 10% und 20% der fast 100 Millionen Kinder in Europa werden während ihrer Kindheit sexuell ausgebeutet, missbraucht oder angegriffen. Ausmaß und Formen sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Herstellung, des Besitzes und der Verbreitung diesbezüglicher Abbildungen/Filme/Texte (sog. CSEA-Material)  (wie Kinderpornografie) geben schon lange Anlass zur Sorge. Sexueller Missbrauch von Kindern im Internet hat weltweit dramatisch zugenommen. 2010 waren 1 Mio. Meldungen über Material von sexuellen Kindesmissbrauch bekannt worden und 2019 waren es 17 Mio. Das Dunkelfeld ist exorbitant.

 

Die Ausgangsbeschränkungen während der COVID-19-Pandemie haben zu einem deutlichen Anstieg des sexuellen Missbrauchs von Kindern geführt. Im Juni 2020 beschlagnahmte die deutsche Polizei in Münster 500 Terabyte verschlüsseltes Material. Das sind über 500 Mio. Megabyte, genug für über 65 Mio. Fotos in Smartphone-Qualität.

 

Die folgenden Punkte sollte die Kommission in ihrer für dieses Jahr vorgesehenen Strategie für einen wirksameren Kampf gegen sexuelle Ausbeutung und Missbrauch von Kindern und für 2021 vorgesehene umfassenden Strategie für das Kindesrecht berücksichtigt werden. Dabei sind die „Luxembourg Terminology Guidelines“ von 2018 und der international anerkannte Begriff „Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA)“  künftig EU-weit einheitlich zu nutzen.

 

  1. Prävention

 

Die Prävention spielt eine entscheidende Rolle.

 

  1. Prävention durch korrekte Umsetzung bestehender EU-Regelungen

 

Die Umsetzung der relevanten EU-Regelungen ist nur unvollständig erfolgt.

 

  1. Mitgliedstaaten müssen das relevante EU-Recht vollständige und wirksam umsetzen[100]:

–  Richtlinie 2004/80/EG zur Entschädigung der Opfer von Straftaten

– Richtlinie 2011/92/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie

–  Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung (EPO)

– Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen

–  Richtlinie 2012/29/ EU zur Festsetzung von Mindestnormen für die Rechte, Unterstützung und Schutz der Opfer von Straftaten

– Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr

 

  1. Inbesondere die Richtlinie 2011/92/EU ist vorrangig zu evaluieren und umzusetzen, zumal schon die Evaluation 2016 drastische Versäumnisse aufzeigte.

EK sollte die Gründe der begrenzten Umsetzung identifizieren und durch Anpassungen, ggf. weitere Vertragsverletzungsverfahren angehen.

 

  1. Austausch zwischen den Mitgliedstaaten zu besten Praktiken und wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen im Umgang mit Kindesmissbrauch im Rahmen bestehender Organisationen (Europol, CEPOL, Eurojust, ECPN).

 

 

  1. Prävention durch den Einsatz von neuen Technologien

 

Erhöhte gemeinsame Investitionen der Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit Europol, EC3, mit Service Providern und dem technischen Privatsektor, um durch die Anwendung von neuen Technologien wie Crawler-Systemen oder KI potentiell missbräuchliche Verhaltensweisen, wie z.B. Verschlüsselung von CSEA-Material oder Nutzung des Darknets wie z.B. Grooming, zu erkennen und die Verantwortlichen zu identifizieren. Die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem „Project Protect“ der IT-Branche sind zu intensivieren.

Filterung und Blockierung von CSEA-Material ist nur die zweitbeste Lösung, wie das vor Jahren von COSPOL inititerte Projekt CIRCAMP bewies.

Neue Technologien können auch dabei helfen, anonyme Meldungen von Usern zu erlauben und den Online Service Provider (OSP) zu ermöglichen, ihren Berichtspflichten an die jeweiligen (inter)nationalen Zentralstellen (Interpol, Europol, NCMEC u.a.) schnellstmöglich nachzukommen. und das Opfer über das Justizsystem zu informieren.

 

  1. Prävention durch erhöhte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Behörden, Opfern und Opferorganisationen mit Hilfe der EK

 

EK soll die proaktive Zusammenarbeit mit den Internetanbietern, den Opfern und den Organisationen zur Unterstützung von Opfern fördern, beispielsweise durch Erstellung eines Aktionsplans, der Bold Actions vorsieht: Bündelung und Stärkung vorhandener Ressourcen und Organisationen (rechtlich, personell, finanziell).

 

wie sexueller Missbrauch im Internet effizienter angegangen werden kann. Z.B. durch:

 

 

– Schaffung von gezielten frühzeitigen Interventionsstrategien.

 

Die von der Kommission ins Leben gerufene Sondergruppe von Experten aus Wissenschaft, Regierungsvertretern, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, welche Lösungen suchen soll, um verschlüsseltes CSEA-Material aufzudecken und zu melden, sollte ihre Arbeit intensivieren und beschleunigen, um die Erkenntnisse mit den Mitgliedstaaten und den Opferorganisationen teilen.

 

Erhöhte Zusammenarbeit könnte über die Schaffung eines Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern erfolgen, welches die Opfer unterstützt, die Kooperation und Austausch von Informationen und bewährten Praktiken erhöht und verbessert.

 

Finanzierung von Projekten durch EK, die die Produktion, Verbreitung und Verkauf von CSEA-Material im Internet bekämpfen. Zusammenarbeit: Internetanbieter, Banken und Anbieter von Zahlungssystemen, Telekommunikationsunternehmen, Europol, Eurojust sowie Polizei- und Justizbehörden.

 

  1. Prävention durch Safety/Security by Design

 

Wirtschaftsakteure könnten sich bei der Herstellung von Produkten freiwillig dazu verpflichten, Prinzipien für Kindersicherheit einzuführen, z.B. unter Wahrung des Safety by Design Ansatzes, indem Hard- und Softwaresysteme frei von Schwachstellen und unempfindlich gegenüber Angriffen hergestellt werden. Schaffung von systematischen Einschränkungen, um Zugang zu illegalen Inhalten von Kindern zu verhindern.

Schwerpunkt muss dabei sein, dem rasanten Wandel hin zum Tatmittel „Smartphone“ begegnen zu können.

 

  1. Prävention durch gezielte Investitionen in Widerstandsfähigkeit durch Bildung

 

Um eine effiziente Prävention zu ermöglichen, sind gezielte Investitionen nötig in die ganzheitliche Bildung von Kindern und den Fachkräften, die mit (potentiellen) Opfern zu tun haben.

 

  1. Resilienztraining für die Kinder

 

Mitgliedstaaten wird empfohlen in die Lehrpläne der Schulen Resilienztrainings durchzuführen, in denen die Kinder dazu befähigt werden, vor allem im Internet und innerhalb ihrer Peer-Gruppen, inakzeptable Verhaltensweisen zu vermeiden („self-generated explicit Material- SGEM“), zu erkennen und in einer heiklen Situation Hilfe und Schutz bei ihren Eltern, Lehrern, staatlichen Hotlines oder anderen Nahestehenden zu suchen. Die zentralen Erkenntnisse, die Europol in seinem jährlichen Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA) herausstellt, sind dabei besonders zu beachten.

Den Mitgliedsstaaten wird empfohlen, die von Europol gestartete „SayNo!Campaign“ wieder zu beleben oder das vom Europarat gestartete KIKO-Projekt  ins Leben zu rufen.

 

  1. Ausbildung der Fachkräfte

 

Angemessene Ausbildung für Fachkräfte, die mit (potentiellen) Opfern arbeiten, wie z.B.: Lehrern, juristische und medizinische Berufe, Betreuer, sodass diese Gewalt oder Missbrauch gegen ein Kind erkennen.

 

  1. Elternschulung

 

Aufklärung von Eltern über Gefahren des Internets und Missbrauchs, dem ihre Kinder zum Opfer fallen könnten. Sie sollten in der Lage sein, emotionale und Verhaltensreaktionen zu erkennen, die für Kinder, die sexuell missbraucht werden typisch sind und angemessen reagieren.

 

  1. Prävention durch Aufklärungskampagnen

 

Durchführung einer EU-weiten und nationaler Informations-, Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen für die Rechte der Kinder,  zur Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft, zur Verdeutlichung der langfristigen Folgen dieser Kriminalität, zur Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für die Opfer sexueller Gewalt gegen Kinder und zur Förderung spezialisierter Unterstützungs- und Schutzmaßnahmen für Kinder. Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters soll das Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden.

 

 

III. Juristische Aspekte: Wirksame Ermittlung und kindergerechtes Strafverfahren

 

Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, benötigen einen besseren Zugang zur Justiz. Hindernisse, die den Opfern den Zugang zur Justiz erschweren, sind hauptsächlich auf fehlende Informationen, unzureichende Unterstützung und mangelnden Schutz zurückzuführen.

 

Mitgliedstaaten sollen kindesgerechte Strafverfolgungs- und Justizpraktiken in Kindesmissbrauchsfällen vorsehen.

 

  1. Ermittlungsverfahren:

 

  1. Zugriff auf Datenbanken

 

Vereinfachter Zugriff auf internationale Datenbanken, bzw. ihre Vereinheitlichung insbesondere Bilddatenbankenbei Interpol (ICSE), USA/NCMEC (CRIS/CVIP), Europol (EC3), UK (CAID)  oder Kanada (CETS). Einführung einheitlicher, zentraler hash-sets zur Verschlüsselung der Bilder vor weiterer forensischer/ermittelnder Bearbeitung. Prüfung, wie global ein znetrales Bildver- und bearbeitendes System geschaffen werden kann, bzw. wie ein solches System auf kontinentaler Ebene errichtet werden könnte.

 

Forderung: EK soll den Austausch zwischen den Behörden und Plattformen vereinfachen und technische Hilfestellung leisten zum Verknüpfen der Datenbanken

 

  1. Technische Ausstattung von Polizei und Ermittlungsbehörden

 

Die Polizei muss entsprechend ausgestattet sein, um die Bekämpfung von Kindesmissbrauch vor allen im Internet effektiver durchzuführen, die Polizei und Ermittlungsbehörden dürfen dem Einsatz von Spitzentechnologie durch die Täter nicht hinterherstehen. Die künftigen Investitionen in Automation, Cloud Computing, IT-Forensik und die unbedingt erforderliche Artificial Intelligence (AI) übersteigen ohnehin alle personellen und finanziellen Ressourcen der nationalen und auch internationalen Akteuren, was nach Pool-Lösungen ruft.

Forderung: MS werden aufgefordert, zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität nach EU-einheitlichen Maßstäben spezialisierte Polizeieinheiten einzurichten, die  entsprechende Aus- und Fortbildung zu intensivieren und die technische Ausrüstung, insbesondere zur computergestützten, biometriebasierten forensichen Personensuche, zu vereinheitlichen.

EK soll dabei technisch und finanziell unterstützen.

 

 

 

  1. Grenzüberschreitender Austausch von elektronischen Beweismitteln

 

„E-evidence“ soll es Ermittlungsbehörden einfacher machen, länderübergreifend auf elektronische Beweismittel zuzugreifen.

 

Forderung: Vorläufige Einigung zu e-evidence vom 30.06.20 sollte geprüft und schnellstmöglich der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen werden.

 

  1. Einheitliche Begrifflichkeiten

 

Sehr unterschiedliche nationale Begrifflichkeiten machen bei grenzüberschreitenden Straftaten die Einordnung oft sehr schwer. Gemeinsame Definitionen und harmonisierte Schwellenwerte können dazu beitragen, Kindermisshandlungsprozesse europaweit zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.

 

Forderung: EK auffordern, auf der Basis der Luxembourg Terminology Guidelines von 2018 (LTG) die mit den Begrifflichkeiten bestehenden Probleme zu identifizieren und die LTG in Form einer Richtlinie umzusetzen.

 

  1. Regelmäßiges Monitoring

 

Inwieweit die Entwicklung der Fallzahlen auf eine tatsächliche Abnahme bzw. Zunahme zurückgeführt werden kann, oder ob andere, bislang unerforschte Gründe vorliegen (verändertes Problembewusstsein, besseres Meldeverhalten, gesetzgeberische Maßnahmen, oder Veränderungen der IT-Rahmenbedingungen), darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Die Kinderrechtskonvention der Vereinigten Staaten schreibt solch ein regelmäßiges Monitoring schon seit langem vor.  Kriminologische Untersuchungen liegen hierzu kaum vor.

 

Forderung: EK auffordern, mit einer Richtlinie die erforderliche Datenerhebungen zwingend vorzuschreiben, eine wissenschaftliche Studie zu diesem Thema zu vergeben und durch Wiederholung methodisch hochwertiger Befragungen zu ermitteln, welche Wechselwirkungen veränderte Parameter haben.

 

  1. f. Mindestdatenspeicherung

 

Anders als an klassischen Tatorten, an denen es vom Augenzeugen bis zum Fingerabdruck zahlreiche Spuren gibt, liefern die Telekommunikationsverkehrsdaten im digitalen Raum oft die einzige Spur zum Täter. Bei diesen Telekommunikationsverkehrsdaten handelt es sich um rein technische Daten, nicht um Inhalte von Telefongesprächen oder SMS. Mithilfe der IP – Adresse lässt sich ermitteln, von welchem Telefonanschluss (Festnetz oder Mobilfunk) eine Internetverbindung hergestellt wurde.

 

Da hinter einem solchen Telefonanschluss eine Person oder Firma steht, kann die IP-Adresse die Polizei so zum Täter führen. Auf Grund des Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der die deutsche Gesetzeslage als mit Unionsrecht nicht vereinbar ansah, findet eine Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat beim Service Provider derzeit faktisch nicht statt. Dies verhinderte in der Vergangenheit die Aufklärung vieler Tausender Hinweise die den nationalen Strafverfolgungsbehörden vorlagen – und  ermöglichte so den andauernde Missbrauch einer großen Zahl von Kindern. In 93% der Fälle wird das CSEA-Material innerhalb 72 Stunden nach Meldung entfernt.

Forderung: EK auffordern, das Thema Mindestspeicherfristen für den CSEA-Deliktsbereich mit einer Richtlinie zu regeln und bis dahin die MS mit Nachdruck aufzufordern und dabei zu unterstützen, EU-gerichtsfeste nationale Regelungen einzuführen.

 

  1. Strafverfahren vor Gericht

 

  1. Vermeidung von sekundärer Viktimisierung

 

Individuelle Beurteilung des Kindes, um ein Trauma des Kindes durch das Gerichtsverfahren und damit eine sekundäre Viktimisierung soweit wie möglich einzuschränken. Justiz muss altersgerecht, zügig, sorgfältig und den Bedürfnissen und den Rechten des Kindes angepasst sein. Kinderfreundliche Justiz durch getrennte Warteräume für Täter und Opfer, Verwendung von Videoaufzeichnungen der Zeugenaussage des Opfers. Seit Jahren fehlen Anstrengungen, die definitorische und terminologische Klärung des Begriffes der Sekundärviktimisierung. Neben dem individuellen Leid in der Tatphase fehlen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse

zu den gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen, wie schon 2012 in der Traumafolgestudie (Habetha et al) festgestellt.

 

Forderung: EK wird aufgefordert, eine EU-weite Studie zu dieser Thematik zu erstellen, um eine einheitliche Definition zu erhalten und die gesellschaftliche Last der Traumafolge-Störungen europaweit abschätzen zu können.

Die MS werden aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass die Opfer während des Entschädigungsverfahrens keine sekundäre Viktimisierung erleiden

 

  1. Entschädigungsmechanismen

Entschädigungsmechanismen, die an Fristen gebunden sind, müssten in Missbrauchsfällen angepasst werden, damit die z.B. durch Scham begründete Verzögerung bei der Anzeige nicht eine Beantragung von Entschädigung unmöglich macht.

 

Forderung: EK ist gehalten, die Entschädigungsvorschriften der EU zu überwachen und ggf. anzupassen und die MS sind gehalten, die nationalen Entschädigungsregelungen zu bewerten und ggf. die bestehenden verfahrensrechtlichen Hürden zu beseitigen.

 

  1. Schulung von Personen im Ermittlungs- und im Strafverfahren

 

Die im Ermittlungs- und Strafverfahren Tätigen sollten speziell für den Umgang von Kindern, die missbraucht wurden, geschult bzw. zu entsprechenden Weiterbildungen verpflichtet sein.

 

Forderung: MS sollten Schulungsmaßnahmen für Justiz- und Strafverfolgungsbehörden fördern u.a. durch verstärkte Zusammenarbeit mit dem Europäischen Netz für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten und der Agentur der Europäischen Union für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Strafverfolgung (CEPOL);

 

  1. Abschreckendes Strafmaß für Täter von Kindesmissbrauch und Produktion, Besitz und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen/-fime (CSEA-Material)

 

Sexueller Missbrauch von Kindern und Produktion, Besitz und Verbreitung von CSEAM sollte in allen EU-Staaten als Verbrechen mit hohem Strafmaß festgelegt werden, um die abschreckende Wirkung zu erhöhen.

 

Forderung: Mitgliedstaaten sollten den sexuellen Missbrauch von Kindern und den Besitz bzw. die Verbreitung von Kinderpornographie in dem nationalen Strafrecht als Verbrechen mit hohem Strafmaß von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe vorsehen.

 

 

  1. Opferrechte

 

Forderungen der EU-Strategie für Opferrechte vom 24.06.20 müssen analysiert und bewertet werden. Unter anderem könnten folgende Aspekte, die Opferrechte stärken.

 

  1. Effizientere Opferrechte

 

  1. Nationale Opferschutzstrategien

 

Erstellung von nationalen Opferschutzstrategien, die einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz für die Opferrechte verfolgen und alle Beteiligten einbeziehen, die mit den Opfern in Kontakt kommen können. Dabei sollte ein eigener Abschnitt für die besonders schutzbedürftigen Opfer wie Kinder vorgesehen werden.

 

  1. Plattform für Opferrechte

 

Einrichtung einer zentralen Informationsplattform auf EU-Ebene, möglichst bei vorhandenen Organisationen, wie dem Europäischen Crime Prevention Network (EUCPN) oder bei Europol (EC3) zum Thema Opferhilfe und Opferschutz, welches die entsprechenden Akteure zusammenführt und einen Austausch über bewährte Verfahren und einen Dialog ermöglicht. Hierbei sollten auch die für den Kampf gegen Kindesmissbrauch zuständigen Organisationen teilnehmen und innerhalb der Sitzungen das Vorankommen der Strategie für einen wirksameren Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern evaluiert werden.

 

  1. Kinderhäuser

 

Kinderhäuser, die integrierte und zielgerichtete spezialisierte Unterstützungsdienste ermöglichen, sollten in jedem MS eingeführt werden und können in die bereits bestehenden Strukturen eingebaut werden.

 

  1. Informationskampagnen

 

Opfer wissen oft nicht wie und wo sie Hilfe erhalten können.

MS sollen das Angebot der Opferhilfe des Opferschutzes und die europaweit für Opferhilfe geltende Nummer 116006, unter der jederzeit Hilfe und Unterstützung erhalten werden kann, durch Informationskampagnen bekannter machen.

 

  1. Internationale Ebene

 

Stärkung der Zusammenarbeit mit internationalen und regionalen Partnern wie den Vereinten Nationen und dem Europarat, um hohe internationale Standards für Kindesmissbrauchsopfer zu fördern.

  • Eine EU-Strategie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs muss auf dem Boden UN-Konvention über die Rechte des Kindes (CRC 1992) und der Kinderrechte-Strategie des Europarates (2016-2021) stehen und mit der bevorstehenden umfassenden EU- „Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ (2020), der EU-“Interim Regulation on the processing of personal and other data for the purpose of combatting child sexual abuse” (COM(2020) 568 final), und dem Eurojust Action Plan 2020 in Einklang stehen.
  • Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden und Hilfsorganisationen von Drittstaaten sowie konsularischen Behörden und Hilfsorganisationen der EU-Mitgliedstaaten muss gestärkt werden, um den Zugang zur Justiz für in Drittstaaten geschädigte EU-Bürger zu erleichtern. Die Erkenntnisse aus dem 2020 SIRIUS EU Digital Evidence Situation Report von Eurojust, Europol und EJN und dem Europol-Bericht IOCTA 2020 sind umzusetzen. Die Vermögensabschöpfung bei CSEA-Tätern ist zu intensivieren.
  • Unterstützung von „WeProtect“, dem weltweiten Bündnis zur Beendigung der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Internet.

 

[1] https://www.dkhw.de/schwerpunkte/kinderrechte/koordinierungsstelle-kinderrechte/die-kinderrechte-strategie-des-europarates/

[2]file:///Users/uwe/Downloads/InterimRegulationontheprocessingofpersonalandotherdataforthepurposeofcombattingchildsexualabuseCOM2020568final.pdf

[3] Artikel 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention

[4] http://luxembourgguidelines.org/german/

[5] https://ec.europa.eu/commission/commissioners/2019-2024/johansson/announcements/speech-commissioner-johansson-webinar-preventing-and-combating-child-sexual-abuse-exploitation_en

[6] 11.11.2020 DW: https://www.dw.com/en/australia-police-expose-global-child-sex-abuse-ring/a-55560115

[7] Léonie Chao-Fong, Express, Thu, Nov 7, 2019: https://www.express.co.uk/search?s=L%C3%A9onie%20Chao-Fong&b=1; Nach der vietnamesischen (Hellfeld-)Statistik wurden von 2011 bis 2017 über 2.700 Fälle mit fast 6.000 Opfern angezeigt. 2018 wurden in China nach einer monatelangen Operation über 1.100 gehandelte Frauen befreit.

[8] https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/alumni/alumnicampus/AC_8_2012/i34-36__hueneke.pdf

[9] Beispiel: Das “Safer Internet Plus Programme” finanzierte das CIRCAMP-Projekt “Cospol Internet Related Child Abusive Material Project”, das unterschiedliche und multinationale Ansätze zur Verhinderung der Herstellung und/oder Verbreitung von Missbrauchsabbildungen, -filme,  oder -texte  unterstützte (IRC, GIGATRIBE, PEER 2 PEER, NEWSGROUPS, GROOMING); CIRCAMP war schon 2004 gegründet worden und wird von Europol und Interpol unterstützt. Ziele sind die Entdeckung und Zerschlagung von jeglichen Organisationsstrukturen für die Produktion und/oder Verteilung von Missbrauchsabbildungen/-filme, die Täter und Opfer zu identifizieren und die Missbrauchsfälle zu beenden. Den besseren Ansatz bildet der Auftrag, den das EU-Internetforum im Sommer 2020 erteilte. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein

[10]https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sexualisierte-gewalt-kinder-sexueller-missbrauch-kinderpornografie-anhoerung-bundestag-strafrahmen-verbrechen-keuschheitsprobe/

 

[11] National Center for Missing & Exploited Children; 2019 erhielt da BKA rund 60.000 Hinweise, die gesichtet und dann zuständigkeitshalber an die Landespolizeien und Staatsanwaltschaften in den Bundesländern geleitet wurden. 2017 waren es noch 35.000 Hinweise. Den meisten Hinweisen konnte jedoch nicht mehr nachgegangen werden, weil die Provider die Daten nicht mehr vorhalten. 2017 konnte die Kinderpornographie-Plattform „Elysium“ mit über 11.000 Nutzern aus aller Welt abgeschaltet werden: Vier Deutsche wurden 2019 zu Haftstrafen von bis zu 10 Jahren verurteilt.

[12] Quelle: Meier, B. D. & Hüneke, A. (2011). Forschungsbericht „Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet“. Kriminalwissenschaftliches Institut der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, Hannover

[13] Copine-Skala (Combating Paedophile Information Networks in Europe) nach der das Bild-/Filmmaterial kategorisiert wird, um einen Überblick der Schwere des Missbrauchs zu erhalten (Stufe 1-3: strafrechtlich nicht relevant, Stufe 4-6 „Posing Material“, Stufe 7-10 „echte“ Kinderpornografie)

[14] www.praevention.org/fachinformationen

[15] https://www.karger.com/Article/PDF/467399

[16] https://d-nb.info/1164077368/34

[17] Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union L 315/7 DE 14.11.2012 (2012): Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI.

[18] Basisuntersuchung JIM (Jugend, Information, (Multi-)Media) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest

[19] Universität Mannheim Studie 2016 von Dr. Karin Knop

[20] http://www.mikado-studie.de/tl_files/mikado/upload/MiKADO_Zusammenfassung.pdf

[21] Wetzels, 1997: Gewalterfahrung in der Kindheit – Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und langfristige Konsequenzen (Bd. 1)

https://www.bke.de/content/application/explorer/public/newsletter/2013/august/hintergrundinfo_projektbeschreibung_kein_taeter_werden.pdf

[22] Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Positionspapier 2020

[23] https://standpunktonline.com/100-millionen-kinder-und-jugendliche-leben-in-der-eu/

[24] Statista Research Department, 22.06.2020: Im Zeitraum von 2008 bis 2019 schwankt die Zahl der Opfer zwischen 13.500 und 15.700 (Opfer gem. §§ 176, 176a und 176b StGB); In über 90 % der Fälle findet der sexuelle Missbrauch im Alter von 6 bis 14 Jahren statt.

[25] https://www.hilfeportal-missbrauch.de/informationen/uebersicht-sexueller-missbrauch/zahlen-und-fakten.html

[26] K. M. Beier et al. (2007): Das Präventionsprojekt Dunkelfeld. Der Berliner Ansatz zur therapeutischen Primärprävention von sexuellem Kindesmissbrauch

[27] https://www.behoerden-spiegel.de/wp-content/uploads/2019/10/Moderne_Polizei_Cyber_Polizei.pdf

[28] https://community.beck.de/2011/09/12/erfolgreiche-bekaempfung-der-internetkriminalitaet-durch-zentralisierung-in-der-justiz

[29] Das Forschungsteam um Prof. Dr. Franziska Boehm am Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft (ZAR) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) leitet dabei federführend die Erforschung der rechtlichen Rahmenbedingungen und soll so den Grundstein für eine nachhaltig rechtskonforme Softwareentwicklung legen.

[30] https://www.deutschlandfunk.de/sexualisierte-gewalt-im-sport-forschungsprojekt-voice.1346.de.html?dram:article_id=366784

[31] 10.06.2020 ZEIT: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-06/christine-lambrecht-cdu-hoehere-strafen-kindesmissbrauch-muenster

[32] https://www.polizei.de/Polizei/DE/Einrichtungen/ZAC/zac_node.html

[33] Ausführlich und lesenswert: https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/abschlussberichtkipost.pdf

[34] 2019 IOCTA: Die Zahl der Hinweise von Industrie und Drittstaaten steigt rasant. 2017 kamen aus den USA noch 44.000 Hinweise, 2019 waren es bereits 170.000. Hinweise aus Kanada stiegen ebenfalls von 6.000 (2018) auf 24.000 (2019). Mindestens 17 andere EU-MS erhielten von Europol ebenfalls Hinweise, die aus den USA stammten; alle EU-MS erhielten auf diesem Weg Hinweise aus Kanada, wo die gesetzliche Verpflichtung zur Mitteilung von CSEM an die staatlichen Behörden (in den USA: an NCMEC, eine NGO).

[35] Die PKS bildet nur einen sehr kleinen Teil der tatsächlichen Straftaten ab, wie sich unschwer an der erschreckend großen Differenz zwischen den Fallzahlen und den rund 62.000 NCMEC-Hinweisen ablesen lässt. Jedoch muss, zusätzlich zu den Problemen mit der Vorratsdatenspeicherung, berücksichtigt werden, dass nicht jedes gemeldete Foto oder Video tatsächlich strafbare Handlungen enthielt.

[36]https://www.iwf.org.uk/news/iwf-research-on-child-sex-abuse-live-streaming-reveals-98-of-victims-are-13-or-under

[37] IWF: “Therefore, it’s our belief that these children were being ‘directed’ to abuse themselves and live-stream the sexual abuse. “This form of grooming is complicated and only possible because of the ‘anonymity’ the internet offers. An offender may be, for example, a 40-year-old man. But by abusing a legitimate internet site to create a false profile, he could appear online as a 12-year-old school girl. Sadly, through this study we saw a range of grooming scenarios that abusers employ.” (Susie Hardgrave OBE, IWF CEO)

[38] Ausführlich: https://www.iwf.org.uk/sites/default/files/inline-files/Distribution%20of%20Captures%20of%20Live-streamed%20Child%20Sexual%20Abuse%20FINAL.pdf

[39] EU-Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, 2000; Art. 13; Art. 5 von Europol’s New Regulation (s. nachfolgende Fußnote)

[40] Europol’s New Regulation:  Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol)

[41] Art. 6 von Europol’s New Regulation

[42] „Kinder“ sind für Europol, wie bei der UN-Kinderrechtskonvention und bei Interpol auch, Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

[43] 2019 IOCTA und NCMEC nach NYT, September 2019

[44] https://www.thehaguesecuritydelta.com/media/com_hsd/report/261/document/iocta-2019.pdf

[45] Schon 2005 waren schätzungsweise eine Million Missbrauchsabbildungen online abrufbar, jährlich kamen ca. 50.000 Bilder sexuellen Missbrauchs von Kindern hinzu, rund 75% der Opfer waren unter 10 Jahre alt (UNODC): Ein pädokrimineller 250- Millionen-Dollar Markt!

Allein beim LKA NW lieferten die Landesbehörden Ende 2020 innerhalb einer Woche über 310 Terabyte an Missbrauchsabbildungen/-filme an, die in der LKA-eigenen Cloud „Forensic Desktop“ zur weiteren Bearbeitung zwischengelagert sind. Diese Cloud fasst 2 Petabyte – bei gleicher Anlieferungsmenge wäre sie in 100 Tagen gefüllt. Zum Größenvergleich siehe Abb. 5.

[46] Tor (ursprünglich für „The Onion Routing“) ist ein Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten und wird als freie und open-source-Software angeboten. Im Januar 2019 nutzten bereits über 2 Millionen User täglich das Tor-Netzwerk.

[47] https://ec.europa.eu/home-affairs/financing/fundings/projects/HOME_2011_ISEC_AG_INT_4000002207_en

[48] 23.05.2016: https://www.enisa.europa.eu/publications/enisa-position-papers-and-opinions/on-lawful-criminal-investigation-that-respects-21st-century-data-protection

[49] http://virtualglobaltaskforce.com/wp-content/uploads/2020/02/2019-Virtual-Global-Taskforce-Environmental-Scan_Unclassi.pdf(Europol)

[50] Australia, Denmark, France, Germany, the Netherlands, Spain, Sweden, the UK, the USA, Europol and Interpol

 

[51] https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/policies/cybercrime/child-sexual-abuse/global-alliance-against-child-abuse_en

[52] Die INHOPE-Foundation führt eine Liste aller nationalen Hotlines (www.inhope.org), Hilfe zu Errichtung von Hotlines kann von GSMA angefordert werden: sam.lynch@gsma.com

[53] http://www.circleid.com/posts/20200723-the-state-of-dns-abuse-moving-backward-not-forward/

[54] https://www.europewatchdog.info/en/international-treaties/treaties_and_monitoring/child-abuse/

[55] Deutschland ratifizierte die CoE-Cybercrime Convention erst am 09.03.2009 ( https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/185/signatures?p_auth=4pgzc4nm)

[56] Quelle: https://www.coe.int/en/web/children/underwear-rule#{%2262788258%22:[0]}

In the book, the hand always asks Kiko for permission before touching. Kiko grants permission. When the hand wants to touch inside the underwear, Kiko says “No!”. Parents or carers could use this sequence to explain to children that they can say “No” at any moment.

[57] https://missingchildreneurope.eu/childsexualabuse

[58] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0145213420300545

[59] https://www.unodc.org/documents/AnnualReport/Annual-Report_2018.pdf

[60] https://www.msab.com/de/

XRY (Extraktion, Dekodierung), XAMN (Filter, Visualisierung, Analyse) oder XEC (Management, Datentransfer, Protokoll)

[61] Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frontex)

[62] Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF)

[63] Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC)

[64] Das Abkommen fußt auf dem 2017 von Europol erfolgreich gestarteten Projekt SIRIUS, dem alle EU-MS und 17 Drittstaaten angehören. SIRIUS bietet Richtlinien für die Zusammenarbeit mit über 40 Online Service Provider (OSP) und eine Datenbank mit den Kontaktadressen von über 250 weiteren OSPs, stärkt die direkte Kooperation zur elektronischen Beweissicherung zwischen EU-Strafverfolgungsbehörden und Online Service Provider und fördert den Erfahrungsaustausch zur Anwendung von EU-Regelungen in den USA

[65] Gesetzlich geregelte Aufbewahrungsfristen: Lettland: 18 Monate; Belgien, Dänemark, Estland: 12 Monate; Tschechien 6 Monate; Bulgarien 3 bis zu 6 Monate, Lettland 6 bis zu 12 Monate; Finnland 3 Monate.

[66] Eurojust’s right of initiative to establish cooperation with Europol on case-related work, Fundstelle: https://www.eurojust.europa.eu/sites/default/files/Publications/AnnualReport/EUROJUST-CAAR2019_EN.pdf

[67] Im Zuge komplexer koordinierter Operationen kann auch ein gemeinsamer Aktionstag geplant werden, der koordinierte Eingriffe in den verschiedenen am Fall beteiligten Staaten vorsieht und vom Koordinierungszentrum bei Eurojust in Echtzeit unterstützt werden.

[68] Die Konferenz fand in Eurojust statt und brachte mehr als 100 Expereten zusammen, die Fragen zur grenzüberschreitenden Ermittlungen wegen im Darknet begangener online-Delikte im Bereich CSEA diskutierten

[69] Vorläufer war die INTERPOL Child Abuse Image Database (ICAID), die 2001 geschaffen wurde.

ICSE wurde unterstützt von der G8 und u.a. auch von der Europäischen Kommission finanziert, die seit 2017 die Entwicklung der Version 4 finanziert. Diese Datenbank-Version ist in der Lage, Verbindungen zu den nationalen Datenbanken herzustellen, die CSEA-Material speichern, minimiert die Duplikation laufender Verfahren auf internationalem Level, bietet ein online- forum/chat room für Strafverfolger und auch sonst viele technische Verbesserungen zur Arbeitserleichterung.

[70] Andorra, Argentina, Australia, Austria, Belarus, Belgium, Brazil, Bulgaria, Canada, Chile, Colombia, Croatia, Cyprus, Czech Republic, Denmark, Estonia, Finland, France, Georgia, Germany, Greece, Hungary, Iceland, Ireland, Israel, Italy, Japan, Korea, Latvia, Lithuania, Luxembourg, Moldova, Netherlands, New Zealand, Norway, Poland, Portugal, Romania, Russia, Slovakia, Slovenia, Spain, Sweden, Switzerland, Turkey, Ukraine, United Kingdom, United States and Vietnam.

[71]https://www.ecpat.org/news/boys-young-children-greater-risk-severe-online-sexual-exploitation-says-new-research/

ECPAT is a worldwide network of organizations working to end the sexual exploitation of children. We work at all levels, supporting shelters for survivors, training and supporting law enforcement, influencing governments and conducting a wide range of research.

[72] Siehe die Rede der ECPAT-International Executive Directorin Dorothy Rozga vor dem europäischen Parlament am 06.03.2018: „What is needed now is coordinated global action. All countries in the world have committed to ending the sexual exploitation of children. But you can’t end what you can’t measure“.

[73] https://www.behoerden-spiegel.de/wp-content/uploads/2019/10/Moderne_Polizei_Cyber_Polizei.pdf

 

[74] Norway (Driver/Project manager), UK (Co-driver), Ireland, France, Sweden, Italy, Finland, Belgium, Spain, Malta, Denmark, The Netherlands, Poland, and Germany. Co-operation with Norway, Switzerland and New Zealand.

[75] https://edri.org/our-work/edrigramnumber9-12circamp-goodbye-democracy/

[76] https://www.digitale-chancen.de/content/stories/index.cfm/aus.2/key.2648/secid.11/secid2.70/lang.1

[77] See Joris Evers, ‘European Parliament says no to Web site blocking,’ Computerworld, April 12, 2002, http://www.computerworld.com/action/article.do?command=viewArticleBasic&articleId=70115.

[78] “Law enforcement action against such sites is extremely difficult, as site owners and administrators are often situated in countries other than the target country, and often outside the EU. The sites can be moved very quickly, also outside the territory of the EU, and the definition of illegality varies considerably from one state to another.”

[79] Dieser Verband wird im Rahmen des Programms Safer Internet der Europäischen Kommission sowie seit 2014 aus der Fazilität „Connecting Europe“ unterstützt und vertritt gegenwärtig ein Netz aus 51 Hotlines in 45 Ländern, darunter in allen EU-Mitgliedstaaten

[80] https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/directive-security-network-and-information-systems-nis-directive

[81] Study to support the review of Directive (EU) 2016/1148 concerning measures for a high common level of security of network and information systems across the Union (NIS Directive) –N° 2020-665. Wavestone, CEPS and ICF.

[82] https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-measures-high-common-level-cybersecurity-across-union

[83] https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/Expertise_H%C3%A4ufigkeitsangaben.pdf

[84] 09.06.2020: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/hinsehen-und-hilfe-holen-bei-verdacht-auf-kindesmissbrauch/156416

[85] Quelle: Meier, B. D. & Hüneke, A. (2011). Forschungsbericht „Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet“. Kriminalwissenschaftliches Institut der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, Hannover

[86] Copine-Skala (Combating Paedophile Information Networks in Europe) nach der das Bild-/Filmmaterial kategorisiert wird, um einen Überblick der Schwere des Missbrauchs zu erhalten (Stufe 1-3: strafrechtlich nicht relevant, Stufe 4-6 „Posing Material“, Stufe 7-10 „echte“ Kinderpornografie)

[87] https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/alumni/alumnicampus/AC_8_2012/i34-36__hueneke.pdf

[88] http://www.mikado-studie.de/tl_files/mikado/upload/MiKADO_Zusammenfassung.pdf

[89] National Center for Missing & Exploited Children; 2019 erhielt da BKA rund 60.000 Hinweise, die gesichtet und dann zuständigkeitshalber an die Landespolizeien und Staatsanwaltschaften in den Bundesländern geleitet wurden. 2017 waren es noch 35.000 Hinweise. Den meisten Hinweisen konnte jedoch nicht mehr nachgegangen werden, weil die Provider die Daten nicht mehr vorhalten. 2017 konnte die Kinderpornographie-Plattform „Elysium“ mit über 11.000 Nutzern aus aller Welt abgeschaltet werden: Vier Deutsche wurden 2019 zu langen Haftstrafen von bis zu 10 Jahren verurteilt,

 

[90] Wetzels, 1997: Gewalterfahrung in der Kindheit – Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und langfristige Konsequenzen (Bd. 1)

https://www.bke.de/content/application/explorer/public/newsletter/2013/august/hintergrundinfo_projektbeschreibung_kein_taeter_werden.pdf

[91] Statista Research Department, 22.06.2020: Im Zeitraum von 2008 bis 2019 schwankt die Zahl der Opfer zwischen 13.500 und 15.700 (Opfer gem. §§ 176, 176a und 176b StGB); In über 90 % der Fälle findet der sexuelle Missbrauch im Alter von 6 bis 14 Jahren statt.

[92] https://www.hilfeportal-missbrauch.de/informationen/uebersicht-sexueller-missbrauch/zahlen-und-fakten.html

[93] K. M. Beier et al. (2007): Das Präventionsprojekt Dunkelfeld. Der Berliner Ansatz zur therapeutischen Primärprävention von sexuellem Kindesmissbrauch

 

[94] https://beauftragter-missbrauch.de/recht/strafrecht/verdachtsfall-und-anzeigepflicht

[95] Die Verpflichtung zur Strafanzeige bei sexuellem Missbrauch in den bayerischen Regelungen zum Kinderschutzsteht im Widerspruch zum Bundeskinderschutzgesetz.

 

[96] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/09/PD20_363_225.html

[97] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/105364/Jugendaemter-veranlassten-mehr-Inobhutnahmen

[98] https://beauftragter-missbrauch.de/presse/pressemitteilungen/detail/bund-und-laender-gemeinsam-gegen-sexuelle-gewalt-an-schulen

[99]https://www.dgkim.de/dokumente/expertise_aerztliche_versorgung_minderjaehriger_nach_sexueller_gewalt_5_2018.pdf

[100] EU-Kommission leitet gegen 21 Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen unvollständiger Umsetzung der Opferschutzrichtlinie gegen 23 Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen möglicher Nichtübereinstimmung mit der Richtlinie zur Bekämpfung sexuellen Missbrauchs. Innerhalb der Richtlinie über Europäische Schutzanordnung gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den nationalen Regelungen z.B. Dauer der Maßnahmen, Voraussetzung für Verlängerung, darunter leidet die Wirksamkeit der Richtlinie.

 

 

Exponentiell iist der falsche, weil ein mathematischer Begriff, der einen Wachstumsprozess, bei dem sich die Bestandsgröße in jeweils gleichen Zeitschritten immer um denselben Faktor vervielfacht. Wir gerade in Corona-Zeiten gerne oft falsch gebraucht.

 

 

 

 

 

 

 

Studie

zur

internationalen Kooperation

im Kampf gegen

sexuelle Gewalt von Kinder

und Produktion / Vertrieb

von

Missbrauchsabbildungen/-filmen

sexueller Gewalt gegen Kinder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

International Kooperation im Kampf gegen (sexuelle) Gewalt

gegen Kinder und Missbrauchsabbildungen /-filme

sexueller Gewalt gegen Kinder,

Dezember 2020 ©

 

Lean Europe – Uwe G. Kranz

Independent Security Consultant

Obernzell/Germany

 

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This project has been funded with support from the European Parliament. This publication reflects the views only of the author, and the European Parliament or its Members cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein.

 

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Gliederung

 

Vorbemerkungen

 

Summary

 

Internationaler Schutz des Kindswohls

 

Die Lebenswirklichkeit

 

Die Lage in Deutschland

Tatraum Internet

Die Lücken im Recht

Die Opfer

Die Täter

 

Das Dunkelfeld

 

Die Strafverfolgungsbehörden

 

Vorratsdatenspeicherung

 

Die Privatwirtschaft

 

Das BKA

 

Cyberzentren

 

Bilderkennung

 

NCMEC/IWF

Europol

+Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)

+EC3 Co-operationen

 

Eurojust

 

Interpol

 

European Union

 

 

Vorbemerkungen

 

Der Auftrag wurde am 23.10.2020 erteilt, wie vorgegeben umgesetzt und mit Datum vom 31.12.2020 geliefert. Der Auftrag umfasst nur zwei Segmente der Verletzung des Kindswohls, die sexuelle Gewalt gegen Kinder und die Produktion/den Vertrieb von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt gegen Kinder. Diese beiden Segmente überlappen sich natürlich mit den Kriminalitätsphänomenen Kindesvernachlässigung, psychische und physische Gewalt gegen Kinder, Tötung von Kindern, vermisste Kinder, Menschenhandel, Handel mit Kinderorganen und reisende Pädokriminelle.

 

Sie wurden auftragsgemäß nicht abgehandelt, können aber, wie auch eine PPT-Präsentation zum Thema der Studie, nach einem Folgeauftrag ebenfalls recherchiert und analysiert werden. Für den Bereich „Sport und sexueller Missbrauch“ wurde aktuell vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung das Forschungsprojekt „Safe Sport“ gestartet; daher wurde das Thema hier nicht aufgearbeitet. Interessant wäre auch eine Studie zum Thema „Sexueller Missbrauch, Strafmaß und Strafe“, an dem die Uni Passau, Prof. Dr. Holm Putzke (CSU) Interesse hätte (https://www.jura.uni-passau.de/putzke/), der sich derzeit dem Thema „Kirche und sexueller Missbrauch“ widmet, das hier wegen der Spezifik und der geringen Bedeutung in Fragen der internationalen Zusammenarbeit ebenfalls nicht abgehandelt wurde. Zum Thema „künstliche Intelligenz“ empfehle ich einen Forschungsauftrag an Prof. Christian Kronseder von der Fachhochschule Nordwestschweiz für Data Science in Applied Life Science (https://www.fhnw.ch/de).

 

Die mündlich erteilte Auftragserweiterung, einen Fragenbogenkatalog für den Wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments zu erarbeiten wurde kurzfristig umgesetzt und liegt seit dem 10.11.2020 vor.

 

Für diese Studie hätten Experteninterviews vor Ort gemacht werden müssen. Dies war zunächst einmal aus Corona-Gründen nicht möglich. Leider erhielt ich die Letters of Recommendation (LoR) erst am 07.12.2020. Obwohl unverzüglich postalisch mit entsprechenden Anschreiben versandt wurden, hatten bis Jahresende weder der Präsident des BKA; noch der Generalsekretär von Interpol oder der Stellvertretende Direktor von Europol geantwortet. Somit entfiel auch die Möglichkeit, direkt mit den Experten der jeweiligen zentralen Dienste zu kommunizieren oder auf interne Studien

Zurückzugreifen.

 

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde weitgehend das generische Maskulinum verwendet.

 

 

Summary

 

Das Europäische Parlament muss seine Aufgaben im Bereich der Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und der Herstellung, des Besitzes und des Vertriebs von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt gegen Kinder (i.d.F.: CSEA: Child Sexual Extortion and Abuse) annehmen und intensivieren. Gefragt sind „Bold Actions“, die eine beschleunigte Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften, Terminologien, Prozedere, Organisationen, Strukturen, Richtlinien etc. auf EU-Ebene bewirken.

 

Es gibt keinen Mangel an Anti-CSEA-Agenturen (staatliche und nichtstaatliche Organisationen, Einrichtungen, Vereinigungen, oder Spezial-Units). Es gibt eher einen Überfluss internationaler Agenturen (Interpol, ECPAT, NCMEC, WeProtect/Global Alliance, UNODC, CETS Australien, VGT, VITF, GSM Global Alliance, INHOPE u.a.), europaweiter Agenturen (Europol, Eurojust, EFC, EUCPN, CEPOL, CPTF, COSPOL diverse CoE-Initiativen [Lanzarote Committee] oder In-4-mation) bzw. nationaler Agenturen (IWF, CETS-Kanada, u.a.). Gefragt sind Bold Actions, die die parallelen, teil- bis diskongruenten oder gar konkurrierenden Agenturen so weit wie möglich vereinen; Positive Beispiele sind die Fusion von WeProtect & Global Alliance oder die Übernahme der Funktion der European Financial Coalition durch Europol. Als globale Zentralstelle sollte Interpol die Aufgaben und Funktionen konkurrierender Agenturen übernehmen. Auf kontinentalen Ebenen sollten solche Zentren möglichst durch Europol, NCMEC, CETS Australien o.ä. gestellt werden. Auch auf nationalen Ebenen sollten solche Zentren aufgebaut werden (IWF, BKA, CETS Canada…).

 

Eine neue EU-Agentur für CSEA-Prävention sollte sehr sorgfältig geprüft werden, um Duplizierungen mit den Aufgaben und Funktionen von EUCPN zu vermeiden.

Eine neue EU-Agentur für CSEA-Repression ist völlig entbehrlich, ja geradezu kontraproduktiv, da Europols operative Fähigkeiten ausgebaut werden.

Die Europol-Konvention muss dringend fortgeschrieben werden, um der Agentur mehr operative Rechte einzuräumen. Europol muss berechtigt werden, personenbezogene Daten direkt von den OSP und anderen Datenbesitzern der Privatwirtschaft zu erhalten und mit den nationalen Polizeibehörden operativ, ermittelnd tätig zu werden. Das geplante Innovationszentrum und -labor als Ansprechstelle für die national einzurichtenden Zentren ist der richtige Schritt in eine bessere EU-weite Kooperation zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität. Europol braucht auch eine stärkere EU-parlamentarische Kontrolle, um die herrschenden Vorwürfe eines Demokratiedefizits zu beheben.

Es gibt keinen Mangel an Aktivitäten, Strategien, Aktionsplänen, Leitlinien und Regeln. Es gibt eher einen Überfluss.

Ein negatives Beispiel ist CIRCAMP von COSPOL und die damit verbundene Strategie der Blockiersysteme (CSAADF). COSPOL als „Gegenspieler“ von Europol aufzubauen, war eine Aktion von UK und der zuvor geforderten und in der Europol-Konvention zementierten operativer Schwäche Europols. Die damals favorisierten Filter- und Blockiersysteme verhinderten allenfalls die Verteilung des CSEA-Materials.

 

Gefragt sind jedoch Bold Actions zur Ermittlung der Produzenten, die die schrecklichen Verbrechen live begehen (lassen) und das Bild- und Filmmaterial immer wieder neu in die Netze stellen und bei Blockaden ins Darknet ausweichen.

Ein positives Beispiel, geradezu ein Leuchtturm, ist jedoch die 2011 EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie, die in erschreckender Weise nicht beachtet bzw. umgesetzt wurde. Die beiden Evaluierungsberichte von 2016 sollten intensiv studiert werden, sie dienen der Awareness und sind Handlungsanleitung für die parlamentarische Kontrolle der Planungen und Handlungen der Europäischen Kommission.

Auch die Leitlinien von 2016, die von der fusionierten internationalen Organisation WePROTECT/Global Alliance to end child sexual exploitation online veröffentlichte („‘Preventing and Tackling Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA): A Model National Response’) ist solch ein Leuchtturmprojekt, das weiterverfolgt, bzw. reanimiert werden sollte. Diese Leitlinien sollte es Staaten ermöglichen, die eigene Gesetzgebung, ihre Strukturen und Organisationen zu überprüfen, Schwachstellen zu erkennen und Maßnahmen zu priorisieren, um die Selbstverpflichtungen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch effektiver umzusetzen. Das Europäische Parlament sollte sich dieser Leitlinien annehmen und sie aktualisiert umsetzen.

 

Laufende Projekte, die sich bewährt haben (Joint Investigation Teams, HAVEN, TWINS, TraceAnObject, J-CAT, Say No!campaign, GSM Global Alliance o.ä.) sind zu intensivieren und fortzuführen. Die wachsende Problematik des self-generated-explicit materials (SGEM) muss aufgegriffen werden. Schwerpunkt muss auch die Präventionsarbeit werden (siehe z.B. das „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD), Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“) – das heißt jedoch nicht,

dass eine neue Agentur geschaffen werden muss.

 

Schwerpunkt muss eine einheitliche, technische Antwort auf die Bilderflut werden. Dies verlangt eine enge Zusammenarbeit mit des Online Service Provider, den Tech-Giganten und der internationalen Strafverfolgungsbehörden. Ein positives Beispiel könnte die deutsche “Sicherheitskooperation Cybercrime”, sein, deren Ziel es ist, die phänomenologischen Erkenntnisse zu vertiefen, gemeinsame strategische Konzepte zur Bekämpfung von Cybercrime zu entwickeln, effektive Präventionsmaßnahmen abzuleiten und den technischen Wissenstransfer zu erweitern. Dort muss jedoch der Ansatz zur CSEA-Kriminalität verstärkt werden. Wie sich das EU-Projekt TITANIUM in 2021 entwickelt, muss sich noch herausstellen.

 

Eine EU-weite Studie zur „gesellschaftlichen Last von Traumafolge-Störungen“ sollte vergeben werden.

 

Die Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft muss durch gezielte Maßnahmen institutioneller Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden.

 

EU-weit einheitlich muss mehr Information, Aufklärung und Sensibilisierung über die Auswirkungen und langfristigen Folgen sexualisierter Gewalt erfolgen, um die Betroffenenperspektive durch Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für Betroffene sexualisierter Gewalt zu stärken; Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters sollte ein Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden;

 

Eine der Schwachstellen ist offensichtlich die Justiz. Hierfür sollte eine eigene Studie erstellt werden.

Internationaler Schutz des Kindswohls

 

Kindesmissbrauch und Kinder’pornografie‘ sind besonders schwere Formen der Verletzung des Kindswohls, das seit 1989 weltweiten Schutz durch Art. 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention genießt.

 

Auch der Europarat aktualisierte in Sofia seine Kinderrechte-Strategie (2016 bis 2021), in der das Kindswohl garantiert wird, insbesondere durch das Recht auf gewaltfreies Leben für alle Kinder (A life free from violence for all children), durch kindergerechte Rechtsprechung und Verwaltungshandeln (Child-friendly justice for all children) oder durch die Achtung der Kinderrechte in der digitalen Welt (Rights oft the child in the digital environment).[1]

 

Nach Artikel 3, Absätze 3 und 5 des Vertrags über die Europäische Union vom 26.10.1992 verpflichteten sich die EU-Mitgliedsstaaten ausdrücklich und, gleichsam verstärkend gleich in zwei Absätzen, die Menschenrechte, insbesondere die Rechte des Kindes zu schützen.

 

Auch die EU-Charta der Grundrechte, wofür eigens die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) eingerichtet wurde, schützt das Kindswohl. Danach haben Kinder einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Insbesondere sind Kinder vor allen Formen der Gewalt zu schützen.

 

2011 wurde außerdem die „EU-Agenda für die Rechte des Kindes“ angenommen, deren Umsetzung jedoch auch nur schleppend vorangeht, wie das Beispiel der EU-einheitlichen Notfall-Hotline 116 000 , die Hotline für vermisste Kinder, zeigt: Diese war auch zehn Jahre später immer nur in zwei Drittel der Mitgliedsstaaten installiert. Inzwischen sind aber sowohl diese Hotline als auch die europäische Notrufnummer 112 in allen EU-MS eingerichtet

 

Am 09.06.2020 kündigte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson angesichts der steigenden Fallzahlen an, europaweit den Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch zu stärken und will hierzu eine europäische Strategie vorlegen. Vor allem brauche die Polizei für die grenzüberschreitende Kooperation mehr Training und Technologie und die großen Internetfirmen müssten in die Pflicht genommen werden. Auch das eine Forderung, die schon recht alt ist.

 

Am 24.07.2020 wurde im Rahmen der EU-Strategie über die Sicherheitsunion als Sofortinitiative die „EU-Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ verabschiedet. Vorgeschlagen wurden darin: Neue Rechtsvorschriften, die die Betreiber von Online-Plattformen verpflichten, die Weitergabe dieser illegalen Inhalte aufzudecken und zu melden, sowie eine Prüfung, ob ein neues Europäisches Zentrum zur Prävention und Bekämpfung des Kindesmissbrauchs eingerichtet werden kann.

 

Am 10. September 2020 wurde von der Europäischen Kommission eine EU-“Interim Regulation on the processing of personal and other data for the purpose of combatting child sexual abuse” vorgeschlagen (COM(2020) 568 final).[2] Diese Übergangsverordnung ist Voraussetzung dafür, dass Service-Provider weiterhin freiwillig dabei mithelfen können, Missbrauchsabbildungen und -filme im Internet aufzudecken und zu entfernen, denn ab dem 21.12.2020 tritt der „Europäische Kodex für die elektronische Kommunikation“ in Kraft, wonach bestimmte Online-Kommunikationsdienste (wie z.B. Webmail oder Messaging-Dienste), nach den Regeln der e-Privacy-Richtlinie behandelt werden müssten. Das Europäische Parlament und die EU-Kommission müssen dieser Regelung noch zustimmen, ehe sie vermutlich im zweiten Quartal 2021 zwingend in Kraft treten.

 

Die UN-Kinderrechtskonvention (Convention on the Rights of Children – CRC) wurde inzwischen von allen EU-Mitgliedsstaaten (EU-MS) ratifiziert. Deutschland hatte die Kinderrechtskonvention zwar am 06.03.1992 ratifiziert, zunächst jedoch nur unter dem Vorbehalt des Vorranges des Ausländerrechts, das die Abschiebung auch von Kindern vorsah. Am 15.07.2010 wurde dieser Vorbehalt offiziell zurückgenommen, so dass seitdem auch in Deutschland “bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgan getroffen werden, … das Wohl des Kindes … vorrangig zu berücksichtigen ist”[3].

 

Obwohl Deutschland seit 1989 allen internationalen Verträgen und Konventionen zum Schutz von Kindern vor körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt beitrat, sie unterzeichnete und ratifizierte, dauerte es immerhin noch bis zum Jahre 2000, um das „Recht auf eine gewaltfreie Erziehung“ zu kodifizieren. Bis dahin waren Schläge als „Erziehungsmaßnahme“ nicht verboten.

Kinder ’pornografie‘?

International wird, wie auch vom deutschen Unabhängige Beauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern (UBSKM) gefordert, strikt der Terminus Kinder- oder Jugend’pornografie‘ vermieden. Pornografie ist ein Begriff, der für Erwachsene benutzt wird, die sich einvernehmlich in sexuellem Bild-/Filmmaterial darstellen, das meist rechtmäßig danach zum sexuellen Vergnügen vertrieben wird.

Mit dem Begriff ”Kinderpornografie” wird der sexuelle Missbrauch und die sexuelle Ausbeutung trivialisiert; das gilt auch für ähnliche Begriffe wie „kiddy porn“, „child porn“, „Kinderprostitution“. „Sugar Daddy“ oder „(Kinder)Sextourismus“, Begriffe, die gerne von Pädokriminellen selbst verwendet werden. Damit verbietet sich die Benutzung solcher Begriffe durch Strafverfolgungsbehörden, die Justiz, der Medien oder in der Öffentlichkeit.

Es gilt der Grundsatz: Wenn Kinder beteiligt sind, ist es keine Pornografie; Dann ist es sexueller Missbrauch und es ist ein Verbrechen.

Die auch hier in dieser Studie verwendeten richtigen Begriffe wurden in den so genannten Luxembourg Terminology Guidelines, einem 131-seitigen Terminologischen Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt, beschrieben[4]. Dieser Leitfaden wurde von einer Gruppe von 18 internationalen Partnern, darunter auch ECPAT und Interpol, im August 2018 vereinbart:

Abb. 1

Ausschnitt; Die gesamte Leitlinie liegt auch in deutscher Sprache vor

Ausbeutung (child sexual exploitation) oder sexueller Missbrauch (child sexual abuse) von Kindern werden im internationalen Raum mit den Akronymen CSE oder CSA bezeichnet, existieren aber auch zusammengezogen (CSEA), häufig auch mit einem angehängten „M“, das für Material steht. In dieser Studie werden daher die international vereinbarten Akronyme verwendet.

Die Lebenswirklichkeit

 

Auf dem Papier sind die Rechte der Kinder und das Kindswohl scheinbar aufs Beste geschützt, sogar weltweit.

 

Die Lebenswirklichkeit zeigt aber erschreckend viele und erschreckend heftige Diskrepanzen. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche weltweit signifikant angestiegen. Von einer Million Fälle des sexuellen Missbrauchs in 2010 auf 17 Millionen Fälle in 2019.Im gleichen Zeitraum stiegen die Fallzahlen in Europa von 23.000 auf 800.000.[5] Dem LKA Nordrhein-Westfalen lieferten die Strafverfolgungsbehörden des Landes Ende 2020 in einer Woche 5 Millionen neue Bilder an, 310 Terabyte. Bei ungebremster Fortsetzung dieses Trends würde die neu eingerichtete polizeiinterne Cloud, dem „Forensic Destop“, die eine Größe von zwei Petabyte hatte, in nur 100 Tagen gefüllt.

 

Kindesmissbrauch hat kriminalphänomenologisch enorm viele Facetten. Sie reichen von psychischer über physischer und sexueller Gewalt mit lebenslangen physischen und seelischen Folgen für die Opfer, bis hin zur Kindstötung. Die sexuelle Gewalt tritt zumeist nicht als isoliertes Ereignis auf, sondern steht oft im Kontext von psychischer und physischer Misshandlung, Vernachlässigung und weiteren Gewalterfahrungen („Bullying, Mobbing“). Sexuelle Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen und die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen stehen in engster deliktischer Nähe, sind unabdingbare Vorbedingungen für die Herstellung und Verbreitung der Bilder, Videos und Filme durch Pädokriminelle.

Regelmäßig erschüttern weltweit Sex-Skandale, in denen Kinder sexuelle Gewalt erleiden und der Markt des darauf basierenden CSEA-Materials boomt wie nie (Missbrauchsabbildungen, -filme, und -texte).

Erst jüngst[6] führte ein Hinweis des US National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) zu einem Ring in Australien, bei dessen Aufdeckung in 128 Fällen weiterführende Spuren zu Tatverdächtigen in den USA, Kanada, Asien und Neuseeland führte. Unter den in Australien festgenommenen 17 männlichen Tätern befanden sich u.a. ein Fußballtrainer und ein Kinderbetreuer. Von den bislang ermittelten 46 australischen Opfer war das jüngste 16 Monate alt, das älteste 15 Jahre, viele der Opfer waren in Kinderbetreungseinrichtungen untergebracht.

2019 berichtete Human Rights Watch, dass viele Tausende Mädchen, Kinder und Jugendliche, aus Vietnam, Kambodscha, Indonesien, Laos, Burma, Nepal, Nordkorea und Pakistan von Menschenhändlern nach China gelockt oder entführt wurden, wo sie für $3.000 bis $13.000 an chinesische Familien verkauft wurden – angeblich als Ehefrauen, eher aber als Sex-Sklavinnen[7]. Ursache für das boomende und brutale Geschäft mit dem Menschenhandel ist Chinas wachsendes Gender-Ungleichgewicht, eine Spätfolge der chinesischen Ein-Kind-Politik (1979-2015). Derzeit sollen in China zwischen 30 und 40 Millionen Frauen fehlen („missing women“).

 

 

Die Lage in Deutschland

 

Die jüngsten Steigerungsraten der bekannt gewordenen Fallzahlen sind exorbitant: In Deutschland wurden 2019 bei der Polizei 14.606 Fälle von sexueller Gewalt an Kindern angezeigt, knapp 800 mehr als im Vorjahr. 2016 waren es noch wenig mehr als 12.000 Ermittlungsverfahren.

 

Die Anzahl von polizeilich erfassten Opfern sexueller Gewalt an Kindern hatte in Vergangenheit (2011 bis 2015) langfristig scheinbar leicht abgenommen, seit 2017 ist jedoch eine signifikante Zunahme zu registrieren:

 

Abb. 2: Opfer sexueller Gewalt an Kindern

Quelle:  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38415/umfrage/sexueller-missbrauch-von-kindern-seit-1999/

 

Regelmäßiges Monitoring fehlt

 

Inwieweit die rückläufige Entwicklung in der Vergangenheit bzw. die drastische Steigerung in den letzten drei Jahren auf eine tatsächliche Abnahme bzw. Zunahme zurückgeführt werden kann, oder ob andere, bislang unerforschte Gründe vorliegen, bspw. ein verändertes Problembewusstsein und ein damit einhergehendes besseres Meldeverhalten – darüber kann nur spekuliert werden.

Dies könnte nur durch eine zwingend vorgeschriebene, umfangreiche Datenerhebungen und durch Wiederholung methodisch hochwertiger Befragungen ermittelt werden. Kriminologische Untersuchungen liegen hierzu kaum vor. Erst im Rahmen eines solchen regelmäßigen Monitorings, das übrigens eigentlich schon vor langem von der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen eingefordert wird, kann sich zeigen, ob eingeleitete Präventionsprogramme und gesetzgeberische Maßnahmen zu einer Verringerung der Prävalenz führen und ob gewährte Hilfen und therapeutische Interventionen Folgebelastungen reduzieren. Hier liegt zwingend Forschungsbedarf vor – auch auf europäischer Ebene.

Tatraum Internet

Die aktuellen Sex-Skandale in Deutschland (z.B. Lügde, Solingen, Bergisch Gladbach, Köln oder Münster) mit Hunderten Kindern als Opfer sexueller Gewalt demonstrieren dagegen eindrücklich die langjährige Arg- und Hilflosigkeit staatlicher Einrichtungen zur Überwachung und Gewährleistung des Kindswohls ebenso, wie die immensen Gefahren des Internet. Nie war es leichter, an kostenloses pornografisches Material zu kommen als heute. Dabei bleibt der Nutzer größtenteils anonym und hat jederzeit die Möglichkeit neue Inhalte zu betrachten.

 

Die im internationalen Raum „Triple A“ genannten Merkmale, mit schnellen Internetverbindungen anonym („Anonymity), kostengünstig („Affordability“) und leicht und ohne Hemmschwellen oder Hindernissen zugänglich („Accessibility“) alle Arten der Pornografie zu konsumieren, beschleunigen natürlich auch die zigtausend fache Verbreitung von Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern (die so genannte „Kinderpornografie“) und an Jugendlichen (die so genannte „Jugendpornografie“). Dieser virtuellen Tatraum überfordert sichtlich und zunehmend die nationalen Strafverfolgungsbehörden.

 

Auch die Verbreitungswege über das Internet weiten sich immer weiter aus – trotz des Zugangssperrengesetzes von 2009. Die Verbreitungswege durch peer-to-peer-Netzwerke, Usernets oder über das World Wide Web werden immer schwieriger zu verfolgen, insbesondere in geschlossenen Benutzergruppen. Dort wird zunehmend mit entsprechenden Verschlüsselungsprogrammen (z.B. AES 128 oder 256, PGP oder RSA) oder mit bereits auf der Festplatte eingebauter Verschlüsselungstechnik gearbeitet (z.B. Bitlocker oder My Passport Ultra). Zusätzlich müssen vor Eintritt in diese Gruppen bestimmte „Leistungen“ erbracht werden, die in der Regel im Einbringen neuer Missbrauchsabbildungen/-filme bestehen.[8]

Die Anfang 2020 von Facebook-Chef Mark Zuckerberg verkündete Initiative, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselungstechnik, die bereits auf WhatsApp installiert ist, auf alle seine anderen Plattformen auszuweiten (Facebook-Messenger oder Instagram), ist ein fatales Signal, auch wenn die Maßnahme dazu dienen soll, die Nutzer vor Hackern und Kriminelle zu schützen.

Das Europäische Parlament sollte verstärkt darauf dringen, dass die Ergebnisse des EU-Internetforums, das Ende 2020 vorliegen sollte, mögliche technische Lösungen zur Aufdeckung und Meldung von CSEA-Materialien vorgestellt werden, wonach alle OSP starke, mehr repressiv ausgerichtete Sicherheitsvorkehrungen einrichten müssen bevor sie Verschlüsselungsinitiativen starten – vor allem für den Schutz vor Kindern, aber auch für den Kampf gegen Extremismus, internationalen Terrorismus, Menschenhandel und andere schwere Kriminalitätsformen. Dies würde die bisherige EU-Politik, nur auf die Blockade von inkriminierten Internetseiten zu setzen, deutlich verbessern.[9]

Die Lücken im Recht

Die Lücken im Recht sind nur teilweise behoben. Beispiele:

 

Seit der Gesetzesänderung vom Januar 2015 ist in Deutschland auch die versuchte Verbreitung und Herstellung von kinderpornografischen Schriften strafbar. Die verbotenen Darstellungen umfassen Aufnahmen sexueller Handlungen aller Art, die vor oder an Kindern oder die von Kindern durchgeführt werden.

Zugleich ist auch im Gesetz klargestellt worden, dass Aufnahmen eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes unter 14 Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung verboten sind. Auch sexuell aufreizende Abbildungen des Genitals oder des unbekleideten Pos eines Kindes sind danach nun ausdrücklich in die Strafbarkeit aufgenommen. Die Herstellung, Besitz, Erwerb und Verbreitung solcher Fotos oder Filme sind strafbar – unabhängig davon, ob das Material in gedruckter oder digitaler Form vorliegt.

Die Verbreitung von „jugendpornografischen Schriften“ – also entsprechenden Darstellungen von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren – ist ebenfalls strafbar (§ 184c StGB). Darunter fällt nach der Gesetzesänderung vom Januar 2015 auch die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung. Davon ausgenommen ist allerdings die Herstellung solcher Bilder zum ausschließlich persönlichen Gebrauch, wenn die dargestellte Person in die Wiedergabe eingewilligt hat.

Seit März 2020 sind zumindest deutsche Ermittler für diese „Keuschheitsproben“ rechtlich besser abgesichert, z.B. wenn sie sich mit computergenerierten Bilder Zutritt zu Darknet-Foren verschaffen oder mit Tätern beim Cybergrooming als verdeckte Ermittler kommunizieren, so dass dieser wegen des versuchten Delikts (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 6 StGB) verfolgt werden kann.

 

Mit einer immer noch ausstehenden Gesetzesänderung sollen die Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet werden, nach einer eingereichten Beschwerde durch einen ihrer Nutzer strafbare Inhalte im Bereich des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornografie an die Zentralstelle im BKA zu melden (Ausleitungsverpflichtung).

 

Um einen besseren Zugang zu (geschlossenen) Missbrauchsforen zu erhalten und deren Nutzer sowie Administratoren zu identifizieren, müssen die Strafverfolgungsbehörden auch digitale Identitäten/Accounts übernehmen und weiterführen können – auch ohne die freiwillige Zustimmung des Inhabers des Accounts, der diese Zustimmung in aller Regel nicht erteilt. Hierzu fehlt eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

 

Ebenso fehlt ein neuer eigenständiger Straftatbestand, der das Betreiben illegaler Plattformen im Darknet generell sanktioniert. Die guten Erfahrungen, wie sie im Kampf gegen Betreiber von Kinderpornografie-Plattformen gemacht wurden, weil hier eine explizite Vorschrift existiert, müssen auch auf andere Plattform-Betreiber ausgedehnt werden, z.B. wenn dort etwa Betäubungsmittel oder Waffen verkauft werden. In diesen Fällen können die Strafverfolgungsbehörden gegen die Betreiber bisher in der Regel nur wegen Beihilfe zu einer Straftat vorgehen. Und da muss der Strafrahmen zwingend gemildert werden. Das wird der Sache und dem Rechtsempfinden nicht gerecht.

 

In der Strafprozessordnung fehlt auch eine explizite Ermächtigungsnorm für eine Beschlagnahme von eMails; die Strafverfolgungsbehörden behelfen sich derzeit mit der Ermächtigungsnorm zur Beschlagnahme von Postsendungen, es wäre aber wünschenswert, die Strafprozessordnung hier zu aktualisieren und zu präzisieren.

 

 

Letztlich fehlt auch eine konkrete, gesetzgeberische Norm zur Herausgabe von Kunden- und Sendungsdaten gegenüber Postdienstleistern, da dazu höchstrichterlich divergierende Auffassungen existieren.

 

Der aktuelle Gesetzesentwurf (GE), der den tatsächlichen Missbrauch eines Kindes als Verbrechenstatbestand einstuft, wird seit Jahrzehnten diskutiert, ist eigentlich längst überfällig und würde auch den Strafverfolgungsbehörden weitere Ermittlungsmöglichkeiten bieten. Die Anhörung im Deutschen Bundestages zu diesem Thema Anfang Dezember 2020 lässt allerdings keine große Hoffnungen aufkommen, dass der GE so wie vorgelegt realisiert wird, auch wenn Justizministerin Christiane Lambrecht (SPD) dies nach einem völlig überraschenden Sinneswandel vollmundig am 11.Juni 2020 immer wieder mit den Worten bekräftigte: „Solche widerlichen Straftaten sind Verbrechen ohne Wenn und Aber“. Staatsanwälte, Richter, Anwälte und Hochschullehrer kritisierten den GE zur Bekämpfung ‚sexualisierter‘ Gewalt massiv.[10]

 

Für alle (europäischen) Ermittlungsbehörden kann das im Ergebnis nur bedeuten, die eigene Digitalisierung zu forcieren. Es bedarf nicht nur einiger weniger „Cyber Cops“ und zentralen Ansprechstellen (die auch nicht überall existieren). Die Digitalisierung aller Lebensbereiche bedarf des Ermittlers 4.0, denn Kriminalistinnen und Kriminalisten müssen die Zusammenhänge verstehen, brauchen profundes technisches Wissen, das bereits während der Ausbildung vermittelt werden muss. Die digitalen Spuren bieten nicht nur neue Möglichkeiten und Ermittlungsansätze, es gibt bereits jetzt Kriminalitätsbereiche, die ausschließlich digital sind. Wir können es uns nicht leisten, diese Kriminalität nur zaghaft zu bekämpfen beziehungsweise dieser Entwicklung hinterherzulaufen

 

Die Opfer

Opfer sind Kinder oder Jugendliche. In der ganz überwiegenden Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten (Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern) gilt die UN-Kinderrechtskonvention (mehr oder weniger direkt), wonach „Kinder“ Personen bis zum 18. Lebensjahr sind; teilweise wird auch der Begriff „Minderjährige“ verwendet. Auch Luxemburg dürfte eher der dieser Ländergruppe zugeordnet werden, obwohl nach einer anderen rechtlichen Grundlage des Landes auch eine Zuordnung zur zweiten Ländergruppe denkbar wäre. In Griechenland gilt die Besonderheit der Minderjährigkeit vom 8. bis zum 18. Lebensjahr („A-Länder“).

 

Nur in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Polen sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert. Die Volljährigkeit tritt mit dem 18. Lebensjahr ein. In Italien und Österreich sind zwar regionale oder altersmäßige Differenzierungen zu beachten, doch können auch diese beiden Staaten noch zu dieser Ländergruppe gerechnet werden. („B-Länder“).

Die geplanten Maßnahmen des Aktionsplanes sind an der Directive 2011/92/EU of the European Parliament and of the Council of December 13 ,2011, on combating the sexual abuse and sexual exploitation of children and child pornography auszurichten, die in ihrem Art. 2 die Definition der A-Länder festschreibt.

In Deutschland erhöhte sich 2019 die Zahl der polizeilich erfassten Delikte von Kinder“pornografie“ um etwa 65 Prozent von 7.450 Fällen (2018) auf mehr als 12.200 Delikte. Eine Vielzahl der Hinweise kam aus dem US-Meldesystem NCMEC.[11]Der Anteil der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern und Jugendlichen, der im Internet im Umlauf ist, wächst seit Jahren rasant. Schon 2011 wurde in einer Studie[12] nachgewiesen, dass etwa 35 % „schwere Übergriffe“ darstellten (Copine-Skala 7-10) und rund 26 % „detailliertes erotisches Posing“ (Copine-Skala 6). Weitere 12 % der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern stellten „Sexuelle Handlungen eines Kindes“ dar (Copine-Skala 7)[13]. Dabei war das Opferverhältnis zwischen Jungen und Mädchen in etwa gleich, den größten Anteil stellten Kinder im Alter von 9 bis13 Jahren (77%), gefolgt von der Altersgruppe der 4- bis 8-jährigen Kinder (20,5%). Die Anzahl jüngerer Opfer im Alter weniger Monate bis drei Jahren nahm schon damals deutlich zu (+2%). Dieser Trend setzt sich bis heute fort und nimmt europa- und weltweit zu.

Die Opferschicksale sind entsetzlich, für die Opfer sexueller Gewalt oft mit schwerwiegenden Folgen verbunden Seelisch, körperlich oder sexuell misshandelte Kinder tragen außerordentlich vielfältige, unspezifische und unterschiedliche Symptome. Auswirkungen von Gewalthandlungen können sich auf der Gefühls-, Verhaltens- und Körperebene ergeben. Dabei spielt die Art der Gewalt und ihre Dimensionen eine Rolle, die Tatsache, ob das Opfer ein Junge oder ein Mädchen ist und Verletzungen, die in einem direkten Zusammenhang zum Missbrauch stehen. In einigen Fällen sind diese drei Faktoren nicht klar zu trennen, da sie miteinander in Verbindung stehen können. Viele leiden nicht nur im Kindes- und Jugendalter, in der Tat- und Nachtatphase unter psychischen Störungen, wobei die Probleme oft bis ins hohe Erwachsenenalter anhalten. Die Folgen von sexuellen Missbrauchshandlungen sind um so größer und die Erinnerungen für das Opfer um so belastender, je größer der Altersunterschied und die verwandtschaftliche Nähe zwischen dem Täter und Opfer ist, je länger die sexuelle Gewalt andauert, je jünger das Kind bei Beginn der Tat ist, je mehr Gewalt angedroht und angewendet wird, je vollständiger die Geheimhaltung und der damit einhergehende Druck auf das Kind ausgeübt wird und weiterhin je weniger beschützende und vertrauensvolle Personen dem Kind als Ansprechpartner zur Verfügung stehen[14].

Zu Auswirkungen sexuellen Missbrauchs auf der Verhaltensebene werden selbstdestruktives Verhalten, Bettnässen, chronisches Weglaufen, wiederholte Suizidversuche gezählt. Jungen werden aufgrund von Missbrauchshandlungen oft aggressiv. Sie wollen ihre Männlichkeit unter Beweis stellen, die Kontrolle behalten, die ihnen so einschneidend genommen wurde und ihre Angst vor Homosexualität kompensieren.

Die Folgen auf der Körperebene sind dadurch gekennzeichnet, dass der Körper, meist unbewusst, auf die Psyche reagiert. Die Folgen sind häufig dissoziative Störungen, Verlust des Identitätsbewusstseins, Kontrollverlust über eigene Körperbewegungen, Lähmungen und Gefühlsstörungen, Verlust oder einer Veränderung von Bewegungsfunktionen, bzw. eines oder mehrerer Körperglieder und Krampfanfälle; in Angstträumen ist das Traumerleben sehr realitätsnah, meist auf die „Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit oder der Selbstachtung“ gerichtet und können ein misshandeltes Kind bis in den Tag hinein verfolgen. Auch Haut- und Magenerkrankungen, sexuelle Dysfunktionen[15], somatische Schmerzzustände, (chronische) Schmerzen im Unterleib und Essstörungen können als Folge von oben genannter psychosozialer Belastung auftreten. Bulimie und Anorexia Nervosa sind sogar sehr häufige Folgeerscheinungen nach dem Erleben von sexueller Gewalt: Das misshandelte Kind lehnt den eigenen Körper ab, Gefühle der Scham, Schuld und ein Strafbedürfnis gegenüber dem eigenen Selbst werden beherrschend.

 

Von besonderer Bedeutung, insbesondere für Opfer im Kindesalter, ist die so genannte Sekundärviktimisierung, die „zweite Opferwerdung“ die begrifflich diejenigen negativen psychischen, sozialen und ggfs. wirtschaftlichen Folgen für das Opfer erfassen, welche nicht unmittelbar aus der Straftat erwachsen, sondern indirekte Folgen sein sollen. Die Erscheinungsformen sekundärer Viktimisierungen sollen quasi spiegelbildlich zu den individuellen Bedürfnissen und Erwartungen des Opfers zur Unterstützung des Bewältigungsprozesses der Straftat, z.B. nach menschlicher Anteilnahme, Einfühlsamkeit und Verständnis, Beratung und Beistand, Schadenswiedergutmachung und angemessener Bestrafung des Täters stehen. Sowohl in der Kriminologie als auch in der Viktimologie hat der Sekundärviktimisierungs-Begriff eine „erhebliche Unschärfe“, zudem fehlen seit Jahren „Anstrengungen, die definitorische und terminologische Klärung“ voranzutreiben[16], d.h. dass bislang noch keine Verständigung darüber gesucht wurde, welche Auswirkungen beim Opfer zwingend feststellbar sein müssen, damit dieses überhaupt als sekundärviktimisiert anzusehen ist.

 

Der Begriff folgt eher einer prozesshaften Perspektive auf sekundäre Folgen, insbesondere in Kinderschutzfällen, welche durch das ungünstige Fallmanagement, durch Belastungen, z. B. im Strafverfahren oder durch Trennungserlebnisse im Rahmen von schützenden Interventionen, ausgelöst werden, deren Nebenwirkungen möglichst geringgehalten werden sollen.[17]

 

Im Rahmen dieser Studie werden diese eher präventionsbezogenen Themen nicht weiter vertieft.

Durch die Traumatisierung und Retraumatisierung nach sexualisierter Gewalt wird nicht nur vielfach individuelles Leid (re-)produziert, sondern auch gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Auswirkungen. Dies wurde schon 2012 durch die sogenannte Traumafolgekostenstudie (Habetha et al) festgestellt. Diese zieht folgendes Fazit:

 

Die Versorgung von Traumatisierten in Deutschland lässt in allen beteiligten Versorgungsbereichen Schwellen und Lücken erkennen, so dass bisher nur ein geringer Prozentsatz Betroffener überhaupt adäquat versorgt wird. Dabei spielen Organisations- und Kommunikationsdefizite im Zusammenspiel der unterschiedlichen Institutionen eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus bedarf es innerhalb einzelner Fachdisziplinen einer Optimierung der Arbeitsweise bzw. stärkeren Fokussierung auf das Thema sowie einer noch breiteren öffentlichen Aufklärung. Aufgrund eklatanter Datenlücken konnten bisher in keinem Land vollständige Folgekosten von kindlicher Traumatisierung erfasst werden, wobei die Datenbasis in Deutschland besonders schmal ist. Vor diesem Hintergrund stellt das Ergebnis in Höhe von 11,0 Mrd. Euro jährlichen Traumafolgekosten für Deutschland eine Annäherung an die realen Kosten dar. Die Trauma-assoziierten Gesundheitskosten allein bewegen sich in einer Größenordnung zwischen 524,5 Mill. Euro und 3,3 Mrd. Euro jährlich. (…) Nicht vergessen werden sollte neben der hier vorrangig dargestellten gesamtgesellschaftlichen Motivation der individuelle Nutzen, der sich in der Reduzierung persönlichen Leidens offenbart.“

 

Eine EU-weite Studie zur „gesellschaftlichen Last von Traumafolge-Störungen“ wäre wünschenswert, die es durch eine Verbesserung der Versorgung zu reduzieren gilt;

Die Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft muss durch gezielte Maßnahmen institutioneller Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden;

EU-weit einheitlich muss mehr Information, Aufklärung und Sensibilisierung über die Auswirkungen und langfristigen Folgen sexualisierter Gewalt erfolgen, um die Betroffenenperspektive durch Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für Betroffene sexualisierter Gewalt zu stärken;

Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters sollte ein Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden;

 

 

 

Die Täter

 

Der überwiegende Teil der Opfer kennt die Täter, meist schon lange vor dem Missbrauch. Mädchen werden zu etwa einem Drittel von Tätern aus dem Umfeld der Familie missbraucht. Jungen werden meist von anderen Bezugspersonen aus dem außerfamiliären sozialen Nahraum missbraucht (Trainer, Lehrer, Pfleger, Chorleiter, Priester, Personen mit ehrenamtlicher oder sonstig beruflicher Beziehung). Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Einzelne Täter bezahlen ihre Opfer dafür, ihnen weitere Opfer zuzuführen („Schlepperfunktion“)

 

Ein Drittel der Täter ist selbst noch im Kindes- oder Jugendalter, Tendenz leicht steigend. Nachdem bereits 2014 in Deutschland in 98 % aller Haushalten mit Jugendlichen ein Internetanschluss verfügbar war (JIM-Studie[18]), ist dies wenig verwunderlich; Schon Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren haben eine Besorgnis erregende „starke Bindung“ an ihr Smartphone, 8 % gelten sogar als suchtgefährdet[19].

Kinder sind heute doppelt so lang online, als vor 10 Jahren.

 

Abb. 3

 

 

Smartphone-Besitz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2019

Veröffentlicht von F. Tenzer, 07.04.2020

 

Neben dem Telefonieren gehören zu den beliebtesten Funktionen das Hören von Musik, das Schauen von Videos (87%), die Nutzung von Kurznachrichtendiensten wie WhatsApp oder Facebook Messenger, der allgemeine Zugang zum Internet und die Kamerafunktion des Smartphones. Auf vielen Handys und Smartphones von Jugendlichen finden sich pornografische Filme oder Bilder, die einfach und in Sekundenschnelle weiterverbreitet werden.

 

Kulturkritiker stellten da schon mal die Frage: „Was the Internet made for porn?“ Dies gilt vor allem für die Generation „Z“, die heute 15- bis etwa 25-Jährigen, die von Geburt an mit Smartphones aufgewachsen ist und die die digitale Technik sozusagen als selbstverständliche Erweiterung der eigenen Person begreift.

 

Die Netz-Kommunikation von Kindern und Jugendlichen beruht zwar zum allergrößten Teil auf schriftlicher Sprache, aber bis zu 80 % aller Jugendlichen ab 13 Jahren haben Erfahrungen mit (Internet)Pornografie, Jungen wesentlich häufiger und intensiver als Mädchen. Bild- und Video-Pornografie schaffen jedoch sexuelle Normvorstellungen. Zwischen dem Ansehen von Pornografie und von Missbrauchsabbildungen/-filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist nur wenig Abstand. Auf jeden Fall werden problematische Rollenbilder internalisiert, Realitätskonzeptionen verzerrt und negative Normalisierungseffekte eingeübt – die Wertewelt gerät ins Wanken, ein besonders gefährlicher Moment in Pubertät und Adoleszenz.

In Social Communitys (z. B. schülerVZ, facebook), Chats, Messengern (z. B. ICQ, msn) und Videoportalen (z. B. YouTube, MyVideo) sind inzwischen sexualisierte Übergriffe leider weit verbreitet, unabhängig davon, ob es sich um Übergriffe unter Heranwachsenden oder von Erwachsenen auf Jugendliche handelt.

Sexualisierte Grenzüberschreitungen können dabei verschiedene Formen annehmen:

  • Verbale sexuelle Belästigung
  • Übertragung sexueller Handlungen auf den Bildschirm über Webcam
  • Konfrontation mit Pornografie
  • Produktion von Pornografie, z. B. durch Aufforderungen oder Überreden in Chats, Nacktbilder preiszugeben bzw. nackt vor einer Webcam zu posieren.
  • Öffentliches Bloßstellen durch Veröffentlichung heimlich bzw. auch gemeinsam erstellter privater/ intimer Videos oder Fotos.
  • Anbahnung von sexuellem Missbrauch.

Kriminalistisch ist ebenfalls besonders bedeutsam, dass zwei Drittel der Täter, die innerhalb der Familie missbrauchen, auch Opfer außerhalb der Familie haben, und dass einzelne Täter häufig viele Kinder missbrauchen.[20]

 

 

Das Dunkelfeld

 

In den meisten Abhandlungen zum Thema der Studie werden Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) verwendet. Diese ist jedoch eine Ausgangsstatistik und dokumentiert in erster Linie die Arbeitsbelastung der Polizei. Nur wenige Forschungen beschäftigen sich mit der Erhellung des so genannten Dunkelfeldes, um die wahre Dimension der (sexuelle) Gewalt an Kindern/Jugendlichen zu erkennen.

 

In Deutschland werden fast neun Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen bis zum 16. Lebensjahr Opfer sexueller Gewalt[21]. Langfristig gesehen (1999-2019) lebten nach Angaben des Statistisches Bundesamtes in diesem Zeitraum in Deutschland zwischen 12 und 10,7 Millionen Kinder/Jahr.

Die Anteile von Jungen und Mädchen sind über die Jahre ziemlich gleich, auch wenn der Anteil der Mädchen etwas kleiner als der der Jungen ist (bis ca. 2 % Differenz). Grob geschätzt dürften in Deutschland danach durchschnittlich pro Jahr etwa 450.000 Mädchen und 150.000 Jungen Opfer sexueller Gewalt gegen Kinder geworden sein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) errechnete für Deutschland eine Million Kinder und Jugendliche, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren.[22]

 

2019 lebten in der Europäischen Union fast 448 Millionen Menschen, darunter etwa 100 Millionen Kinder und Jugendliche[23], das sind circa 21 % der Gesamtbevölkerung Eurostat). Europaweit müssten wir nach dem o.a. Berechnungsmodell mit etwa neun Millionen Mädchen und drei Millionen Jungen als Opfer sexueller Gewalt rechnen.

Die Fall- und Opferzahlen der deutschen Polizeilichen Kriminalstatistik, das so genannten „Hellfeld“, machen dagegen nur einen minimalen Bruchteil aus[24]. Dennoch schätzt das BKA das Dunkelfeld sehr vorsichtig nur auf ca. 1:15, d.h. man müsste mit bei einem Hellfeld von 16.000 Fällen realiter mit 240.000 Fälle rechnen, bzw. bei 15.000 Opfern realiter mit 165.000 Opfer. Andere Untersuchungen (Kavemann und Lohstöter) gehen von einer Relation 1:20 aus, eine allerdings ebenfalls recht konservative Schätzung. Eine neuere deutsche repräsentative Studie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste.[25]

 

Die Studien weichen jedoch in Definitionen, Forschungsdesign, Ein- und Ausschlusskriterien, methodische Artefakte (Rücklauf, Studiendesign, Stichprobenumfang und -gewinnung) z.T. stark voneinander ab und die Datenerfassung in den Versorgungs- und Betreuungssystemen ist grundsätzlich mangels Meldepflichten lückenhaft. Wie sich das Dunkelfeld im europäischen Raum darstellt, müsste von den Wissenschaftlichen Diensten des Europaparlaments bzw. im Rahmen eines noch zu vergebenden Forschungsauftrages genauer festgestellt werden.

Im Ergebnis sind derzeit daher keine klaren, definitiv verlässlichen Aussagen zum Vergleich zwischen Hell- und Dunkelfeld möglich – mit der Ausnahme, dass die Differenz enorm sein wird.

 

In Deutschland konzentrieren sich die präventiven und repressiven Interventionen daher sehr stark (vermutlich zu stark?) auf das polizeiliche „Hellfeld“ d.h. auf den polizei- und justizbekannten Täter. Die Täter des Dunkelfeldes und Männer, die sich selbst in Gefahr sehen, Täter zu werden (Pädophile, potentielle Täter) bleiben meist unberücksichtigt.

 

Pädophile leiden aber unter einer sexuellen Ansprechbarkeit auf kindliche Körper, die sich während der Pubertät manifestiert und von da an bestehen bleibt. Potentielle Täter haben sich diese sexuelle Ausrichtung daher zwar nicht „ausgesucht“, sind aber letztlich alleine verantwortlich für ihr sexuelles Verhalten. Nach ersten vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen[26] sollen rund ein Prozent der Männer auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben. Etwa 250.000 Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren könnten alleine in Deutschland als potentielle Täter angesehen werden? Die tatsächliche Zahl dürfte eher etwas niedriger liegen, da mit zunehmendem Alter auch die sexuelle Ansprechbarkeit und die Triebhaftigkeit zurückgehen, aber eine sechsstellige Zahl potentieller Täter ist auch so schon ausreichend alarmierend.

 

Ihnen wird seit 2004 in Deutschland ein vom Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité ins Leben gerufene „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD)“ Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ angeboten.

 

Ein solches Projekt sollte auf EU-Ebene geprüft werden.

 

 

Die Strafverfolgungsbehörden

 

Alleine die bisher aufgezeigten, exemplarischen Fallkonstellationen und -komplikationen zeigen die ganze Breite des Deliktsfeldes, das es zu beleuchten gilt: Eng verwoben sind pädokriminelle Einzelfälle, Gruppentaten, Sex-Ringe, organisierte Verbrechen, Menschenhandel und komplexe, globale Syndikate.

 

Sexuelle Gewalt gegen Kinder/Jugendliche und Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen sind Deliktsfelder mit internationaler Dimension. Nationale Grenzen verlieren in der Ära Internet rasant an Bedeutung, weil dort der Austausch von Gewaltbildern, -filmen und -videos und sonstiger Daten problemlos und in Sekundenschnelle über Ländergrenzen und Kontinente hinweg möglich ist – mit Internet, Darknet, Chatrooms, und andere digitale Medien und Kanäle sowie mit einem zunehmenden, weil immer leichteren und verbreiterten Einsatz von Verschlüsselungstechnik.

 

Strafverfolgungsbehörden stehen weltweit vor größten Herausforderungen, sie stehen vor einem Tsunami horrender, sich ständig multiplizierender Internetinhalten, sie stehen vor gewaltigen Verschlüsselungsproblemen. Daher verlangt die effektive Bekämpfung dieser Delikte engste, best- und schnellstmögliche Kooperation in- und ausländischer Strafverfolgungsbehörden und braucht die Zusammenarbeit mit Internet Service Providern und mit Firmen aus dem privaten Sektor. Ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), im internationalen Raum als artificial intelligence (AI) bekannt, und hochspezialisierter und -gerüsteter forensischer Unterstützungsteams können große Verfahren auch von großen Sonderkommissionen kaum mehr effektiv bewältigt werden.

 

Fallbeispiel: Im Falle Münster (Gartenlaube) sind alleine bei dem Hauptverdächtigen fast 800 TB Videomaterial sichergestellt worden (1 Terabyte ~ 1012 B). Eine unvorstellbare Datenmenge, für die allein für die erste Sichtung rund 30-40 Mannjahre erforderlich würden – und über 30.000 bereits bekannte Tatverdächtige sind im Visier der Ermittler oder müssen noch identifiziert werden.

 

Für alle europäischen Ermittlungsbehörden kann das nur bedeuten, die eigene Kompetenz in Sachen Digitalisierung zu forcieren. Es bedarf nicht nur einiger weniger Cyber-Cops mehr und auch zentrale Ansprechstellen Cybercrime reichen nicht.[27] Die Digitalisierung aller Lebensbereiche bedarf des Ermittlers 4.0, denn Kriminalistinnen und Kriminalisten müssen die Zusammenhänge vom ersten Zugriff an verstehen, brauchen profundes technisches Wissen, das bereits während der Ausbildung vermittelt werden muss. Die digitalen Spuren bieten nicht nur neue Möglichkeiten und Ermittlungsansätze, es gibt bereits jetzt Kriminalitätsbereiche, die ausschließlich digital sind. Wir können es uns nicht leisten, diese Kriminalität nur zaghaft zu bekämpfen, beziehungsweise dieser Entwicklung hinterherzulaufen.

Dies gilt in besonderem Maße für die Justiz. Viel zu lange vertrat das Bundesjustizministerium die Auffassung, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften zum Thema Cybercrime bzw. entsprechende justizielle Spezialeinheiten nicht zielführend seien.[28]

Dabei kann das für erfolgreiche und zugleich verhältnismäßige Ermittlungen notwendige immense technische Knowhow, das selbst jüngere und mit der Funktionsweise des Internets vertraute Staatsanwälte nicht en passant erwerben und sich erhalten können, nur mit der Einrichtung staatsanwaltschaftlicher Spezialstellen erfolgreich gebündelt werden. Einige Beispiele:

In Hessen wurde schon 2011 eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) mit Sitz in Gießen geschaffen, die eine Sondereinheit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist. Inzwischen macht sie sich einen Namen, weil sie sich auf Hate-Mails zu spezialisieren scheint und Facebook-likes en gros verfolgt.

Bei der Staatsanwaltschaft in Bamberg geht seit 2015 eine 13-köpfige Zentralstelle Cybercrime u.a. gegen „Kinderpornografie“ vor.

Bei der Staatsanwaltschaft in Köln wurde 2016 eine Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC) eingerichtet, die aber mit dem seit 2018 entwickelten Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“ den Schwerpunkt auf Hate-Speechs zu setzen scheint.

Seit 2017 wurde in Sachsen aus der integrierten Ermittlungseinheit Sachsen (INES) die Zentralstelle Cybercrime Sachsen (ZCS) geschaffen, die aber eher für Netzwerkarbeit innerhalb der Staatsanwaltschaften des Landes, für die Aus- und Fortbildung der Staatsanwälte i. S. Cybercrime und nur in umfangreichen Ermittlungsverfahren selbständig und gemeinsam mit dem LKA Sachsen (SN4C) ermitteln, inzwischen auch Clan-Kriminalität. Der Kampf gegen CSEA-Kriminalität verliert sich jedoch im Gewirr von Kompetenzerweiterung (Clan-Kriminalität) und Personalschwund.

 

Missbrauch und die Herstellung/Verbreitung des Bild-/Filmmaterials durch Pädokriminelle kann aber nicht en passant von DOS-Attacken, Cyber-Erpressungen oder Wirtschaftsverbrechen im Zusammenhang mit dem Internet bekämpft werden. Dies verlangt Aus- und Fortbildung, Professionalisierung/Spezialisierung und organisatorische Konzentrierung.

 

 

Vorratsdatenspeicherung

 

Ohne eine gesetzliche Regelung der Mindestspeicherfristen kann die Verbreitung von Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen nicht so effektiv bekämpft werden, wie es erforderlich wäre. Digitale Spuren an „Cyber-Tatorten“ sind daher unentbehrlich für die Aufklärung von Straftaten. Anders als an klassischen Tatorten, an denen es vom Augenzeugen bis zum Fingerabdruck zahlreiche Spuren gibt, liefern die Telekommunikationsverkehrsdaten im digitalen Raum oft die einzige Spur zum Täter. Bei diesen Telekommunikationsverkehrsdaten handelt es sich um rein technische Daten, nicht um Inhalte von Telefongesprächen oder SMS.

 

Solche Telekommunikationsverkehrsdaten sind beispielsweise Beginn und Ende eines Telefongesprächs oder die sogenannten Standortdaten, d.h. die Information, in welche Funkzelle ein Mobiltelefon während der Benutzung eingebucht war. Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Polizei ist außerdem die IP-Adresse, die einem Computer bei jeder Internetsitzung zugeordnet wird und die ebenfalls ein Telekommunikationsverkehrsdatum ist. Mithilfe der IP – Adresse lässt sich ermitteln, von welchem Telefonanschluss (Festnetz oder Mobilfunk) eine Internetverbindung hergestellt wurde. Da hinter einem solchen Telefonanschluss eine Person oder Firma steht, kann die IP-Adresse die Polizei so zum Täter führen, etwa in Fällen von Kinderpornografie, Erpressung oder bei der Terrorabwehr.

Die Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten ist unabdingbar für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Deshalb ordnet in Deutschland das Telekommunikationsgesetz (TKG) an, welche Telekommunikationsverkehrsdaten von den Telekommunikationsanbietern gespeichert und unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen gemäß der Strafprozessordnung (StPO) nach einem Antrag der das Ermittlungsverfahren leitenden Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter und nach dessen Prüfung und Anordnung an die Polizei im Einzelfall herausgegeben werden dürfen.

 

Ausgelöst durch Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die unter Berufung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes die deutsche Gesetzeslage als mit Unionsrecht nicht vereinbar ansehen, findet eine Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat derzeit faktisch nicht statt. Der Grund für die fehlende Umsetzung liegt hierbei nicht in einer gesetzlichen Regelungslücke, sondern in einem Vollzugsdefizit. Die für die Aufsicht und Durchsetzung der Vorratsdatenspeicherung zuständige Bundesnetzagentur hat verwaltungsgerichtliche Urteile zum Anlass genommen, Verstöße der Telekommunikationsunternehmen nicht zu sanktionieren. Durch die aktuell unsichere Rechtslage – eine letztinstanzliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sowie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und möglicherweise auch des Europäischen Gerichtshofes zu den einschlägigen Regelungen in TKG und StPO stehen noch aus – sehen sich viele Telefonanbieter derzeit weiterhin nicht in der Pflicht, Daten auf Vorrat zu speichern.

Schon 2017 berichtete das BKA, dass über 8.000 NCMEC-Hinweise auf entdeckte Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen nicht weiter ermittelt werden konnten, da beim Service Provider die IP-Adresse nicht mehr gespeichert war. Der mögliche andauernde Missbrauch einer letztlich zwar unbekannten, aber sicher großen Zahl von Kindern/Jugendlichen konnte in diesen Fällen nicht gestoppt werden.

2019 berichtete das BKA exemplarisch hierzu einen typischen Fall: 2019 erhielt es vom US-NCMEC einen Hinweis auf einen 17-jährigen, bislang polizeilich nicht in Erscheinung getretenen Täter, der den 7-jährigen Sohn seiner Schwester sexuell missbrauchte, dies live filmte und das Video über soziale Netzwerke verbreitete. Anhand der vorliegenden IP-Adresse konnte der Anschluss der Mutter des Opfers zugeordnet und in den nachfolgenden Ermittlungen der Täter selbst innerhalb von wenigen Tagen identifiziert und festgenommen werden. Die vorliegende IP-Adresse wurde am Tag des Eingangs der NCMEC-Meldung beim Provider angefragt, so dass bei diesem noch Bestandsdaten vorhanden waren. Wäre die Meldung nur zwei Tage später beim BKA eingegangen, wäre dieser Ermittlungsansatz weggefallen. Die Identifizierung wäre zumindest wesentlich erschwert, vermutlich eher aber verhindert worden. Zudem hätte die Gefahr bestanden, dass weitere Missbrauchstaten an dem Jungen verübt worden wären.

 

Die deutsche Polizei hat anhand von zahlreichen Fällen belegt, dass bei fehlender Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten und insbesondere der IP-Adresse die Aufklärung von schweren Straftaten oder die Gefahrenabwehr oftmals nur durch gespeicherte Telekommunikationsverkehrsdaten geklärt/verhindert wurden bzw. ins Leere laufen; die Delikte waren Terroranschläge, Mord, Bandstiftung, Amok, Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen (fast 40 %).

 

 

 

 

Die Privatwirtschaft

 

Unterstützung erhalten die Strafverfolgungsbehörden auch von Facebook, Google, Twitter und Dropbox, die im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern inzwischen im Rahmen des Project Protect“ eng zusammenarbeiten: Mit der PhotoDNA-software von Microsoft werden Missbrauchsabbildungen detektiert, herausgefiltert und gelöscht. Der Informationsverbund stellt sicher, dass gelöschte Inhalte bei den anderen ISP nicht wieder hochgeladen werden können; die Täter wandern dann jedoch zumeist ins Darknet ab.

 

Gerade Ermittlungen im Bereich des zwielichtigen Darknets sind sehr zeitaufwendig und rechtlich problematisch. Aus Mangel an polizeiintern verfügbaren Lösungen oder Ressourcen müssen Analysen zuweilen extern vorgenommen werden. Die Verarbeitung personenbezogener Daten stellt jedoch grundsätzlich einen Grundrechtseingriff dar. Eine Kooperation mit den privaten Analyseanbietern birgt nicht selten die Gefahr einer mangelnder Datenschutz-Kontrolle und kann zur fragwürdigen Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen werden.

 

In diesem Spannungsfeld entwickelte das EU-Projekt TITANIUM (kurz für: Tools for the Investigation of Transactions in Underground Markets) eine mögliche Alternative, die zwar primär zur Bekämpfung von Cyberkriminalität im Zusammenhang mit Kryptowährungen entwickelt wurde, jedoch auch für die Bekämpfung der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen geeignet sei. 15 Partner aus ganz Europa entwickelten in einem interdisziplinären Team unter der Federführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Mitarbeit des BKA eine Software zur rechtskonformen und gerichtsfesten Suche nach öffentlich verfügbaren und vom entwickelten Algorithmus erkannten relevanten Informationen im Darknet und deren Analyse – unter größtmöglicher Wahrung der Grundrechte der Betroffenen[29]. TITANIUM ist seit Januar 2019 in Deutschland, Finnland, Spanien und Österreich in einer mehrmonatigen Testphase. Zwischen- oder Abschlussberichte wurden noch nicht publiziert.

 

In der “Sicherheitskooperation Cybercrime”, die in Deutschland schon seit 2011 besteht, sind neben dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) inzwischen sechs Landeskriminalämter vertreten (BW, NW, HE, NI, RP und SN). Ziel ist, die phänomenologischen Erkenntnisse zu vertiefen, gemeinsame strategische Konzepte zur Bekämpfung von Cybercrime zu entwickeln, effektive Präventionsmaßnahmen abzuleiten und den technischen Wissenstransfer zu erweitern. Wie den Jahresberichten jedoch zu entnehmen ist, wird die CSEA-Kriminalität dort leider aber sehr stiefmütterlich behandelt.

 

Eine weitere bedeutsame Zusammenarbeit findet im Forschungsprojekt VOICE des gleichnamigen Vereins “Voice e. V.” statt[30]. Es dient der Verhinderung sexualisierter Gewalt im Sport. Betroffene Opfer aus acht europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Slowenien, Spanien und Ungarn) sollen Gelegenheit bekommen, ihre persönliche Geschichte erzählen. In Deutschland sind Dr. Bettina Rulofs und Gitta Axmann vom Institut für Soziologie und Genderforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln sind für die Koordination und Gesamtleitung des Projektes zuständig. Dazu arbeiten Universitätspartner, nationale Sportverbände und unabhängige Opferschutzorganisationen in jedem beteiligten europäischen Land zusammen. Der Soziologe Mike Hartill forscht an der Edge Hill Universität in Großbritannien vor allem zum Thema sexueller Missbrauch von Jungen im Sport und appelliert vor allem an Männer, die in ihrer Kindheit oder Jugend im Sport sexuell missbraucht worden sind, sich bei ihm zu melden. European Non-Governmental Sports Organisation (ENGSO Youth), European Gay & Lesbian Sport Federation (EGLSF), European Paralympic Committee (EPC) und die European University Sports Association (EUSA) sind weitere Partner dieses Projekts.

Nach fünf Arbeitsschritten (Working Programms) soll am Ende auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Lehrmaterialien zur Prävention sexualisierter Gewalt im und durch Sport erstellt werden.

 

 

 

Das BKA

 

Die Funktion des BKA als Nationales Zentralbüro der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) und des Europäischen Kriminalpolizeiamtes (Europol) erlangt vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung.

 

Die beim BKA eingerichtete „Zentralstelle Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ nimmt die Aufgaben eines Bindeglieds zwischen in- und ausländischen Strafverfolgungsbehörden sowie die einer nationalen zentralen Auswerte- und Koordinierungsstelle wahr. Beim BKA wird die so genannte „Hashwerte-Datenbank Pornografische Schriften (HashDBPS)“ geführt. Für jedes inkriminierte Bild wird mittels einer speziellen Software ein alphanumerischer Code, der so genannte „Hashwert“ errechnet. Dieser Code ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. So werden bereits erfasste Bilder erkannt und müssen nicht mehr manuell gesichtet werden. Das reduziert die auszuwertenden Bilddateien und entlastet die AuswertInnen und beschleunigt den Auswerteprozess. Datenbestand und Nutzung dieser Datenbank sind jedoch deutlich optimierbar.

Beim BKA eingehende Strafanzeigen und Tat-/Täterhinweise müssen jedoch an die jeweils zuständigen Polizeibehörden in den Bundesländern weitergeleitet werden, da das BKA keine ausdrückliche zentrale bzw. bundesweite originäre sachliche Zuständigkeit für die Verfolgung der Kriminalität im Internet hat.

 

Das BKA erhielt 2019 rund 62.000 Hinweise alleine vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). 2017 waren es über 35.000 Hinweise und 2018 rund 70.000 Hinweise mit Deutschlandbezug. Aus diesen 62.000 Hinweisen des Jahres 2019 ergaben sich 21.600 Fälle, ähnlich so viele wie im Vorjahr. Die Zusammenarbeitsprozesse zwischen NCMEC und BKA wurden inzwischen derart optimiert, dass die Hinweise vom BKA bearbeitet, und schnellstmöglich an die Strafverfolgungsbehörden der Länder weitergeleitet werden können, um dort ohne zeitlichen Verzug Ermittlungsverfahren einzuleiten und diese weiter zu verfolgen. Da die PKS eine Ausgangsstatistik ist, zeigt sie, was in den jeweils vergangenen Jahren bearbeitet werden konnte; insoweit war der Anstieg bei den Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen eine Art Spiegelbild der enormen Zunahmen der Hinweise, speziell von NCMEC. Auch zukünftig wird das NCMEC jährlich weitere Verdachtsfälle in etwa gleichen Größenordnungen melden.

 

Mit entsprechender Gesetzesänderung werden zusätzlich die Anbieter sozialer Netzwerke bei einer eingereichten Beschwerde durch ihre Nutzer verpflichtet sein, strafbare Inhalte im Bereich des sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung der Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen zentral an das BKA zu melden (die so genannte „Ausleitungsverpflichtung“). Auch diese Informationen werden dann schnellstmöglich den örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder zur Strafverfolgung zugeführt. Im Bundeskriminalamt sollen 300 zusätzliche Mitarbeiter gemeldete Postings überprüfen und Nutzer anhand der IP-Adressen identifizieren[31]. Auch will die Regierung einfachere Meldewege, damit Nutzer verdächtige Inhalte schneller melden und Plattformen schneller reagieren könnten.

 

 

Cyberzentren

 

Aus alledem folgt, dass die Fallzahlen in den kommenden Jahren zunächst weiter steigen werden – als Folge effektiverer kriminalistischer Kooperation und verbesserter rechtlicher Rahmenbedingungen, die zusammen eine weitere Aufhellung des Dunkelfeldes bewirken.

 

Die sichergestellten Datenmengen werden mittlerweile jedoch immer größer und ihre Auswertung und Bearbeitung binden erhebliche personelle Ressourcen. Daher hat das BKA sein Personal im Bereich der Bekämpfung von Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen seit 2016 um ein Drittel erhöht und arbeitet permanent an neuen technischen Verfahren zur Informationsgewinnung- und Auswertung.

 

Dies erfordert aber auch und gerade von den Bundesländern noch erhebliche Anstrengungen, um die vom BKA zur Verfügung gestellten, zum Teil enormen Sicherstellungsmengen überhaupt auswerten zu können.

 

Zentrale Ansprechstellen Cybercrime (ZAC) sind beim BKA und bei den LKÄ aller Bundesländer eingerichtet, in Flächenstaaten auch mit analogen Pendants in den Polizeipräsidien, haben vorrangig das Ziel, die Wirtschaft zu informieren und im Falle einer Cyberattacke (Angriffe auf die IT-Systeme, Distributed-Denial-of-Service-Attacken (DDoS),  Betrug, Wirtschaftsspionage, Computer-Sabotage, Ausspähen oder Diebstahl von Unternehmens- und Kundendaten, Erpressung, usw.) zu beraten und zu unterstützen.[32] Sie dienen als „Single Point of Contact (SPoC) für Unternehmen und öffentliche/nichtöffentliche Institutionen. Eine ähnliche oder vergleichbare Struktur gibt es für Cybercrime mit CSEA-Hintergrund kaum.

 

Eine Ausnahme bildet dabei vielleicht das LKA Nordrhein-Westfalen, das in den letzten Monaten einen großen und sehr erfolgreichen Entwicklungssprung im Kontext zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen machte. Zum einen hat es am 23.04.2019 eine Stabsstelle „Revision der kriminalpolizeilichen Bearbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie“ (Stabsstelle KiPo) im Innenministerium eingerichtet, die die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung in diesem Deliktsfeld umfassend überprüfte, Handlungsbedarfe identifizierte, Handlungsempfehlungen für eine optimierte Bearbeitung gab und ein Landescontrolling einführte. Die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der CSEA-Materialien wurden kriminalpolitische und kriminalstrategische Schwerpunkte. Das Personal wurde von 105 auf 268 Stellen angehoben. Das speziell und hochmodern ausgestattete Cybercrime-Kompetenzzentrum (ZAC), eine Unterstützungs- und -Auswerteeinheit, die im LKA mit Hilfe des niederländischen Unternehmens ZIOS aufgebaut wurde, und der „Forensik Desktop“ (virtueller Auswerterechner) sind Leuchtturmprojekte mit Vorbildcharakter, und unterstützen mit einer eigenen 2-Petabyte-Cloud inzwischen sogar Europol und das BKA. Ein landesweites „Hinweistelefon“ beim LKA NW ist in Vorbereitung.[33]

 

Das LKA NW steht in engem Kontakt mit der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NW (ZAC)“ bei der Staatsanwaltschaft Köln.

Auch beim LKA Hessen befindet sich solch ein starkes Kompetenzzentrum im Aufbau, das mit vier Millionen Euro und 134 Beschäftigten bis Ende 20121 eine Forensik-Plattform zur besseren Aufklärung von CSEA-Kriminalität fertig gestellt haben wird und eng mit der staatsanwaltschaftlichen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Frankfurt/a.M. zusammenarbeiten soll.

Dieser Entwicklung werden bald alle anderen Zentralen Ansprechstellen Cybercrime (ZAC) der anderen LKÄ nachfolgen müssen.

Es gibt eine Reihe von weiteren Einrichtungen bi- und multilateraler Art, die sich der bilateralen Kooperation in der Verbrechensbekämpfung widmen. Dazu gehört unter anderem auch das in Kehl angesiedelte „Gemeinsames Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit (GZ)“. Hier arbeiten deutsche und französische Polizeibeamte und Zöllner Seite an Seite. Es geht um die Bekämpfung grenzüberschreitender, eher regionaler Delikte. Ziel ist es, effektiv und schnell handeln zu können.

Ähnliche Zentren existieren im deutsch-polnischen Gebiet, im deutsch-tschechischen sowie im deutsch-niederländischen Raum. In Luxemburg gibt es eine Einrichtung, in der Bedienstete aus vier Ländern tätig sind (Deutschland, Belgien, Frankreich und Luxemburg).

Auf EU-Ebene schließlich gibt es noch weitere ähnlicher Einrichtungen und Dienststellen anderer EU-Mitgliedsstaaten.

Inwieweit diese Zentren bilateraler Zusammenarbeit in der internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen CSEA eingebunden sind, wurde (noch) nicht überprüft.

 

 

Bilderkennung

Die weltweit zumeist genutzte Technik, um Missbrauchsabbildungen zu entdecken, zu sichern und zu dokumentieren, dürfte die PhotoDNA-Technologie sein, die von Microsoft in Zusammenarbeit mit der Universität Dartmouth/UK entwickelt wurde. Sie wird bei Microsoft, Google, Adobe Inc., Facebook und Twitter eingesetzt, um Missbrauchsabbildungen sexueller Gewalt gegen Kinder aufzuspüren, zu blockieren und den Strafverfolgungsbehörden zu melden. Microsoft stellte NCMEC diese Technik kostenlos zur Verfügung.

Das BKA setzt seit 2003 die „Computergestützte Bildersuche“ der Firma DotNetFabrik aus Heidenheim ein.

Mit ähnlichen Funktionen nimmt eine Software der hessischen Firma DigitEV GmbH einen „Vergleich von Videodateien kinderpornographischen Inhalts“ vor. Das Programm soll helfen, Inhalte in polizeilichen Datenbeständen zu filtern und doppelte Dateien zu löschen.

Das BKA ist im Forschungsprojekt „Multi-Biometrische Gesichtserkennung“ (GES-3D) als „Endanwender“ beteiligt. Eine dort entwickelte Software soll Suchanfragen auf Basis eines schlechten, nicht vollständigen Gesichtsfotos ermöglichen.

 

Die Bundespolizei arbeitet am Projekt „Multi-Biometriebasierte Forensische Personensuche in Lichtbild- und Videomassendaten“ (MisPel) mit, das vom Forschungsministerium gefördert wird. Dabei wird die „zeitnahe Erkennung von ermittlungstechnisch relevanten Personen“ untersucht und es werden „Strategien für nachhaltige Einsatzszenarien“ entwickelt. Beteiligt sind die Polizei Hamburg, das Mobile Einsatzkommando Karlsruhe und ein „Internetsoziologe“ vom Netzwerk Terrorismus- und Extremismus-Forschung. Das Vorhaben wird von der US-Firma L-1 Identity Solution koordiniert, die mit der Bundespolizei eine Biometrie-gestützte Grenzkontrolle einführt.

 

Verschiedene Fraunhofer-Institute arbeiten an der Entwicklung einer automatisierten Mustererkennung von Bildern und Videos mit CSEA-Inhalten.

 

Der evidente Wandel zum Tatmittel Smartphone verlangt schnelle, bezahlbare und effektive Funktionen der Mobilgeräte-Forensik, denn die Beweise finden sich heute mehr und mehr auf Smartphones und online-Apps, statt wie zuvor auf PCs und Laptops. Die Nutzer können so MMS-artige Nachrichten mit Fotos, Videos und Zeichnungen als Anhang verwenden. Die Kommunikation erfolgt in diesen Fällen über den Datenpfad, so dass Nachrichteninhalte nicht in den Datensätzen der Gesprächsdetails der ISP aufgezeichnet werden. Das verlangt nach neuen Techniken wie z.B. die von MSAB vertriebenen Software XRY und XAMN. Die Inhaltserkennungsfunktion filtert automatisch sämtliche Fotos heraus, auf denen Menschen abgebildet sind. Hash-Filter und Hash-Merklisten können genutzt werden, um Bilder herauszufiltern, die bereits als kinderpornografische Daten bekannt sind. Solche Bilder können entsprechend markiert und ausgeschlossen werden. Wenn “neue” Bilder gefunden werden, können diese markiert, gehasht und im Project-VIC-Format exportiert werden. So können sie dann an andere Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. XRY ermöglicht Ermittlern eine superschnelle Verarbeitung von Bildern – bis zu 15 Mal schneller mit Computern mit CUDA-fähigen NVIDIA-Grafikprozessoren. XAMN bietet Ermittlern die Möglichkeit, Daten aus unter-schiedlichen Fällen in einer Ansicht zu betrachten – um Zusammenhänge zwischen Verdächtigen und Opfern zu finden. Das mit dieser Software erlangte Beweismaterial ist forensisch sicher und verfügt über ein verifiziertes Protokoll, über das sich die Rechtsgültigkeit digitaler Beweise nachweisen lässt.

 

Eine zumindest bundeseinheitliche Strategie, besser noch eine europäische, zur Bündelung der Ressourcen, der Finanzmittel und des Personaleinsatzes wären auch hier wünschenswert.

 

NCMEC & IWF

Im Jahr 2019 registrierte die deutsche Polizei 12.262 Fälle von Kinderpornografie[34]. Das entsprach einem Zuwachs von fast 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Daten sind um etwa 2.100 weitere Fälle zu ergänzen, die vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) übermittelt wurden, zu denen aber keine Pesonendaten vorliegen.

NCMEC arbeitet eng mit amerikanischen Internetanbietern und Serviceprovidern wie Facebook, Microsoft, Yahoo oder Google zusammen, die ihre Datenbestände und die über ihre Dienste verbreiteten Daten mittels modernster Filtertechnologien permanent nach Missbrauchsabbildungen scannen. Die festgestellten Dateien werden von den ISP gelöscht und die verfügbaren Informationen werden dem NCMEC übermittelt (17 Millionen Fälle sexuellen Missbrauchs). Insgesamt gingen 2019 beim BKA über 62.000 NCMEC-Hinweise auf mögliche strafbare Handlungen in Deutschland ein. Aus diesen 62.000 Hinweisen ergaben sich 21.600 Fälle, die im BKA ausgewertet und an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer weitergeleitet wurden, um dort in eigener Zuständigkeit Ermittlungsverfahren einleiten zu lassen[35].

 

Auch das englische Pendent zu NCMEC, die IWF (Internet Watch Foundation) ist ein wichtiger key actor. In einer 3-Monats-Studie, gesponsert von Microsoft, fand es 2.082 live-streamed Bilder Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch[36]. Das IWF warnte am 18.05.2018 vor den erkannten Trends dieser Untersuchung: 98 Prozent all dieser Opfer des sexuellen Missbrauchs waren jünger als 13 Jahre alt, das jüngste war gerade mal drei Jahre. Fast jedes fünfte Kind wurde vor laufender Kamera vergewaltigt, sexuell gequält oder gefoltert, in 40 Prozent handelte es sich um schweren sexuellen Missbrauch (Kategorie A oder B),  ein besonders alarmierender Hinweis auf „grooming“ und „sexting“ .(“youth-produced sexual images”) sei, dass die Kinder offensichtlich in ihrer häuslichen Umgebung aufgenommen worden seien[37]. Darüber hinaus gehörten in den letzten sechs Monaten vor der Publizierung des Berichts beachtliche 38 % aller an IWF berichteten Nachrichten/Bilder inzwischen zur Kategorie „selbst-aufgenommene“ Bilder. Zunehmend gelingt es also Pädokriminellen, mit gefakten Identitäten (gleichaltriges Kind) das Vertrauen der Opfer zu erschleichen, um heimliche Aufnahmen zu fertigen. Der Missbrauch findet statt, obwohl der Täter nicht im Raum ist. Das bedeutet, dass jede Plattform, die live-streaming-Dienste anbietet, Tatort werden kann[38]. Die alternative Interpretation wäre, dass immer mehr Jugendliche/Kinder selbst inkriminiertes Bildmaterial von sich oder Peers produzieren und verbreiten

 

IWF setzt methodisch einen selbst entwickelten „Crawler“ ein, der über 470.000 Hashs bekannter sexueller Missbrauchsabbildungen und -filme gespeichert hat, um 2019 fast 72 Millionen Webseiten und rund zwei Drittel von einer Milliarde Bildern nach Duplikaten zu scannen. Zudem bietet IWF Usern die Möglichkeit, Bilder/Filme mit sexuellem Missbrauch mit dem „Report criminal content“-button anonym zu melden.

 

In ihrem Report 2019 berichtet die IWF von rund 260.500 gemeldeten Fällen, von denen fast 133.00 Bilder/Filme sexuellen Missbrauch zeigen (+25% zu 2018) und fordert von der EU eine „Zero-Toleranz-Politik“, denn in 9 von 10 Fällen stehen die Server in Europa (2018: 79 Prozent) und 73 Prozent der Fälle des Vertriebs sexueller Missbrauchsabbildungen stammten aus den Niederlanden (2018: 47 Prozent).

 

Europol

Europol ist die europäische Polizeibehörde, die nun 27 Mitgliedstaaten im Kampf gegen Terrorismus, Cybercrime und andere Formen schwerer und organisierter Kriminalität unterstützt – durch die Erstellung von Lagebildern (Situation Reports) und Beurteilungen von Bedrohungslagen (Threat Assessments), Informationssammlungen und -analysen, Informationsaustausch sowie durch operative Aktivitäten. Europol ist jedoch kein „europäisches FBI“, weil ihm exekutive Befugnisse fehlen. Obwohl das Europäische Parlament mittlerweile einige wichtige Kontroll-Zuständigkeiten erhalten hat, bleibt das Defizit an parlamentarischer Kontrolle Europols bestehen. Hinzu kommt, dass die „Gemeinsame Kontrollinstanz“, die für die datenschutzrechtliche Überwachung Europols zuständig ist, die Anforderungen an eine unabhängige Kontrollinstanz nicht ganz erfüllt.

Die Mitgliedsstaaten sehen nach wie vor die innere Sicherheit als zum Kernbereich nationaler Souveränität gehörig, was die langjährigen Widerstände gegen die Behebung von klassischen „Geburtsfehlern“ erklärt: Die deliktischen Abgrenzungen, das Übergewicht/die Autonomie der Analyse („intelligence-led“ vs. „expert-led“), die Überbetonung „nachrichtendienstlicher“/datenschutzrechtlicher Regeln („need to know principle“ vs. „need to share principle“) und die zu geringe Beteiligung an operativer Polizeiarbeit.

Von Anfang an gut lief die Zusammenarbeit der Europol Liaison Officers, der nationalen Verbindungsbeamten, die in ihren nationalen Büros unter dem Dach Europols arbeiten, von den nationalen Zentralstellen entsandt sind, nach nationalem Recht arbeiten und derer nationalen Fach- und Dienstaufsicht unterliegen.

Mit der Schaffung von Befugnissen für mehr operative Tätigkeiten im Rahmen der so genannten gemeinsamen Ermittlungsgruppen („Joint Investigation Teams “- JIT), wurde eine für alle Strafverfolgungsbehörden segensreiche Entscheidung getroffen.[39] Grundsätzlich agiert Europol nur auf Anforderung eines EU-Mitgliedsstaates; nach Art. 7 der Europol Council Decision[40] darf Europol aber auch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten auffordern, zu ermitteln[41]. Grundsätzlich soll Europol die nationalen Polizeien aber nicht ersetzen, sondern sie in ihrer Arbeit unterstützen. Mit Europol’s new Regulation, die am 01.05.2017 in Kraft trat, wurde endgültig der Weg zur einer effektiveren, flexibleren und mehr operativen Polizeiagentur geebnet, ohne dass Europols Kernfunktionen, Unterstützung und Stärkung der strafverfolgenden Tätigkeiten von mehr als zwei EU-Mitgliedsstaaten, geändert wurde. Europol darf künftig in begründeten und genehmigten Einzelfällen unmittelbar mit den zuständigen Behörden in den EU-MS zusammenarbeiten, die nationalen Zentralstellen sind nur noch zu informieren. Europol, Eurojust und das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF richten auf der Basis eines Treffer-/Kein-Treffer-Systems einen Informationsverbund ein, um diesen Informationsaustausch weiter zu intensivieren.

Damit Europols Funktion als Knotenpunkt für den Informationsaustausch der EU-Mitgliedsstaaten noch besser gewährleistet werden kann, wurden weitere verpflichtende Regelungen für die Informationsübermittlungen mit Dritten eingeführt und der innereuropäische Informationsaustausch ausgeweitet, z.B. werden danach auch bilaterale Informationsaustausche nachrichtlich Europol zu melden sein. Zum Informationsaustausch insgesamt wird Europol künftig jährlich dem Parlament, dem Rat, der Kommission und den nationalen Parlamenten berichten.

Cybercrime ist heute einer der neun Schwerpunkte, die Europol im Rahmen seiner Arbeitsplanung (four-year Policy Cycle – EMPACT, 2018-2021) und bei der Priorisierung seiner Aufgaben setzt: Der Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt an Kindern[42]  steht dabei ganz oben auf der Liste. Der sexuelle Missbrauch von Kindern, die Herstellung und online-Verbreitung von Missbrauchsbildern und -filme ist ein ständig wachsendes Phänomen, das verschärft wird durch die technischen Entwicklungen (mobile Vernetzungen, flächendeckende Internetanschluss-möglichkeiten – auch in Entwicklungsländern, wachsender Markt von Streaming-Lösungen und -dienste, die Nutzer immer stärkere Anonymität bieten, und die zunehmende Kommerzialisierung dieses pädokriminellen Marktes).

Das European Cybercrime Centre (EC3) wurde schon am 11.01.2013 installiert. Es ist die europäische Zentralstelle für alle Cybercrimefragen und soll die europäische Expertise und Analyse zusammenführen, um die Ermittlungsarbeiten von Polizei und Justiz der Mitgliedsstaaten zu unterstützen – in Kooperationen, mit Partnerschaften und mit gemeinsamen Verantwortlichkeiten.

Aktuell ist die Zahl von Missbrauchsabbildungen und -filmen, die in Europols Datenbank gesammelt und analysiert werden, auf fast 47 Millionen angewachsen, eine fast gleiche Menge (45 Millionen) berichtete NCMEC in den USA für 2019, was dort eine Verdopplung der Anzahl der Bilder im Vergleich zum Vorjahr bedeutete.[43]

Abb.4

STRATEGY: Die beiden strategischen Teams sorgen

  • für Prävention und Management (Gründung von Partnerschaften, Entwicklung standardisierter Aus- und Fortbildung, Koordination von Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen).
  • Strategie und Entwicklung (Strategische Analyse, Formulierung von Maßnahmen der Gesetzgebung und der Politik) und Steuerungsmaßnahmen für das Internet.

FORENSIC EXPERTISE: Die zwei forensischen Teams („Digital Forensics“ und „Document Forensics“), dienen der Forschung, Entwicklung und operative Unterstützung der Mitgliedsstaaten.

OPERATIONS: Von den abgebildeten Teams sind für den Gegenstand dieser Studie von besonderer Bedeutung

  • die Unit „Cyber Intelligence“ (für die nicht-operative, strategische Analyse);
  • das Analyseprojekt „AP TWINS“ (Prävention und Repression aller Formen der Kriminalität, die im Zusammenhang mit der sexuellen Ausbeutung und dem sexuellen Missbrauch von Kindern stehen; dies umfasst auch die Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexuellen Missbrauchs von Kindern auf allen online-Umgebungen und jegliches andere kriminelle Verhalten, das online zum Nachteil von Kindern begangen wird, wie z.B. grooming, selbst hergestelltes unzüchtiges Material, sexuelle Erpressung und live-Fernübertragung sexuellen Missbrauchs.
  • EC3 betreibt darüber hinaus ein Projekt namens HAVEN (Halting Europeans Abusing Victims in Every Nation), mit welchem die Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten dabei unterstützt werden können, pädokriminelle Sextouristen zu detektieren, die in typische „Opferländer“ reisen, um dort ihre Straftaten zu begehen. Die europäischen Strafverfolgungsbehörden sollten auch Europols PNR-Datenbank (“Passenger Name Record”) nutzen und die Hilfe des Travel Intelligence Teams von Europol anfordern.
  • die „Joint Cybercrime Action Taskforce (J-CAT)“, die seit September 2014 gemeinsam mit EC 3 die größten und wichtigsten Cybercrime-Fälle der EU-Mitgliedsstaaten mit Analyse und Auswertung wie folgt unterstützt (mit dem so genannten „intelligence-led approach“): Die 18 Strafverfolgungsbehörden, die Mitglied der J-CAT sind, kommen aus 16 Staaten, davon sind neun EU-Mitgliedsstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien und Spanien mit zwei verschiedenen Polizeiagenturen), und sieben non-EU-Staaten (Australien, Canada, Großbritannien, Kolumbien, Norwegen, Schweiz und die USA mit zwei Polizeiagenturen). Ein zugewiesener Verbindungsbeamter von Eurojust (der Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen) nimmt an den wöchentlichen Lagebesprechungen teil, um die justizielle Begleitung der Ermittlungsverfahren zu sichern. Sexueller Kindesmissbrauch ist eines der vier Prioritäten von J-CAT. Die Anzahl der vollendeten Operationen steigt kontinuierlich von Jahr zu Jahr (2019 waren es schon multinationale 18 Operationen);
  • CEPOL, die European Union Agency for Law Enforcement Training veranstaltete im Rahmen ihres Awareness-Programs, jährlich mehrere mehrsprachige webinars, mit denen 2019 mehr als 580 Stafverfolgungsbeamte aus 30 Staaten in Sachen J-CAT beschult werden konnten.
  • EC3 betreibt in enger Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten eine spezielle Website („#TraceAnObject“), analog zur gleichnamigen FBI-Seite mit gleichem Ansatz), wo zu abgebildeten Objekten (zumeist Einrichtungsgegenstände oder Kleidungsstücken missbrauchter Opfer) anonyme Hinweise auf Täter, Opfer oder Tatorte geben zu können. 2019 wurden 24.000 Hinweise registriert, die zur Rettung von neun Kindern führten, die sexuell missbraucht worden waren.

(Internet: www-europol.europa.eu/stopchildabuse,Twitter: #StopChildAbuse).

 

 

Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)

Jährlich veröffentlicht Europols EC3 einen Bericht („Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)“, zuletzt am 09.10.2019[44], in dem die drastische Überlastung der schieren Zahl der Missbrauchsabbildungen im Internet beklagt[45] wurde.

Abb.5

Folgende zentrale Bereiche (key areas) bei Methoden und Mitteln des sexuellen Kindesmissbrauchs (CSEM: Child Sexual Exploitation Material) wurden in diesem Bericht herausgestellt:

  • Peer-to peer Netzwerke (P2P), die zumeist Applikationen der sozialen Medien nutzen; dabei sind der zunehmend anonymisierter Zugang zum Darknet (z.B. mit Virtual Private Networks (VPN) oder Tor[46]) und die Verbreitung von Verschlüsselungstechnik die wichtigsten und zentralen Bereiche. Dort wird der Zugang zu Missbrauchsabbildungen und -filmen gefunden, dort werden diese weiterverbreitet und dort muss vordringlichst der Kampf gegen die Produktion und den nicht-kommerziellen Vertrieb dieses Bild- und Filmmaterials geführt werden;
  • Live-streaming von sexuellem Kindesmissbrauch wird durch ständig verbesserte/verbilligte oder gar neue Technologien erleichtert (z.B. Skype, Periscope, etc.). Dies gilt insbesondere für den Kindesmissbrauch in überseeischen Gebieten (Philippinen), oft auf Anforderungen westlicher Kunden. Das Phänomen des “Live-und Tele-Missbrauchs“ (“Live distant child abuse”-LDCA) wurde als eines der bedeutendsten Treiber im kommerziellen Vertriebsbereich („pay-per-click“) von Child Sexual Extortion Material (CSEM) festgestellt.

Neue Bilder oder Filme sexuellen Missbrauchs von Kindern, die live eingespeist werden, sind nicht nur rein mengenmäßig einfach mehr Bilder oder Filme, sondern häufig auch eine wertvolle „Währung“ in der Tätergemeinde und oft die „Eintrittskarte“ für pädokriminelle Chatrooms, für das Darknet und für manch andere dunkle Kreise.

  • Als relativ neues Gefährdungsmoment sieht EC3 die aktuelle Entwicklung der so genannten „Deepfake“-Technologie, eine AI-basierte Technik, mit der Bilder/Videos in andere Videos integriert werden können. Dadurch wird möglich, bekannte Persönlichkeiten in pornografische Videos zu kopieren. Obwohl diese Technologie relativ neu ist, entwickelt sie sich sehr schnell, ist einfach zugänglich und zu handhaben. Kernprobleme zur Authentizität des Sachbeweises müssen gelöst werden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.
  • Online-Ansprachen und sexueller Missbrauch korrelieren stark. Immer mehr Kinder und Jugendliche verfügen über ein eigenes Smartphone, immer mehr Kinder und Jugendliche stellen gedankenlos selbst unzüchtiges Material her (Europol: Self-generated explicit material/ SGEM). MMS-artige Nachrichten mit Fotos, Videos und Zeichnungen werden meist als Anhang verwendet, also erfolgt die Kommunikation in diesen Fällen nicht über den Datenpfad und Inhalte werden daher nicht in den Datensätzen der ISP aufgezeichnet. Für Ermittler ein zusätzliches schwerwiegendes Problem. Immer öfter findet dieses CSEAM auf Umwegen (Agenten, Hacker, Facebook, Groomer u.a.) seinen Weg zu Pädokriminellen, die u.a. mit dem Ziel des späteren Missbrauchs des Opfers auch den Kontakt zu ihnen aufbauen (grooming) oder sie mit den Bildern erpressen oder zur Herstellung weiteren CSEAMs nötigen. Die modi operandi sind unverändert: Meist beginnt der Tatverlauf mit einem einfachen chat im open web, über eine der vielen Dienste der sozialen Medien (Facebook, Instagram, online gaming, live video platforms …), häufig mit einem völlig falschen Profil oder mit der Behauptung, gleichaltrig zu sein. Nach dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses folgt die Aufforderung auf verschlüsselte Applikationen umzusteigen (z.B. WhatsApp oder Viber), um dort das inkriminierte Bild-/Filmmaterial besser und angeblich sicherer austauschen zu können. Danach wird das CSEAM für den weiteren Missbrauch, für Mobbing oder Erpressung etc. benutzt.

Abb. 6

Quelle: LKA NW, Präventionsvideo Cyber-Kompetenzzentrum

 

Seit 2018 versucht EC3 mit dem jährlichen European Youth Day at Europol (EYD), in Gesprächen seiner Cybercrime-Experten mit Minderjährigen (12 – 15 Jahre alt) auf die online-Gefahren aufmerksam zu machen (zuletzt am 11.02.2020).

Diese Aktion knüpft an die vorherige SayNo!campaign an, die mehr präventiv gegen die sexuelle Nötigung oder den sexuellen Missbrauch kämpfte und soll immer am 18. November eines Jahres stattfinden, am European Day of the Protection of Children Against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, um an die 1989 UN Convention on the Rights of the Child zu erinnern, die am 20.November verabschiedet wurde.

 

Diese Aktionen und dieser Termin müssten EU-weit viel stärker betont, wiederbelebt und instrumentalisiert werden.

 

Letztlich hat Europol ein operatives Zusammenarbeitsabkommen mit Interpol geschlossen. Das Abkommen kann auf der Internetseite von Europol (www.europol.europa.eu) abgerufen werden.

EC3 Co-operationen

 

Im Einklang mit Kapitel V von Europol’s New Regulation arbeitet auch EC3 mit einer Reihe von externen Partnern zusammen um seine Aufgaben noch besser zu erfüllen.

 

  • Um Missbrauchsabbildungen /-filme zu verhindern, sie im Netz zu detektieren, zu verfolgen und zu verhindern, dass sie weder in P2P-Gruppen angesehen und weiter verbreitet werden, noch kommerzialisiert Verwendung finden können, arbeitet EC3 mit speziellen Berichten auch der von der Europäischen Kommission finanzierten European Financial Coalition against Commercial Sexual Abuse of Children Online (EFC),[47] zu, einem Netzwerk von Strafverfolgungsorganen, NGOs und öffentlichen/privaten Partnern (Stakeholder), das ebenfalls CSEM bekämpft.

 

  • EC3 arbeitet auch mit ENISA, der European Union Agency for Cyber Security zusammen; Europol verabschiedete 2016 ein Joint Statement, in dem insbesondere kritische Fragen zur Proportionalität von Strafverfolgung vs. Datenschutz und Ver- oder Entschlüsselung behandelt wurden[48].

 

  • EC3 arbeitet auch mit dem European Crime Prevention Network (EUCPN) zusammen, das 2015 einen Bericht zum Thema “Cybercrime: a theoretical overview of the growing digital threat“ vorstellte.

 

  • EC3 beteiligt sich ebenso bei der Virtual Global Taskforce (VGT)[49], ein weltweiter Verbund von Strafverfolgungsbehörden, die sich ebenfalls vor langem dem Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern verschrieben haben. Die ‚P4-Strategie‘ der VGT umfasst:

 

Persue:           Verfolgung von Tätern und Netzwerken;

Prevent:         Verhinderung von Tatgeschehen und Tatgelegenheiten;

Protect:          Schutz der Kinder, Opfer oder Sekundäropfer zu werden;

Prepare:        Strafverfolgungsbehörden für den Kampf gegen CSE fit zu machen.

Auf der VGT-website gibt es einen “Berichtsknopf” („Report Abuse button“) mit dem Verdachtsfälle auf Kindesmissbrauch global gemeldet werden können – ein sehr effektives Mittel zur Bekämpfung der CSE.

  • Die Opfer werden stets mindestens zweimal viktimisiert: Bei der Aufnahme der Bilder/Filme und dann, wenn der Pädokriminelle die Bilder weltweit ins Netz stellt. Zur Identifizierung von CSE-Opfern ist eine enge internationale Zusammenarbeit aller Strafverfolgungsbehörden und Experten-Organisationen unabdingbar; 2015 veranstaltete EC3 deshalb eine 12-tägige Tagung der internationalen Victim Identification Taskforce (VITF), bei der Experten von 11 Polizeibehörden und -organisationen zusammenkamen[50] und über 240 neue CSEM-Sammlungen in Interpols Datenbank „Child Sexual Exploitation Image“ (ICSE DB) eingespeist werden konnten. Der Erfolg ermutigte Europol, weitere solche Fachtagungen zu veranstalten. Im Mai 2019 fand bereits die sechste, nunmehr zweiwöchige VITF-Tagung in Form eines workshops statt, bei der sich nunmehr 34 Experten aus 24 Staaten und Analyse-Experten von Interpol mit Europols EC3 trafen, um sich auszutauschen. Insgesamt konnten 466 neue Datensets zusammengestellt und in Interpols ICSE-Datenbank eingespeist werden, weitere 280 bereits bestehende Datensets konnten angereichert werden. Vermutlich konnten bereits dadurch drei weitere Opfer sexuellen Missbrauchs an Kindern identifiziert werden (je eines in der EU, USA und der RF).

 

  • Im Bereich der public-private co-operation arbeitet EC3 auch mit der 2014, u.a. von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene Organisation WePROTECT Global Alliance to end child sexual exploitation online[51] Diese Organisation ist aus einer Fusion der britischen WePROTECT und der EC-US- Organisation Global Alliance to end child sexual exploitation online, entstanden, die 2012 von 54 Staaten gegründet worden war. Beide Organisationen zusammen zählen derzeit über 80 Regierungen, 20 global agierende Technologieunternehmen und 24 führende internationale Organisationen und NGO.

2016 veröffentlichte „die Fusion“ die Leitlinien „‘Preventing and Tackling Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA): A Model National Response’. Diese Leitlinien sollte es Staaten ermöglichen, die eigene Gesetzgebung, ihre Strukturen und Organisationen zu überprüfen, Schwachstellen zu erkennen und Maßnahmen zu priorisieren, um die Selbstverpflichtungen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch effektiver umzusetzen. Ob es eine Evaluierung gab, oder ein Monitoring dieser Leitlinien erfolgte, ob es Berichte, Ergebnisse, o.ä. gibt, konnte nicht festgestellt werden. Dennoch: Ein interessanter und vielversprechender Ansatz, der die internationalen Rahmenvorgaben der verschiedenen Akteure (Vereinte Nationen, EMPACT, NCMEC, EC3…) endlich vereinen könnte.

 

  • Auch mit der GSMA Mobile Alliance Against Child Sexual Abuse Content (kurz: the Mobile Alliance), die 2008 gegründet wurde, arbeitet EC3 zusammen. Diese Internationale Gruppe bringt Vertreter der Smartphone- (mobile-) Industrie zusammen, um u.a. zu verhindern, dass die mobile payment services von Organisationen oder Individuen missbraucht wird, um CSEA zu monetisieren. Dadurch soll das online-Volumen von CSEA-Material reduziert werden. Die Operatoren werden angehalten, jegliche Information über CSEA unverzüglich und direkt den nationalen Hotlines (NCMEC, IWF, BKA…[52]) zu melden, bzw. dort, wo es (immer) noch keine Hotlines gibt, den jeweiligen nationalen Polizeibehörden.

 

  • EC3 ist auch Teil der weltweiten “Internet Regierung”, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), die geschaffen wurde, um ein sicheres und stabiles Internet zu schaffen. Namentlich ist es Mitglied der Public Safety Working Group (PSWG) seines Governmental Advisory Committee (GAC) und unterstützt hier den Kampf gegen den Domain Name System (DNS) Missbrauch (Malware, Botnets, Phishing, Pharming und Spam), der weltweit nicht nur mengenmäßig drastisch zunimmt[53].

ICANN sieht übrigens auch ohne gerichtliche Anordnung explizit in vier Fällen eine unmittelbare Handlungspflicht von Register und Registraren – und eine davon ist der sexuelle Missbrauch von Kindern, weil in diesen Fällen physische und oft irreparable Bedrohungen und Beschädigungen für menschliches Leben ausgehen.

  • Auf gesamteuropäischem Niveau ist EC3 in diesem Kriminalitätsbereich auch eng mit dem Europarat („Council of Europe – CoE“) verbunden: 2010 trat die Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse (CETS No. 201) in Kraft[54], die nach dem Tagungsort auch als „Lanzarote Convention“ bekannt ist und auf der UN-Kinderrechtskonvention (CRC) fußt. Art. 34 der CRC fordert von allen Staaten unmissverständlich, Kinder vor allen Formen sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs zu schützen. Für den Europarat und für die Vereinten Nationen sind „Kinder“ Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben[55]. Die CoE-Konvention verpflichtet die Teilnehmerstaaten, sexuellen Missbrauch von Kindern präventiv und repressiv stärker zu bekämpfen, die Rechte der Kinder-Opfer zu stärken und internationale Kooperation in der Bekämpfung dieser Kriminalitätsformen zu intensivieren, die vom CoE unter anderem Namen geführt wird: Online Child Sexual Exploitation and Abuse (OCSEA). Die Umsetzung dieser Maßnahmen überwacht das sog. Lanzarote Committee, das aus von den MS nominierten Experten besteht und in Straßburg tagt, wenn mindestens ein Drittel seine Mitglieder dies beantragt. Da die EU (wie die UN, Europol, Interpol, u.a.) Teilnehmer dieser Meetings sind, sollte mit einem Antrag an den CoE, Directorate-General I – Human Rights and Rule of Law davon Gebrauch gemacht werden.

 

  • Europol unterstützte auch die Präventionskampagne des CoE „KIKO And The Hand“[56], die Kinder von 3-7 Jahren erreichen will, um ihnen die „Unterwäsche-Regel“ beizubringen: Alles am eigenen Körper, was normalerweise von der Unterwäsche bedeckt ist, gehört nur dem Kind selbst und darf ohne seine Erlaubnis nicht von anderen berührt werden. Gelehrt wird zudem, dass es gute und schlechte Berührungen gibt, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt, oder dass es das Recht hat, Küsse oder Berührungen zu verweigern, selbst wenn sie von Verwandten kommen. Kinder sollen lernen, NEIN zu sagen und solche Vorfälle einem Erwachsenen erzählen, dem sie vertrauen. Dieser Präventionsansatz scheint sich in den vergangenen Jahren nicht mehr durchgesetzt zu haben und sollte je nach aktuellem Sachstand intensiviert/reaktiviert werden.
  • Europol unterstützt auch die CoE-Initiative „Missing Children Europe“[57] und das damit verbundene CoE-Projekt „Together against sexual exploitation of children“, welches die Umsetzung der von der EU-Directive 2011/92/EU geforderten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs, der sexuellen Ausbeutung und der Kinderpornografie überwachte.

 

  • EC3 übernahm 2015 die Aufgaben der European Financial Coalition against Commercial Sexual Exploitation of Children (EFC), die den online-Kindesmissbrauch bekämpfen wollte, indem sie die Hauptakteure zusammenführte, die für die Überwachung und Finanzierung der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) mit Missbrauchsinhalten zuständig sind („follow the money“).

 

  • Die Europol-Initiative Police2Peer ist ausgerichtet auf Personen, die in P2P-Netzwerken versuchen, auf CSEA-Material zuzugreifen oder dieses zu teilen. Die Strafverfolgungsbehörden stellen in diese File-Sharing-Netzwerke eigene Dateien ein, die wie CSEA-Material aussehen, meist jedoch Dateien ohne Inhalt sind. Sobald eine Person versucht, diese scheinbar missbräuchliche Datei herunterzuladen, warnt die Polizei vor den rechtlichen Risiken und gibt Informationen, wo Hilfe angeboten wird.

 

  • EC3 arbeitet eng mit dem UNODC zusammen, dem UN Office on Drugs and Crime Die Vereinten Nationen, die vor 30 Jahren die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedete (CRC), stellte in einer Analyse vom Januar 2020 (pdf-Version nach Bezahlschranke) international eine deutliche Zunahme des Kriminalitätsphänomens Kindesmissbrauch und -ausbeutung (Child Abuse and Exploition – CSA/E) fest[58]. Der zuletzt veröffentlichte Jahresbericht von UNODC fokussiert inhaltlich aber auf Terrorismusbekämpfung, Transnationale Organisierte Kriminalität, Drogenkriminalität, Korruption und Stärkung der Kriminalprävention / Effiziierung der Strafverfolgungssysteme und geografisch eher in Afrika, Südamerika und Asien. Das UNODC Global Programme on Cybercrime erwähnt zwar die weltweite Unterstützung bei der Verbesserung der Legislative und beim Expertentraining zur Bekämpfung der CSA/E, das Thema wird aber außer durch die Produktion von zwei Handbüchern zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder nicht vertieft; es hat dort derzeit offensichtlich keine Priorität[59].

 

  • Europol’s C3 arbeitet auch mit privaten Unternehmen und der Industrie zusammen, namentlich mit Internet Service Providern (ISP/OSP), um die Flut der CSEM zu detektieren, zu bearbeiten und gerichtsfest aufzubereiten – ein absolutes, international anerkanntes „must have“, um CSEAM einzudämmen. Dafür sucht es Hilfe durch Einsatz von künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence – AI“), Gesichtserkennungssystemen (Face Recognition Systems) oder neuer forensischer Technologien für die Untersuchung von Mobilgeräten (z.B. MSAB[60]). Gesucht werden ähnliche Modelle wie z.B. wie bei der erfolgreichen „No-More-Ransom-Initiative“, die vor zwei Jahren zusammen mit der niederländischen Polizei und zwei Industriepartnern ins Leben gerufen wurde und den „Kunden“ nicht nur relevante Informationen anbot, sondern mehr als 60 Werkzeuge zur freien Entschlüsselung von über 100 Arten von Verschlüsselungs-Schadsoftware zur Verfügung stellte.

 

  • Vor allem muss die Europol-Konvention fortgeschrieben werden, um der Agentur mehr operative Rechte einzuräumen. Um im Kampf gegen CSEAM effektiver führen zu können, muss Europol personenbezogene Daten direkt von den OSP und anderen Datenbesitzern der Privatwirtschaft erhalten dürfen. Das Gesetzgebungsprogramm der Europäischen Kommission hatte für Ende 2020 eine Überprüfung des Mandats für Europol angekündigt. Die angekündigten Rechtsvorschriften, die OSP verpflichten werden, bekanntes Material über sexuellen Kindesmissbrauch den Behörden zu melden, sollte so umgesetzt werden, dass diese OSP diese Daten Europol, EC3, anliefern sollen, nachrichtlich den nationalen Zentralbehörden, und sollten so schnell wie möglich verabschiedet werden.

 

Europol will den EU-MS bei Ermittlungsverfahren eine Top-Level-Unterstützung bieten (insbes. bei kriminellem Missbrauch von Verschlüsselungstechnik oder Kryptowährungen), inklusive Werkzeuge und Dienste, die den EU-MS zentral zur Verfügung gestellt werden können. Dabei bedarf es immer mehr operative Unterstützung und ein enges Zusammenspiel mit dem strategischen und taktischen Bereich. Dazu gehört neben der Analyse krimineller Verfahrensweisen und Trends auch die Bewertung von neuen und zukünftigen Technologien. Das Ziel ist, einen pro-aktiven, umfassenden und effektiven Ansatz der Ermittlungsbehörden zu ermöglichen. EC3 und seine vielen verschiedenen Partner in den Bereichen Strafverfolgung, Industrie und Wissenschaft sind ein Paradebeispiel für die Möglichkeiten einer vernetzten Reaktion auf Cyber-Kriminalität. Das Modell erlaubt allen Partnern, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, zu koordinieren und zu priorisieren und führt letztlich zu internationalen Erfolgen, wie die kürzlich erfolgte Schließung zweier großer Darknet-Marktplätze. Solche Lösungen brauchen wir auch für CSEM. Das geplante Innovationszentrum und -labor als Ansprechstelle für die national einzurichtenden Zentren ist der richtige Schritt in eine bessere EU-weite Kooperation zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität.

 

Es ist zu leicht vermuten, dass in der weiteren digitalen Entwicklung, z.B. dem Internet of Things (IoT), dem Internet of Everything (IoE) und den Cyber-Physical Systems (CPSs) jede Menge Cybercrime-Elemente schlummern werden. Die Cybercrime-Forensik wird künftig eine enorme Bedeutung erfahren und essentieller Teil aller Strafverfolgungsbehörden werden – weltweit.

 

Über die enge Zusammenarbeit zwischen Europol und Eurojust sowie Europol und Interpol siehe die dortigen Ausführungen.

 

 

Eurojust

 

Eurojust ist die Agentur der EU für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, gegründet 2002 für den Kampf gegen Terrorismus und schwere, organisierte Kriminalität die mehr als zwei (Mitglieds)Staaten betreffen, hält enge Verbindung zum Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) und hat mit vielen internationalen Organisationen Abkommen zur Zusammenarbeit geschlossen, vor allem natürlich mit Interpol, Europol, Frontex[61] OLAF[62] und UNODC[63]  Es besteht aus hochrangigen Staatanwälten oder Richtern der EU-Mitgliedsstaaten, die in den nationalen Verbindungsbüros arbeiten.

Abb. 7

https://www.eurojust.europa.eu/sites/default/files/Publications/AnnualReport/AR2019_DE.pdf

 

Seit September 2019 hat Eurojust ein Register zur Terrorismusbekämpfung (CTR) eingerichtet, um die Intensivierung und Beschleunigung transnationalen Ermittlungen europäischer Staatsanwälte zu ermöglichen. Von Januar 2021 bis Juni 2024 gilt ein neues Abkommen zur grenzüberschreitenden Beweissicherung in Cybercrime-Verfahren, das die 4.500 Praktiker, die auf der SIRIUS-Plattform zusammenarbeiten, noch besser vernetzen wird.[64] Eurojust arbeitet eng zusammen mit dem European Judicial Cybercrime Network (EJCN).

 

Nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist Eurojust ausersehen, den Nukleus für eine künftige europäische Staatsanwaltschaft zu bilden (Art. 85 ff. AEUV).

 

Eurojust gibt seit 2019 gemeinsam mit Europol und dem EJN den Jahresbericht „SIRIUS EU Digital Evidence Situation Report“ heraus, der zweite wurde im Dezember 2020 veröffentlicht und basiert stark auf einer Umfrage bei den SIRIUS-MS, den ECJN- und EJN-Kontaktstellen von 21 EU-MS und einem Workshop mit Experten aus den USA und Irland. Der Report thematisiert besonders die schwierige und langwierige Zusammenarbeit mit non-EU Online Service Provider (OSP), den komplizierten Prozess der Beweissicherung nach den Regeln der Mutual Legal Assistance (MLA), der allzu oft an der mangelhaften und Standardisierung scheitert (zu langwierig), die EU-weit fragmentarischen Regelungen zur „Vorratsdatenspeicherung“[65] bzw. die EU-weit unbefriedigend Frage nach einem Kostenregelungssystem, die Problematik der zunehmenden Verschlüsselung und die Wirksamkeit der in allen EU-MS zum Zwecke der grenzüberschreitenden elektronischen Beweissicherung eingerichtete-Single Points of Contacts (SPoCs) – Kernthemen auch diese Studie.

Zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit Europol führte Eurojust in 2019 ein Audit durch, um Schwachstellen in der Zusammenarbeit zu erkennen und die Effektivität zu erhöhen und führte zu einer Empfehlung, die in Eurojust‘s Action Plan 2020 ihren Niederschlag fand.[66]

Inzwischen koordiniert und bearbeitet Eurojust über 8.000 Anfragen um justizielle Unterstützung (Report 2019, Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 17 %) und hat eine besondere Bedeutung in den 270 gemeinsamen Ermittlungsgruppen (Joint Investigation Teams – JIT) erlangt. Deren Zahl stieg um 35%. Die fast 4.000 anhängige Fälle, 161 JIT, die aus den Vorjahren fortdauern, und über 1.384 Großeinsätze demonstrieren die zunehmende Komplexität grenzüberschreitender Strafermittlungen und die wachsende Bedeutung von Eurojust.

 

Im Bericht 2019 wird zwar exemplarisch und relativ ausführlich der Fall einer schwedischen Mutter publiziert, die 2016 ihre fünf Kinder gezwungen hatte, vor einer Webcam zu posieren und sexuelle Handlungen zu vollführen. Die Missbrauchsvideos sollten im Internet verkauft werden. Mit einem JIT konnte in Schweden ein Ring Pädokrimineller ermittelt werden, der insgesamt 12 Kinder missbrauchte; die Mutter floh, konnte aber mit Hilfe Europols 2018 in Malaga/Spanien ausfindig gemacht und festgenommen werden. Schwedische Jugendbehörden waren eingebunden, um die Kinder wieder sicher nach Schweden zurückzubringen. Die Mutter wurde 2019 zu einer Freiheitsstrafe von nur viereinhalb Jahren verurteilt, ein männlicher Kunde, der die CSEA-Materialien wiederholt kaufte, zu dreieinhalb Jahren.

 

Allerdings ist die Bedeutung Eurojusts im gesamten Bereich Cybercrime mit nur acht Fällen und nur drei Aktionstagen[67] offensichtlich noch recht überschaubar. Um welche Cybercrime-Fälle es sich handelt, ist nicht ausgewiesen. Eine Fachtagung im Juni 2019 war dem Thema Cybercrime gewidmet. Das Kriminalitätsphänomen CSEA ist ansonsten im Jahresbericht im Zusammenhang mit der GLACY-Konferenz[68] vom September 2019 und eher am Rande und/oder im Zusammenhang mit Menschenhandel erwähnt.

 

Gerade im Hinblick auf die Vermögensabschöpfung bei CSEA-Tätern wäre eine stärkere Aktivität von Eurojust wünschenswert. 

 

Interpol

 

Interpol ist die älteste internationale Polizeiorganisation, gegründet 1923 (IKPO), juristisch ein Verein, eingetragen nach französischem Privatrecht und inzwischen auf vertraglicher Basis auf 194 Mitgliedsstaaten angewachsen. Die Interpol führt keine internationalen Kriminalitätsstatistiken und verfügt über keine eigenen Fahnder und Ermittler, sondern koordiniert nur die Zusammenarbeit nationaler Ermittler. Es gilt der Grundsatz der nationalen Souveränität. Überlegungen wie sie derzeit bei Europol angestellt werden, ob man Polizeibeamte mit Exekutivbefugnissen auch im Ausland ausstatten sollte (Stichwort EuroCOP), sind bei Interpol kein Thema.

 

Die Bedeutung und Wirkung der Interpol ist zunächst ihre Pionierarbeit im Bereich der internationalen polizeilichen Kooperation, besonders im technischen und rechtlichen Bereich. Seit 1997 hat Interpol einen Sitz in der UN als Beobachter. Im Zeitalter der Globalisierung und der internationalen digitalen Vernetzung gewinnt das Interpol-Generalsekretariat durch das Interpol Global Communication System (I-24/7) zunehmend an Bedeutung. Seit 2002 verbindet I-24/7 fast alle Nationalen Zentralbüros (NZB), in Deutschland das BKA, in den USA wurde dafür eigens eine eigene Dienststelle eingerichtet. Der Austausch von Informationen erfolgt in vier offiziellen Sprachen (Englisch, Spanisch, Französisch und Arabisch).

 

Vor allem aber der Ausbau seiner Funktion als Sammelstelle internationaler Datenbestände, auf die die einzelnen Mitgliedsländer zurückgreifen können, ist von wachsender Bedeutung. Interpol verfügt heute über sehr umfangreiche Datensammlungen, z.B. über Personen, Fingerabdrücke, DNA-Profile vom Tatort oder vom Mundhöhlenabstrich Verdächtiger (noch im Aufbau), gestohlene Fahrzeuge / Fahrzeugscheine und Reisedokumente / Ausweise (Automated Search Facility – ASF), verschwundene Kunstgegenstände, zum unsachgemäßen Umgang mit radioaktivem Material oder eben zum sexuellen Kindesmissbrauch, speziell zu Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewalt gegen Kinder.

 

INTERPOL hat eine eigene Spezial-Einheit für dieses Kriminalitätsphänomen aufgebaut, das Crimes Against Children Team (CACT), in dem über 100 speziell ausgebildete Ermittler aus mehr als 60 Staaten arbeiten, um Informationen auszutauschen und entsprechende Daten mit Kollegen aus der ganzen Welt zu teilen. Diese Gruppe besteht aus Strafverfolgern, regionalen und internationalen Organisationen, NGOs, Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft, und trifft sich jährlich um neue Trends und Techniken zu diskutieren, um die Analyse- und Ermittlungsarbeit zu verbessern („good practice approach“).

 

Die Unit betreibt seit 2008 eine spezielle Datenbank, die International Child Sexual Exploitation (ICSE)[69] und sammelt darin mit den an die Datenbank angeschlossenen 64 Staaten[70] und mit Europol über 2,7 Millionen von Bildern, Videos, sonstige digitale und audiovisuelle Inhalte, die die Basis für ihre kriminalistische Analyse und für die Unterstützung der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten sind. Algorithmen suchen key words in den pädokriminellen Foren und Chat Rooms, sie sind die basic tools der Ermittler. Die von Interpol inzwischen eingesetzte „Crawler“-Software erkennt u.a. auch die Nacktheit der abgebildeten Personen oder ihr vermutliches Alter (durch strukturierte Gesichtserkennungs-Software). Wenn immer Bilder, Filme oder Texte mit solchen Inhalten im Internet gefunden wird, fügt sie die Software der Datenbank hinzu, nachdem Experten geprüft haben, ob es sich tatsächlich um Missbrauchsabbildungen, -filme oder -texte handelt.

 

Die Abbildungen/Filme zeigen zwar nur selten den/die TäterIn, sondern meist nur die kindlichen Opfer – manche von ihnen sind jünger als ein paar Tage oder Wochen! Dennoch gelingt es den Ermittlern immer häufiger und schneller, durch den Einsatz spezieller, bildvergleichender Software weltweit über 23.500 Opfer zu identifizieren, Duplikate herauszufiltern, die Verbindungen zwischen den Opfern, den Tatorten und den Tätern herzustellen und 10.752 Tatverdächtige zu analysieren. Den Erfolg zeigt das nachfolgende Schaubild:

Abb. 8

https://www.interpol.int/Crimes/Crimes-against-children/International-Child-Sexual-Exploitation-database

Dennoch bleibt festzustellen, dass täglich immer noch Millionen von Bildern und Filmen missbrauchter Kinder im Netz kursieren, die nicht identifiziert und deren Täter nicht ermittelt werden konnten. Manches CSEA-Material bestimmter Kinder erscheinen über die Jahre sogar immer wieder im Netz.

Eine Studie nach einer Zufallsauswertung des Bildmaterials der ISCE-Database, die Interpol (CACT) im Februar 2018 gemeinsam mit ECPAT[71] International durchführte („Towards a Global Indicator on Unidentified Victims in Chield Sexual Exploitation Material”), ergab, dass es offensichtlich eine direkte Beziehung zwischen Alter/Gender und Schwere der pädokriminellen Verbrechen gibt: Jungen und sehr junge Kinder werden offensichtlich eher Opfer meist schwerer sexueller Gewalt. Anders gesagt: Je jünger die Opfer, desto schwerer der Missbrauch – das gilt selbst für Babys.[72]

Ein weiteres, stetig anwachsendes Problem sei das Phänomen des vom Opfer selbst produzierten CSEA-Materials, das vielfältige Probleme erzeuge.

Die ICSE-Datenbank ist jedoch nicht einzigartig, sie besteht neben zwei anderen, vergleichbaren Datenbanken, eine in den USA (NCMEC Child Recognition and Identification System- CRIS) mit dem angeschlossenen Child Victim Identification Program (CVIP) und in den UK (Child Abuse Image Database – CAID). Bis vor kurzem existierte noch in Kanada bei der Royal Canadian Mounted Police das Child Exploitation Tracking System – CETS-Canada). 2018 kündigte die Australian Intelligence Commission an, eine solche Datenbank mit gleichem Namen (CETS-Australia) zu schaffen.

 

Die Entwicklung weiterer Datenbanken und zusätzlicher Initiativen auf lokaler oder regionaler Ebene muss daher kritisch hinterfragt werden (wie z.B. das 2013 von den Niederlanden initiierte Projekt „In-4-mation“ oder die vom LKA Niedersachsen entwickelte, lernfähige Bildsichtungs-Software zur Erkennung von CSEA-Material, die seit Juni 2020 im Praxisbetrieb und inzwischen auch schon in mehreren anderen Bundesländern im Einsatz ist.[73]. Vielleicht mit Ausnahme von nationalen Datenbanken für Travelling Sex Offenders (TSO), führen sie eher zu einem Überfluss an Datensystemen, unnötige Duplizierung von Bilddaten, Vergrößerung der Koordinierungsproblemen und insgesamt zu höchst sub-optimalen Ergebnissen in Bezug auf Workflow und Effizienz.

 

Das Gegenteil ist m.E. erforderlich, zumal ja, technisch gesehen, alle derartigen Datenbanken dem gleichen Hash-Based-Matching-Prinzip folgen. „Microsoft Inc.’s PhotoDNA“ und „Videntifier Technologies’ visual fingerprints“ benutzen bei der Detektion von CSEAM, zudem unterschiedliche Algorithmen, um die Hash-Sets für jedes Bild zu schaffen, die in den nationalen oder internationalen Datenbanken gesammelt werden („hash sets“ = Fingerabdrücke für Bild-Dateien). Seit neuestem arbeiten die Tech-Riesen FacebookCVIPCAID / Instagram und Google im „Project Protect“ auch mit Twitter und Dropbox zusammen, um CSEAM ausfindig zu machen und deren Weiterverbreitung zu unterbinden. In der Folge verlagert sich der Markt immer mehr in das Darknet und/oder verschlüsselt in zunehmendem Maß das Material.

 

Diese Datenbanken für Bild- und Filmmaterial schwellen inzwischen extrem an. In einem durchschnittlichen Ermittlungsverfahren fallen inzwischen einem bis drei Terabyte an Daten an (Netclean 2017). Millionen von Bildern und Tausende Stunden an Videos warten auf tiefergehende Analysen für jeden Verdächtigen und für jedes Opfer. Da ist es sinnvoll, erst zentral und automatisiert CSEA-Material zu checken, um danach die zusammengefassten und bereinigten Zwischenergebnisse den IT-Forensikern zu präsentieren – auch aus Gründen der Fürsorge und der mentalen Hygiene.

 

Zentrale hash-sets erleichtern auch die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor; so nutzen prominente US-Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter hash-sets erkannter CSEA-Materialien, die von NCMEC geliefert werden. Damit können sie ihre Plattformen selbst überwachen, um schon den Ladevorgang dieser Materialien zu verhindern. Auch Interpol schuf einen solchen hash-set für sein Projekt „Baseline“, das sich zunächst an Internet Service Provider wendete (ISP), jedoch inzwischen auch non-ISP Unternehmen erreicht.

COSPOL (Comprehensive Operational Strategic Planning for the Police) war 2004 auf Initiative von Norwegen und dem Vereinigten Königreich von der European Police Chief Task Force (EPCTF) ins Leben gerufen worden, vereinte 14 Mitgliedsstaaten[74] und verstand sich als eine Art operative, ermittelnde Ergänzung in der Landschaft der internationalen Organe und Agenturen wie Europol und Interpol, denen es ja bekanntlich an eigenen Ermittlungsbefugnissen mangelt. Ziel von COSPOL sei die Entdeckung und Zerschlagung von kriminellen Netzwerken und Organisationen. Eines der Kriminalitätsphänomene ist die Produktion und die Verteilung von CSEAM. Hierfür wurde das Projekt CIRCAMP (COSPOL Internet Related Child Abusive Material Project) gegründet, das von Europol und Interpol analytisch unterstützt wird (werden muss), obwohl es neben den bestehenden oder möglichen Joint Investigation Teams (JIT) als zusätzlicher, paralleler Akteur m.E. nicht gerade dienlich ist. Der Block- und Filter-Methodik folgend war die Schwerpunktaktion von CIRCAMP die Entwicklung, Implementierung und Verteilung eines Child Sexual Abuse Anti Distribution Filters (CSAADF) – ein eher rein präventiver Ansatz, der gerade die von COSPOL angestrebte intensivierte repressive Ermittlungstätigkeit zur Identifizierung von Opfer, Tatort und Täter verhindert. Acht der Länder nutzen CSAADF, um Webseiten zu blockieren, stellen Listen mit den URLs dieser Webseiten und stellen sie den ISP zur Verfügung, damit diese über die Domainnamen eine Stopp-Seite auf dem Computer/mobilen -endgerät des Nutzers angezeigt wird. Die erfassten Daten werden an Europol weitergeleitet und Interpol erstellt eine „Worst of list of domains (IWOL)“ für die Mitgliedsstaaten.

Dieses Verfahren wird in der Internetgemeinde und von mehreren namhaften NGO durchaus kritisch, als eine Art Zensur gesehen („extreme action“… „goodbye democracy“)[75], zumal es sich als „Büchse der Pandora“ erweisen könnte, wenn u.a. auch Urheberrechtsverstöße damit gefiltert werden könnten. Eine Reihe anderer guter Gründe spricht gegen diesen Ansatz,[76] der jedoch nach Auswertung offener Quellen nach den heftigen internationalen Datenschutzreaktionen ohnehin seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr von sich reden macht. Es ist schwer verständlich, dass die Europäische Kommission, die Task Force der europäischen Polizeichefs, Europol und Interpol so viel Ressourcen in ein Blockier und Filtersystem investieren, statt die Verbrechen direkt zu verfolgen.

Auch m.E. ist es wichtiger, die CSEA-Produktion zu stoppen als die Verbreitung.

Weder die Strafverfolgungsbehörden und -organisationen, noch die Inhalteanbieter oder die Serviceprovider (OSP) können das Problem alleine lösen. Das Kriminalitätsphänomen Online-CSEA verlangt m.E. auf globalem Niveau eher mehr konzertierte Anstrengungen, Aktionen und mehr Fusionen.

OSP könnten erkanntes CSEA-Material, statt zunächst erst an eine nationale Zentralbehörde, theoretisch durchaus auch unverzüglich an eine globale (Interpol) oder kontinentale Stelle (Europol, NCMEC oder CETS Australia) senden und die nationalen Zentralbehörden nachrichtlich informieren. Letztlich: Die künftigen Investitionen in Automation, Cloud Computing, IT-Forensik und die unbedingt erforderliche Artificial Intelligence (AI) übersteigen ohnehin alle personellen und finanziellen Ressourcen der nationalen und auch internationalen Akteuren, was nach Pool-Lösungen ruft.

Abb. 9

Organisation von CSEM/CSAM in der ICSE Database (Quelle: 2018 Interpol/ECPAT- Technical Report)

 

 

 

European Union

 

Die Bemühungen der Europäischen Union, Missbrauchsabbildungen und -filme sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen von Internet Service Providern (ISP) blockieren oder filtern zu lassen, reichen zurück bis 1996, als die Communication on Illegal and Harmful Content on the Internet (COM (96) 487 final) und das Green Paper on the Protection of Minors and Human Dignity in Audio-Visual and Information Services (COM (96) 483 verabschiedet wurden. Die Wirkungen der beiden Dokumente waren jedoch arg begrenzt. Erstens haben die Mitgliedstaaten die beiden Papiere sehr unterschiedlich angesehen und umgesetzt, und selbst im Bereich der Missbrauchsabbildungen/-filme sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen variierten die nationalen Gesetzgebungen zum Teil erheblich. Zweitens minderte die Subsidiaritätsklausel ein einheitliches Vorgehen erheblich, indem die nationalstaatlichen Interessen im Vordergrund standen. Drittens betonte selbst die Europäische Kommission ihre begrenzte legislative Kompetenz, so dass von Anfang an zwischen illegalen und schädlichen bzw. gefährlichen Inhalten (harmful content) unterschieden wurde, die separat angegangen und behandelt wurden.

 

Der Schwerpunkt bei Kinderpornografie lag zunächst auf Annäherung oder gar. Harmonisierung der nationalen Gesetze. 1999 bis 2005 betrieb die EC ein sehr bedeutsames Programm, die Finanzierung und Einrichtung nationaler Hotlines und Kontaktstellen zur online-Meldung illegaler Inhalte und zur Benachrichtigung der ISP.

Die nächste Aktion war die 2000 Council Decision to Combat Child Pornography on the Internet (2000/375/JHA), nach der die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, mit „technischen Mitteln“ die Verteilung von kinderpornografischem Material zu blockieren.

Diese Empfehlung war jedoch nicht sehr erfolgreich. Diese Council Decision wurde zwei Jahre später durch das Europäische Parlament gestoppt[77], da sich technische Blockaden als weitgehend ineffektiv für die Bekämpfung der Kinderpornografie herausstellten, dagegen die Meinungsfreiheit übergebührlich bedrohten. Die nächste Council Framework Decision on Combating the Sexual Exploitation of Children and Child Pornography (2004/68/JHA) enthielt daher keine Empfehlung mehr für das technische Blockieren illegaler Inhalte – allerdings blieb es den Mitgliedstaaten freigestellt, solche Techniken einzusetzen.

 

2006, nach der Evaluation des 2003-2004 Safer Internet Programme (COM (2006) 663 final), wurde die Blockiertechnik erneut zu einem bedeutenden Hilfsmittel im Kampf gegen Kinderpornografie erklärt und die Mitgliedsstaaten aufgefordert, diese europaweit zu installieren und zugleich eine black list von bekannten illegalen Seiten einzurichten. Anlass für diesen Richtungswandel war die signifikante Steigerung der Zahl von Internetseiten mit kinder- oder jugendpornografischen Inhalten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) berichtete von einer Steigerung von 1.894 Domains (2014) auf 3.077 Domains (2006), was eine Art moralische Panik insbesondere bei den Mitgliedsstaaten, die bisher keine Blockaden installiert hatten, auslöste. Da zudem England und Schweden, die solche Blockiersysteme etabliert hatten, positive Erfahrungen demonstrierten, waren die früheren Sicherheitsbedenken behoben.

 

Dieser Trend wurde im Mai 2007 weiter fortgesetzt mit dem Commission document ‘Towards a general policy on the fight against cyber crime’ (COM (2007) 267 final), in welchem eine Politik der “public-private agreements” empfohlen wird, mit welcher  EU-weit Seiten mit illegalen Inhalten, speziell mit Material zum sexuellen Missbrauch, blockiert werden sollen[78].

 

Im März 2009 wurde dieser Ansatz durch die Europäische Kommission weiter verfestigt, indem sie eine Framework Decision on Combating the Sexual Abuse of Children (COM (2009)135 final) vorschlug, die erstmals die Mitgliedsstaaten verpflichtete, online den Zugang zu inkriminierten Seiten zu blockieren. Mit dem Inkrafttreten des EU-Lissabon-Vertrages wurde die gleiche Vorlage als Directive (COM (2010) 94 final) umgesetzt

 

Die in der Wissenschaft immer noch strittigen Blockier-/Filtersysteme sind in Dänemark, Finnland, Italien, Malta, Norwegen und Schweden mit Einführung des Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter (CSAADF), unter polizeilicher Führung in der Praxis und auf nationaler Ebene erprobt worden. Noch immer gibt es keine EU-weite Blocklist, allerdings arbeitet CIRCAMP mit Unterstützung von Interpol und Europol an einer „worst-of“ Liste, in der aufgenommen wird, was in allen Teilnehmerstaaten als illegal gilt. Andere Mitgliedsstaaten arbeiten mit „industriegeführten“ Systemen (IWF in UK), die wenigstens von staatlich unabhängigen Organisationen überprüft werden.

 

Um die gesetzlichen Regelungen noch mehr anzunähern/zu harmonisieren und das Monitoring dieses Prozesses zu verbessern, wurde 2011 die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie verabschiedet (vor 10 Jahren!).

Damit wurde eine ganze Reihe von online und offline begangenen Handlungen (sexuelle Missbräuche) neu eingestuft (20 verschiedene Straftatbestände), inhaltliche Verbesserungen oder Aktualisierungen vorgenommen), Regelungen zum Strafrahmen, zu Verjährungsfristen oder zum Informationsaustausch getroffen u.v.a.m. Im Dezember 2016 veröffentlichte die Kommission zwei Berichte über den Stand der Umsetzung dieser Richtlinie. Der Bericht zur Direktive selbst offenbart, dass erhebliche Probleme in der Umsetzung bestanden, d.h. dass die Richtlinie (noch) nicht befriedigend und schon gar nicht fristgerecht umgesetzt wurde. Die Kommission musste daher gegen die 15 säumigen Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren einleiten, um bis zum Berichtstermin Antworten zu bekommen. Die Ergebnisse der rechtlichen Umsetzungen sind eigentlich ein Art Offenbarungseid: Zu unterschiedlich sind die Art der Umsetzung, die Begrifflichkeiten, die Definitionen, zu vage die Antworten oder es wurden zu „wenig aufschlussreiche Informationen“ übermittelt. Kein einziger Artikel der Richtlinie ist einheitlich umgesetzt worden. Zwar wurden „erhebliche Anstrengungen“ konstatiert, doch wird auch beklagt, dass „gegenwärtig einige der größten Herausforderungen für die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den Präventions- und Interventionsprogrammen für Straftäter (Artikel 22, 23 und 24), dem materiellen Strafrecht (Artikel 3, 4 und 5) sowie den Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Opfer im Kindesalter (Artikel 18, 19 und 20) stehen – mit den Kernpunkten also.

Die Kommission sollte vom EP aufgefordert werden, diese EU-Richtlinie erneut zu evaluieren und sie sollte bereits im Vorfeld auf ihre Durchsetzungsbefugnisse hingewiesen werden (Vertragsverletzungsverfahren).

 

Auch die Zuarbeit zum Bericht über die Bewertung der von den MS getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderpornografie (COM (2016) 872 final vom 16.12.2016 wurde nicht von allen Mitgliedsstaaten termingerecht und vollinhaltlich geleistet. Wenigstens haben fast alle Mitgliedsstaaten Hotlines eingerichtet, die befugt sind, auf das Material zuzugreifen (mit Ausnahme von BE, ES und IT, die ihrer Informationspflicht vermutlich über Europol oder Interpol Genüge leisten); Die Dachorganisation dieser Hotlines ist INHOPE[79]. Jedoch sind die Meldeverfahren sehr unterschiedlich und damit unterschiedlich lang. In 93% aller Fälle wird das CSEAM aber innerhalb maximal 72 Stunden aus dem Internet entfernt – das ist eindeutig zu spät, in dieser Zeit kann das Material millionenfach weiterverbreitet werden. Selbst die Regelung zur Entfernung von CSEAM oder von Sperrungen sind nicht einheitlich umgesetzt worden.

Dennoch will die Kommission keine Änderungen des Art. 25 der Richtlinie erwägen, sondern baut darauf, dass der „geschaffene Mehrwert Kindern in vollem Umfang zugutekommt“ und die MS diese Bestimmungen uneingeschränkt umsetzen werden. Na, dann! Auch hier ist die Kommission darauf hinzuweisen, darauf zu drängen, dass die Richtlinie voll inhaltlich umzusetzen ist.

Die EU-Security Union Strategy für die Jahre 2020 bis 2025 adressiert insbesondere die Bedrohung der Cyber-Sicherheit in den Mitgliedsstaaten und fordert diese auf, ihre Anstrengungen zu Erreichung dieses Ziels zu verstärken, dafür auch eng zusammenzuarbeiten und gewonnene Erkenntnisse und Informationen zu teilen.   Zu diesem Zweck wurde 2016 die NIS-Richtlinie (Directive on security of Network and Information Systems)[80] verabschiedet, mit der die Gesetzgebung in Sachen Cyber-Sicherheit in allen Mitgliedsstaaten bis Ende 2020 harmonisiert/implementiert werden muss, die dann überprüft wird. Von besonderer Bedeutung sind die Einrichtung von nationalen NIS-Zentralstellen, Aufbau von Computer Security Incident Response Teams (CSIRT), eine homogene Sicherheitskultur in allen KRITIS-Bereichen und Austausch von „best-practice“-Modellen über das „NIS-toolkit“. Damit soll die EU fit für das digitale Zeitalter gemacht werden.

Am 27.06.2019 wurde der Cybersecurity Act verabschiedet, der ein EU-weites Rahmenwerk für die IT-Zertifizierung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen etabliert und das Mandat der Agentur der Europäischen Union für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) gestärkt werden soll, der auch eine zweijährige Berichtspflicht gegenüber der Kommission abverlangt wird. (nix Parlament?) Der Cybersecurity Act ist für das hier behandelte Kriminalitätsphänomen jedoch kaum relevant.

Die Überprüfung der NIS-Richtlinie[81] führte erneut zu sehr unterschiedlichen, unvollständigen und unerfüllten Ergebnissen und fiel insgesamt recht kritisch aus („Enforcement regime of NIS is ineffective“…“MS do not share information systematically with one another“). Mitte Dezember 2020 wurde daher ein Vorschlag für eine neuen NIS-Richtlinie (NIS2)[82] unterbreitet, mit der durch systematische und strukturelle Änderungen die erkannten Mängel behoben werden sollen und in der u.a. auch auf die Schaffung einer Gemeinsamen Cyber Einheit (Joint Cyber Unit), einer neuen Cyber Security Strategy, präzisere Vorschriften für Berichtspflichten, -inhalte und -termine bei besonderen Ereignissen gedrängt wird. Die Thematik CSEA wird mit dem letztgenannten Schwerpunkt allenfalls nur indirekt angesprochen. Ansonsten sind die Maßnahmen, die innerhalb der nächsten 18 Monate umgesetzt werden sollen, mehr technischer Natur und kaum relevant für das hier behandelte Kriminalitätsphänomen.

 

 

Akronyme

 

AAPA                         Audiovisual Anti-Piracy Alliance

AI                                Artificial Intelligence (dtsch: Künstliche Intelligenz (KI))

AP                              Analysis Project (Europol)

ASF                            Automated Search Facility (Interpol)

BKA                            Bundeskriminalamt

CAAR                        Consolidated Annual Activity Report (Konsolidierter jährlicher Tätigkeitsbericht)

CACT                         Crime Against Children Team (Interpol)

CAID                          Child Abuse Image Database (UK/IWF)

CEDAW                     Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

CEOP                        Child Exploitation and Online Protection Center [Zentrum für Kinderschutz gegen Ausbeutung im Internet]

CEPOL                      European Agency for Law Enforcement Training

CETS                         Child Exploitation Tracking System (Kanada, Australien)

CIRCAMP                 Cospol Internet Related Child Abusive Material Project

CJM                           Cybercrime Judicial Monitoring

CMS                           Case Management System (Fallbearbeitungssystem)

CoE                            Council of Europe (Europarat)

COSPOL                   Comprehensive Operational Strategic Planning for the Police

CPSs                          Cyber Physical Systems

CRC (KRK)               Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz: Kinderrechtskonvention

CRC-Komitee           UN-Komitee über die Rechte des Kindes

CRIS                          Child Recognition and Identification System (NCMEC)

CSA                           Child Sexual Abuse

CSAADF                   Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter

CSE                           Child Sexual Exploitation

CSEA                         Child Sexual Exploitation and Abuse

CSEAM                     Child Sexual Exploitation and Abuse Material

CSIRT                        Computer Security Incident Response Teams

CTR                           Counter-Terrorism Register (Justizielles Terrorismusregister)

CVIP                          Child Victim Identification Program (NCMEC)

DDoS                         Distributed Denial of Service

DNS                           Domain Name System (ICANN)

EAW                           European Arrest Warrant (Europäischer Haftbefehl (EuHb))

eco                              Europäischer Verband der Internetwirtschaft e.V.

ECPAT                      Ending the Sexual Exploitation of Children [Sexuelle Ausbeutung von Kindern beenden]

EC3                            Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität bei Europol

EEA                            Europäische Ermittlungsanordnung

EFC                            European Financial Coalition against Commercial Sexual Exploitation of Children (Europol)

EIO                             European Investigation Order (Europäische Ermittlungsanordnung- EEA)

EJCN                         Europäisches Justizielles Netzwerk gegen Cyberkriminalität

EJN                            Europäisches Justizielles Netz

EJR                            Eurojust-Verordnung

EMPACT                   European Multidisciplinary Platform Against Criminal Threats (Europäische multidisziplinäre Plattform gegen kriminelle Bedrohungen)

ENISA                        European Union Agency for Cybersecurity

ENPE                         European Network of Prosecutors for the Environment (Europäisches Netz der in Umweltsachen tätigen Staatsanwälte)

EPPO                         Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA)

EU                              Europäische Union

EUCPN                      European Crime Prevention Network

EuHb                          Europäischer Haftbefehle

EU-MS                       EU-Mitgliedsstaaten

EUROMED               Euro-Mediterranean Partnership (Euro-mediterrane Partnerschaft)

EUROPOL                European Union Law Enforcement Agency (Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung)

EUStA                        Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO)

EYD                           EUROPEAN YOUTH DAY (EUROPOL)

Frontex                      Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der EU

GAC                           Governmental Advisory Committee (ICANN)

GLACY                      Global Action on Cybercrime (Weltweite Bekämpfung der Cyberkriminalität)

GSMA                        Mobile Alliance Against Child Sexual Abuse Content (Mobile Alliance)

GZ                              Gemeinsames Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit

HashDBPS               Hashwerte-Datenbank Pornografische Schriften (BKA)

HAVEN                      Halting Europeans Abusing Victims in Every Nation  (Europol)

ICANN                       Internet Corporation for Assigned Names and Numbers

IKT                             Informations- und Kommunikationstechnologien

INHOPE                    International Association of Internet Hotlines 8Dachverband der Internet-Beschwerdestellen)

INTERPOL                International Criminal Police Organization (Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO))

IOCTA                       Internet Organised Crime Threat Assessment (Europol)

IoE                              Internet of Everything

IoT                              Internet of Things

ISCE                          International Child Sexual Exploitation Database (Interpol)

ISP                             Internet Service Provider

IWF                            Internet Watch Foundation (UK)

IWOL                         Interpol Worst List of domains

J-CAT                        Joint Cybercrime Action Taskforce (Verbund zur internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität)

JCU                            Joint Cyber Unit

JHA                            Justice and Home Affairs (Justiz und Inneres)

JIT                              Joint Investigation Team (Gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG))

KSAK                         Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern

LDCA                         Live distant child abuse (Europol)

MENA                        Middle East and Northern Africa (Naher Osten und Nordafrika)

MLA                           Mutual Legal Assistance (Rechtshilfe)

NCMEC                     National Center for Missing and Exploited Children

NIS                             Network and Information Systems across the Union (NIS Dirctive)

NGO                           Non-Governmental Organisation [Nichtregierungsorganisation]

NZB                            Nationales Zentralbüro (für Interpol und Europol)

OAP                            Operativer Aktionsplan

OCG                           Organised Crime Group (Gruppe organisierter Kriminalität)

OCSEA                      Online Child Sexual Exploitation and Abuse (Europarat)

OLAF                         Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung

OPSC                        Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention über den Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornographie

OSCE                        Organisation for Security and Co-operation in Europe (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE))

OSP                            Online Service Provider

P2P                             Peer-to-Peer Netzwerke

PNR                           Passenger Name Record (Europol)

PSWG                       Public Safeety Working Group (ICANN)

SGEM                        Self-Generated Explicit Material (Europol)

SIRIUS                      Scientific Information Retrieval Integrated Utilisation System (Integriertes Nutzungssystem zur Auffindung wissenschaftlicher Daten)

SPoCs                        Single Points of Contacts (Eurojust)

TCM                           Terrorism Convictions Monitor (Bericht über Verurteilungen wegen terroristischer Straftaten)

THB                            Trafficking in human beings (Menschenhandel)

TOR                           The Onion Router

TSO                           Travelling Sex Offenders

TWINS                       Analysis Project Twins supports the prevention and combating of all forms of criminality associated with the sexual exploitation and abuse of children.

UK                              Vereinigtes Königreich

UN                              Vereinte Nationen

UNAIDS                    Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV/AIDS

UNICEF                     Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen

UNODC                     Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung

UNWTO                    Welttourismusorganisation

US(A)                         Vereinigte Staaten (von Amerika)

USAID                       Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung

VGT                           Virtual Global Taskforce

VITF                           Victim Identification Taskforce (Europol)

WHO                          Weltgesundheitsorganisation

ZAC                            Zentrale Ansprechstellen Cybercrime (bei Justiz, für Wirtschaft und für CSEA)

 

 

Anlage 1

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sexualisierte-gewalt-kinder-sexueller-missbrauch-kinderpornografie-anhoerung-bundestag-strafrahmen-verbrechen-keuschheitsprobe/

Sexting

These concerns have become all the more acute in the face of recent empirical evidence which suggests that sexual materials produced by children have become firmly embedded in the larger corpus of CSAM/CSEM in circulation.65Sexting may be broadly understood as the exchange of sexually explicit material via ICT,66 typically encompassing picture, video and textual content. While most research and public discourse on this phenomenon has addressed the problematic aspects of children’s sexting behaviours, sexting behaviour can function as a form of flirting and adolescent experimentation, and to enhance a sexual relationship.67 Notwithstanding, substantial concerns have been expressed around the permanence of the imagery that is produced in the context of sexting activities and its potential to lead to long-lasting and harmful consequences for children and young people.68 Particular focus has been given to legally problematic materials produced in the course of sexting exchanges, which have been described as ‘youth-produced sexual images’, or ‘pictures created by minors (age 17 or younger) that depict minors and that are or could be child pornography under applicable criminal statutes’.69Law enforcement, education, and social care professionals work with children whose formative sexual experiences are based upon such imagery.70 Problematically, many children perceive little wrong with the redistribution of sexually explicit images of their peers, or pressuring another child to producing and sharing a sexual image of themselves.71 At country level, schools in the United Kingdom have reported increasing experiences of cases featuring prepubescent children involved in the production or exchange of ‘youth-produced sexual imagery’.72 Here, the concern is not alone the production and dissemination of ‘youth-produced sexual imagery’ at increasingly young ages, but the associated problems of sexual abuse and exploitation of younger-age children that can result from this behaviour. The longer-term implications of this scenario are unclear, but can be linked to increasing criminal justice system engagement with children and young people as ‘perpetrators’ of CSAM/ CSEM-related offences. A recent Freedom of Information request to the UK’s Ministry of Justice by Phippen and Brennan73 demonstrated a year-on-year increase (2010-2015) in the number of prosecutions of 18-24 year olds under section 1 of the UK’s Protection of Children Act 1978. Indeed, a general increase in such offences was observed across this 5-year period where the perpetrator was a minor.74 This data indicates an increasing number of youth CSAM/CSEM users becoming engaged with law enforcement and the criminal justice system. Here the need for accurate classification and victim identification is particularly acute, given the complexity of some case presentations involving minors, where the distinction between victim and perpetrator is difficult to make. This cohort is at particular risk of falling through the cracks for victim identification, particularly where child subjects of ‘self-generated’ CSAM/CSEM are classified as perpetrators rather than victims. The victim-blaming attitudes towards those featured in exploited ‘self-generated’ material that prevail among young people, responses that emphasise the illegality of ‘sexting’ practices with frequent recourse to prosecution, and attendant reluctance for victims to report, act as major barriers to victim identification and assistance in these cases.75One obvious consequence of the variable presentation of sexting behaviours is that the cases that come to the attention of law enforcement are highly varied in presentation and context. Cases range from comparatively benign activities (e.g. where sexual materials are produced and shared in the context of a romantic adolescent relationship), to instances of explicit criminal harm (e.g. where a child is coerced into producing the material). Therefore, an on-going challenge remains: that of reliably distinguishing sexting behaviours and engagements with youth-produced imagery where some form of criminal harm is apparent, and where there is a public interest in sanctioning and managing the perpetrators. Outside of cases of illegal adult involvement, there may be a public interest in criminal sanction in a proportion of peer-perpetrated sexting cases, e.g. where the case features coercion and other exploitative dimensions, or the exploitation and abuse of prepubertal children. Indeed, the online sexual extortion of children has emerged as a substantial challenge in these investigations. Online sexual extortion activities targeting children occur at the intersection of a number of criminal behaviours, including financial extortion, sexual grooming and online solicitation, and may bear the characteristics of one or all of these offences. This apparent overlap can give rise to conceptual confusion regarding the nature of online child sexual extortion, the criminal offences that may be implicated in this activity, and present challenges to reporting, victim identification, and other management interventions.76 For example, a recent US survey of youth implicated in cases of sexual coercion and extortion determined that only 13% of victims reported their case to law enforcement.

 

 

 

 

 

 

Anlage 2

Fragebogen für den wissenschaftlichen Dienst (WD) des Europaparlaments

 

Kindesmissbrauch und Kinderpornographie sind nicht nur eine besonders schwere Form der Verletzung des Kindeswohls, das auch von Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention geschützt ist (seit 1992 deutsches Bundesrecht), sondern sind besonders widerliche Gewaltdelikte, weil sie sich die Schwächsten unserer Gesellschaft, die Schutzbedürftigsten zum Ziel macht, welche die geringste Beschwerdemacht und realiter die wenigsten (politischen) Fürsprecher hat.

 

Für die Betroffenen ist sexuelle Gewalt oft mit schwerwiegenden psychischen Folgen verbunden: Viele leiden bereits im Kindes- und Jugendalter unter psychischen Störungen und sind während ihrem Erwachsenenleben weiterhin psychisch belastet, wobei die Probleme oft bis ins hohe Erwachsenenalter anhalten. Nicht nur auf individueller Ebene sind die Folgen teils dramatisch, auch die gesellschaftlichen Kostenfolgen sind u.a. durch anfallende Gesundheitskosten und Arbeitsausfälle hoch. Zusätzlich besteht das Risiko, dass Opfer von Kindsmisshandlung und von sexuellem Missbrauch als Erwachsene selbst zu Tätern und Täterinnen werden.

 

Aus diesem Grund erarbeitet die EVP im Rahmen der „EU-Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ (24.07.2020) einen umfassenden EU-Aktionsplan, um Prävention und Repression effektiver zu gestalten und die Errichtung eines „Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ voranzutreiben. Um diese Aufgabe mit größtmöglicher Effizienz erledigen zu können, bedarf es allerdings zuvor einer Erhebung der aktuellen Situation in den Mitgliedstaaten (IST-Analyse) und engster Zusammenarbeit der EU-Ausschüsse LIEBE, CULT, FEMM und JURI.

 

Primär bedarf es des Einverständnisses über oder zumindest der Vergleichbarkeit von rechtlichen Tatbestandsmerkmalen, einheitlicher(e) Begriffe, Definitionen und Operationalisierungen der Kernelemente dieses komplexen Kriminalitätsphänomens. Nur dann kann das Ziel eines umfassenden Aktionsplanes auch erreicht werden. Dies gilt übrigens für alle sonstigen OSINT-Intelligence-Cycles, den Arbeitszyklen, um relevantes Wissen zu erwerben um dieses in effiziente Aktionen umzusetzen (Planung, Informationssammlung, Datenverarbeitung, Analyse und Präsentation), im vorliegenden Fall auf der polit-strategischen Ebene.

 

Kindesmissbrauch hat kriminalphänomenologisch enorm viele Facetten. Sie reichen von psychischer über physischer und sexueller Gewalt bis hin zur Kindstötung, die häufig als gemischte Tatbegehungsform vorkommen. Sexuelle Gewalt tritt zumeist nicht als isoliertes Ereignis auf, sondern steht oft im Kontext von psychischer und physischer Misshandlung, Vernachlässigung und weiteren Gewalterfahrungen („Bullying, Mobbing“). Sexuelle Gewalt und die so genannte Kinderpornographie stehen in engster deliktischer Nähe. Diese Deliktsformen betreffen auch Jugendliche und Schutzbefohlene. In Deutschland hatten Straftaten der sexuellen Gewalt an Kindern langfristig abgenommen, nehmen aber seit ca. drei Jahren wieder deutlich zu. Inwieweit diese Fallentwicklung auf eine tatsächliche Abnahme zurückzuführen war oder andere Gründe hatte, bspw. in verändertem Meldeverhalten, kann nur durch umfangreichere Daten und Wiederholungen von methodisch hochwertigen Befragungen ermittelt werden – erst recht nach der deutlichen Steigerung der vergangenen Jahre. Erst im Rahmen eines solchen, auch von der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen geforderten regelmäßigen Monitorings kann sich zeigen, ob eingeleitete Präventionsprogramme und gesetzgeberischen Maßnahmen zu einer Verringerung der Prävalenz führen und ob gewährte Hilfen und therapeutische Interventionen Folgebelastungen reduzieren.

 

Trotz der vielfach artikulierten und publizierten Bedeutung des Kriminalitätsphänomens auf polit-medialer Ebene und gesetzgeberischen oder regulativen „Nachsteuerungen“ „muss die Datenlage zur Häufigkeit sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Deutschland insgesamt eher als mager, für einzelne Bereiche gar als dürftig gewertet werden“[83].

 

Im Dezember 2019 hat die Bundesregierung den „Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ ins Leben gerufen. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gemeinsam initiierte Gremium soll den interdisziplinären Austausch zwischen den staatlichen und nichtstaatlichen Verantwortungsträgern auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen vertiefen und fördern, schon 2021 sollen die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse für längerfristige Maßnahmen vorgelegt werden.

 

Der jüngste Appell der deutschen Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey[84] an Eltern, Fachkräfte und Beschäftigte in Schulen, Jugendämtern, bei der Polizei, in der Justiz und Medizin noch wachsamer zu sein, um frühzeitig Missbrauch zu erkennen und entschlossen eingreifen zu können, verlangt aber auch entsprechende Normen und Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene.

 

Umso bedeutsamer sind Datenerhebung und -analyse auf EU-Ebene, wo vermutlich in vielen MS noch offen ist, ob eine Mehrheit der Fälle überhaupt bekannt wird, wirksame Meldedienste und -wege eingerichtet sind, ob ausreichend Spezialdienststellen und Fachkräfte existieren, ob alters-, religions-, kultur- oder deliktsspezifische Versorgungslücken bestehen, usw. Mangelhafte Datenerfassung führt aber zu mangelndem Wissen über die Nachhaltigkeit von Präventions- und Interventionsmaßnahmen, zu denen auch Strafverfolgungsmaßnahmen zu zählen sind.

 

 

I          Die Opfer

Ein erster Rechtsvergleich auf EU-Ebene zeigt beispielhaft, welche Praxisprobleme sich bei der Betrachtung der Kriminalitätsphänomene Kinderpornographie und sexuellem Missbrauch von Kindern auftun, denn die Begriffe „Kinder“, „Jugendliche“, „Minderjährige“ oder gar “junge Menschen“ variieren z.T. erheblich, überlappen sich, sowohl in Hinblick auf Altersgrenzen als auf Rechtsbegriffe und -folgen:

In Belgien gilt man zum Alter von 18 Jahren man als minderjährig, jugendschutzrechtliche Bestimmungen verlangen, dass Kinder ab 12 mit den offerierten Unterstützungsleistungen einverstanden sein müssen. Auf föderaler Ebene ist man ab 14 Jahren strafrechtlich mündig

In Bulgarien gilt nach dem Gesetz für Personen und Familien eine Person bis 14 Jahre als Kind, Personen von 14 bis 18 Jahren als Jugendliche.

 

In Dänemark gilt bis zum Alter von 14 Jahren eine Person als Kind. Jugendlich ist man zwischen 14 und 18 Jahren.

 

In Deutschland sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert.

In Estland sind Kinder nach dem Kinderschutzgesetz Personen bis 18 Jahren, nach dem Jugendarbeitsgesetz sind Jugendliche aber Personen zwischen 7 und 26 Jahren.

In Finnland ist nach dem Kinderfürsorgegesetz ein Kind eine Person unter 18 Jahren und als „junge Person“ werden diejenigen unter 21 Jahren bezeichnet.

 

In Frankreich gilt eine Person nach dem Code civil bis zur Vollendung des 18. Lebensjahr als minderjährig, Jugendliche sind Personen bis 21 oder 25 Jahren.

 

In Griechenland sind Personen zwischen dem 8. und dem vollendeten 18. Lebensjahr Minderjährige.

 

In Irland gilt man bis zum Alter von 18 Jahren als Kind, es gibt jedoch bestimmte Regelungen, die Kindern unter 18 Jahren Rechte geben, die normalerweise Erwachsenen vorbehalten sind (zum Beispiel das Recht zur Eheschließung).

 

In Italien gibt es keine spezifischen Normen für Kinder und Jugendliche. Im Allgemeinen pflegt man diese Zeitspannen mit der Schullaufbahn zu verbinden und sie dem Reifeprozess bis zum Erreichen der Volljährigkeit ab 18. Jahren zuzuordnen. Die Zeitabschnitte von der Geburt bis 13 Jahre dürften den verschiedenen Kindheitsphasen zugeordnet werden können („bambino“), das Alter von 14 bis 17 Jahren der Jugend („adoloscente“).

In Kroatien werden die Begriffe »Kind« und »Jugendliche« derzeit durch verschiedene Regelungen unterschiedlich definiert. Gemäß dem Familiengesetz ist das Volljährigkeitsalter 18 Jahre. Das Strafgesetzbuch, definiert ein Kind im Sinne dieses Kodex als eine Person, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Nach dem Jugendgerichtsgesetz ist ein Minderjähriger eine Person, deren Alter zum Zeitpunkt der Straftat zwischen 14 und 18 Jahren lag.

In Lettland gelten Personen als bis 18 Jahren als Kinder, Jugendliche sind Personen zwischen 13 und 25 Jahren

 

In Litauen gilt die Definition des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes. d.h. als Kind wird jede Person unter 18 Jahren angesehen

 

In Luxembourg gelten Personen unter 18 Jahren als Minderjährige, man macht grundsätzlich gesetzlich keinen Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen. Jedoch unterscheidet das Gesetz zum Schutz junger Arbeitnehmer vom 23. März 2001 zwischen Kindern unter 15 Jahren und Jugendlichen unter 18 Jahren.

 

In Malta wird eine Person als minderjährig betrachtet, bis sie das 18. Lebensjahr erreicht.

 

In den Niederlanden werden Personen unter 18 Jahren gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch als minderjährig angesehen. In der niederländischen Jugendpolitik wird jedoch Jugend im Allgemeinen als Altersgruppe von 0-27 Jahren definiert. Innerhalb dieser Altersgruppe wird unterschieden (in der Politik, nicht in den Gesetzen) zwischen Kindern (0-12 Jahre), Jugendlichen (12-18 Jahre) und jungen Erwachsenen (18-27 Jahre). In den Niederlanden gilt der Begriff Jugend für Kinder und Jugendliche von 0 bis 23 oder 27 Jahren.

 

In Österreich gibt es keine bundeseinheitliche Legaldefinition der Begriffe „Kind“ und „Jugendlicher“. Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gelten als Minderjährige. Nach den Jugendschutzgesetzen der Länder Steiermark, Kärnten, Tirol und Vorarlberg gelten Personen bis zum vollendeten 14. Lebensjahr als Kinder und Personen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr bis zum vollendeten 18. Lebensjahr als Jugendliche. Nach dem Salzburger Jugendschutzgesetz gelten als Kinder Personen bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und Personen ab dem vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr als Jugendliche. Das Jugendschutzgesetz Oberösterreich bestimmt, dass alle Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Jugendliche sind. Jugendschutzgesetze der Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland verwenden anstelle der Begriffe „Kinder“ und „Jugendliche“ den Begriff „junge Menschen“ für Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.

 

In Polen gelten Personen von der Vollendung des 13. Lebensjahrs bis zu Ihrem 18. Lebensjahr als minderjährig, danach sind sie Erwachsene. Polen kennt einen Ombudsmann für Kinderrechte.

 

In Portugal gilt eine Person bis zu 18 Jahre als Kind, danach ist sie volljährig.

 

In Schweden ist eine Person unter 18 Jahren ein Kind. Es gibt einige spezifische Bestimmungen über Jugendliche, die in unterschiedlichen Gesetzen geregelt sind. Die Altersbestimmungen für Jugendliche variieren innerhalb dieser Gesetze.

 

In Slowakei sind gem. UN Kinderrechtskonvention sind Personen unter 18 Jahren Kinder

 

In Slowenien sind nach dem Ehe- und Verwandtschaftsbeziehungsgesetz Personen bis 18 Jahren Kinder

 

In Spanien sind Personen unter 18 Jahren Minderjährige. Kinder gelten als minderjährige Personen. Jugendliche sind allgemein Personen zwischen 15 und 24 Jahren. Personen zwischen 15 und 17 Jahren werden als Kinder oder Jugendliche definiert

In Tschechien Bis 18 Jahre gilt eine Person als Kind und bis 26 Jahre als junge Person (nur praktisch, nicht im Gesetz geregelt). Gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch werden natürliche Personen, die nicht das 18. Lebensjahr erreicht haben, als Minderjährige bezeichnet

In Ungarn werden alle Personen unter 18 Jahre rechtlich als Kinder bezeichnet

 

In Zypern gilt man bis zum Alter von 18 Jahren als Kind oder Jugendlicher.

 

 

Zusammenfassung:

In der ganz überwiegenden Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten (Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern) gilt die UN-Kinderrechtskonvention (mehr oder weniger direkt), wonach „Kinder“ Personen bis zum 18. Lebensjahr sind; teilweise wird auch der Begriff „Minderjährige“ verwendet. Auch Luxemburg dürfte eher der ersten Ländergruppe zugeordnet werden, obwohl nach einer anderen rechtlichen Grundlage des Landes auch eine Zuordnung zur zweiten Ländergruppe denkbar wäre. In Griechenland gilt die Besonderheit der Minderjährigkeit vom 8. bis zum 18. Lebensjahr. Diese Ländergruppe wird in der Folge als „Gruppe A“ oder „A-Länder“ zusammengefasst.

 

Nur in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Polen sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert. Die Volljährigkeit tritt mit dem 18. Lebensjahr ein. In Italien und Österreich sind zwar regionale oder altersmäßige Differenzierungen Untzu beachten, doch können diese beiden Staaten dieser Ländergruppe noch zugerechnet werden. Diese Ländergruppe wird in der Folge als „Gruppe B“ oder „B-Länder“ zusammengefasst.

 

Zu Rumänien liegen noch keine Angaben vor.

 

Der WD/EP wird gebeten, die erhobenen Daten rechtssicher zu überprüfen und die fehlende Information zu Rumänien einzuholen.

 

 

II       Generelle Kinderrechte

 

Kinder haben in Deutschland grundsätzlich folgende Kinderrechte, die ihnen nicht nur zustehen, sondern die der Staat auch verteidigen soll, um die Kinder zu schützen:

  1. Alle Kinder haben die gleichen Rechte. Kein Kind darf benachteiligt werden. Kinder haben das Recht, so gesund wie möglich zu leben.
  2. Kinder haben ein Recht auf Schutz und Fürsorge durch ihre Eltern. Wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, muss der Staat dafür sorgen, dass die Kinder einen neuen Lebensplatz bekommen.
  3. Jedes Kind hat ein Recht auf eine Identität und auf Familie. Dazu gehört das Recht auf einen Namen, eine Geburtsurkunde und Nationalität.
  4. Kinder dürfen nicht willkürlich von ihrer Familie getrennt werden.
  5. Kinder haben nicht nur ein Recht auf Bildung, sondern auch die Pflicht zum Schulbesuch.
  6. Kinder haben das Recht auf Erholung und Spiel. Es muss also auch genügend Platz und Raum dafür zur Verfügung stehen.
  7. Kinder haben das Recht, sich zu informieren, eine eigene Meinung zu haben und an Entscheidungen beteiligt zu werden, die sie betreffen. Das gilt im alltäglichen Leben wie auch beispielsweise im Fall einer Scheidung. Hier müssen die Kinder angehört werden, bei wem sie zukünftig leben wollen.
  8. Jedes Kind hat das Recht auf einen bestimmten Lebensstandard. Sind Eltern dazu nicht aus eigener Kraft in der Lage, muss der Staat den Eltern Unterstützung bieten.
  9. Kinder dürfen nicht arbeiten oder ausgebeutet werden.
  10. Kinder müssen vor körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt geschützt werden. Erst 2000 wurde in Deutschland das „Recht auf eine gewaltfreie Erziehung“ festgeschrieben. Bis dahin waren Schläge als „Erziehungsmaßnahme“ nicht verboten.
  11. Behinderte Kinder haben ein besonderes Recht auf Fürsorge und auf ein aktives und möglichst selbstständiges Leben.
  12. Kinder brauchen besonderen Schutz im Krieg und auf der Flucht.

Zusammenfassung

Der WD/EB wird gebeten zu überprüfen, ob die o.a. generellen Kinderrechte in den EU-Mitgliedsstaaten identisch sind, bzw. ob und welche Abweichungen vorliegen, welche Rechtsebene diese Kinderrechte garantiert (Verfassung, Bundesgesetz, Landesgesetz).

 

 

III      Sexueller Missbrauch

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

 

In Deutschland wird der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 StGB verfolgt.

Strafbar ist der sexuelle Missbrauch durch Eltern oder durch Täter oder Täterinnen, denen die Kinder (und Jugendliche) zur Erziehung, zur Ausbildung oder sonst zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind (z.B. Lehrer, Heimerzieher, Ausbilder)

 

Ist das Opfer zwischen 16 und 18 Jahre alt, muss hinzukommen, dass der Täter oder die Täterin die durch das jeweilige Obhutsverhältnis bestehende Abhängigkeit ausgenutzt hat; dieses Obhutsverhältnis verlangt eine Unter- und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst.

 

Nach Gesetzesänderung 2015 können sich nun auch Vertretungslehrer und Vertretungslehrerinnen strafbar machen. Diese waren zuvor ausgeschlossen, weil ihnen die Kinder nicht „regelmäßig anvertraut“ waren.

 

Ebenso wurde 2015 der Schutz auf Stiefkinder, Enkel und die Kinder von Partnern ausgeweitet, die nun genau so wie leibliche Kinder geschützt sind und die Verjährung wurde bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers erweitert. .

 

Wer sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

574Katholische 12.

2017 wurden in Deutschland 403 Fälle von Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen registriert, 2018 waren es 513 Fälle und 2019 waren es 574. Die Fallzahlen der früheren Jahre schwanken und sind in etwa gleichgeblieben. Herausragend waren die Fälle an der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg (2010) und die Missbrauchsfälle in vielen katholischen Einrichtungen, wie die von der Kirche in Auftrag gegebene bundesweite Studie für die Jahre 1946 bis 2014 (MHG-Studie) ergab.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden, und welche Strafandrohungen und Verjährungsfristen gelten.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren, die Strafandrohungen und institutionalisierte Formen der Hinweisaufnahme (Meldepflichten, Zentralstellen, Hot-Lines, bischöfliche Beraterstäbe, Ombudsmann usw.)

 

 

 

IV      Sexueller Missbrauch

Sexuelle Gewalt an Kindern

 

In Deutschland wird der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB verfolgt.

Sexueller Missbrauch oder richtiger: sexuelle Gewalt an Kindern (bis 14 Jahre) ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können.

 

Bereits der Versuch eines Sexualkontaktes mit einem Kind ist strafbar.

 

Angebliche Einwilligungen von Kindern, sind rechtlich unwirksam. Der Täter oder die Täterin nutzt dabei seine/ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Die Strafandrohung bezieht sich also auch auf sexuelle Handlungen, die keinen unmittelbaren Körper- oder Hautkontakt voraussetzen: Das gilt auch dann, wenn Mädchen oder Jungen solche Sex-Szenen beispielsweise per Videostream verfolgen.

 

Diese sozialwissenschaftliche Definition bezieht sich dabei auf alle Minderjährigen. Bei unter 14-Jährigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie sexuellen Handlungen nicht zustimmen können. Die Formulierung „sexueller Gewalt an Kindern (bzw. Jugendlichen)“. stellt heraus, dass es sich um Gewalt handelt, die mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird. Der ebenfalls verwendete Begriff „sexualisierte Gewalt“ geht noch einen Schritt weiter und verdeutlicht, dass bei den Taten Sexualität funktionalisiert, also benutzt wird, um Gewalt auszuüben.

 

Wer sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, in besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.

 

Wer die sonstigen Formen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vornimmt, die in § 176 Abs. 4 und 5 StGB beschrieben sind, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Darunter fallen auch Fälle des Anbahnens von sexuellem Missbrauch in Chatrooms (so genanntes Grooming).

 

2017 wurden in Deutschland 11.547 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern registriert, 2018 waren es 12.423 Fälle und 2019 waren es 16.570. Diese Fallzahlen gehen seit Jahren nicht zurück. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Spektakuläre Missbrauchsfälle ereigneten sich zuletzt in Lügde, Bergisch Gladbach, Münster oder Köln.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS, die Strafandrohungen und institutionalisierte Formen der Hinweisaufnahme (Meldepflichten, Zentralstellen, Hot-Lines, Ombudsmann usw.)

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V       Sexueller Missbrauch

Schwere sexuelle Gewalt an Kindern

 

In Deutschland wird der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 a StGB verfolgt und liegt insbesondere in den folgenden drei Fallgestaltungen vor:

Sexueller Missbrauch durch Beischlaf oder ähnliche Handlungen (§ 176a Absatz 2 Nr. 1 StGB)

Strafbar sind alle Handlungen an Kindern, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind: Analverkehr, Oralverkehr, Eindringen mit dem Finger oder Ähnliches. Täter oder Täterinnen müssen in diesen Fällen regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechnen (Verbrechenstatbestand)

Gemeinschaftlicher sexueller Missbrauch (§ 176a Absatz 2 Nr. 2 StGB)

Im Falle des gemeinschaftlichen sexuellen Missbrauchs an Kindern, bei dem mindestens zwei Personen als Täter zusammenwirken, nimmt das Gesetz eine besondere Schutzlosigkeit des Opfers an. Wie auch bei den anderen Varianten des § 176a Absatz 2 StGB droht den Tätern oder Täterinnen hier eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren (Verbrechenstatbestand).

Sexueller Missbrauch mit der Gefahr schwerer Gesundheitsschädigung (§ 176a Absatz 2 Nr. 3 StGB)

Bestraft werden alle sexuellen Handlungen an einem Kind – oder solche, die der Täter oder die Täterin von dem Kind an sich hat vornehmen lassen –, wenn der Täter oder die Täterin das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung bringt. Zum Nachweis der konkreten Gefährdung von Gesundheit und Entwicklung eines Kindes ist in der Regel kinder- und jugendpsychiatrischer Sachverstand gefragt. Auch in diesen Fällen ist regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechnen (Verbrechenstatbestand)

2017 wurden in Deutschland …..Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch an Kindern registriert, 2018 waren es …. Fälle und 2019 waren es 2.631 erfasste Fälle mit 2.881 geschädigten Kindern. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Spektakuläre Missbrauchsfälle ereigneten sich zuletzt in Lügde, Bergisch Gladbach, Münster oder Köln.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS und die Strafandrohungen.

 

 

VI      Sexueller Missbrauch

Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB)

Jeder Täter bzw. jede Täterin – auch Jugendliche (14- bis 18-Jährige) und Heranwachsende (18- bis 21-Jährige) – macht sich wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen strafbar, wenn er oder sie eine Zwangslage des Mädchens oder Jungen ausnutzt oder Geld für die sexuelle Handlung bezahlt.

Eine Person über 21 Jahre macht sich durch jede sexuelle Handlung mit einer oder einem Jugendlichen unter 16 Jahren strafbar, wenn das Opfer ihr gegenüber nicht zur sexuellen Selbstbestimmung fähig ist. Notwendig ist dabei nach der letzten Gesetzesänderung nicht mehr eine generelle fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung, sondern die spezielle – gegenüber dem Täter oder der Täterin – fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung.

Wer sexuellen Missbrauch von Jugendlichen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wer sexuellen Missbrauch von Jugendlichen gemäß §182 Abs. 3 StGB begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, insbesondere in den „A-Ländern“, in denen der Kindesbegriff bis zum 18. Lebensjahr reicht, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS und die Strafandrohungen.

 

 

VII     Sexueller Missbrauch

Besitz, Erwerb und Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern (ehem. Kinderpornografie, §§ 184b, 184 c, 201a Abs. 3 StGB)

 

Die so genannte „Kinderpornografie“ ist nach § 184b StGB die „fotorealistische Darstellung“ von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen unter 14 Jahren. Um zu verdeutlichen, dass es keine erlaubten sexualisierten Darstellungen von Kindern geben kann, sollten Begriffe wie „Missbrauchsabbildungen“ oder „Missbrauchsfilme“ statt Kinderpornografie verwendet werden. Inzwischen ist auch die versuchte Verbreitung und Herstellung von kinderpornografischen Schriften strafbar.

Die verbotenen Darstellungen umfassen Aufnahmen sexueller Handlungen aller Art, die vor oder an Kindern oder die von Kindern durchgeführt werden. Seit der Gesetzesänderung vom Januar 2015 ist nun auch im Gesetz klargestellt, dass Aufnahmen eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes unter 14 Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung verboten sind. Auch sexuell aufreizende Abbildungen des Genitals oder des unbekleideten Pos eines Kindes sind danach nun ausdrücklich in die Strafbarkeit aufgenommen.

Herstellung, Besitz, Erwerb und Verbreitung solcher Fotos oder Filme sind strafbar – unabhängig davon, ob das Material in gedruckter oder digitaler Form vorliegt.

Die Verbreitung von „jugendpornografischen Schriften“ – also entsprechenden Darstellungen von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren – ist ebenfalls strafbar (§ 184c StGB). Darunter fällt nach der Gesetzesänderung vom Januar 2015 auch die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung. Davon ausgenommen ist allerdings die Herstellung solcher Bilder zum ausschließlich persönlichen Gebrauch, wenn die dargestellte Person in die Wiedergabe eingewilligt hat.

Der Anteil kinderpornografischen Materials der im Internet im Umlauf ist, wächst rasant. Schon 2011 wurde in einer Studie[85] nachgewiesen, dass etwa 35 % der kinderpornografischen Abbildungen „schwere Übergriffe“ darstellten (Copine-Skala 7-10) und rund 26 % „detailliertes erotisches Posing“ (Copine-Skala 6). Weitere 12 % der kinderpornografischen Abbildungen stellten „Sexuelle Handlungen eines Kindes“ dar (Copine-Skala 7)[86]. Dabei war das Opferverhältnis zwischen Jungen und Mädchen in etwa gleich, den größten Anteil stellten Kinder im Alter von 9-13 Jahren (77%), gefolgt von der Altersgruppe der 4- bis 8-jährigen Kinder (20,5%).Die Anzahl jüngerer Opfer im Alter weniger Monate bis drei Jahren nahm schon damals deutlich zu (2%). Dieser Trend setzt sich bis heute fort.

Auch die Verbreitungswege über das Internet weiten sich, trotz des Zugangssperrengesetz von 2009, immer weiter aus. Die Verbreitungswege durch peer-to-peer-Netzwerke, Usernets oder über das World Wide Web werden immer schwieriger zu verfolgen, insbesondere in geschlossenen Benutzergruppen. Dort müssen vor Eintritt bestimmte Leistungen erbracht werden, die in der Regel im Einbringen neuer Missbrauchsabbildungen/-filme bestehen.[87] Inzwischen sind deutsche Ermittler für diese „Keuschheitsproben“ rechtlich besser abgesichert, wenn sie sich mit computergenerierten Bilder Zutritt zu Darknet-Foren verschaffen, auch das Cybergrooming ist strafbar, wenn der Täter an eine(n) verdeckten Ermittler gerät und die Anbieter sozialer Netzwerke müssen Missbrauchsbilder/-filme mit den dazugehörigen IP-Adressen an die Zentralstelle im BKA melden.

Typisches Täterverhalten[88]:

  • Der überwiegende Teil der Opfer kennt die Täter bereits vor dem sexuellen Missbrauch.
  • Mädchen werden zu etwa einem Drittel von Tätern aus der Familie missbraucht.
  • Männliche Opfer werden meist von Bezugspersonen aus dem außerfamiliären Nahraum und von Fremden sexuell ausgebeutet.
  • Ein Drittel der Täter ist selbst noch im Kindes- und Jugendalter.
  • Einzelne Täter missbrauchen viele Kinder.
  • Zwei Drittel der Täter, die innerhalb der Familie missbrauchen, haben auch Opfer außerhalb der Familie.
  • Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten.
  • Häufig besteht eine berufliche (oder ehrenamtliche) Nähe zu Kindern.
  • Teilweise erfolgt eine gezielte Kontaktaufnahme zu alleinerziehenden Müttern.
  • Täter bezahlen Opfer, um weitere Opfer zum Täter zu bringen („Schlepper“).

Der bloße Besitz solcher Bilder wird mit einer Geldstrafe oder einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert. Für die Verbreitung solcher Fotos und Filme wird derzeit noch eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe angedroht, wird dies gewerbsmäßig gemacht, erhöht sich die Strafandrohung auf bis zu zehn Jahren.

 

Ebenfalls neu wird nach der letzten Gesetzesänderung nun auch die Herstellung (zum Zwecke des späteren Verkaufs) von und der Handel mit Bildaufnahmen von nackten Kindern und Jugendlichen unter Strafe gestellt (§ 201a Absatz 3 StGB). Dies betrifft Bilder, in denen Kinder und Jugendliche nicht in sexualisierter Art, sondern etwa beim Spiel, aber nackt abgebildet werden.

Dies wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

Für jugendliche Täter gelten besondere Regeln, statt Haftstrafen sollen Weisungen, Verwarnungen oder Arrest ausgesprochen werden, selbst in schweren Fällen dürfen mehr als fünf Jahre Gefängnis nicht verhängt werden.

 

Derzeit werden aber nur in 0,2 % aller Verurteilungen Strafen von bis zu 15 Jahren ausgesprochen, ein Drittel aller Strafen wird ohnehin zur Bewährung ausgesetzt. Davon profitiert auch das Milliardengeschäft der Kinderpornografie. Deshalb wird in einem neuen Gesetz für Fälle in denen ein tatsächlicher Missbrauch eines Kindes vorliegt die Mindeststrafe von einem Jahr bis zur Höchststrafe von 10 Jahren angedroht. Die Tat wird dann als „Verbrechen“ eingestuft.

 

2019 erhöhte sich die Zahl der polizeilich erfassten Delikte von „Kinderpornografie um etwa 65 Prozent von 7.450 Fällen (2018) auf mehr als 12.200 Delikte. Eine Vielzahl der Hinweise kam aus dem US-Meldesystem NCMEC.[89]

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung der Herstellung, des Besitzes, des Erwerbs und der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen oder -filmen von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden. Wie regeln die anderen MS die „Keuschheitsproben“ im Darknet? Gibt es auch in den anderen MS die Pflicht für die Provider, Kinderpornographische Inhalte samt IP-Adresse an die Behörden zu melden?

Ist auch in den anderen MS die Anfertigung und der Vertrieb von Bildaufnahmen nur nackter Kinder und Jugendlicher strafbewehrt?

Welche Erkenntnisse bezüglich der Opfer (Alter, Geschlecht, soziale Beziehungen etc.) liegen in den anderen MS vor?

Welche Sonderregelungen liegen für jugendliche Täter vor?

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren und die jeweiligen Strafandrohungen.

 

 

 

V       Sexueller Missbrauch

Dunkelfeldforschung und praktische Ableitungen

 

In Deutschland werden fast neun Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen bis zum 16. Lebensjahr Opfer sexueller Gewalt[90]. Langfristig gesehen (1999-2019) lebten nach Angaben des Statistisches Bundesamt in diesem Zeitraum in Deutschland zwischen 12 und 10,7 Millionen Kinder/Jahr. Die Anteile von Jungen und Mädchen sind über die Jahre ziemlich gleich, auch wenn der Anteil der Mädchen etwas kleiner als der der Jungen ist (bis ca. 2 %). Grob geschätzt dürften danach durchschnittlich pro Jahr etwa 450.000 Mädchen und 150.000 Jungen Opfer sexueller Gewalt geworden sein.

 

Die Fall- und Opferzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, das so genannten „Hellfeld“, machen dagegen nur einen Bruchteil aus[91]. Dennoch schätzt das BKA das Dunkelfeld nur auf ca. 1:15, d.h. 16.000:240.000 (Fälle), bzw. 15.000:165.000 (Opfer), andere Untersuchungen (Kavemann und Lohstöter) gehen dagegen von der Relation 1:20 aus, eine allerdings ebenfalls sehr vorsichtige, konservative Schätzung.

 

Eine neuere deutsche repräsentative Studie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste.[92] Die Studien weichen in Definitionen, Forschungsdesign, Ein- und Ausschlusskriterien, methodische Artefakte (Rücklauf, Studiendesign, Stichprobenumfang und -gewinnung) z.T. stark voneinander ab und die Datenerfassung in den Versorgungs- und Betreuungssystemen ist grundsätzlich mangels Meldepflichten lückenhaft. Im Ergebnis sind daher keine klaren, definitiv verlässlichen Aussagen zum Vergleich zwischen Hell- und Dunkelfeld möglich

 

In Deutschland konzentrieren sich die präventiven und repressiven Interventionen daher sehr stark (zu stark?) auf das polizeiliche „Hellfeld“ d.h. auf den justizbekannten Täter. Die Täter des Dunkelfeldes und Männer, die sich selbst in Gefahr sehen, Täter zu werden (Pädophile, potentielle Täter) bleiben meist unberücksichtigt.

 

Pädophile leiden aber an einer sexuellen Ansprechbarkeit auf kindliche Körper, die sich während der Pubertät manifestierte und von da an bestehen bleibt. Potentielle Täter haben sich diese sexuelle Ausrichtung daher zwar nicht „ausgesucht“, sind aber letztlich alleine verantwortlich für ihr sexuelles Verhalten. Nach inzwischen gesicherten wissenschaftlichen Untersuchungen[93] haben rund ein Prozent der Männer auf Kinder gerichtete Fantasien, d.h. ca. 250.000 Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren sind alleine in Deutschland als potentielle Täter anzusehen.

 

Ihnen wird seit 2004 in Deutschland ein vom Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité ins Leben gerufene „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD)“ Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ angeboten.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen,

  • ob eine vergleichbare Dunkelfeldforschung in anderen EU-MS betrieben wurde,
  • ob die o.a. Dunkelfeldschätzungen dort verifiziert werden können,
  • ob die o.a. sexualwissenschaftlichen Erkenntnisse (Manifestation des Sexualtriebs) durch andere europäische Studien bestätigt werden können,
  • ob in den EU-MS vergleichbare Primär-Präventionsprojekte existieren, die sich an die Gruppe potentieller Täter mit pädophiler Neigung sowie an Dunkelfeld-Täter wendet und präventive Therapien anbietet,
  • Falls möglich erbitten wir hierzu Erfahrungsberichte und Kontaktdaten.

 

 

VI     Meldepflichten[94]

 

Bei der Anzeigepflicht von deutschen Behörden und Amtsträgern unterscheidet der Gesetzgeber:

 

  1. Wer im Bereich der Strafverfolgung tätig ist -also etwa bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft – muss Straftaten anzeigen, wenn sie oder er dienstlich davon erfahren hat.

 

  1. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Behörden, wie beispielsweise der rund 600 Jugendämter, besteht eine solche Pflicht zur Strafanzeige generell nicht; sie gilt nur bei Gefahr im Verzug, wenn die Einschaltung der Polizei zur Abwendung einer Gefährdung erforderlich erscheint (§ 8 a Abs. 4 Satz 2 SGB VIII).[95]

Mitarbeiter der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe unterliegen jedoch einer Meldepflicht an die Jugendämter.

Für alle Fachkräfte besteht jedoch ein Melderecht.

 

Die Jugendämter sind daher im Rahmen der Wahrnehmung ihres so genannten staatlichen Wächteramtes verpflichtet, sorgfältig zu prüfen, welche Schritte aus Sicht des Kinderschutzes unverzüglich zu ergreifen sind. Zuallererst gehört hierzu die Prüfung des bestehenden Verdachtes. Abhängig hiervon sind weitere Maßnahmen zu ergreifen, wie insbesondere die Herausnahme aus der vermuteten Gefahrensituation. Gegebenenfalls sind zum Schutz des Kindes auch familiengerichtliche Entscheidungen herbeizuführen.

 

Die Anzeige einer vermuteten Straftat ist in diesem Kontext bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, sozusagen als „ultima ratio“, ebenfalls genauestens zu prüfen. Das Jugendamt hat insbesondere zu prüfen, ob die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden dem Wohl des Kindes dient oder es eher geboten ist, von einer Strafanzeige abzusehen. Hierbei sind insbesondere maßgeblich und leitend der Gedanke der Wiederholungsgefahr einerseits und die besonderen Aufklärungsmöglichkeiten im Rahmen der Strafverfolgung andererseits. Es ist im Einzelfall abzuwägen, welche Vor-und Nachteile ein Strafverfahren dem Kind bringt. Falls dann das Jugendamt sich nach Abwägen aller Güter zu einer Anzeige entschließt, wird die Strafverfolgungsbehörde durch die Amtsleitung des Jugendamtes eingeschaltet.

 

Neuerungen im Rahmen des am 01.01.2012 in Kraft getretenen „Bundeskinder-schutzgesetzes“ sollten zunächst in der Jugendhilfe zu einer bessere Erfassung von Verdachtsfällen verschiedener Formen der Kindesmisshandlung führen, insbesondere durch die bundeseinheitliche Regelung zu Meldungen von Kindeswohlgefährdung ans Jugendamt sowie durch den Versuch, die Handlungssicherheit bei Verdacht auf Kindsmisshandlung durch Einführung einer „insoweit erfahrenen Fachkraft“ zu stärken. Das vorliegende Zahlenmaterial und jüngste Fälle ermutigen nicht, von einer „entscheidenden Änderung“, gar von einem Erfolg zu sprechen.

 

Nach der geplanten Reform des Sozialgesetzbuches VIII, das 2021 in Kraft treten soll, ist zwar eine Informationspflicht der Jugendamtsleitungen an die Strafverfolgungsbehörden vorgesehen, jedoch nur in Fällen, in denen dem Kind eine konkrete „erheblicher Gefährdung“ eines seiner erheblichen Rechtsgüter, wie etwa dem Leben droht. Dieser Begriff war dem deutschen Kinder- und Jugendschutzrecht sonst fremd, es verwendete sonst immer den Begriff „gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindswohlgefährdung“.

 

Der Gesetzesentwurf wird in der Praxis mit dieser neuen Begrifflichkeit Unsicherheiten (insbesondere bei „nur“ Leibesgefahr oder bei „nicht gegenwärtiger“ Lebensgefahr) hervorrufen und zeigt erneut, dass eine strafrechtliche Verfolgung zum Schutz des Kindswohls nur von geringfügig von staatlichem Interesse ist. Auch der Entzug des Personensorgerechts, der stärkste Eingriff in das Elternrecht, ist ein „letztes Mittel“, wenn andere Maßnahmen zur Beseitigung der Kindswohlgefährdung nicht in Frage kommen.

 

Eine gemeldete potentielle Kindeswohlgefährdung, die vorzunehmende Risiko- und Gefährdungseinschätzung und das zu erstellende Hilfe-und Schutzkonzept sind durch die Fachkräfte der Jugendämter in jedem Einzelfall zu dokumentieren. 2019 gab es in Deutschland insgesamt 49.510 Inobhutnahmen und Herausnahmen von Kindern und Jugendlichen durch Jugendämter. Zum Vergleich: Vor etwa 10 Jahren mussten nur etwa 25.000 Kinder in Obhut genommen werden. Tendenz: Weiter steigend, denn der scheinbare Rückgang um 6 % ist dem Rückgang der Schutzmaßnahmen nach unbegleiteter Einreise geschuldet, der 8.600 Fälle betrug (-29%)[96], Leider werden erst ab 2019 die Anlässe für die Inobhutnahmen/ Herausnahmen separat nach jeweils eigenem Anlass erfasst. Nach Aussage des Statistischen Bundesamtes[97] stieg die Zahl der Inobhutnahmen wegen „Kindesmisshandlung“ auf 6.150, also um rund 25 Prozent. Nach Angaben von destatis mussten 2019 wegen körperlicher Misshandlung 5.863, wegen psychischer Misshandlung 3.019 und wegen Vernachlässigung 6.718 Kinder in Obhut genommen werden – welche Anlässe der häufigsten Nennung „Überforderung der Eltern“ zu Grunde liegen, kann nur geraten werden.

 

Eine vergleichende, retrograde Analyse der psychischen, physischen und sexuellen Gewalt an Kindern/Jugendlichen ist auf der Basis diesen Zahlenmaterials jedoch nicht möglich, insbesondere, weil noch heute die sexuelle Gewalt an Kindern/Jugendlichen nicht gesondert erfasst wird und weil nicht in allen Fällen eine Inobhutnahme/Herausnahme des Kindes erforderlich war. Eine kritische Evaluierung der Jugendämter ist auch aus vielerlei anderen Gründen geboten, wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Beschwerden der Deutschen Kinderhilfe und einige der jüngsten Fälle bundesweit herausragender Bedeutung zeigen.

 

  1. Auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Einrichtungen, wie beispielsweise der Schulen, in Klöstern, kirchlichen Einrichtungen oder bei den Pfadfindern besteht eine solche Pflicht zur Strafanzeige nicht. Die Schule ist jedoch alleine schon vom zeitlichen Umfang, den sie im Leben der schulpflichtiger Kinder einnehmen, beim Schulsport, durch geeignete Vertrauens- und BeratungslehrerInnen, schulpsychologischen Dienste oder vor Ort angebotene Schulsozialarbeit ein wichtiger Pfeiler in der Früherkennung von Kindeswohlgefährdung und dem Zugang zu Hilfen. Und diese Institutionen sind seit 2010 schwer in Verruf geraten, als eine Serie von Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule in Hessen (900 Opfer), am Casanius-Kolleg St.Blasien in Baden-Württemberg (30 Opfer), an den beiden Benediktinerklöster St. Ottilien und Ettal (70 Opfer) und bei den Regensburger Domspatzen (über 500 Opfer), alle in Bayern, aufgedeckt wurde und selbst in reformpädagogische Vorzeigeeinrichtungen pädokriminelle Pädagogen Kinder ausgebeutet, manipuliert und vergewaltigt haben.

 

 

Die im Oktober 2020 ins Leben gerufene gemeinsame Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ wollen der UBSKM, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Kultusbehörden der Länder (Kultusministerkonferenz -KMK) das Wissen zur sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ausbauen, Lehrerinnen und Lehrer zu Präventions- und Interventionsmöglichkeiten bei sexueller Gewalt zu schulen und an den mehr als 30.000 Schulen verbindliche Konzepte für Schutz und Hilfe zu entwickeln und umzusetzen. Hierzu müssen die Schulgesetze der 16 Bundesländer geändert werden.[98] Ganz sicher gehört auch die Diskussion über Meldepflichten an zentrale Stellen (Jugendamt/Strafverfolgungsbehörden) dazu.

 

  1. Einrichtungen im Gesundheitssystem sind häufig mit den körperlichen als auch psychischen Folgen von Kindsvernachlässigung, -misshandlung und sexuellem Missbrauch konfrontiert, entweder durch Hinweis oder aufgrund eigener Wahrnehmungen. In Deutschland sind neben den allgemeinen Versorgern auch spezialisierte Einrichtungen zu berücksichtigen (z.B. kinder-und jugendpsychiatrische und -psychotherapeutische Institutsambulanzen, Schwangerschaftsberatungsstellen, oder sozialpädiatrischen Zentren).

 

Bei allen Überlegungen von Ärzt*innen ist die nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbewehrte Schweigepflicht zu beachten. Eine Strafbarkeit nach § 203 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der/die Berufsgeheimnisträger*in unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm/ihr in seiner/ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. Eine Weitergabe ist nur zulässig, wenn eine gesetzliche Befugnis eingreift oder eine Einwilligung des/der Betroffenen vorliegt. Ist der/die Minderjährige bzw. dessen/deren gesetzliche/r Vertreter*in mit der Information nicht einverstanden, so ist eine Weitergabe von Informationen über gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindswohlgefährdung an das Jugendamt (an die „insoweit erfahrene Fachkraft“) unter den Voraussetzungen der Befugnisnorm des § 4 Abs. 3 KKG zulässig – stellt jedoch keine Pflicht, sondern nur eine Befugnis zur Informationsweitergabe dar.

 

Inzwischen werden wegen der o.a. gesetzlichen/praktischen Hürden und angesichts des größeren Angebots die sogenannten medizinischen Kinderschutz-Hotlines zu Beratungszwecken bei vermuteter Kindeswohlgefährdung zunehmend in Anspruch genommen.

 

Im Übrigen kann die unbefugte Weitergabe an dritte Stellen aufgrund eines recht-fertigenden Notstands (§ 34 StGB) straffrei bleiben.

 

Eine Verpflichtung der Berufsgeheimnisträger*innen, Informationen über sexuelle Gewalt an Kindern gem. den Strafverfolgungsbehörden zu melden, besteht nicht, sodass eine Strafbarkeit aufgrund einer Nichtanzeige nach § 138 StGB entfällt. Der Katalog von anzeigepflichtigen Straftaten erwähnt Sexualstraftaten nicht.

 

Aus Sicht medizinischer Versorgungseinrichtungen wird aus vielfältigen Gründen des Schutzes junger Menschen generell eine Einbeziehung der Strafverfolgungsbehörden eher nicht als geboten angesehen. Daher ist eine wichtige Komponente medizinischer Erstbetreuung die -kostenfreie- so genannte „vertrauliche Spurensicherung“, die Spuren unabhängig von einer Anzeige des Übergriffs gesichert werden, also außerhalb eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens und allein zur Kenntnis der/des Betroffenen. Das Angebot vertraulicher Spurensicherung ist bei Kindern und Jugendlichen wichtig dafür, später in Ruhe über eine Anzeige entscheiden zu können,

 

Es kommt hinzu, dass es immer noch keine ausdrückliche gesetzliche Regelung gibt, die einer/einem einwilligungsfähigen Minderjährigen die Befugnis zuweist, zunächst selbst über die Inanspruchnahme einer medizinischen Untersuchung und Behandlung zu entscheiden. Nach überwiegender Rechtsmeinung ist jedoch eine eigenständige Einwilligungsbefugnis einwilligungsfähiger minderjähriger Patient*innen je nach ihrem/r individuellen Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfähigkeit zu bejahen[99] und entsprechend zu dokumentieren. Es sollte gesetzlich geregelt werden, dass Minderjährige, die sexuelle Gewalt erlitten haben, eigenständig und unter Wahrung der Vertraulichkeit einen Behandlungsvertrag abschließen dürfen.

 

Da Ärzt*innen in keinem Fall verpflichtet sind, bei einem Verdacht auf (fortgesetzte) (sexuelle) Gewalt Anzeige bei der Strafverfolgungsbehörde zu erstatten und nur nach sorgsamer Abwägung befugt sind, das Jugendamt über erkannte oder vermutete (sexuelle) Gewalt an Kindern zu informieren, sind Datenerfassungen, Definitionen und Meldewege aus dem medizinischen Vorsorgebereich so unterschiedlich, dass sie nicht zu vergleichbaren, validen Daten führte.

 

Die jüngste Änderung des §294a SGB V führte zwar zu einer Verbesserung, aber deutschlandweit wurden 2013 erst 300 Fälle sexuellen Missbrauchs von medizinischen Versorgungseinrichtungen gemeldet – davon die Hälfte von einem einzigen Krankenhaus.

 

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung der Meldepflicht der Jugendämter in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar geregelt ist.

Werden Verdachtsfälle in zentralen Registern erfasst?

Dürfen Ärzte interkollegiale Konsultationen durchführen?

Welche Meldepflicht gilt für Ärzte, für Schulen? 

 

 

VII    Hilfsportale, Hot-Lines, und andere Formen institutionalisierter Meldewege

 

In § 1 SGB VIII verpflichtet sich der Staat, die Entwicklung der jungen Menschen zu fördern und nötigenfalls durch helfend-intervenierende Angebote der Kinder-und Jugendhilfe zu sichern. Zahlreiche Institutionen und Organisationen sind für dieses Ziel aktiv.

A         Bundesebene

Bei der Bundesregierung wurde 2010 das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs eingerichtet (UBSKM). Er soll in Zusammenarbeit mit den Betroffenen Einfluss auf Gesetzesvorlagen und Strafrechtsreformen nehmen.

 

Der UBSKM entwickelte das bundesweite und kostenfreie Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 bzw. www.hilfetelefon-missbrauch.de, das inzwischen von der „N.I.N.A. Nationale Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt e.V. (http://www.nina-info.de) betrieben wird.

 

2015 installierte der UBSKM einen ehrenamtlichen Betroffenenrat, der alle fünf Jahre neu besetzt wird, zuletzt im Juni 2020. Er setzt sich für die Belange Betroffener ein, gibt ihnen Stimme und Gesicht und trägt ihre Anliegen in den politischen und öffentlichen Diskurs.

 

Eine Unabhängige Kommission erforscht seit 2016 systematische sämtliche Formen von Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der ehemaligen DDR und widmet in öffentlichen Hearings und in vertraulichen Anhörungen den individuellen Opfererfahrungen besondere Aufmerksamkeit.

Das Kinder- und Jugendtelefon 0800 – 111 0 333 bietet bei allen Sorgen und Problemen, ob mit Schule, Eltern, Freund oder Freundin, eine vertrauliche und kostenlose Beratung über das Festnetz und Handy: montags bis samstags von 14 – 20 Uhr, und ist zusätzlich erreichbar unter der Rufnummer 116111 bzw. im Internet unter www.nummergegenkummer.de. Es wird von dem Verein Nummer gegen Kummer e.V. angeboten, der Mitglied im Deutschen Kinderschutzbund ist und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Deutschen Telekom AG gefördert wird.

Beim Bundeskriminalamt (BKA) ist angesichts der internationalen Dimension der Kinderpornographie eine Zentralstelle für die Bekämpfung von Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen eingerichtet worden. Das BKA ist zugleich Nationales Zentralbüro für die Internationale Kriminalpolizeilicher Organisation (Interpol) und für das Europäische Kriminalpolizeiamtes (Europol). Das BKA nimmt die Aufgaben einer nationalen zentralen Auswerte- und Koordinierungsstelle sowie die eines Bindeglieds zwischen in- und ausländischen Strafverfolgungsbehörden wahr.

Eine ausdrückliche zentrale oder bundesweite Zuständigkeit für der Verfolgung der Internetkriminalität gibt es in Deutschland nicht.

 

Das Ergänzende Hilfesystem für Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs in Institutionen (EHS) im Sport (DOSB) unterhält einen Bundesfonds, in Deutschland gibt es eine Zentrale für VOICE, ein international angelegtes Aufarbeitungsprojekt für Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs im Sport  (www.voicesfortruthanddignity.eu)

 

Das ökumenische Netzwerk „Die TelefonSeelsorge“ betreibt bundesweit, kostenlos, anonym und verschwiegen die Sonderrufnummer 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 für Probleme und Krisensituationen. Hinter der TelefonSeelsorge stehen die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland, die Evangelische Konferenz für TelefonSeelsorge® und Offene Tür e. V. und die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Ehe-, Familie- und Lebensberatung, TelefonSeelsorge® und Offene Tür e. V.

 

Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) betreibt, gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit 2012 bis Dezember 2022 eine bundesweite Initiative mit dem Titel „Trau dich!“ mit dem Ziel der Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs (trau-dich.de bzw. multiplikatoren.trau-dich.de

 

Weitere spezialisierte Akteure der Kinder- und Jugendhilfe haben sich, meist in freier Trägerschaft, auf Bundesebene etabliert, so z.B. die Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKIM), die den „Leitfaden Vorgehen bei Kindesmisshandlung und –vernachlässigung, Empfehlungen für Kinderschutz an Kliniken“ oder den „Leitfaden für Kinderschutzgruppen im Öffentlichen Gesundheitsdienst“ herausgegeben haben.

Eine Übersicht über weitere Kinderschutz-Zentren und  Versorgungssysteme zum Schutz und zur Hilfe für misshandelte Kinder und Jugendliche auf Bundesebene gibt die Internet-Seite: http://www.kinderschutz-zentren.org.

(Wildwasser, Zartbitter, Igel, PETZE-Institut für Gewaltprävention usw.)

 

  1. Landesebene

Als öffentlichen Träger der Kinder-und Jugendhilfe müssen jede kreisfreie Stadt und alle Landkreise über ein örtlich zuständiges Jugendamt verfügen.

Auf Landesebene oder tiefer gibt es viele weitere Initiativen und Akteure, die hier nicht mehr untersucht werden können und auch in der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung der (sexuellen) Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nur in einem größer angelegten Untersuchungsrahmen erfasst werden können.

 

  1. EU-Ebene

             

Irland:

Commission to Inquire into Child Abuse (2000-2009)(CICA)

Missbrauch in irischen Erziehungsheimen und Institutionen

Abschluss mit dem Ryan-Report

www.childabusecommission.ie

 

Niederlande:

Commissie-Samson (2010-2012)

Missbrauch in Einrichtungen und Pflegefamilien unter der Verantwortung der Regierung

www.rijksoverheid.nl

 

Nordirland:

Historical Institutional Abuse in Northern Ireland (2013-2017)

Die Historical Institutional Abuse Inquiry (HIA) unter dem Vorsitz von Richter Sir Anthony Hart wurde im Januar 2013 per Gesetz eingerichtet. Ihre Aufgabe war es zu untersuchen, ob der physische, emotionale und sexuelle Missbrauch von Kindern, die zwischen 1922 bis 1995 in Institutionen (Erziehungsanstalten, Kinderheimen, Krankenhäusern, Jugendstrafanstalten und Internaten) untergebracht waren, systematisch erfolgte und ob die Behörden versagt haben.

Abschluss im Januar 2017 mit einem Bericht und Empfehlungen an die Politik.
www.hiainquiry.org

 

Schweden:

Commission to Inquire into Child Abuse in Institutions and Foster Homes

(2006-2011)
Misshandlung und sexuellen Kindesmissbrauch in Einrichtungen und Pflegeheimen. Knapp 900 Betroffene berichteten über ihre Erfahrungen. Der Parlamentspräsident nahm ausdrücklich die schwedische Gesellschaft in die Verantwortung und sprach in ihrem Namen.

 

England:

Independent Inquiry into Child Sexual Abuse (IICSA)

(2015- to date)

Truth Project (Anhörung aller Betroffenen), Public Hearings Project (13 ausgewählte Fallstudien mit Anhörungen), Research Project (wissenschaftliche Fallstudien), Public Relations (Veröffentlichungen von Statistiken, Anhörungen, Evaluation der Arbeiten)

https://www.iicsa.org.uk/

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, welche national bedeutsamen Gremien es in allen EU-Mitgliedsstaaten gibt, wie sie auf nationaler Ebene zusammenarbeiten, welche internationalen Beziehungen sie unterhalten, ob und wie sie evaluiert werden, bzw. welche Möglichkeiten bestehen, die Zusammenarbeit auf EU-Ebene zu intensivieren.  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anlage 4

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 174 Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

 

(1) Wer sexuelle Handlungen

  1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
  2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
  3. an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,

vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

 

(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuellen Handlungen

  1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
  2. unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.

 

(3)       Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2

  1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder
  2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,

um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

(4) Der Versuch ist strafbar.

 

(5) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.

 

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 176 Sexueller Missbrauch von Kindern

 

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt.

(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.

(4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

  1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt,
  2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist,
  3. auf ein Kind mittels Schriften (§ 11 Absatz 3) oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt, um

a)

das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einer dritten Person vornehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll, oder

b)

eine Tat nach § 184b Absatz 1 Nummer 3 oder nach § 184b Absatz 3 zu begehen, oder

4.

auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts, durch Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Informations- und Kommunikationstechnologie oder durch entsprechende Reden einwirkt.

 

(5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

 

(6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nummer 4 und Absatz 5. Bei Taten nach Absatz 4 Nummer 3 ist der Versuch nur in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

 

 

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 182 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen

 

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage

 

  1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
  2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,

 

wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

(2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.

 

(3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie

 

  1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
  2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,

 

und dabei die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

(4) Der Versuch ist strafbar.

 

(5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

 

(6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.

 

 

Fassung aufgrund des Neunundvierzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21.01.2015 (BGBl. I S. 10), in Kraft getreten am 27.01.2015

 

 

 

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 184 Verbreitung pornographischer Schriften

 

(1) Wer eine pornographische Schrift (§ 11 Absatz 3)

  1. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht,
  2. an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, zugänglich macht,
  3. im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einem anderen anbietet oder überlässt,

3a.       im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einem anderen anbietet oder überlässt,

  1. im Wege des Versandhandels einzuführen unternimmt,
  2. öffentlich an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet oder bewirbt,
  3. an einen anderen gelangen lässt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein,
  4. in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird,
  5. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder einzuführen unternimmt, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 7 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder
  6. auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Ausland unter Verstoß gegen die dort geltenden Strafvorschriften zu verbreiten oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder eine solche Verwendung zu ermöglichen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

 

(2) Absatz 1 Nr. 1 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. Absatz 1 Nr. 3a gilt nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgt.

 

(3) bis (7) (weggefallen)

 

 

Deutsches Strafgesetzbuch (StGB)
§ 201a Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

 

  1. von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,
  2. eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt,
  3. eine durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht oder
  4. eine befugt hergestellte Bildaufnahme der in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Art wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.

 

(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.

 

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat,

  1. herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen, oder
  2. sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft.

 

(4) Absatz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 3 oder Nummer 4, Absatz 2 und 3 gelten nicht für Handlungen, die in Wahrnehmung überwiegender berechtigter Interessen erfolgen, namentlich der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen.

 

(5) Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.

 

 

Anlage 5

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder (Stand November 2020)

 

  1. Problem und Ziel

 

Die ungestörte Entwicklung und ein gewaltfreies Aufwachsen von Kindern sind ein besonders hohes Gut. Sexualisierte Gewalt in der Kindheit kann Betroffene für ihr gesamtes Leben traumatisieren. Die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist deshalb eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit und zentrale Auf-gabe des Staates.

 

Im Zuge des technischen Wandels hat sich die Art der gegen Kinder gerichteten Straftaten verändert. Durch soziale Netzwerke und die Chatfunktionen von Onlinespielen besteht leichter denn je die Möglichkeit, aus sexuellen Motiven heraus Kontakt zu Minderjährigen herzustellen. Das Internet, insbesondere das Darknet, bietet viel Raum, um anderen kinderpornographische Inhalte zur Verfügung zu stellen oder auf diese Inhalte zuzugreifen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten hat sich aber das Gefährdungspotential für Kinder nicht bloß in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt erhöht. Denn der Verbreitung und dem Konsum von Kinderpornographie liegt häufig reale sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugrunde.

 

Die Zahlen bekanntgewordener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Verbreitung, des Besitzes und der Besitzverschaffung von Kinderpornographie sind deutlich gestiegen.

 

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die einschlägigen Straftatbestände zu ändern, damit sie ihre Schutzfunktion für Kinder besser entfalten können. Dafür bedarf es unter anderem einer deutlichen Verschärfung der Strafrahmen. Zugleich sind Maßnahmen notwendig, um eine effektivere Strafverfolgung zu erreichen. Die Anstrengungen dürfen sich aber nicht auf das Straf- und Strafprozessrecht beschränken.

 

Vor diesem Hintergrund verfolgt der Entwurf das Ziel, mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen, die insbesondere auch die Prävention betreffen, den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt zu verbessern.

 

  1. Lösung; Nutzen

 

Zum Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt schlägt der Entwurf Gesetzesänderungen vor, die auf einem ganzheitlichen Konzept gründen, das alle beteiligten Akteure in die Pflicht nimmt.

 

Mit einer begrifflichen Neufassung der bisherigen Straftatbestände des „sexuellen Miss-brauchs von Kindern“ als „sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ soll das Unrecht dieser Straf-taten klarer umschrieben werden. Der Entwurf schlägt vor, den bisherigen Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Straftatbestände aufzuspalten, um den Deliktsbereich übersichtlicher zu gestalten und entsprechend der jeweiligen Schwere der De-likte abgestufte Strafrahmen zu ermöglichen. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll künftig bereits im Grundtatbestand als Verbrechen geahndet werden.

 

Auch wer Videos und Fotos verbreitet oder besitzt, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder zeigen, macht sich mitschuldig an schlimmsten Misshandlungen von Kindern. Die Verbreitung, der Besitz und die Besitzverschaffung von Kinderpornographie sollen daher ebenfalls als Verbrechen eingestuft werden. Mit einer Anhebung der Strafrahmen der Straftatbestände der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und der Kinderpornographie soll darüber hinaus die Bewertung solcher Taten als schweres Unrecht deutlicher im Strafrahmengefüge herausgestellt und den Gerichten ein ausreichender Handlungsspielraum zur tatangemessenen Ahndung solcher Taten eröffnet werden. Darüber hinaus werden vereinzelte Strafbarkeitslücken geschlossen und der Verjährungsbeginn beim Herstellen kinderpornographischer Inhalte, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, deutlich nach hinten geschoben.

 

Mit der Schaffung einer neuen Strafnorm soll zudem das Inverkehrbringen und der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild unter Strafe gestellt werden. Damit soll zugleich der Markt für solche Nachbildungen ausgetrocknet werden.

 

Um die Strafverfolgung effektiver auszugestalten, sollen den Strafverfolgungsbehörden weitergehende Ermittlungsbefugnisse im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und im Bereich der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornographischer Schriften an die Hand gegeben werden. Dies betrifft insbesondere Anpassungen der Straftatenkataloge der Telekommunikationsüberwachung, der Onlinedurchsuchung sowie bei der Erhebung von Verkehrsdaten. Für Fälle schwerer sexualisierter Gewalt gegen Kinder soll darüber hinaus die Anordnung der Untersuchungshaft erleichtert werden. Außerdem soll in der Strafprozessordnung ein Beschleunigungsgebot in Strafverfahren mit minderjährigen Opferzeugen ausdrücklich verankert werden.

 

Für den besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen sollen durch Änderungen im Bundeszentralregistergesetz die Frist für die Aufnahme von Eintragungen auch geringfügiger Verurteilungen wegen besonders kinder- und jugendschutzrelevanter Straftaten, in erweiterte Führungszeugnisse erheblich verlängert und die Mindesttilgungsfrist für diese Verurteilungen verdoppelt werden. Zudem wird für Verurteilungen wegen bestimmter besonders kinderschutzrelevanter Straftaten zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr eine Aufnahmefrist im erweiterten Führungszeugnis von zwanzig Jahren geschaffen.

 

Darüber hinaus schlägt der Entwurf spezifische Qualifikationsanforderungen an Familienrichterinnen und -richter sowie die für Beschwerden gegen Entscheidungen des Familien-gerichts zuständigen Richterinnen und Richter der Oberlandesgerichte vor. Des Weiteren sieht der Entwurf Änderungen im Beschwerdeverfahren vor, um sicherzustellen, dass Entscheidungen der Beschwerdeinstanz in den besonders grundrechtssensiblen Kindschaftsverfahren und insbesondere in Kinderschutzverfahren stets vom Kollegialorgan in Dreier-besetzung und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden. Zu-dem enthält der Entwurf die Einführung konkreter Qualitätsanforderungen für Verfahrensbeistände und führt zur Stärkung des Kinderschutzes Fälle einer obligatorischen Bestellung ein. Ferner werden die Regelungen über die Kindesanhörung überarbeitet und ergänzt.

 

Schließlich fasst der Entwurf durch eine Ergänzung des Jugendgerichtsgesetzes die besonderen Qualifikationsanforderungen an Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte verbindlicher als bisher.

 

Der Entwurf dient mit seinem ganzheitlichen Ansatz dem Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt in einem umfassenden Sinne: Abschreckung potentieller Täter durch eine Verschärfung des Strafrechts, bessere Aufklärung von Straftaten infolge der Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse und verbesserter Qualifikation der Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie der Jugendstaatsanwältinnen und -staatsanwälte, stärkere Prävention durch Verbesserungen im familiengerichtlichen Verfahren und im Bundeszentralregistergesetz

  1. Alternativen

Aufgrund der Bedeutung des Themas gibt es derzeit mehrere Initiativen, die Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexualisierter Gewalt beinhalten. Diese Initiativen haben jedoch zum Teil eine andere Ausrichtung, sind in ihrer Wirkung nicht zielgenau oder bleiben hinter den mit diesem Entwurf vorgeschlagenen Änderungen deutlich zurück.

 

Quelle und weiterführende Gesetzestexte: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Bekaempfung_sex_Gewalt_Kinder.pdf?__blob=publicationFile&v=2

 

 

 

Anlage 6

 

UBSKM

POSITIONSPAPIER 2020

Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Wie Bund, Länder und die politischen Parteien Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt schützen können

 

 

Sexuelle Gewalt ist keine Ausnahmeerscheinung, sondern Alltag für tausende Kinder und Jugendliche. Mehr als 13.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch wurden den Ermittlungsbehörden 2019 gemeldet, das sind mehr als 35 Missbrauchsfälle pro Tag. Dazu kommen mehr als 1.000 Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Jugendlichen, mehr als 12.000 angezeigte Fälle von Abbildungen sexueller Gewalt an Kindern, sogenannte Kinderpornografie, und mehr als 3.000 Fälle des Einwirkens auf Kinder mittels digitaler Medien, sogenanntes Cybergrooming. Diese Fallzahlen gehen seit Jahren nicht zurück. Bei Kinderpornografie ist die Zahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahr sogar um 65 Prozent gestiegen. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Das Dunkelfeld sexueller Gewalt ist enorm. Nur wenige Missbrauchsfälle werden bekannt und die meisten Taten weder aufgedeckt noch angezeigt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht für Deutschland von einer Million Kinder und Jugendlicher aus, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren. Das sind ein bis zwei Schüler*innen in jeder Schulklasse.

 

Kinder vor sexueller Gewalt schützen – eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Verantwortung

 

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zählt zu den grund- legenden Aufgaben des Staates – und erfordert eine an den Kinderrechten orientierte gesellschaftliche Grundhaltung. Wenn wir diese Aufgabe ernst nehmen und Kinder und Jugendliche wirklich besser vor sexueller Gewalt schützen wollen, müssen ALLE den Kampf gegen sexuellen Missbrauch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und aktiv führen. Viele Betroffene leiden ihr Leben lang unter den Folgen der traumatisierenden Erlebnisse, die sie als Minderjährige erfahren mussten: psychische Belastungen, Destabilisierung sozialer Beziehungen, wirtschaftliche Probleme und vieles mehr. Deshalb müssen wir gemeinsam, und trotz der neuen Herausforderungen durch die Corona-Krise, das Netz aus Prävention, Intervention und Hilfen für Kinder, Jugendliche und erwachsene Betroffene dringend weiter ausbauen und dauerhaft stärken. Das muss als vorrangige nationale Daueraufgabe von allen anerkannt und wahrgenommen werden: von Bund, Ländern, Kommunen, von den politischen Parteien, von der Zivilgesellschaft – etwa den Kirchen, der Wohlfahrtspflege, dem organisierten Sport – und nicht zuletzt auch von der Internetwirtschaft, der gesamten Medienlandschaft und der Bevölkerung. Nur gemeinsam können wir dem Ausmaß sexueller Gewalt begegnen, nur gemeinsam die Fallzahlen maximal und stetig verringern.

Die bessere Vernetzung und Kooperation der unterschiedlichen Akteure im Kampf gegen sexuellen Missbrauch und dessen Folgen ist dabei für den Erfolg entscheidend: Bildung, Soziales, Gesundheit, Jugendhilfe, Polizei und Justiz müssen ihre interdisziplinäre Zusammenarbeit in diesem Themenfeld weiter vertiefen. Zudem müssen auch Angehörige von Betroffenen, das soziale Umfeld und Fachkräfte, die in Kontakt mit Betroffenen sind, besser kooperieren, wenn es um Vorbeugung, Verhinderung und Aufdeckung von sexueller Gewalt gegen Minderjährige geht. Staufen, Lügde, Bergisch Gladbach und zuletzt Münster haben als Synonyme für spektakuläre Missbrauchsfälle traurige Berühmtheit erlangt. Und wie immer, wenn die Dimension und vermeintliche Einzigartigkeit von sexuellem Missbrauch für eine öffentliche Skandalisierung genutzt werden, gibt es eine breite öffentliche Debatte zum Thema „Strafverschärfung“. Dabei wird vielfach übersehen, dass die Androhung härterer Strafen allein nicht ausreicht, um sexueller Gewalt zu begegnen oder die große Zahl angezeigter Fälle und die noch viel größere Zahl nicht angezeigter Fälle deutlich zu reduzieren. Bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche handelt es sich nicht um „Einzelfälle“, so skandalös sie uns auch erscheinen mögen, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen enormen Ausmaßes. Sexueller Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt. Es ist angesichts des großen Dunkelfeldes sogar mehr als wahrscheinlich, dass wir alle ein Kind kennen, das sexuelle Gewalt erlitten hat oder aktuell erleidet. Im Dezember 2019 hat die Bundesregierung den „Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ ins Leben gerufen. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gemeinsam initiierte Gremium soll den interdisziplinären Austausch zwischen den staatlichen und nichtstaatlichen Verantwortungsträgern auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen vertiefen und fördern. Noch im Jahr 2021 sollen die Ergebnisse aus verschiedenen Arbeitsgruppen vorgelegt werden, wie den drängenden Fragen zu Schutz und Hilfen, sexueller Ausbeutung oder Justiz und Forschung langfristig begegnet werden kann. Mit der jüngst von der EU-Kommission vorgelegten EU-Strategie für eine wirksamere Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Juli 2020) ist darüber hinaus die Chance verbunden, gemeinsam und grenzüberschreitend in der EU und den Mitgliedstaaten gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen analog und digital vorzugehen. Bund und Länder sollten die europäischen Bemühungen für ein grenzüberschreitendes Handeln, insbesondere bei der Ermittlung und Strafverfolgung und bei der Einrichtung eines „Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ ausdrücklich unterstützen. Bund, Länder, kommunale Ebene und die politischen Parteien halten den Schlüssel zu einem besseren Schutz der Kinder in ihren Händen. Ihre Handlungsoptionen umfassen folgende Themenkomplexe:

 

Empfehlungen an die Bundespolitik und die politischen Parteien auf Bundesebene

 

  1. Eine gesetzliche Berichtspflicht einführen, das UBSKM-Amt gesetzlich verankern und dauerhafte Strukturen für die Aufarbeitung ermöglichen
  • Um eine konstruktive und kontinuierliche Auseinandersetzung mit Defiziten und Fortschritten im Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sicherzustellen, sollte eine regelmäßige Berichtspflicht der/des UBSKM gegenüber Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat zum Ausmaß und zum Stand von Prävention, Intervention, Hilfen, Forschung und Aufarbeitung gesetzlich vorgesehen werden – ähnlich wie es für die/den Datenschutzbeauftragte(n) geregelt ist.
  • Zudem sollte das Amt einer/eines UBSKM gesetzlich verankert werden. Unabhängigkeit, Aufgaben, Zuständigkeiten auf Bundesebene und die kontinuierliche Zusammenarbeit auch mit der Landesebene sollten gesetzlich geregelt werden.
  • Um auch künftig bereits verjährte Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche aufzuarbeiten und die Strukturen zu identifizieren, die sexuellen Missbrauch und seine Vertuschung ermöglicht haben, sollte aufbauend auf der bisherigen Arbeit der Aufarbeitungskommission, die zuletzt vom UBSKM bis Ende 2023 berufen wurde, das Recht von Betroffenen auf Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in institutionellen, familiären und sozialen Kontexten durch geeignete Strukturen und Formate dauerhaft sichergestellt werden.

 

  1. Eine breit angelegte Aufklärungs- und Sensibilisierungsinitiative starten
  • Damit ALLE wissen, was sexueller Missbrauch ist, wie Täter und Täterinnen vorgehen, welche Signale betroffene Kinder aussenden, an wen man sich bei Vermutung und Verdacht wenden kann und wo es konkrete Hilfe und Unterstützung gibt, sollten die Voraussetzungen für die Entwicklung einer auf Dauer angelegten Aufklärungs- und Sensibilisierungsinitiative, für die das Bundesfamilienministerium bereits Unterstützung zugesagt hat, jetzt zeitnah geschaffen werden.
  • Die Kampagne sollte von BMFSFJ und UBSKM in Kooperation mit weiteren relevanten Akteuren und Partnern ab dem Jahr 2021/22 umgesetzt werden. Im Bundeshaushalt sollte dafür jährlich ein Betrag von mindestens fünf Millionen Euro bereitgestellt werden.
  • Die geplante Strafrechtsreform zur verbesserten Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche differenziert umsetzen
  • Im Rahmen der Diskussion um Strafverschärfungen und härtere Sanktionen sollten differenzierte Regelungen, welche dem unterschiedlichen Unrechtsgehalt der einzelnen Taten gerecht werden, nicht aus den Augen verloren werden.
  • Trotz aller Debatten muss die wesentliche Entscheidungshoheit über das konkrete Strafmaß weiterhin bei den Gerichten liegen; die Aufgabe der Politik ist es, einen Rahmen vorzugeben, der es den Strafgerichten ermöglicht, über jeden Einzelfall differenziert und in angemessener Form entscheiden zu können.

 

  1. Qualifikation der Professionen in der Familiengerichtsbarkeit gewährleisten
  • Um den besonderen Anforderungen der Familiengerichtsbarkeit – in der Richter*innen in ihrer täglichen Arbeit über die Schicksale von Kindern, Eltern und Familien entscheiden und damit eine immense Verantwortung tragen – gerecht zu werden und Fehlentscheidungen zu vermeiden, sollten verbindliche Eingangsvoraussetzungen für den Zugang zu dieser besonderen richterlichen Aufgabe geschaffen werden.
  • Neben den rechtlichen Kenntnissen im Bereich des Kindschaftsrechts und des Kinder- und Jugendhilferechts sollten Familienrichter*innen über Grundkenntnisse im Bereich der Psychologie, Pädagogik und sozialen Arbeit verfügen.
  • Damit die Kinder und Jugendlichen im familienrechtlichen Verfahren bestmöglich unterstützt werden können, sollten zudem einheitliche Qualifikationsstandards für Verfahrensbeistände festgelegt werden, die neben den fachlichen Anforderungen auch Anforderungen an die persönliche Eignung des Beistands enthalten sollten.

 

  1. Die polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten stärken
  • Zusätzlich zu den bisherigen Verbesserungen für die polizeiliche Ermittlung gegen pädokriminelle Täter und Täterinnen (Stichwort: „Keuschheitsprobe“, Versuchsstrafbarkeit des Cybergrooming und eine gesetzliche Meldepflicht für Internet-Service-Provider zu Missbrauchsabbildungen) sollte eine EU-rechtskonforme Vorratsdatenspeicherung ermöglicht werden. Ohne verlängerte Mindestspeicherzeiten für IP-Adressen gehen die digitalen Spuren zu den Tätern und Täterinnen im Netz innerhalb kürzester Zeit verloren, eine Ermittlung der schweren Straftaten im Netz ist dann nicht mehr möglich.
  • Die Diskussion über die erleichterte Übernahme sogenannter digitaler Identitäten sollte dringend fortgeführt werden. Anreize für die Überlassung von Zugangsdaten ließen sich etwa durch einen expliziten Verweis auf die §§ 176, 184b StGB in § 46b StGB (sogenannte Kronzeugenregelung) schaffen.

 

 

  1. Daten- und Kinderschutz vor dem Hintergrund des sexuellen Kindesmissbrauchs neu ausbalancieren und justieren
  • Die berechtigten Interessen des Datenschutzes und die ebenfalls berechtigten Interessen des Kinderschutzes sollten dringend neu ausbalanciert und neu justiert werden – nicht nur zur Bekämpfung digitaler sexueller Gewaltformen gegen Minderjährige, sondern auch mit Blick auf die konkrete Fallarbeit und die alltäglichen Herausforderungen im Umgang mit sensiblen Daten in der Kinderschutzpraxis vor Ort.
  • Noch im Jahr 2021 sollte der dafür erforderliche Diskurs auf der Bundesebene gestartet werden, an dem neben dem Daten- und Kinderschutz auch Netzaktivist*innen, IT-Unternehmen und alle relevanten Verbände beteiligt werden sollten.

 

VII.                      Qualifizierte Häufigkeits- und Wirksamkeitsforschung    ausbauen

  • Die systematische und dauerhafte Beobachtung von Häufigkeit und Ausmaß (sogenannte Prävalenzforschung) von sexuellem Kindesmissbrauch in den verschiedenen Tatkontexten, von individuellen und gesamtgesellschaftlichen Folgen sowie von Schutz- und Risikofaktoren sexueller Gewalt gegen Minderjährige sollte dringend ausgebaut werden, um mit fundiertem Wissen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche nachhaltiger bekämpfen und deren Folgen besser lindern zu können.
  • Die Forschung zur Wirkung von Präventions- und Hilfeangeboten (sogenannte Wirkungsforschung) sowie zu den Abläufen in straf- und familiengerichtlichen Verfahren sollte intensiviert werden, um konkrete Maßnahmen vor Ort zielgenau weiterentwickeln zu können.
  • Die Betroffenenbeteiligung sollte grundsätzlich in allen Forschungsvorhaben sichergestellt werden.
  • Ab dem Bundeshaushalt 2022 sollten mittelfristig die erforderlichen Finanzmittel für die oben genannten Forschungsvorhaben zur Verfügung gestellt werden.
  • Um Erkenntnislücken zu schließen und um flächendeckend Forschungsexpertise für Politik und Praxis verfügbar zu machen, sollte in Abstimmung zwischen Bund und Ländern, der strukturelle Ausbau von Forschung und Lehre zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen an Universitäten und Hochschulen vorangebracht werden.

 

  • Die gesundheitliche Versorgung und die Hilfen verbessern
  • Zum dringend notwendigen weiteren Ausbau der therapeutischen Versorgung Betroffener sollten bedarfsgerechte und niedrigschwellige Hilfeangebote für Betroffene sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend flächendeckend zur Verfügung stehen. Hierbei ist auch auf qualifizierte Angebote für Kinder und Jugendliche, für Menschen mit Migrationshintergrund oder Beeinträchtigungen und auf den Ausbau traumaspezifischer Angebote zu achten.
  • Da auch nach der Verabschiedung des neuen Sozialen Entschädigungsrechts (SER) viele Betroffene weiterhin große Probleme haben werden, die oft Jahre zurückliegenden Taten und den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Tat und aktueller gesundheitlicher Beeinträchtigung nachzuweisen, sollte flankierend das sogenannte Ergänzende Hilfesystem (EHS) schnell neu aufgestellt werden. Betroffene aus allen Tatkontexten müssen zukünftig zeitlich uneingeschränkt tatsächlich schnelle und unbürokratische Hilfe bekommen

 

  1. Förderungen des Bundes an Standards zum Schutz von Kindern und Jugendlichen koppeln
  • Die Förderung von Bundesprogrammen, Projekten und Vorhaben, die – auch indirekt – Kinder und Jugendliche betreffen (z. B. im Rahmen des Kinder- und Jugendplans (KJP), des sogenannten DigitalPakts Schule, bei der Förderung der Gamesbranche oder auch der Filmwirtschaft), sollte an Kinder-schutzstandards gekoppelt sein.
  • Wie zum Beispiel bei der Förderung des Leistungs- und Spitzensports durch das Bundesinnenministerium sollten verpflichtende Mindeststandards zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt überall dort zur Anwendung kommen, wo Bundesmittel verwendet werden.

 

Empfehlungen an die Landespolitik und die politischen Parteien auf Landesebene

 

  1. Einen „Masterplan zur Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ entwickeln

 

Jedes Bundesland sollte auf der Basis einer umfassenden Defizit- und Bestandsanalyse einen eigenen ressortübergreifenden „Masterplan zur Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und den Folgen“ entwickeln und umsetzen. Dazu gehört neben einer bestmöglichen Qualifizierung im vielschichtigen und interdisziplinär zu betrachtenden Themenfeld grundsätzlich eine bestmögliche interdisziplinäre Zusammenarbeit aller, die für das Kindeswohl in einem Land zuständig sind. Für die konkrete Kinderschutzarbeit und verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Kinderschutz-Akteur*innen vor Ort sollten regionale und auch kommunale Netzwerkstrukturen auf- und ausgebaut werden. Konkret sollte ein Masterplan mindestens folgende Themenfelder beinhalten:

 

 

  1. Schutzkonzepte in Kitas, Schulen und in der Kinder- und Jugendarbeit verbindlich umsetzen
  • Die flächendeckende Einführung und Anwendung von „Schutzkonzepten gegen sexuelle Gewalt“ muss maximal ausgebaut und verbindlich geregelt werden. Schutzkonzepte helfen Fachkräften, pädagogisch präventiv zu handeln, Signale betroffener Kinder und Jugendlicher zu erkennen und Zugang zu Hilfe zu bieten.
  • Die Schulgesetze aller Bundesländer sollten die Einführung und Anwendung von schulischen Schutzkonzepten und die dafür erforderliche personelle und finanzielle Unterstützung der Schulen verbindlich regeln.
  • Die Bundesländer sollten zudem in ihren Förderrichtlinien festschreiben, dass in allen Einrichtungen und Organisationen, die vom Land finanziert oder gefördert werden, die Erarbeitung und die Anwendung von Schutzkonzepten verbindlich und damit Voraussetzung für die Finanzierung sind.
  • Fachstellen und schulbegleitende Dienste sollten in die Lage versetzt werden, die Entwicklung und Implementierung von Schutzkonzepten in Einrichtungen und Organisationen flächendeckend zu begleiten.
  • Die Qualifizierung für pädagogische und soziale Berufe

(Aus-, Fort- und Weiterbildung) sollte weiterentwickelt werden, um zu gewährleisten, dass alle Fachkräfte wie Lehrer*innen, Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen über Grundlagenwissen zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie über spezifische Kompetenzen verfügen, wie sie Minderjährige schützen und ihnen helfen können.

 

  1. Beratungs- und Hilfeangebote bedarfsgerecht, niedrigschwellig und flächendeckend ausbauen
  • Spezialisierte Fachberatungsstellen müssen langfristig personell und finanziell gesichert werden, sodass keine Versorgungslücken entstehen. •Die psychotherapeutische Versorgung, insbesondere für Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen, muss verbessert werden. Dazu sind vor allem die Einrichtung von Traumaambulanzen sowie eine spezifische psychotherapeutische und fachärztliche Bedarfsplanung und Aus- bzw. Fortbildung notwendig. •Bei allen Hilfeangeboten ist auf qualifizierte Angebote für alle Kinder und Jugendlichen zu achten.
  • Bei der Umsetzung der Reform des Sozialen Entschädigungsrechts (SER) sollte ein kompetentes und betroffenensensibles Fallmanagement eingerichtet werden. Es sollte zudem eine Qualifizierung der Fachkräfte in den Versorgungsämtern gewährleistet werden.
  • Spezialisierte Fachstellen für Täterarbeit und Tätertherapie sind im Sinne des Kinderschutzes flächendeckend auszubauen und finanziell abzusichern.

 

  1. Intervention stärken
  • Um Täter und Täterinnen schnellstmöglich zu identifizieren und strafrechtlich zu verfolgen, sollten die Ermittlungsbehörden technisch und personell in dem erforderlichen Umfang ausgestattet und sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter*innen der Behörden im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, geschult und regelmäßig weitergebildet werden.
  • Damit sexueller Kindesmissbrauch möglichst früh erkannt und differenziert abgeklärt wird und das Kindeswohl durch passgenaue Hilfen sichergestellt werden kann, sollten die Strukturen der Jugendhilfe und andere Clearingstellen z. B. im Gesundheitswesen landesweit angemessen ausgestattet sein und Rahmenbedingungen geschaffen werden, die jederzeit eine qualifizierte Arbeit ermöglichen. Dazu gehört auch die Stärkung dieser Strukturen für die Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren.

 

  1. Die Justiz kindgerecht gestalten
  • Mit dem Ziel der kindzentrierten, qualifizierten und effizienten Strafverfolgung sollten örtlich und sachlich konzentrierte Jugendschutzverfahren durch Kompetenzzentren (Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktgerichte) eingerichtet werden.
  • Dort, wo Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktgerichte noch nicht eingerichtet wurden, sollte darauf geachtet werden, dass Jugendschutzverfahren von besonders qualifizierten und auf diese Verfahren spezialisierten Staatsanwält*innen und Richter*innen geführt werden.
  • Es sollte zudem sehr zeitnah in jedem Bundesland für alle Ermittlungsverfahren und strafgerichtlichen Verfahren sichergestellt werden, dass jederzeit die Möglichkeit besteht, kindliche Opferzeugen per Videoaufzeichnung vernehmen zu können.
  • Um Straf- und Familienrichter*innen bestmöglich zum Thema „Sexueller Kindesmissbrauch“ zu qualifizieren, sollten in den Landesrichtergesetzen eine Fortbildungspflicht zum Themenfeld verbindlich geregelt, die dafür notwendigen Kapazitäten aufgebaut und die Realisierung der Teilnahme an diesen Fortbildungen unterstützt werden.

 

  1. Forschung und Ausbildung intensivieren
  • Abgestimmt zwischen den Ländern und dem Bund sollte an Universitäten und Hochschulen der strukturelle Ausbau von Forschung und Lehre zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorangebracht werden, um Erkenntnislücken zu schließen und um flächendeckend Forschungsexpertise für Politik und Praxis verfügbar zu machen.

 

  • Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen in den Ländern sollten darin unterstützt werden, fundiertes Wissen zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu generieren und dieses der Praxis zugänglich zu machen.
  • Die Vermittlung von Basisinformationen zum Themenfeld „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ (wie zu Ausmaß und Dimension, Täterstrategien, Signalen von Kindern, Mythen) sowie Grundlagen der Gesprächsführung mit Kindern, Jugendlichen und mit Eltern sollte in die Ausbildungscurricula aller Fachkräfte aufgenommen werden, die mit dem Kinderschutz befasst sind.

 

  1. Landesbeauftragte für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt einsetzen

 

  • In allen Bundesländern sollte das Amt einer/eines hochrangig angesiedelten und möglichst gesetzlich verankerten Landesbeauftragten eingerichtet werden.
  • Diesem Amt sollten die Erarbeitung und die fachliche Unterstützung der Umsetzung des Masterplans übertragen und die dafür erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
  • Ein strukturierter und kontinuierlicher Austausch der künftigen Landesbeauftragten mit der/dem UBSKM sollte ebenso wie eine strukturierte Betroffenenbeteiligung auf Landesebene sichergestellt werden, möglichst auf gesetzlicher Grundlage.

 

 

Berlin, im September 2020

 

Anlage 7

 

Marion WALSMANN Konzept zum CDU/CSU Papier zu Kindesmissbrauch

 

  1. Allgemein

 

Zwischen 10% und 20% der fast 100 Millionen Kinder in Europa werden während ihrer Kindheit sexuell ausgebeutet, missbraucht oder angegriffen. Ausmaß und Formen sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Herstellung, des Besitzes und der Verbreitung diesbezüglicher Abbildungen/Filme/Texte (sog. CSEA-Material)  (wie Kinderpornografie) geben schon lange Anlass zur Sorge. Sexueller Missbrauch von Kindern im Internet hat weltweit dramatisch zugenommen. 2010 waren 1 Mio. Meldungen über Material von sexuellen Kindesmissbrauch bekannt worden und 2019 waren es 17 Mio. Das Dunkelfeld ist exorbitant.

 

Die Ausgangsbeschränkungen während der COVID-19-Pandemie haben zu einem deutlichen Anstieg des sexuellen Missbrauchs von Kindern geführt. Im Juni 2020 beschlagnahmte die deutsche Polizei in Münster 500 Terabyte verschlüsseltes Material. Das sind über 500 Mio. Megabyte, genug für über 65 Mio. Fotos in Smartphone-Qualität.

 

Die folgenden Punkte sollte die Kommission in ihrer für dieses Jahr vorgesehenen Strategie für einen wirksameren Kampf gegen sexuelle Ausbeutung und Missbrauch von Kindern und für 2021 vorgesehene umfassenden Strategie für das Kindesrecht berücksichtigt werden. Dabei sind die „Luxembourg Terminology Guidelines“ von 2018 und der international anerkannte Begriff „Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA)“  künftig EU-weit einheitlich zu nutzen.

 

  1. Prävention

 

Die Prävention spielt eine entscheidende Rolle.

 

  1. Prävention durch korrekte Umsetzung bestehender EU-Regelungen

 

Die Umsetzung der relevanten EU-Regelungen ist nur unvollständig erfolgt.

 

  1. Mitgliedstaaten müssen das relevante EU-Recht vollständige und wirksam umsetzen[100]:

–  Richtlinie 2004/80/EG zur Entschädigung der Opfer von Straftaten

– Richtlinie 2011/92/EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie

–  Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung (EPO)

– Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen

–  Richtlinie 2012/29/ EU zur Festsetzung von Mindestnormen für die Rechte, Unterstützung und Schutz der Opfer von Straftaten

– Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr

 

  1. Inbesondere die Richtlinie 2011/92/EU ist vorrangig zu evaluieren und umzusetzen, zumal schon die Evaluation 2016 drastische Versäumnisse aufzeigte.

EK sollte die Gründe der begrenzten Umsetzung identifizieren und durch Anpassungen, ggf. weitere Vertragsverletzungsverfahren angehen.

 

  1. Austausch zwischen den Mitgliedstaaten zu besten Praktiken und wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen im Umgang mit Kindesmissbrauch im Rahmen bestehender Organisationen (Europol, CEPOL, Eurojust, ECPN).

 

 

  1. Prävention durch den Einsatz von neuen Technologien

 

Erhöhte gemeinsame Investitionen der Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit Europol, EC3, mit Service Providern und dem technischen Privatsektor, um durch die Anwendung von neuen Technologien wie Crawler-Systemen oder KI potentiell missbräuchliche Verhaltensweisen, wie z.B. Verschlüsselung von CSEA-Material oder Nutzung des Darknets wie z.B. Grooming, zu erkennen und die Verantwortlichen zu identifizieren. Die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem „Project Protect“ der IT-Branche sind zu intensivieren.

Filterung und Blockierung von CSEA-Material ist nur die zweitbeste Lösung, wie das vor Jahren von COSPOL inititerte Projekt CIRCAMP bewies.

Neue Technologien können auch dabei helfen, anonyme Meldungen von Usern zu erlauben und den Online Service Provider (OSP) zu ermöglichen, ihren Berichtspflichten an die jeweiligen (inter)nationalen Zentralstellen (Interpol, Europol, NCMEC u.a.) schnellstmöglich nachzukommen. und das Opfer über das Justizsystem zu informieren.

 

  1. Prävention durch erhöhte grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Behörden, Opfern und Opferorganisationen mit Hilfe der EK

 

EK soll die proaktive Zusammenarbeit mit den Internetanbietern, den Opfern und den Organisationen zur Unterstützung von Opfern fördern, beispielsweise durch Erstellung eines Aktionsplans, der Bold Actions vorsieht: Bündelung und Stärkung vorhandener Ressourcen und Organisationen (rechtlich, personell, finanziell).

 

wie sexueller Missbrauch im Internet effizienter angegangen werden kann. Z.B. durch:

 

 

– Schaffung von gezielten frühzeitigen Interventionsstrategien.

 

Die von der Kommission ins Leben gerufene Sondergruppe von Experten aus Wissenschaft, Regierungsvertretern, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, welche Lösungen suchen soll, um verschlüsseltes CSEA-Material aufzudecken und zu melden, sollte ihre Arbeit intensivieren und beschleunigen, um die Erkenntnisse mit den Mitgliedstaaten und den Opferorganisationen teilen.

 

Erhöhte Zusammenarbeit könnte über die Schaffung eines Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern erfolgen, welches die Opfer unterstützt, die Kooperation und Austausch von Informationen und bewährten Praktiken erhöht und verbessert.

 

Finanzierung von Projekten durch EK, die die Produktion, Verbreitung und Verkauf von CSEA-Material im Internet bekämpfen. Zusammenarbeit: Internetanbieter, Banken und Anbieter von Zahlungssystemen, Telekommunikationsunternehmen, Europol, Eurojust sowie Polizei- und Justizbehörden.

 

  1. Prävention durch Safety/Security by Design

 

Wirtschaftsakteure könnten sich bei der Herstellung von Produkten freiwillig dazu verpflichten, Prinzipien für Kindersicherheit einzuführen, z.B. unter Wahrung des Safety by Design Ansatzes, indem Hard- und Softwaresysteme frei von Schwachstellen und unempfindlich gegenüber Angriffen hergestellt werden. Schaffung von systematischen Einschränkungen, um Zugang zu illegalen Inhalten von Kindern zu verhindern.

Schwerpunkt muss dabei sein, dem rasanten Wandel hin zum Tatmittel „Smartphone“ begegnen zu können.

 

  1. Prävention durch gezielte Investitionen in Widerstandsfähigkeit durch Bildung

 

Um eine effiziente Prävention zu ermöglichen, sind gezielte Investitionen nötig in die ganzheitliche Bildung von Kindern und den Fachkräften, die mit (potentiellen) Opfern zu tun haben.

 

  1. Resilienztraining für die Kinder

 

Mitgliedstaaten wird empfohlen in die Lehrpläne der Schulen Resilienztrainings durchzuführen, in denen die Kinder dazu befähigt werden, vor allem im Internet und innerhalb ihrer Peer-Gruppen, inakzeptable Verhaltensweisen zu vermeiden („self-generated explicit Material- SGEM“), zu erkennen und in einer heiklen Situation Hilfe und Schutz bei ihren Eltern, Lehrern, staatlichen Hotlines oder anderen Nahestehenden zu suchen. Die zentralen Erkenntnisse, die Europol in seinem jährlichen Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA) herausstellt, sind dabei besonders zu beachten.

Den Mitgliedsstaaten wird empfohlen, die von Europol gestartete „SayNo!Campaign“ wieder zu beleben oder das vom Europarat gestartete KIKO-Projekt  ins Leben zu rufen.

 

  1. Ausbildung der Fachkräfte

 

Angemessene Ausbildung für Fachkräfte, die mit (potentiellen) Opfern arbeiten, wie z.B.: Lehrern, juristische und medizinische Berufe, Betreuer, sodass diese Gewalt oder Missbrauch gegen ein Kind erkennen.

 

  1. Elternschulung

 

Aufklärung von Eltern über Gefahren des Internets und Missbrauchs, dem ihre Kinder zum Opfer fallen könnten. Sie sollten in der Lage sein, emotionale und Verhaltensreaktionen zu erkennen, die für Kinder, die sexuell missbraucht werden typisch sind und angemessen reagieren.

 

  1. Prävention durch Aufklärungskampagnen

 

Durchführung einer EU-weiten und nationaler Informations-, Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen für die Rechte der Kinder,  zur Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft, zur Verdeutlichung der langfristigen Folgen dieser Kriminalität, zur Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für die Opfer sexueller Gewalt gegen Kinder und zur Förderung spezialisierter Unterstützungs- und Schutzmaßnahmen für Kinder. Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters soll das Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden.

 

 

III. Juristische Aspekte: Wirksame Ermittlung und kindergerechtes Strafverfahren

 

Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, benötigen einen besseren Zugang zur Justiz. Hindernisse, die den Opfern den Zugang zur Justiz erschweren, sind hauptsächlich auf fehlende Informationen, unzureichende Unterstützung und mangelnden Schutz zurückzuführen.

 

Mitgliedstaaten sollen kindesgerechte Strafverfolgungs- und Justizpraktiken in Kindesmissbrauchsfällen vorsehen.

 

  1. Ermittlungsverfahren:

 

  1. Zugriff auf Datenbanken

 

Vereinfachter Zugriff auf internationale Datenbanken, bzw. ihre Vereinheitlichung insbesondere Bilddatenbankenbei Interpol (ICSE), USA/NCMEC (CRIS/CVIP), Europol (EC3), UK (CAID)  oder Kanada (CETS). Einführung einheitlicher, zentraler hash-sets zur Verschlüsselung der Bilder vor weiterer forensischer/ermittelnder Bearbeitung. Prüfung, wie global ein znetrales Bildver- und bearbeitendes System geschaffen werden kann, bzw. wie ein solches System auf kontinentaler Ebene errichtet werden könnte.

 

Forderung: EK soll den Austausch zwischen den Behörden und Plattformen vereinfachen und technische Hilfestellung leisten zum Verknüpfen der Datenbanken

 

  1. Technische Ausstattung von Polizei und Ermittlungsbehörden

 

Die Polizei muss entsprechend ausgestattet sein, um die Bekämpfung von Kindesmissbrauch vor allen im Internet effektiver durchzuführen, die Polizei und Ermittlungsbehörden dürfen dem Einsatz von Spitzentechnologie durch die Täter nicht hinterherstehen. Die künftigen Investitionen in Automation, Cloud Computing, IT-Forensik und die unbedingt erforderliche Artificial Intelligence (AI) übersteigen ohnehin alle personellen und finanziellen Ressourcen der nationalen und auch internationalen Akteuren, was nach Pool-Lösungen ruft.

Forderung: MS werden aufgefordert, zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität nach EU-einheitlichen Maßstäben spezialisierte Polizeieinheiten einzurichten, die  entsprechende Aus- und Fortbildung zu intensivieren und die technische Ausrüstung, insbesondere zur computergestützten, biometriebasierten forensichen Personensuche, zu vereinheitlichen.

EK soll dabei technisch und finanziell unterstützen.

 

 

 

  1. Grenzüberschreitender Austausch von elektronischen Beweismitteln

 

„E-evidence“ soll es Ermittlungsbehörden einfacher machen, länderübergreifend auf elektronische Beweismittel zuzugreifen.

 

Forderung: Vorläufige Einigung zu e-evidence vom 30.06.20 sollte geprüft und schnellstmöglich der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen werden.

 

  1. Einheitliche Begrifflichkeiten

 

Sehr unterschiedliche nationale Begrifflichkeiten machen bei grenzüberschreitenden Straftaten die Einordnung oft sehr schwer. Gemeinsame Definitionen und harmonisierte Schwellenwerte können dazu beitragen, Kindermisshandlungsprozesse europaweit zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.

 

Forderung: EK auffordern, auf der Basis der Luxembourg Terminology Guidelines von 2018 (LTG) die mit den Begrifflichkeiten bestehenden Probleme zu identifizieren und die LTG in Form einer Richtlinie umzusetzen.

 

  1. Regelmäßiges Monitoring

 

Inwieweit die Entwicklung der Fallzahlen auf eine tatsächliche Abnahme bzw. Zunahme zurückgeführt werden kann, oder ob andere, bislang unerforschte Gründe vorliegen (verändertes Problembewusstsein, besseres Meldeverhalten, gesetzgeberische Maßnahmen, oder Veränderungen der IT-Rahmenbedingungen), darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Die Kinderrechtskonvention der Vereinigten Staaten schreibt solch ein regelmäßiges Monitoring schon seit langem vor.  Kriminologische Untersuchungen liegen hierzu kaum vor.

 

Forderung: EK auffordern, mit einer Richtlinie die erforderliche Datenerhebungen zwingend vorzuschreiben, eine wissenschaftliche Studie zu diesem Thema zu vergeben und durch Wiederholung methodisch hochwertiger Befragungen zu ermitteln, welche Wechselwirkungen veränderte Parameter haben.

 

  1. f. Mindestdatenspeicherung

 

Anders als an klassischen Tatorten, an denen es vom Augenzeugen bis zum Fingerabdruck zahlreiche Spuren gibt, liefern die Telekommunikationsverkehrsdaten im digitalen Raum oft die einzige Spur zum Täter. Bei diesen Telekommunikationsverkehrsdaten handelt es sich um rein technische Daten, nicht um Inhalte von Telefongesprächen oder SMS. Mithilfe der IP – Adresse lässt sich ermitteln, von welchem Telefonanschluss (Festnetz oder Mobilfunk) eine Internetverbindung hergestellt wurde.

 

Da hinter einem solchen Telefonanschluss eine Person oder Firma steht, kann die IP-Adresse die Polizei so zum Täter führen. Auf Grund des Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der die deutsche Gesetzeslage als mit Unionsrecht nicht vereinbar ansah, findet eine Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat beim Service Provider derzeit faktisch nicht statt. Dies verhinderte in der Vergangenheit die Aufklärung vieler Tausender Hinweise die den nationalen Strafverfolgungsbehörden vorlagen – und  ermöglichte so den andauernde Missbrauch einer großen Zahl von Kindern. In 93% der Fälle wird das CSEA-Material innerhalb 72 Stunden nach Meldung entfernt.

Forderung: EK auffordern, das Thema Mindestspeicherfristen für den CSEA-Deliktsbereich mit einer Richtlinie zu regeln und bis dahin die MS mit Nachdruck aufzufordern und dabei zu unterstützen, EU-gerichtsfeste nationale Regelungen einzuführen.

 

  1. Strafverfahren vor Gericht

 

  1. Vermeidung von sekundärer Viktimisierung

 

Individuelle Beurteilung des Kindes, um ein Trauma des Kindes durch das Gerichtsverfahren und damit eine sekundäre Viktimisierung soweit wie möglich einzuschränken. Justiz muss altersgerecht, zügig, sorgfältig und den Bedürfnissen und den Rechten des Kindes angepasst sein. Kinderfreundliche Justiz durch getrennte Warteräume für Täter und Opfer, Verwendung von Videoaufzeichnungen der Zeugenaussage des Opfers. Seit Jahren fehlen Anstrengungen, die definitorische und terminologische Klärung des Begriffes der Sekundärviktimisierung. Neben dem individuellen Leid in der Tatphase fehlen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse

zu den gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen, wie schon 2012 in der Traumafolgestudie (Habetha et al) festgestellt.

 

Forderung: EK wird aufgefordert, eine EU-weite Studie zu dieser Thematik zu erstellen, um eine einheitliche Definition zu erhalten und die gesellschaftliche Last der Traumafolge-Störungen europaweit abschätzen zu können.

Die MS werden aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass die Opfer während des Entschädigungsverfahrens keine sekundäre Viktimisierung erleiden

 

  1. Entschädigungsmechanismen

Entschädigungsmechanismen, die an Fristen gebunden sind, müssten in Missbrauchsfällen angepasst werden, damit die z.B. durch Scham begründete Verzögerung bei der Anzeige nicht eine Beantragung von Entschädigung unmöglich macht.

 

Forderung: EK ist gehalten, die Entschädigungsvorschriften der EU zu überwachen und ggf. anzupassen und die MS sind gehalten, die nationalen Entschädigungsregelungen zu bewerten und ggf. die bestehenden verfahrensrechtlichen Hürden zu beseitigen.

 

  1. Schulung von Personen im Ermittlungs- und im Strafverfahren

 

Die im Ermittlungs- und Strafverfahren Tätigen sollten speziell für den Umgang von Kindern, die missbraucht wurden, geschult bzw. zu entsprechenden Weiterbildungen verpflichtet sein.

 

Forderung: MS sollten Schulungsmaßnahmen für Justiz- und Strafverfolgungsbehörden fördern u.a. durch verstärkte Zusammenarbeit mit dem Europäischen Netz für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten und der Agentur der Europäischen Union für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Strafverfolgung (CEPOL);

 

  1. Abschreckendes Strafmaß für Täter von Kindesmissbrauch und Produktion, Besitz und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen/-fime (CSEA-Material)

 

Sexueller Missbrauch von Kindern und Produktion, Besitz und Verbreitung von CSEAM sollte in allen EU-Staaten als Verbrechen mit hohem Strafmaß festgelegt werden, um die abschreckende Wirkung zu erhöhen.

 

Forderung: Mitgliedstaaten sollten den sexuellen Missbrauch von Kindern und den Besitz bzw. die Verbreitung von Kinderpornographie in dem nationalen Strafrecht als Verbrechen mit hohem Strafmaß von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe vorsehen.

 

 

  1. Opferrechte

 

Forderungen der EU-Strategie für Opferrechte vom 24.06.20 müssen analysiert und bewertet werden. Unter anderem könnten folgende Aspekte, die Opferrechte stärken.

 

  1. Effizientere Opferrechte

 

  1. Nationale Opferschutzstrategien

 

Erstellung von nationalen Opferschutzstrategien, die einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz für die Opferrechte verfolgen und alle Beteiligten einbeziehen, die mit den Opfern in Kontakt kommen können. Dabei sollte ein eigener Abschnitt für die besonders schutzbedürftigen Opfer wie Kinder vorgesehen werden.

 

  1. Plattform für Opferrechte

 

Einrichtung einer zentralen Informationsplattform auf EU-Ebene, möglichst bei vorhandenen Organisationen, wie dem Europäischen Crime Prevention Network (EUCPN) oder bei Europol (EC3) zum Thema Opferhilfe und Opferschutz, welches die entsprechenden Akteure zusammenführt und einen Austausch über bewährte Verfahren und einen Dialog ermöglicht. Hierbei sollten auch die für den Kampf gegen Kindesmissbrauch zuständigen Organisationen teilnehmen und innerhalb der Sitzungen das Vorankommen der Strategie für einen wirksameren Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern evaluiert werden.

 

  1. Kinderhäuser

 

Kinderhäuser, die integrierte und zielgerichtete spezialisierte Unterstützungsdienste ermöglichen, sollten in jedem MS eingeführt werden und können in die bereits bestehenden Strukturen eingebaut werden.

 

  1. Informationskampagnen

 

Opfer wissen oft nicht wie und wo sie Hilfe erhalten können.

MS sollen das Angebot der Opferhilfe des Opferschutzes und die europaweit für Opferhilfe geltende Nummer 116006, unter der jederzeit Hilfe und Unterstützung erhalten werden kann, durch Informationskampagnen bekannter machen.

 

  1. Internationale Ebene

 

Stärkung der Zusammenarbeit mit internationalen und regionalen Partnern wie den Vereinten Nationen und dem Europarat, um hohe internationale Standards für Kindesmissbrauchsopfer zu fördern.

  • Eine EU-Strategie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs muss auf dem Boden UN-Konvention über die Rechte des Kindes (CRC 1992) und der Kinderrechte-Strategie des Europarates (2016-2021) stehen und mit der bevorstehenden umfassenden EU- „Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ (2020), der EU-“Interim Regulation on the processing of personal and other data for the purpose of combatting child sexual abuse” (COM(2020) 568 final), und dem Eurojust Action Plan 2020 in Einklang stehen.
  • Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden und Hilfsorganisationen von Drittstaaten sowie konsularischen Behörden und Hilfsorganisationen der EU-Mitgliedstaaten muss gestärkt werden, um den Zugang zur Justiz für in Drittstaaten geschädigte EU-Bürger zu erleichtern. Die Erkenntnisse aus dem 2020 SIRIUS EU Digital Evidence Situation Report von Eurojust, Europol und EJN und dem Europol-Bericht IOCTA 2020 sind umzusetzen. Die Vermögensabschöpfung bei CSEA-Tätern ist zu intensivieren.
  • Unterstützung von „WeProtect“, dem weltweiten Bündnis zur Beendigung der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Internet.

 

[1] https://www.dkhw.de/schwerpunkte/kinderrechte/koordinierungsstelle-kinderrechte/die-kinderrechte-strategie-des-europarates/

[2]file:///Users/uwe/Downloads/InterimRegulationontheprocessingofpersonalandotherdataforthepurposeofcombattingchildsexualabuseCOM2020568final.pdf

[3] Artikel 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention

[4] http://luxembourgguidelines.org/german/

[5] https://ec.europa.eu/commission/commissioners/2019-2024/johansson/announcements/speech-commissioner-johansson-webinar-preventing-and-combating-child-sexual-abuse-exploitation_en

[6] 11.11.2020 DW: https://www.dw.com/en/australia-police-expose-global-child-sex-abuse-ring/a-55560115

[7] Léonie Chao-Fong, Express, Thu, Nov 7, 2019: https://www.express.co.uk/search?s=L%C3%A9onie%20Chao-Fong&b=1; Nach der vietnamesischen (Hellfeld-)Statistik wurden von 2011 bis 2017 über 2.700 Fälle mit fast 6.000 Opfern angezeigt. 2018 wurden in China nach einer monatelangen Operation über 1.100 gehandelte Frauen befreit.

[8] https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/alumni/alumnicampus/AC_8_2012/i34-36__hueneke.pdf

[9] Beispiel: Das “Safer Internet Plus Programme” finanzierte das CIRCAMP-Projekt “Cospol Internet Related Child Abusive Material Project”, das unterschiedliche und multinationale Ansätze zur Verhinderung der Herstellung und/oder Verbreitung von Missbrauchsabbildungen, -filme,  oder -texte  unterstützte (IRC, GIGATRIBE, PEER 2 PEER, NEWSGROUPS, GROOMING); CIRCAMP war schon 2004 gegründet worden und wird von Europol und Interpol unterstützt. Ziele sind die Entdeckung und Zerschlagung von jeglichen Organisationsstrukturen für die Produktion und/oder Verteilung von Missbrauchsabbildungen/-filme, die Täter und Opfer zu identifizieren und die Missbrauchsfälle zu beenden. Den besseren Ansatz bildet der Auftrag, den das EU-Internetforum im Sommer 2020 erteilte. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein

[10]https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sexualisierte-gewalt-kinder-sexueller-missbrauch-kinderpornografie-anhoerung-bundestag-strafrahmen-verbrechen-keuschheitsprobe/

 

[11] National Center for Missing & Exploited Children; 2019 erhielt da BKA rund 60.000 Hinweise, die gesichtet und dann zuständigkeitshalber an die Landespolizeien und Staatsanwaltschaften in den Bundesländern geleitet wurden. 2017 waren es noch 35.000 Hinweise. Den meisten Hinweisen konnte jedoch nicht mehr nachgegangen werden, weil die Provider die Daten nicht mehr vorhalten. 2017 konnte die Kinderpornographie-Plattform „Elysium“ mit über 11.000 Nutzern aus aller Welt abgeschaltet werden: Vier Deutsche wurden 2019 zu Haftstrafen von bis zu 10 Jahren verurteilt.

[12] Quelle: Meier, B. D. & Hüneke, A. (2011). Forschungsbericht „Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet“. Kriminalwissenschaftliches Institut der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, Hannover

[13] Copine-Skala (Combating Paedophile Information Networks in Europe) nach der das Bild-/Filmmaterial kategorisiert wird, um einen Überblick der Schwere des Missbrauchs zu erhalten (Stufe 1-3: strafrechtlich nicht relevant, Stufe 4-6 „Posing Material“, Stufe 7-10 „echte“ Kinderpornografie)

[14] www.praevention.org/fachinformationen

[15] https://www.karger.com/Article/PDF/467399

[16] https://d-nb.info/1164077368/34

[17] Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union L 315/7 DE 14.11.2012 (2012): Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI.

[18] Basisuntersuchung JIM (Jugend, Information, (Multi-)Media) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest

[19] Universität Mannheim Studie 2016 von Dr. Karin Knop

[20] http://www.mikado-studie.de/tl_files/mikado/upload/MiKADO_Zusammenfassung.pdf

[21] Wetzels, 1997: Gewalterfahrung in der Kindheit – Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und langfristige Konsequenzen (Bd. 1)

https://www.bke.de/content/application/explorer/public/newsletter/2013/august/hintergrundinfo_projektbeschreibung_kein_taeter_werden.pdf

[22] Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Positionspapier 2020

[23] https://standpunktonline.com/100-millionen-kinder-und-jugendliche-leben-in-der-eu/

[24] Statista Research Department, 22.06.2020: Im Zeitraum von 2008 bis 2019 schwankt die Zahl der Opfer zwischen 13.500 und 15.700 (Opfer gem. §§ 176, 176a und 176b StGB); In über 90 % der Fälle findet der sexuelle Missbrauch im Alter von 6 bis 14 Jahren statt.

[25] https://www.hilfeportal-missbrauch.de/informationen/uebersicht-sexueller-missbrauch/zahlen-und-fakten.html

[26] K. M. Beier et al. (2007): Das Präventionsprojekt Dunkelfeld. Der Berliner Ansatz zur therapeutischen Primärprävention von sexuellem Kindesmissbrauch

[27] https://www.behoerden-spiegel.de/wp-content/uploads/2019/10/Moderne_Polizei_Cyber_Polizei.pdf

[28] https://community.beck.de/2011/09/12/erfolgreiche-bekaempfung-der-internetkriminalitaet-durch-zentralisierung-in-der-justiz

[29] Das Forschungsteam um Prof. Dr. Franziska Boehm am Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft (ZAR) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) leitet dabei federführend die Erforschung der rechtlichen Rahmenbedingungen und soll so den Grundstein für eine nachhaltig rechtskonforme Softwareentwicklung legen.

[30] https://www.deutschlandfunk.de/sexualisierte-gewalt-im-sport-forschungsprojekt-voice.1346.de.html?dram:article_id=366784

[31] 10.06.2020 ZEIT: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-06/christine-lambrecht-cdu-hoehere-strafen-kindesmissbrauch-muenster

[32] https://www.polizei.de/Polizei/DE/Einrichtungen/ZAC/zac_node.html

[33] Ausführlich und lesenswert: https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/abschlussberichtkipost.pdf

[34] 2019 IOCTA: Die Zahl der Hinweise von Industrie und Drittstaaten steigt rasant. 2017 kamen aus den USA noch 44.000 Hinweise, 2019 waren es bereits 170.000. Hinweise aus Kanada stiegen ebenfalls von 6.000 (2018) auf 24.000 (2019). Mindestens 17 andere EU-MS erhielten von Europol ebenfalls Hinweise, die aus den USA stammten; alle EU-MS erhielten auf diesem Weg Hinweise aus Kanada, wo die gesetzliche Verpflichtung zur Mitteilung von CSEM an die staatlichen Behörden (in den USA: an NCMEC, eine NGO).

[35] Die PKS bildet nur einen sehr kleinen Teil der tatsächlichen Straftaten ab, wie sich unschwer an der erschreckend großen Differenz zwischen den Fallzahlen und den rund 62.000 NCMEC-Hinweisen ablesen lässt. Jedoch muss, zusätzlich zu den Problemen mit der Vorratsdatenspeicherung, berücksichtigt werden, dass nicht jedes gemeldete Foto oder Video tatsächlich strafbare Handlungen enthielt.

[36]https://www.iwf.org.uk/news/iwf-research-on-child-sex-abuse-live-streaming-reveals-98-of-victims-are-13-or-under

[37] IWF: “Therefore, it’s our belief that these children were being ‘directed’ to abuse themselves and live-stream the sexual abuse. “This form of grooming is complicated and only possible because of the ‘anonymity’ the internet offers. An offender may be, for example, a 40-year-old man. But by abusing a legitimate internet site to create a false profile, he could appear online as a 12-year-old school girl. Sadly, through this study we saw a range of grooming scenarios that abusers employ.” (Susie Hardgrave OBE, IWF CEO)

[38] Ausführlich: https://www.iwf.org.uk/sites/default/files/inline-files/Distribution%20of%20Captures%20of%20Live-streamed%20Child%20Sexual%20Abuse%20FINAL.pdf

[39] EU-Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, 2000; Art. 13; Art. 5 von Europol’s New Regulation (s. nachfolgende Fußnote)

[40] Europol’s New Regulation:  Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol)

[41] Art. 6 von Europol’s New Regulation

[42] „Kinder“ sind für Europol, wie bei der UN-Kinderrechtskonvention und bei Interpol auch, Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

[43] 2019 IOCTA und NCMEC nach NYT, September 2019

[44] https://www.thehaguesecuritydelta.com/media/com_hsd/report/261/document/iocta-2019.pdf

[45] Schon 2005 waren schätzungsweise eine Million Missbrauchsabbildungen online abrufbar, jährlich kamen ca. 50.000 Bilder sexuellen Missbrauchs von Kindern hinzu, rund 75% der Opfer waren unter 10 Jahre alt (UNODC): Ein pädokrimineller 250- Millionen-Dollar Markt!

Allein beim LKA NW lieferten die Landesbehörden Ende 2020 innerhalb einer Woche über 310 Terabyte an Missbrauchsabbildungen/-filme an, die in der LKA-eigenen Cloud „Forensic Desktop“ zur weiteren Bearbeitung zwischengelagert sind. Diese Cloud fasst 2 Petabyte – bei gleicher Anlieferungsmenge wäre sie in 100 Tagen gefüllt. Zum Größenvergleich siehe Abb. 5.

[46] Tor (ursprünglich für „The Onion Routing“) ist ein Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten und wird als freie und open-source-Software angeboten. Im Januar 2019 nutzten bereits über 2 Millionen User täglich das Tor-Netzwerk.

[47] https://ec.europa.eu/home-affairs/financing/fundings/projects/HOME_2011_ISEC_AG_INT_4000002207_en

[48] 23.05.2016: https://www.enisa.europa.eu/publications/enisa-position-papers-and-opinions/on-lawful-criminal-investigation-that-respects-21st-century-data-protection

[49] http://virtualglobaltaskforce.com/wp-content/uploads/2020/02/2019-Virtual-Global-Taskforce-Environmental-Scan_Unclassi.pdf(Europol)

[50] Australia, Denmark, France, Germany, the Netherlands, Spain, Sweden, the UK, the USA, Europol and Interpol

 

[51] https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/policies/cybercrime/child-sexual-abuse/global-alliance-against-child-abuse_en

[52] Die INHOPE-Foundation führt eine Liste aller nationalen Hotlines (www.inhope.org), Hilfe zu Errichtung von Hotlines kann von GSMA angefordert werden: sam.lynch@gsma.com

[53] http://www.circleid.com/posts/20200723-the-state-of-dns-abuse-moving-backward-not-forward/

[54] https://www.europewatchdog.info/en/international-treaties/treaties_and_monitoring/child-abuse/

[55] Deutschland ratifizierte die CoE-Cybercrime Convention erst am 09.03.2009 ( https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/185/signatures?p_auth=4pgzc4nm)

[56] Quelle: https://www.coe.int/en/web/children/underwear-rule#{%2262788258%22:[0]}

In the book, the hand always asks Kiko for permission before touching. Kiko grants permission. When the hand wants to touch inside the underwear, Kiko says “No!”. Parents or carers could use this sequence to explain to children that they can say “No” at any moment.

[57] https://missingchildreneurope.eu/childsexualabuse

[58] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0145213420300545

[59] https://www.unodc.org/documents/AnnualReport/Annual-Report_2018.pdf

[60] https://www.msab.com/de/

XRY (Extraktion, Dekodierung), XAMN (Filter, Visualisierung, Analyse) oder XEC (Management, Datentransfer, Protokoll)

[61] Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frontex)

[62] Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF)

[63] Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC)

[64] Das Abkommen fußt auf dem 2017 von Europol erfolgreich gestarteten Projekt SIRIUS, dem alle EU-MS und 17 Drittstaaten angehören. SIRIUS bietet Richtlinien für die Zusammenarbeit mit über 40 Online Service Provider (OSP) und eine Datenbank mit den Kontaktadressen von über 250 weiteren OSPs, stärkt die direkte Kooperation zur elektronischen Beweissicherung zwischen EU-Strafverfolgungsbehörden und Online Service Provider und fördert den Erfahrungsaustausch zur Anwendung von EU-Regelungen in den USA

[65] Gesetzlich geregelte Aufbewahrungsfristen: Lettland: 18 Monate; Belgien, Dänemark, Estland: 12 Monate; Tschechien 6 Monate; Bulgarien 3 bis zu 6 Monate, Lettland 6 bis zu 12 Monate; Finnland 3 Monate.

[66] Eurojust’s right of initiative to establish cooperation with Europol on case-related work, Fundstelle: https://www.eurojust.europa.eu/sites/default/files/Publications/AnnualReport/EUROJUST-CAAR2019_EN.pdf

[67] Im Zuge komplexer koordinierter Operationen kann auch ein gemeinsamer Aktionstag geplant werden, der koordinierte Eingriffe in den verschiedenen am Fall beteiligten Staaten vorsieht und vom Koordinierungszentrum bei Eurojust in Echtzeit unterstützt werden.

[68] Die Konferenz fand in Eurojust statt und brachte mehr als 100 Expereten zusammen, die Fragen zur grenzüberschreitenden Ermittlungen wegen im Darknet begangener online-Delikte im Bereich CSEA diskutierten

[69] Vorläufer war die INTERPOL Child Abuse Image Database (ICAID), die 2001 geschaffen wurde.

ICSE wurde unterstützt von der G8 und u.a. auch von der Europäischen Kommission finanziert, die seit 2017 die Entwicklung der Version 4 finanziert. Diese Datenbank-Version ist in der Lage, Verbindungen zu den nationalen Datenbanken herzustellen, die CSEA-Material speichern, minimiert die Duplikation laufender Verfahren auf internationalem Level, bietet ein online- forum/chat room für Strafverfolger und auch sonst viele technische Verbesserungen zur Arbeitserleichterung.

[70] Andorra, Argentina, Australia, Austria, Belarus, Belgium, Brazil, Bulgaria, Canada, Chile, Colombia, Croatia, Cyprus, Czech Republic, Denmark, Estonia, Finland, France, Georgia, Germany, Greece, Hungary, Iceland, Ireland, Israel, Italy, Japan, Korea, Latvia, Lithuania, Luxembourg, Moldova, Netherlands, New Zealand, Norway, Poland, Portugal, Romania, Russia, Slovakia, Slovenia, Spain, Sweden, Switzerland, Turkey, Ukraine, United Kingdom, United States and Vietnam.

[71]https://www.ecpat.org/news/boys-young-children-greater-risk-severe-online-sexual-exploitation-says-new-research/

ECPAT is a worldwide network of organizations working to end the sexual exploitation of children. We work at all levels, supporting shelters for survivors, training and supporting law enforcement, influencing governments and conducting a wide range of research.

[72] Siehe die Rede der ECPAT-International Executive Directorin Dorothy Rozga vor dem europäischen Parlament am 06.03.2018: „What is needed now is coordinated global action. All countries in the world have committed to ending the sexual exploitation of children. But you can’t end what you can’t measure“.

[73] https://www.behoerden-spiegel.de/wp-content/uploads/2019/10/Moderne_Polizei_Cyber_Polizei.pdf

 

[74] Norway (Driver/Project manager), UK (Co-driver), Ireland, France, Sweden, Italy, Finland, Belgium, Spain, Malta, Denmark, The Netherlands, Poland, and Germany. Co-operation with Norway, Switzerland and New Zealand.

[75] https://edri.org/our-work/edrigramnumber9-12circamp-goodbye-democracy/

[76] https://www.digitale-chancen.de/content/stories/index.cfm/aus.2/key.2648/secid.11/secid2.70/lang.1

[77] See Joris Evers, ‘European Parliament says no to Web site blocking,’ Computerworld, April 12, 2002, http://www.computerworld.com/action/article.do?command=viewArticleBasic&articleId=70115.

[78] “Law enforcement action against such sites is extremely difficult, as site owners and administrators are often situated in countries other than the target country, and often outside the EU. The sites can be moved very quickly, also outside the territory of the EU, and the definition of illegality varies considerably from one state to another.”

[79] Dieser Verband wird im Rahmen des Programms Safer Internet der Europäischen Kommission sowie seit 2014 aus der Fazilität „Connecting Europe“ unterstützt und vertritt gegenwärtig ein Netz aus 51 Hotlines in 45 Ländern, darunter in allen EU-Mitgliedstaaten

[80] https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/directive-security-network-and-information-systems-nis-directive

[81] Study to support the review of Directive (EU) 2016/1148 concerning measures for a high common level of security of network and information systems across the Union (NIS Directive) –N° 2020-665. Wavestone, CEPS and ICF.

[82] https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/proposal-directive-measures-high-common-level-cybersecurity-across-union

[83] https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/Expertise_H%C3%A4ufigkeitsangaben.pdf

[84] 09.06.2020: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/hinsehen-und-hilfe-holen-bei-verdacht-auf-kindesmissbrauch/156416

[85] Quelle: Meier, B. D. & Hüneke, A. (2011). Forschungsbericht „Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet“. Kriminalwissenschaftliches Institut der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, Hannover

[86] Copine-Skala (Combating Paedophile Information Networks in Europe) nach der das Bild-/Filmmaterial kategorisiert wird, um einen Überblick der Schwere des Missbrauchs zu erhalten (Stufe 1-3: strafrechtlich nicht relevant, Stufe 4-6 „Posing Material“, Stufe 7-10 „echte“ Kinderpornografie)

[87] https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/alumni/alumnicampus/AC_8_2012/i34-36__hueneke.pdf

[88] http://www.mikado-studie.de/tl_files/mikado/upload/MiKADO_Zusammenfassung.pdf

[89] National Center for Missing & Exploited Children; 2019 erhielt da BKA rund 60.000 Hinweise, die gesichtet und dann zuständigkeitshalber an die Landespolizeien und Staatsanwaltschaften in den Bundesländern geleitet wurden. 2017 waren es noch 35.000 Hinweise. Den meisten Hinweisen konnte jedoch nicht mehr nachgegangen werden, weil die Provider die Daten nicht mehr vorhalten. 2017 konnte die Kinderpornographie-Plattform „Elysium“ mit über 11.000 Nutzern aus aller Welt abgeschaltet werden: Vier Deutsche wurden 2019 zu langen Haftstrafen von bis zu 10 Jahren verurteilt,

 

[90] Wetzels, 1997: Gewalterfahrung in der Kindheit – Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und langfristige Konsequenzen (Bd. 1)

https://www.bke.de/content/application/explorer/public/newsletter/2013/august/hintergrundinfo_projektbeschreibung_kein_taeter_werden.pdf

[91] Statista Research Department, 22.06.2020: Im Zeitraum von 2008 bis 2019 schwankt die Zahl der Opfer zwischen 13.500 und 15.700 (Opfer gem. §§ 176, 176a und 176b StGB); In über 90 % der Fälle findet der sexuelle Missbrauch im Alter von 6 bis 14 Jahren statt.

[92] https://www.hilfeportal-missbrauch.de/informationen/uebersicht-sexueller-missbrauch/zahlen-und-fakten.html

[93] K. M. Beier et al. (2007): Das Präventionsprojekt Dunkelfeld. Der Berliner Ansatz zur therapeutischen Primärprävention von sexuellem Kindesmissbrauch

 

[94] https://beauftragter-missbrauch.de/recht/strafrecht/verdachtsfall-und-anzeigepflicht

[95] Die Verpflichtung zur Strafanzeige bei sexuellem Missbrauch in den bayerischen Regelungen zum Kinderschutzsteht im Widerspruch zum Bundeskinderschutzgesetz.

 

[96] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/09/PD20_363_225.html

[97] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/105364/Jugendaemter-veranlassten-mehr-Inobhutnahmen

[98] https://beauftragter-missbrauch.de/presse/pressemitteilungen/detail/bund-und-laender-gemeinsam-gegen-sexuelle-gewalt-an-schulen

[99]https://www.dgkim.de/dokumente/expertise_aerztliche_versorgung_minderjaehriger_nach_sexueller_gewalt_5_2018.pdf

[100] EU-Kommission leitet gegen 21 Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen unvollständiger Umsetzung der Opferschutzrichtlinie gegen 23 Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen möglicher Nichtübereinstimmung mit der Richtlinie zur Bekämpfung sexuellen Missbrauchs. Innerhalb der Richtlinie über Europäische Schutzanordnung gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den nationalen Regelungen z.B. Dauer der Maßnahmen, Voraussetzung für Verlängerung, darunter leidet die Wirksamkeit der Richtlinie.

 

 

Exponentiell iist der falsche, weil ein mathematischer Begriff, der einen Wachstumsprozess, bei dem sich die Bestandsgröße in jeweils gleichen Zeitschritten immer um denselben Faktor vervielfacht. Wir gerade in Corona-Zeiten gerne oft falsch gebraucht.

 

 

 

 

 

 

Studie

zur

internationalen Kooperation

im Kampf gegen

sexuelle Gewalt von Kinder

und Produktion / Vertrieb

von

Missbrauchsabbildungen/-filmen

sexueller Gewalt gegen Kinder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

International Kooperation im Kampf gegen (sexuelle) Gewalt

gegen Kinder und Missbrauchsabbildungen /-filme

sexueller Gewalt gegen Kinder,

Dezember 2020 ©

 

Lean Europe – Uwe G. Kranz

Independent Security Consultant

Obernzell/Germany

 

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Gliederung

 

Vorbemerkungen

 

Summary

 

Internationaler Schutz des Kindswohls

 

Die Lebenswirklichkeit

 

Die Lage in Deutschland

Tatraum Internet

Die Lücken im Recht

Die Opfer

Die Täter

 

Das Dunkelfeld

 

Die Strafverfolgungsbehörden

 

Vorratsdatenspeicherung

 

Die Privatwirtschaft

 

Das BKA

 

Cyberzentren

 

Bilderkennung

 

NCMEC/IWF

Europol

+Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)

+EC3 Co-operationen

 

Eurojust

 

Interpol

 

European Union

 

 

Vorbemerkungen

 

Der Auftrag wurde am 23.10.2020 erteilt, wie vorgegeben umgesetzt und mit Datum vom 31.12.2020 geliefert. Der Auftrag umfasst nur zwei Segmente der Verletzung des Kindswohls, die sexuelle Gewalt gegen Kinder und die Produktion/den Vertrieb von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt gegen Kinder. Diese beiden Segmente überlappen sich natürlich mit den Kriminalitätsphänomenen Kindesvernachlässigung, psychische und physische Gewalt gegen Kinder, Tötung von Kindern, vermisste Kinder, Menschenhandel, Handel mit Kinderorganen und reisende Pädokriminelle.

 

Sie wurden auftragsgemäß nicht abgehandelt, können aber, wie auch eine PPT-Präsentation zum Thema der Studie, nach einem Folgeauftrag ebenfalls recherchiert und analysiert werden. Für den Bereich „Sport und sexueller Missbrauch“ wurde aktuell vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung das Forschungsprojekt „Safe Sport“ gestartet; daher wurde das Thema hier nicht aufgearbeitet. Interessant wäre auch eine Studie zum Thema „Sexueller Missbrauch, Strafmaß und Strafe“, an dem die Uni Passau, Prof. Dr. Holm Putzke (CSU) Interesse hätte (https://www.jura.uni-passau.de/putzke/), der sich derzeit dem Thema „Kirche und sexueller Missbrauch“ widmet, das hier wegen der Spezifik und der geringen Bedeutung in Fragen der internationalen Zusammenarbeit ebenfalls nicht abgehandelt wurde. Zum Thema „künstliche Intelligenz“ empfehle ich einen Forschungsauftrag an Prof. Christian Kronseder von der Fachhochschule Nordwestschweiz für Data Science in Applied Life Science (https://www.fhnw.ch/de).

 

Die mündlich erteilte Auftragserweiterung, einen Fragenbogenkatalog für den Wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments zu erarbeiten wurde kurzfristig umgesetzt und liegt seit dem 10.11.2020 vor.

 

Für diese Studie hätten Experteninterviews vor Ort gemacht werden müssen. Dies war zunächst einmal aus Corona-Gründen nicht möglich. Leider erhielt ich die Letters of Recommendation (LoR) erst am 07.12.2020. Obwohl unverzüglich postalisch mit entsprechenden Anschreiben versandt wurden, hatten bis Jahresende weder der Präsident des BKA; noch der Generalsekretär von Interpol oder der Stellvertretende Direktor von Europol geantwortet. Somit entfiel auch die Möglichkeit, direkt mit den Experten der jeweiligen zentralen Dienste zu kommunizieren oder auf interne Studien

Zurückzugreifen.

 

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde weitgehend das generische Maskulinum verwendet.

 

 

Summary

 

Das Europäische Parlament muss seine Aufgaben im Bereich der Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und der Herstellung, des Besitzes und des Vertriebs von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt gegen Kinder (i.d.F.: CSEA: Child Sexual Extortion and Abuse) annehmen und intensivieren. Gefragt sind „Bold Actions“, die eine beschleunigte Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften, Terminologien, Prozedere, Organisationen, Strukturen, Richtlinien etc. auf EU-Ebene bewirken.

 

Es gibt keinen Mangel an Anti-CSEA-Agenturen (staatliche und nichtstaatliche Organisationen, Einrichtungen, Vereinigungen, oder Spezial-Units). Es gibt eher einen Überfluss internationaler Agenturen (Interpol, ECPAT, NCMEC, WeProtect/Global Alliance, UNODC, CETS Australien, VGT, VITF, GSM Global Alliance, INHOPE u.a.), europaweiter Agenturen (Europol, Eurojust, EFC, EUCPN, CEPOL, CPTF, COSPOL diverse CoE-Initiativen [Lanzarote Committee] oder In-4-mation) bzw. nationaler Agenturen (IWF, CETS-Kanada, u.a.). Gefragt sind Bold Actions, die die parallelen, teil- bis diskongruenten oder gar konkurrierenden Agenturen so weit wie möglich vereinen; Positive Beispiele sind die Fusion von WeProtect & Global Alliance oder die Übernahme der Funktion der European Financial Coalition durch Europol. Als globale Zentralstelle sollte Interpol die Aufgaben und Funktionen konkurrierender Agenturen übernehmen. Auf kontinentalen Ebenen sollten solche Zentren möglichst durch Europol, NCMEC, CETS Australien o.ä. gestellt werden. Auch auf nationalen Ebenen sollten solche Zentren aufgebaut werden (IWF, BKA, CETS Canada…).

 

Eine neue EU-Agentur für CSEA-Prävention sollte sehr sorgfältig geprüft werden, um Duplizierungen mit den Aufgaben und Funktionen von EUCPN zu vermeiden.

Eine neue EU-Agentur für CSEA-Repression ist völlig entbehrlich, ja geradezu kontraproduktiv, da Europols operative Fähigkeiten ausgebaut werden.

Die Europol-Konvention muss dringend fortgeschrieben werden, um der Agentur mehr operative Rechte einzuräumen. Europol muss berechtigt werden, personenbezogene Daten direkt von den OSP und anderen Datenbesitzern der Privatwirtschaft zu erhalten und mit den nationalen Polizeibehörden operativ, ermittelnd tätig zu werden. Das geplante Innovationszentrum und -labor als Ansprechstelle für die national einzurichtenden Zentren ist der richtige Schritt in eine bessere EU-weite Kooperation zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität. Europol braucht auch eine stärkere EU-parlamentarische Kontrolle, um die herrschenden Vorwürfe eines Demokratiedefizits zu beheben.

Es gibt keinen Mangel an Aktivitäten, Strategien, Aktionsplänen, Leitlinien und Regeln. Es gibt eher einen Überfluss.

Ein negatives Beispiel ist CIRCAMP von COSPOL und die damit verbundene Strategie der Blockiersysteme (CSAADF). COSPOL als „Gegenspieler“ von Europol aufzubauen, war eine Aktion von UK und der zuvor geforderten und in der Europol-Konvention zementierten operativer Schwäche Europols. Die damals favorisierten Filter- und Blockiersysteme verhinderten allenfalls die Verteilung des CSEA-Materials.

 

Gefragt sind jedoch Bold Actions zur Ermittlung der Produzenten, die die schrecklichen Verbrechen live begehen (lassen) und das Bild- und Filmmaterial immer wieder neu in die Netze stellen und bei Blockaden ins Darknet ausweichen.

Ein positives Beispiel, geradezu ein Leuchtturm, ist jedoch die 2011 EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie, die in erschreckender Weise nicht beachtet bzw. umgesetzt wurde. Die beiden Evaluierungsberichte von 2016 sollten intensiv studiert werden, sie dienen der Awareness und sind Handlungsanleitung für die parlamentarische Kontrolle der Planungen und Handlungen der Europäischen Kommission.

Auch die Leitlinien von 2016, die von der fusionierten internationalen Organisation WePROTECT/Global Alliance to end child sexual exploitation online veröffentlichte („‘Preventing and Tackling Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA): A Model National Response’) ist solch ein Leuchtturmprojekt, das weiterverfolgt, bzw. reanimiert werden sollte. Diese Leitlinien sollte es Staaten ermöglichen, die eigene Gesetzgebung, ihre Strukturen und Organisationen zu überprüfen, Schwachstellen zu erkennen und Maßnahmen zu priorisieren, um die Selbstverpflichtungen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch effektiver umzusetzen. Das Europäische Parlament sollte sich dieser Leitlinien annehmen und sie aktualisiert umsetzen.

 

Laufende Projekte, die sich bewährt haben (Joint Investigation Teams, HAVEN, TWINS, TraceAnObject, J-CAT, Say No!campaign, GSM Global Alliance o.ä.) sind zu intensivieren und fortzuführen. Die wachsende Problematik des self-generated-explicit materials (SGEM) muss aufgegriffen werden. Schwerpunkt muss auch die Präventionsarbeit werden (siehe z.B. das „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD), Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“) – das heißt jedoch nicht,

dass eine neue Agentur geschaffen werden muss.

 

Schwerpunkt muss eine einheitliche, technische Antwort auf die Bilderflut werden. Dies verlangt eine enge Zusammenarbeit mit des Online Service Provider, den Tech-Giganten und der internationalen Strafverfolgungsbehörden. Ein positives Beispiel könnte die deutsche “Sicherheitskooperation Cybercrime”, sein, deren Ziel es ist, die phänomenologischen Erkenntnisse zu vertiefen, gemeinsame strategische Konzepte zur Bekämpfung von Cybercrime zu entwickeln, effektive Präventionsmaßnahmen abzuleiten und den technischen Wissenstransfer zu erweitern. Dort muss jedoch der Ansatz zur CSEA-Kriminalität verstärkt werden. Wie sich das EU-Projekt TITANIUM in 2021 entwickelt, muss sich noch herausstellen.

 

Eine EU-weite Studie zur „gesellschaftlichen Last von Traumafolge-Störungen“ sollte vergeben werden.

 

Die Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft muss durch gezielte Maßnahmen institutioneller Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden.

 

EU-weit einheitlich muss mehr Information, Aufklärung und Sensibilisierung über die Auswirkungen und langfristigen Folgen sexualisierter Gewalt erfolgen, um die Betroffenenperspektive durch Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für Betroffene sexualisierter Gewalt zu stärken; Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters sollte ein Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden;

 

Eine der Schwachstellen ist offensichtlich die Justiz. Hierfür sollte eine eigene Studie erstellt werden.

Internationaler Schutz des Kindswohls

 

Kindesmissbrauch und Kinder’pornografie‘ sind besonders schwere Formen der Verletzung des Kindswohls, das seit 1989 weltweiten Schutz durch Art. 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention genießt.

 

Auch der Europarat aktualisierte in Sofia seine Kinderrechte-Strategie (2016 bis 2021), in der das Kindswohl garantiert wird, insbesondere durch das Recht auf gewaltfreies Leben für alle Kinder (A life free from violence for all children), durch kindergerechte Rechtsprechung und Verwaltungshandeln (Child-friendly justice for all children) oder durch die Achtung der Kinderrechte in der digitalen Welt (Rights oft the child in the digital environment).[1]

 

Nach Artikel 3, Absätze 3 und 5 des Vertrags über die Europäische Union vom 26.10.1992 verpflichteten sich die EU-Mitgliedsstaaten ausdrücklich und, gleichsam verstärkend gleich in zwei Absätzen, die Menschenrechte, insbesondere die Rechte des Kindes zu schützen.

 

Auch die EU-Charta der Grundrechte, wofür eigens die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) eingerichtet wurde, schützt das Kindswohl. Danach haben Kinder einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Insbesondere sind Kinder vor allen Formen der Gewalt zu schützen.

 

2011 wurde außerdem die „EU-Agenda für die Rechte des Kindes“ angenommen, deren Umsetzung jedoch auch nur schleppend vorangeht, wie das Beispiel der EU-einheitlichen Notfall-Hotline 116 000 , die Hotline für vermisste Kinder, zeigt: Diese war auch zehn Jahre später immer nur in zwei Drittel der Mitgliedsstaaten installiert. Inzwischen sind aber sowohl diese Hotline als auch die europäische Notrufnummer 112 in allen EU-MS eingerichtet

 

Am 09.06.2020 kündigte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson angesichts der steigenden Fallzahlen an, europaweit den Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch zu stärken und will hierzu eine europäische Strategie vorlegen. Vor allem brauche die Polizei für die grenzüberschreitende Kooperation mehr Training und Technologie und die großen Internetfirmen müssten in die Pflicht genommen werden. Auch das eine Forderung, die schon recht alt ist.

 

Am 24.07.2020 wurde im Rahmen der EU-Strategie über die Sicherheitsunion als Sofortinitiative die „EU-Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ verabschiedet. Vorgeschlagen wurden darin: Neue Rechtsvorschriften, die die Betreiber von Online-Plattformen verpflichten, die Weitergabe dieser illegalen Inhalte aufzudecken und zu melden, sowie eine Prüfung, ob ein neues Europäisches Zentrum zur Prävention und Bekämpfung des Kindesmissbrauchs eingerichtet werden kann.

 

Am 10. September 2020 wurde von der Europäischen Kommission eine EU-“Interim Regulation on the processing of personal and other data for the purpose of combatting child sexual abuse” vorgeschlagen (COM(2020) 568 final).[2] Diese Übergangsverordnung ist Voraussetzung dafür, dass Service-Provider weiterhin freiwillig dabei mithelfen können, Missbrauchsabbildungen und -filme im Internet aufzudecken und zu entfernen, denn ab dem 21.12.2020 tritt der „Europäische Kodex für die elektronische Kommunikation“ in Kraft, wonach bestimmte Online-Kommunikationsdienste (wie z.B. Webmail oder Messaging-Dienste), nach den Regeln der e-Privacy-Richtlinie behandelt werden müssten. Das Europäische Parlament und die EU-Kommission müssen dieser Regelung noch zustimmen, ehe sie vermutlich im zweiten Quartal 2021 zwingend in Kraft treten.

 

Die UN-Kinderrechtskonvention (Convention on the Rights of Children – CRC) wurde inzwischen von allen EU-Mitgliedsstaaten (EU-MS) ratifiziert. Deutschland hatte die Kinderrechtskonvention zwar am 06.03.1992 ratifiziert, zunächst jedoch nur unter dem Vorbehalt des Vorranges des Ausländerrechts, das die Abschiebung auch von Kindern vorsah. Am 15.07.2010 wurde dieser Vorbehalt offiziell zurückgenommen, so dass seitdem auch in Deutschland “bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgan getroffen werden, … das Wohl des Kindes … vorrangig zu berücksichtigen ist”[3].

 

Obwohl Deutschland seit 1989 allen internationalen Verträgen und Konventionen zum Schutz von Kindern vor körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt beitrat, sie unterzeichnete und ratifizierte, dauerte es immerhin noch bis zum Jahre 2000, um das „Recht auf eine gewaltfreie Erziehung“ zu kodifizieren. Bis dahin waren Schläge als „Erziehungsmaßnahme“ nicht verboten.

Kinder ’pornografie‘?

International wird, wie auch vom deutschen Unabhängige Beauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern (UBSKM) gefordert, strikt der Terminus Kinder- oder Jugend’pornografie‘ vermieden. Pornografie ist ein Begriff, der für Erwachsene benutzt wird, die sich einvernehmlich in sexuellem Bild-/Filmmaterial darstellen, das meist rechtmäßig danach zum sexuellen Vergnügen vertrieben wird.

Mit dem Begriff ”Kinderpornografie” wird der sexuelle Missbrauch und die sexuelle Ausbeutung trivialisiert; das gilt auch für ähnliche Begriffe wie „kiddy porn“, „child porn“, „Kinderprostitution“. „Sugar Daddy“ oder „(Kinder)Sextourismus“, Begriffe, die gerne von Pädokriminellen selbst verwendet werden. Damit verbietet sich die Benutzung solcher Begriffe durch Strafverfolgungsbehörden, die Justiz, der Medien oder in der Öffentlichkeit.

Es gilt der Grundsatz: Wenn Kinder beteiligt sind, ist es keine Pornografie; Dann ist es sexueller Missbrauch und es ist ein Verbrechen.

Die auch hier in dieser Studie verwendeten richtigen Begriffe wurden in den so genannten Luxembourg Terminology Guidelines, einem 131-seitigen Terminologischen Leitfaden für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt, beschrieben[4]. Dieser Leitfaden wurde von einer Gruppe von 18 internationalen Partnern, darunter auch ECPAT und Interpol, im August 2018 vereinbart:

Abb. 1

Ausschnitt; Die gesamte Leitlinie liegt auch in deutscher Sprache vor

Ausbeutung (child sexual exploitation) oder sexueller Missbrauch (child sexual abuse) von Kindern werden im internationalen Raum mit den Akronymen CSE oder CSA bezeichnet, existieren aber auch zusammengezogen (CSEA), häufig auch mit einem angehängten „M“, das für Material steht. In dieser Studie werden daher die international vereinbarten Akronyme verwendet.

Die Lebenswirklichkeit

 

Auf dem Papier sind die Rechte der Kinder und das Kindswohl scheinbar aufs Beste geschützt, sogar weltweit.

 

Die Lebenswirklichkeit zeigt aber erschreckend viele und erschreckend heftige Diskrepanzen. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche weltweit signifikant angestiegen. Von einer Million Fälle des sexuellen Missbrauchs in 2010 auf 17 Millionen Fälle in 2019.Im gleichen Zeitraum stiegen die Fallzahlen in Europa von 23.000 auf 800.000.[5] Dem LKA Nordrhein-Westfalen lieferten die Strafverfolgungsbehörden des Landes Ende 2020 in einer Woche 5 Millionen neue Bilder an, 310 Terabyte. Bei ungebremster Fortsetzung dieses Trends würde die neu eingerichtete polizeiinterne Cloud, dem „Forensic Destop“, die eine Größe von zwei Petabyte hatte, in nur 100 Tagen gefüllt.

 

Kindesmissbrauch hat kriminalphänomenologisch enorm viele Facetten. Sie reichen von psychischer über physischer und sexueller Gewalt mit lebenslangen physischen und seelischen Folgen für die Opfer, bis hin zur Kindstötung. Die sexuelle Gewalt tritt zumeist nicht als isoliertes Ereignis auf, sondern steht oft im Kontext von psychischer und physischer Misshandlung, Vernachlässigung und weiteren Gewalterfahrungen („Bullying, Mobbing“). Sexuelle Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen und die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen stehen in engster deliktischer Nähe, sind unabdingbare Vorbedingungen für die Herstellung und Verbreitung der Bilder, Videos und Filme durch Pädokriminelle.

Regelmäßig erschüttern weltweit Sex-Skandale, in denen Kinder sexuelle Gewalt erleiden und der Markt des darauf basierenden CSEA-Materials boomt wie nie (Missbrauchsabbildungen, -filme, und -texte).

Erst jüngst[6] führte ein Hinweis des US National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) zu einem Ring in Australien, bei dessen Aufdeckung in 128 Fällen weiterführende Spuren zu Tatverdächtigen in den USA, Kanada, Asien und Neuseeland führte. Unter den in Australien festgenommenen 17 männlichen Tätern befanden sich u.a. ein Fußballtrainer und ein Kinderbetreuer. Von den bislang ermittelten 46 australischen Opfer war das jüngste 16 Monate alt, das älteste 15 Jahre, viele der Opfer waren in Kinderbetreungseinrichtungen untergebracht.

2019 berichtete Human Rights Watch, dass viele Tausende Mädchen, Kinder und Jugendliche, aus Vietnam, Kambodscha, Indonesien, Laos, Burma, Nepal, Nordkorea und Pakistan von Menschenhändlern nach China gelockt oder entführt wurden, wo sie für $3.000 bis $13.000 an chinesische Familien verkauft wurden – angeblich als Ehefrauen, eher aber als Sex-Sklavinnen[7]. Ursache für das boomende und brutale Geschäft mit dem Menschenhandel ist Chinas wachsendes Gender-Ungleichgewicht, eine Spätfolge der chinesischen Ein-Kind-Politik (1979-2015). Derzeit sollen in China zwischen 30 und 40 Millionen Frauen fehlen („missing women“).

 

 

Die Lage in Deutschland

 

Die jüngsten Steigerungsraten der bekannt gewordenen Fallzahlen sind exorbitant: In Deutschland wurden 2019 bei der Polizei 14.606 Fälle von sexueller Gewalt an Kindern angezeigt, knapp 800 mehr als im Vorjahr. 2016 waren es noch wenig mehr als 12.000 Ermittlungsverfahren.

 

Die Anzahl von polizeilich erfassten Opfern sexueller Gewalt an Kindern hatte in Vergangenheit (2011 bis 2015) langfristig scheinbar leicht abgenommen, seit 2017 ist jedoch eine signifikante Zunahme zu registrieren:

 

Abb. 2: Opfer sexueller Gewalt an Kindern

Quelle:  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38415/umfrage/sexueller-missbrauch-von-kindern-seit-1999/

 

Regelmäßiges Monitoring fehlt

 

Inwieweit die rückläufige Entwicklung in der Vergangenheit bzw. die drastische Steigerung in den letzten drei Jahren auf eine tatsächliche Abnahme bzw. Zunahme zurückgeführt werden kann, oder ob andere, bislang unerforschte Gründe vorliegen, bspw. ein verändertes Problembewusstsein und ein damit einhergehendes besseres Meldeverhalten – darüber kann nur spekuliert werden.

Dies könnte nur durch eine zwingend vorgeschriebene, umfangreiche Datenerhebungen und durch Wiederholung methodisch hochwertiger Befragungen ermittelt werden. Kriminologische Untersuchungen liegen hierzu kaum vor. Erst im Rahmen eines solchen regelmäßigen Monitorings, das übrigens eigentlich schon vor langem von der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen eingefordert wird, kann sich zeigen, ob eingeleitete Präventionsprogramme und gesetzgeberische Maßnahmen zu einer Verringerung der Prävalenz führen und ob gewährte Hilfen und therapeutische Interventionen Folgebelastungen reduzieren. Hier liegt zwingend Forschungsbedarf vor – auch auf europäischer Ebene.

Tatraum Internet

Die aktuellen Sex-Skandale in Deutschland (z.B. Lügde, Solingen, Bergisch Gladbach, Köln oder Münster) mit Hunderten Kindern als Opfer sexueller Gewalt demonstrieren dagegen eindrücklich die langjährige Arg- und Hilflosigkeit staatlicher Einrichtungen zur Überwachung und Gewährleistung des Kindswohls ebenso, wie die immensen Gefahren des Internet. Nie war es leichter, an kostenloses pornografisches Material zu kommen als heute. Dabei bleibt der Nutzer größtenteils anonym und hat jederzeit die Möglichkeit neue Inhalte zu betrachten.

 

Die im internationalen Raum „Triple A“ genannten Merkmale, mit schnellen Internetverbindungen anonym („Anonymity), kostengünstig („Affordability“) und leicht und ohne Hemmschwellen oder Hindernissen zugänglich („Accessibility“) alle Arten der Pornografie zu konsumieren, beschleunigen natürlich auch die zigtausend fache Verbreitung von Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern (die so genannte „Kinderpornografie“) und an Jugendlichen (die so genannte „Jugendpornografie“). Dieser virtuellen Tatraum überfordert sichtlich und zunehmend die nationalen Strafverfolgungsbehörden.

 

Auch die Verbreitungswege über das Internet weiten sich immer weiter aus – trotz des Zugangssperrengesetzes von 2009. Die Verbreitungswege durch peer-to-peer-Netzwerke, Usernets oder über das World Wide Web werden immer schwieriger zu verfolgen, insbesondere in geschlossenen Benutzergruppen. Dort wird zunehmend mit entsprechenden Verschlüsselungsprogrammen (z.B. AES 128 oder 256, PGP oder RSA) oder mit bereits auf der Festplatte eingebauter Verschlüsselungstechnik gearbeitet (z.B. Bitlocker oder My Passport Ultra). Zusätzlich müssen vor Eintritt in diese Gruppen bestimmte „Leistungen“ erbracht werden, die in der Regel im Einbringen neuer Missbrauchsabbildungen/-filme bestehen.[8]

Die Anfang 2020 von Facebook-Chef Mark Zuckerberg verkündete Initiative, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselungstechnik, die bereits auf WhatsApp installiert ist, auf alle seine anderen Plattformen auszuweiten (Facebook-Messenger oder Instagram), ist ein fatales Signal, auch wenn die Maßnahme dazu dienen soll, die Nutzer vor Hackern und Kriminelle zu schützen.

Das Europäische Parlament sollte verstärkt darauf dringen, dass die Ergebnisse des EU-Internetforums, das Ende 2020 vorliegen sollte, mögliche technische Lösungen zur Aufdeckung und Meldung von CSEA-Materialien vorgestellt werden, wonach alle OSP starke, mehr repressiv ausgerichtete Sicherheitsvorkehrungen einrichten müssen bevor sie Verschlüsselungsinitiativen starten – vor allem für den Schutz vor Kindern, aber auch für den Kampf gegen Extremismus, internationalen Terrorismus, Menschenhandel und andere schwere Kriminalitätsformen. Dies würde die bisherige EU-Politik, nur auf die Blockade von inkriminierten Internetseiten zu setzen, deutlich verbessern.[9]

Die Lücken im Recht

Die Lücken im Recht sind nur teilweise behoben. Beispiele:

 

Seit der Gesetzesänderung vom Januar 2015 ist in Deutschland auch die versuchte Verbreitung und Herstellung von kinderpornografischen Schriften strafbar. Die verbotenen Darstellungen umfassen Aufnahmen sexueller Handlungen aller Art, die vor oder an Kindern oder die von Kindern durchgeführt werden.

Zugleich ist auch im Gesetz klargestellt worden, dass Aufnahmen eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes unter 14 Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung verboten sind. Auch sexuell aufreizende Abbildungen des Genitals oder des unbekleideten Pos eines Kindes sind danach nun ausdrücklich in die Strafbarkeit aufgenommen. Die Herstellung, Besitz, Erwerb und Verbreitung solcher Fotos oder Filme sind strafbar – unabhängig davon, ob das Material in gedruckter oder digitaler Form vorliegt.

Die Verbreitung von „jugendpornografischen Schriften“ – also entsprechenden Darstellungen von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren – ist ebenfalls strafbar (§ 184c StGB). Darunter fällt nach der Gesetzesänderung vom Januar 2015 auch die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung. Davon ausgenommen ist allerdings die Herstellung solcher Bilder zum ausschließlich persönlichen Gebrauch, wenn die dargestellte Person in die Wiedergabe eingewilligt hat.

Seit März 2020 sind zumindest deutsche Ermittler für diese „Keuschheitsproben“ rechtlich besser abgesichert, z.B. wenn sie sich mit computergenerierten Bilder Zutritt zu Darknet-Foren verschaffen oder mit Tätern beim Cybergrooming als verdeckte Ermittler kommunizieren, so dass dieser wegen des versuchten Delikts (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 6 StGB) verfolgt werden kann.

 

Mit einer immer noch ausstehenden Gesetzesänderung sollen die Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet werden, nach einer eingereichten Beschwerde durch einen ihrer Nutzer strafbare Inhalte im Bereich des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornografie an die Zentralstelle im BKA zu melden (Ausleitungsverpflichtung).

 

Um einen besseren Zugang zu (geschlossenen) Missbrauchsforen zu erhalten und deren Nutzer sowie Administratoren zu identifizieren, müssen die Strafverfolgungsbehörden auch digitale Identitäten/Accounts übernehmen und weiterführen können – auch ohne die freiwillige Zustimmung des Inhabers des Accounts, der diese Zustimmung in aller Regel nicht erteilt. Hierzu fehlt eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.

 

Ebenso fehlt ein neuer eigenständiger Straftatbestand, der das Betreiben illegaler Plattformen im Darknet generell sanktioniert. Die guten Erfahrungen, wie sie im Kampf gegen Betreiber von Kinderpornografie-Plattformen gemacht wurden, weil hier eine explizite Vorschrift existiert, müssen auch auf andere Plattform-Betreiber ausgedehnt werden, z.B. wenn dort etwa Betäubungsmittel oder Waffen verkauft werden. In diesen Fällen können die Strafverfolgungsbehörden gegen die Betreiber bisher in der Regel nur wegen Beihilfe zu einer Straftat vorgehen. Und da muss der Strafrahmen zwingend gemildert werden. Das wird der Sache und dem Rechtsempfinden nicht gerecht.

 

In der Strafprozessordnung fehlt auch eine explizite Ermächtigungsnorm für eine Beschlagnahme von eMails; die Strafverfolgungsbehörden behelfen sich derzeit mit der Ermächtigungsnorm zur Beschlagnahme von Postsendungen, es wäre aber wünschenswert, die Strafprozessordnung hier zu aktualisieren und zu präzisieren.

 

 

Letztlich fehlt auch eine konkrete, gesetzgeberische Norm zur Herausgabe von Kunden- und Sendungsdaten gegenüber Postdienstleistern, da dazu höchstrichterlich divergierende Auffassungen existieren.

 

Der aktuelle Gesetzesentwurf (GE), der den tatsächlichen Missbrauch eines Kindes als Verbrechenstatbestand einstuft, wird seit Jahrzehnten diskutiert, ist eigentlich längst überfällig und würde auch den Strafverfolgungsbehörden weitere Ermittlungsmöglichkeiten bieten. Die Anhörung im Deutschen Bundestages zu diesem Thema Anfang Dezember 2020 lässt allerdings keine große Hoffnungen aufkommen, dass der GE so wie vorgelegt realisiert wird, auch wenn Justizministerin Christiane Lambrecht (SPD) dies nach einem völlig überraschenden Sinneswandel vollmundig am 11.Juni 2020 immer wieder mit den Worten bekräftigte: „Solche widerlichen Straftaten sind Verbrechen ohne Wenn und Aber“. Staatsanwälte, Richter, Anwälte und Hochschullehrer kritisierten den GE zur Bekämpfung ‚sexualisierter‘ Gewalt massiv.[10]

 

Für alle (europäischen) Ermittlungsbehörden kann das im Ergebnis nur bedeuten, die eigene Digitalisierung zu forcieren. Es bedarf nicht nur einiger weniger „Cyber Cops“ und zentralen Ansprechstellen (die auch nicht überall existieren). Die Digitalisierung aller Lebensbereiche bedarf des Ermittlers 4.0, denn Kriminalistinnen und Kriminalisten müssen die Zusammenhänge verstehen, brauchen profundes technisches Wissen, das bereits während der Ausbildung vermittelt werden muss. Die digitalen Spuren bieten nicht nur neue Möglichkeiten und Ermittlungsansätze, es gibt bereits jetzt Kriminalitätsbereiche, die ausschließlich digital sind. Wir können es uns nicht leisten, diese Kriminalität nur zaghaft zu bekämpfen beziehungsweise dieser Entwicklung hinterherzulaufen

 

Die Opfer

Opfer sind Kinder oder Jugendliche. In der ganz überwiegenden Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten (Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern) gilt die UN-Kinderrechtskonvention (mehr oder weniger direkt), wonach „Kinder“ Personen bis zum 18. Lebensjahr sind; teilweise wird auch der Begriff „Minderjährige“ verwendet. Auch Luxemburg dürfte eher der dieser Ländergruppe zugeordnet werden, obwohl nach einer anderen rechtlichen Grundlage des Landes auch eine Zuordnung zur zweiten Ländergruppe denkbar wäre. In Griechenland gilt die Besonderheit der Minderjährigkeit vom 8. bis zum 18. Lebensjahr („A-Länder“).

 

Nur in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Polen sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert. Die Volljährigkeit tritt mit dem 18. Lebensjahr ein. In Italien und Österreich sind zwar regionale oder altersmäßige Differenzierungen zu beachten, doch können auch diese beiden Staaten noch zu dieser Ländergruppe gerechnet werden. („B-Länder“).

Die geplanten Maßnahmen des Aktionsplanes sind an der Directive 2011/92/EU of the European Parliament and of the Council of December 13 ,2011, on combating the sexual abuse and sexual exploitation of children and child pornography auszurichten, die in ihrem Art. 2 die Definition der A-Länder festschreibt.

In Deutschland erhöhte sich 2019 die Zahl der polizeilich erfassten Delikte von Kinder“pornografie“ um etwa 65 Prozent von 7.450 Fällen (2018) auf mehr als 12.200 Delikte. Eine Vielzahl der Hinweise kam aus dem US-Meldesystem NCMEC.[11]Der Anteil der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern und Jugendlichen, der im Internet im Umlauf ist, wächst seit Jahren rasant. Schon 2011 wurde in einer Studie[12] nachgewiesen, dass etwa 35 % „schwere Übergriffe“ darstellten (Copine-Skala 7-10) und rund 26 % „detailliertes erotisches Posing“ (Copine-Skala 6). Weitere 12 % der Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewaltdelikten an Kindern stellten „Sexuelle Handlungen eines Kindes“ dar (Copine-Skala 7)[13]. Dabei war das Opferverhältnis zwischen Jungen und Mädchen in etwa gleich, den größten Anteil stellten Kinder im Alter von 9 bis13 Jahren (77%), gefolgt von der Altersgruppe der 4- bis 8-jährigen Kinder (20,5%). Die Anzahl jüngerer Opfer im Alter weniger Monate bis drei Jahren nahm schon damals deutlich zu (+2%). Dieser Trend setzt sich bis heute fort und nimmt europa- und weltweit zu.

Die Opferschicksale sind entsetzlich, für die Opfer sexueller Gewalt oft mit schwerwiegenden Folgen verbunden Seelisch, körperlich oder sexuell misshandelte Kinder tragen außerordentlich vielfältige, unspezifische und unterschiedliche Symptome. Auswirkungen von Gewalthandlungen können sich auf der Gefühls-, Verhaltens- und Körperebene ergeben. Dabei spielt die Art der Gewalt und ihre Dimensionen eine Rolle, die Tatsache, ob das Opfer ein Junge oder ein Mädchen ist und Verletzungen, die in einem direkten Zusammenhang zum Missbrauch stehen. In einigen Fällen sind diese drei Faktoren nicht klar zu trennen, da sie miteinander in Verbindung stehen können. Viele leiden nicht nur im Kindes- und Jugendalter, in der Tat- und Nachtatphase unter psychischen Störungen, wobei die Probleme oft bis ins hohe Erwachsenenalter anhalten. Die Folgen von sexuellen Missbrauchshandlungen sind um so größer und die Erinnerungen für das Opfer um so belastender, je größer der Altersunterschied und die verwandtschaftliche Nähe zwischen dem Täter und Opfer ist, je länger die sexuelle Gewalt andauert, je jünger das Kind bei Beginn der Tat ist, je mehr Gewalt angedroht und angewendet wird, je vollständiger die Geheimhaltung und der damit einhergehende Druck auf das Kind ausgeübt wird und weiterhin je weniger beschützende und vertrauensvolle Personen dem Kind als Ansprechpartner zur Verfügung stehen[14].

Zu Auswirkungen sexuellen Missbrauchs auf der Verhaltensebene werden selbstdestruktives Verhalten, Bettnässen, chronisches Weglaufen, wiederholte Suizidversuche gezählt. Jungen werden aufgrund von Missbrauchshandlungen oft aggressiv. Sie wollen ihre Männlichkeit unter Beweis stellen, die Kontrolle behalten, die ihnen so einschneidend genommen wurde und ihre Angst vor Homosexualität kompensieren.

Die Folgen auf der Körperebene sind dadurch gekennzeichnet, dass der Körper, meist unbewusst, auf die Psyche reagiert. Die Folgen sind häufig dissoziative Störungen, Verlust des Identitätsbewusstseins, Kontrollverlust über eigene Körperbewegungen, Lähmungen und Gefühlsstörungen, Verlust oder einer Veränderung von Bewegungsfunktionen, bzw. eines oder mehrerer Körperglieder und Krampfanfälle; in Angstträumen ist das Traumerleben sehr realitätsnah, meist auf die „Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit oder der Selbstachtung“ gerichtet und können ein misshandeltes Kind bis in den Tag hinein verfolgen. Auch Haut- und Magenerkrankungen, sexuelle Dysfunktionen[15], somatische Schmerzzustände, (chronische) Schmerzen im Unterleib und Essstörungen können als Folge von oben genannter psychosozialer Belastung auftreten. Bulimie und Anorexia Nervosa sind sogar sehr häufige Folgeerscheinungen nach dem Erleben von sexueller Gewalt: Das misshandelte Kind lehnt den eigenen Körper ab, Gefühle der Scham, Schuld und ein Strafbedürfnis gegenüber dem eigenen Selbst werden beherrschend.

 

Von besonderer Bedeutung, insbesondere für Opfer im Kindesalter, ist die so genannte Sekundärviktimisierung, die „zweite Opferwerdung“ die begrifflich diejenigen negativen psychischen, sozialen und ggfs. wirtschaftlichen Folgen für das Opfer erfassen, welche nicht unmittelbar aus der Straftat erwachsen, sondern indirekte Folgen sein sollen. Die Erscheinungsformen sekundärer Viktimisierungen sollen quasi spiegelbildlich zu den individuellen Bedürfnissen und Erwartungen des Opfers zur Unterstützung des Bewältigungsprozesses der Straftat, z.B. nach menschlicher Anteilnahme, Einfühlsamkeit und Verständnis, Beratung und Beistand, Schadenswiedergutmachung und angemessener Bestrafung des Täters stehen. Sowohl in der Kriminologie als auch in der Viktimologie hat der Sekundärviktimisierungs-Begriff eine „erhebliche Unschärfe“, zudem fehlen seit Jahren „Anstrengungen, die definitorische und terminologische Klärung“ voranzutreiben[16], d.h. dass bislang noch keine Verständigung darüber gesucht wurde, welche Auswirkungen beim Opfer zwingend feststellbar sein müssen, damit dieses überhaupt als sekundärviktimisiert anzusehen ist.

 

Der Begriff folgt eher einer prozesshaften Perspektive auf sekundäre Folgen, insbesondere in Kinderschutzfällen, welche durch das ungünstige Fallmanagement, durch Belastungen, z. B. im Strafverfahren oder durch Trennungserlebnisse im Rahmen von schützenden Interventionen, ausgelöst werden, deren Nebenwirkungen möglichst geringgehalten werden sollen.[17]

 

Im Rahmen dieser Studie werden diese eher präventionsbezogenen Themen nicht weiter vertieft.

Durch die Traumatisierung und Retraumatisierung nach sexualisierter Gewalt wird nicht nur vielfach individuelles Leid (re-)produziert, sondern auch gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Auswirkungen. Dies wurde schon 2012 durch die sogenannte Traumafolgekostenstudie (Habetha et al) festgestellt. Diese zieht folgendes Fazit:

 

Die Versorgung von Traumatisierten in Deutschland lässt in allen beteiligten Versorgungsbereichen Schwellen und Lücken erkennen, so dass bisher nur ein geringer Prozentsatz Betroffener überhaupt adäquat versorgt wird. Dabei spielen Organisations- und Kommunikationsdefizite im Zusammenspiel der unterschiedlichen Institutionen eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus bedarf es innerhalb einzelner Fachdisziplinen einer Optimierung der Arbeitsweise bzw. stärkeren Fokussierung auf das Thema sowie einer noch breiteren öffentlichen Aufklärung. Aufgrund eklatanter Datenlücken konnten bisher in keinem Land vollständige Folgekosten von kindlicher Traumatisierung erfasst werden, wobei die Datenbasis in Deutschland besonders schmal ist. Vor diesem Hintergrund stellt das Ergebnis in Höhe von 11,0 Mrd. Euro jährlichen Traumafolgekosten für Deutschland eine Annäherung an die realen Kosten dar. Die Trauma-assoziierten Gesundheitskosten allein bewegen sich in einer Größenordnung zwischen 524,5 Mill. Euro und 3,3 Mrd. Euro jährlich. (…) Nicht vergessen werden sollte neben der hier vorrangig dargestellten gesamtgesellschaftlichen Motivation der individuelle Nutzen, der sich in der Reduzierung persönlichen Leidens offenbart.“

 

Eine EU-weite Studie zur „gesellschaftlichen Last von Traumafolge-Störungen“ wäre wünschenswert, die es durch eine Verbesserung der Versorgung zu reduzieren gilt;

Die Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft muss durch gezielte Maßnahmen institutioneller Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden;

EU-weit einheitlich muss mehr Information, Aufklärung und Sensibilisierung über die Auswirkungen und langfristigen Folgen sexualisierter Gewalt erfolgen, um die Betroffenenperspektive durch Förderung gesamtgesellschaftlicher Empathie für Betroffene sexualisierter Gewalt zu stärken;

Neben dem Paradigma der Unschuldsvermutung des Täters sollte ein Paradigma der „Opferrespektierung“ geschaffen werden;

 

 

 

Die Täter

 

Der überwiegende Teil der Opfer kennt die Täter, meist schon lange vor dem Missbrauch. Mädchen werden zu etwa einem Drittel von Tätern aus dem Umfeld der Familie missbraucht. Jungen werden meist von anderen Bezugspersonen aus dem außerfamiliären sozialen Nahraum missbraucht (Trainer, Lehrer, Pfleger, Chorleiter, Priester, Personen mit ehrenamtlicher oder sonstig beruflicher Beziehung). Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Einzelne Täter bezahlen ihre Opfer dafür, ihnen weitere Opfer zuzuführen („Schlepperfunktion“)

 

Ein Drittel der Täter ist selbst noch im Kindes- oder Jugendalter, Tendenz leicht steigend. Nachdem bereits 2014 in Deutschland in 98 % aller Haushalten mit Jugendlichen ein Internetanschluss verfügbar war (JIM-Studie[18]), ist dies wenig verwunderlich; Schon Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren haben eine Besorgnis erregende „starke Bindung“ an ihr Smartphone, 8 % gelten sogar als suchtgefährdet[19].

Kinder sind heute doppelt so lang online, als vor 10 Jahren.

 

Abb. 3

 

 

Smartphone-Besitz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2019

Veröffentlicht von F. Tenzer, 07.04.2020

 

Neben dem Telefonieren gehören zu den beliebtesten Funktionen das Hören von Musik, das Schauen von Videos (87%), die Nutzung von Kurznachrichtendiensten wie WhatsApp oder Facebook Messenger, der allgemeine Zugang zum Internet und die Kamerafunktion des Smartphones. Auf vielen Handys und Smartphones von Jugendlichen finden sich pornografische Filme oder Bilder, die einfach und in Sekundenschnelle weiterverbreitet werden.

 

Kulturkritiker stellten da schon mal die Frage: „Was the Internet made for porn?“ Dies gilt vor allem für die Generation „Z“, die heute 15- bis etwa 25-Jährigen, die von Geburt an mit Smartphones aufgewachsen ist und die die digitale Technik sozusagen als selbstverständliche Erweiterung der eigenen Person begreift.

 

Die Netz-Kommunikation von Kindern und Jugendlichen beruht zwar zum allergrößten Teil auf schriftlicher Sprache, aber bis zu 80 % aller Jugendlichen ab 13 Jahren haben Erfahrungen mit (Internet)Pornografie, Jungen wesentlich häufiger und intensiver als Mädchen. Bild- und Video-Pornografie schaffen jedoch sexuelle Normvorstellungen. Zwischen dem Ansehen von Pornografie und von Missbrauchsabbildungen/-filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist nur wenig Abstand. Auf jeden Fall werden problematische Rollenbilder internalisiert, Realitätskonzeptionen verzerrt und negative Normalisierungseffekte eingeübt – die Wertewelt gerät ins Wanken, ein besonders gefährlicher Moment in Pubertät und Adoleszenz.

In Social Communitys (z. B. schülerVZ, facebook), Chats, Messengern (z. B. ICQ, msn) und Videoportalen (z. B. YouTube, MyVideo) sind inzwischen sexualisierte Übergriffe leider weit verbreitet, unabhängig davon, ob es sich um Übergriffe unter Heranwachsenden oder von Erwachsenen auf Jugendliche handelt.

Sexualisierte Grenzüberschreitungen können dabei verschiedene Formen annehmen:

  • Verbale sexuelle Belästigung
  • Übertragung sexueller Handlungen auf den Bildschirm über Webcam
  • Konfrontation mit Pornografie
  • Produktion von Pornografie, z. B. durch Aufforderungen oder Überreden in Chats, Nacktbilder preiszugeben bzw. nackt vor einer Webcam zu posieren.
  • Öffentliches Bloßstellen durch Veröffentlichung heimlich bzw. auch gemeinsam erstellter privater/ intimer Videos oder Fotos.
  • Anbahnung von sexuellem Missbrauch.

Kriminalistisch ist ebenfalls besonders bedeutsam, dass zwei Drittel der Täter, die innerhalb der Familie missbrauchen, auch Opfer außerhalb der Familie haben, und dass einzelne Täter häufig viele Kinder missbrauchen.[20]

 

 

Das Dunkelfeld

 

In den meisten Abhandlungen zum Thema der Studie werden Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) verwendet. Diese ist jedoch eine Ausgangsstatistik und dokumentiert in erster Linie die Arbeitsbelastung der Polizei. Nur wenige Forschungen beschäftigen sich mit der Erhellung des so genannten Dunkelfeldes, um die wahre Dimension der (sexuelle) Gewalt an Kindern/Jugendlichen zu erkennen.

 

In Deutschland werden fast neun Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen bis zum 16. Lebensjahr Opfer sexueller Gewalt[21]. Langfristig gesehen (1999-2019) lebten nach Angaben des Statistisches Bundesamtes in diesem Zeitraum in Deutschland zwischen 12 und 10,7 Millionen Kinder/Jahr.

Die Anteile von Jungen und Mädchen sind über die Jahre ziemlich gleich, auch wenn der Anteil der Mädchen etwas kleiner als der der Jungen ist (bis ca. 2 % Differenz). Grob geschätzt dürften in Deutschland danach durchschnittlich pro Jahr etwa 450.000 Mädchen und 150.000 Jungen Opfer sexueller Gewalt gegen Kinder geworden sein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) errechnete für Deutschland eine Million Kinder und Jugendliche, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren.[22]

 

2019 lebten in der Europäischen Union fast 448 Millionen Menschen, darunter etwa 100 Millionen Kinder und Jugendliche[23], das sind circa 21 % der Gesamtbevölkerung Eurostat). Europaweit müssten wir nach dem o.a. Berechnungsmodell mit etwa neun Millionen Mädchen und drei Millionen Jungen als Opfer sexueller Gewalt rechnen.

Die Fall- und Opferzahlen der deutschen Polizeilichen Kriminalstatistik, das so genannten „Hellfeld“, machen dagegen nur einen minimalen Bruchteil aus[24]. Dennoch schätzt das BKA das Dunkelfeld sehr vorsichtig nur auf ca. 1:15, d.h. man müsste mit bei einem Hellfeld von 16.000 Fällen realiter mit 240.000 Fälle rechnen, bzw. bei 15.000 Opfern realiter mit 165.000 Opfer. Andere Untersuchungen (Kavemann und Lohstöter) gehen von einer Relation 1:20 aus, eine allerdings ebenfalls recht konservative Schätzung. Eine neuere deutsche repräsentative Studie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste.[25]

 

Die Studien weichen jedoch in Definitionen, Forschungsdesign, Ein- und Ausschlusskriterien, methodische Artefakte (Rücklauf, Studiendesign, Stichprobenumfang und -gewinnung) z.T. stark voneinander ab und die Datenerfassung in den Versorgungs- und Betreuungssystemen ist grundsätzlich mangels Meldepflichten lückenhaft. Wie sich das Dunkelfeld im europäischen Raum darstellt, müsste von den Wissenschaftlichen Diensten des Europaparlaments bzw. im Rahmen eines noch zu vergebenden Forschungsauftrages genauer festgestellt werden.

Im Ergebnis sind derzeit daher keine klaren, definitiv verlässlichen Aussagen zum Vergleich zwischen Hell- und Dunkelfeld möglich – mit der Ausnahme, dass die Differenz enorm sein wird.

 

In Deutschland konzentrieren sich die präventiven und repressiven Interventionen daher sehr stark (vermutlich zu stark?) auf das polizeiliche „Hellfeld“ d.h. auf den polizei- und justizbekannten Täter. Die Täter des Dunkelfeldes und Männer, die sich selbst in Gefahr sehen, Täter zu werden (Pädophile, potentielle Täter) bleiben meist unberücksichtigt.

 

Pädophile leiden aber unter einer sexuellen Ansprechbarkeit auf kindliche Körper, die sich während der Pubertät manifestiert und von da an bestehen bleibt. Potentielle Täter haben sich diese sexuelle Ausrichtung daher zwar nicht „ausgesucht“, sind aber letztlich alleine verantwortlich für ihr sexuelles Verhalten. Nach ersten vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen[26] sollen rund ein Prozent der Männer auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien haben. Etwa 250.000 Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren könnten alleine in Deutschland als potentielle Täter angesehen werden? Die tatsächliche Zahl dürfte eher etwas niedriger liegen, da mit zunehmendem Alter auch die sexuelle Ansprechbarkeit und die Triebhaftigkeit zurückgehen, aber eine sechsstellige Zahl potentieller Täter ist auch so schon ausreichend alarmierend.

 

Ihnen wird seit 2004 in Deutschland ein vom Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité ins Leben gerufene „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD)“ Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ angeboten.

 

Ein solches Projekt sollte auf EU-Ebene geprüft werden.

 

 

Die Strafverfolgungsbehörden

 

Alleine die bisher aufgezeigten, exemplarischen Fallkonstellationen und -komplikationen zeigen die ganze Breite des Deliktsfeldes, das es zu beleuchten gilt: Eng verwoben sind pädokriminelle Einzelfälle, Gruppentaten, Sex-Ringe, organisierte Verbrechen, Menschenhandel und komplexe, globale Syndikate.

 

Sexuelle Gewalt gegen Kinder/Jugendliche und Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen sind Deliktsfelder mit internationaler Dimension. Nationale Grenzen verlieren in der Ära Internet rasant an Bedeutung, weil dort der Austausch von Gewaltbildern, -filmen und -videos und sonstiger Daten problemlos und in Sekundenschnelle über Ländergrenzen und Kontinente hinweg möglich ist – mit Internet, Darknet, Chatrooms, und andere digitale Medien und Kanäle sowie mit einem zunehmenden, weil immer leichteren und verbreiterten Einsatz von Verschlüsselungstechnik.

 

Strafverfolgungsbehörden stehen weltweit vor größten Herausforderungen, sie stehen vor einem Tsunami horrender, sich ständig multiplizierender Internetinhalten, sie stehen vor gewaltigen Verschlüsselungsproblemen. Daher verlangt die effektive Bekämpfung dieser Delikte engste, best- und schnellstmögliche Kooperation in- und ausländischer Strafverfolgungsbehörden und braucht die Zusammenarbeit mit Internet Service Providern und mit Firmen aus dem privaten Sektor. Ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), im internationalen Raum als artificial intelligence (AI) bekannt, und hochspezialisierter und -gerüsteter forensischer Unterstützungsteams können große Verfahren auch von großen Sonderkommissionen kaum mehr effektiv bewältigt werden.

 

Fallbeispiel: Im Falle Münster (Gartenlaube) sind alleine bei dem Hauptverdächtigen fast 800 TB Videomaterial sichergestellt worden (1 Terabyte ~ 1012 B). Eine unvorstellbare Datenmenge, für die allein für die erste Sichtung rund 30-40 Mannjahre erforderlich würden – und über 30.000 bereits bekannte Tatverdächtige sind im Visier der Ermittler oder müssen noch identifiziert werden.

 

Für alle europäischen Ermittlungsbehörden kann das nur bedeuten, die eigene Kompetenz in Sachen Digitalisierung zu forcieren. Es bedarf nicht nur einiger weniger Cyber-Cops mehr und auch zentrale Ansprechstellen Cybercrime reichen nicht.[27] Die Digitalisierung aller Lebensbereiche bedarf des Ermittlers 4.0, denn Kriminalistinnen und Kriminalisten müssen die Zusammenhänge vom ersten Zugriff an verstehen, brauchen profundes technisches Wissen, das bereits während der Ausbildung vermittelt werden muss. Die digitalen Spuren bieten nicht nur neue Möglichkeiten und Ermittlungsansätze, es gibt bereits jetzt Kriminalitätsbereiche, die ausschließlich digital sind. Wir können es uns nicht leisten, diese Kriminalität nur zaghaft zu bekämpfen, beziehungsweise dieser Entwicklung hinterherzulaufen.

Dies gilt in besonderem Maße für die Justiz. Viel zu lange vertrat das Bundesjustizministerium die Auffassung, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften zum Thema Cybercrime bzw. entsprechende justizielle Spezialeinheiten nicht zielführend seien.[28]

Dabei kann das für erfolgreiche und zugleich verhältnismäßige Ermittlungen notwendige immense technische Knowhow, das selbst jüngere und mit der Funktionsweise des Internets vertraute Staatsanwälte nicht en passant erwerben und sich erhalten können, nur mit der Einrichtung staatsanwaltschaftlicher Spezialstellen erfolgreich gebündelt werden. Einige Beispiele:

In Hessen wurde schon 2011 eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) mit Sitz in Gießen geschaffen, die eine Sondereinheit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist. Inzwischen macht sie sich einen Namen, weil sie sich auf Hate-Mails zu spezialisieren scheint und Facebook-likes en gros verfolgt.

Bei der Staatsanwaltschaft in Bamberg geht seit 2015 eine 13-köpfige Zentralstelle Cybercrime u.a. gegen „Kinderpornografie“ vor.

Bei der Staatsanwaltschaft in Köln wurde 2016 eine Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC) eingerichtet, die aber mit dem seit 2018 entwickelten Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“ den Schwerpunkt auf Hate-Speechs zu setzen scheint.

Seit 2017 wurde in Sachsen aus der integrierten Ermittlungseinheit Sachsen (INES) die Zentralstelle Cybercrime Sachsen (ZCS) geschaffen, die aber eher für Netzwerkarbeit innerhalb der Staatsanwaltschaften des Landes, für die Aus- und Fortbildung der Staatsanwälte i. S. Cybercrime und nur in umfangreichen Ermittlungsverfahren selbständig und gemeinsam mit dem LKA Sachsen (SN4C) ermitteln, inzwischen auch Clan-Kriminalität. Der Kampf gegen CSEA-Kriminalität verliert sich jedoch im Gewirr von Kompetenzerweiterung (Clan-Kriminalität) und Personalschwund.

 

Missbrauch und die Herstellung/Verbreitung des Bild-/Filmmaterials durch Pädokriminelle kann aber nicht en passant von DOS-Attacken, Cyber-Erpressungen oder Wirtschaftsverbrechen im Zusammenhang mit dem Internet bekämpft werden. Dies verlangt Aus- und Fortbildung, Professionalisierung/Spezialisierung und organisatorische Konzentrierung.

 

 

Vorratsdatenspeicherung

 

Ohne eine gesetzliche Regelung der Mindestspeicherfristen kann die Verbreitung von Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen nicht so effektiv bekämpft werden, wie es erforderlich wäre. Digitale Spuren an „Cyber-Tatorten“ sind daher unentbehrlich für die Aufklärung von Straftaten. Anders als an klassischen Tatorten, an denen es vom Augenzeugen bis zum Fingerabdruck zahlreiche Spuren gibt, liefern die Telekommunikationsverkehrsdaten im digitalen Raum oft die einzige Spur zum Täter. Bei diesen Telekommunikationsverkehrsdaten handelt es sich um rein technische Daten, nicht um Inhalte von Telefongesprächen oder SMS.

 

Solche Telekommunikationsverkehrsdaten sind beispielsweise Beginn und Ende eines Telefongesprächs oder die sogenannten Standortdaten, d.h. die Information, in welche Funkzelle ein Mobiltelefon während der Benutzung eingebucht war. Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Polizei ist außerdem die IP-Adresse, die einem Computer bei jeder Internetsitzung zugeordnet wird und die ebenfalls ein Telekommunikationsverkehrsdatum ist. Mithilfe der IP – Adresse lässt sich ermitteln, von welchem Telefonanschluss (Festnetz oder Mobilfunk) eine Internetverbindung hergestellt wurde. Da hinter einem solchen Telefonanschluss eine Person oder Firma steht, kann die IP-Adresse die Polizei so zum Täter führen, etwa in Fällen von Kinderpornografie, Erpressung oder bei der Terrorabwehr.

Die Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten ist unabdingbar für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Deshalb ordnet in Deutschland das Telekommunikationsgesetz (TKG) an, welche Telekommunikationsverkehrsdaten von den Telekommunikationsanbietern gespeichert und unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen gemäß der Strafprozessordnung (StPO) nach einem Antrag der das Ermittlungsverfahren leitenden Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter und nach dessen Prüfung und Anordnung an die Polizei im Einzelfall herausgegeben werden dürfen.

 

Ausgelöst durch Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die unter Berufung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes die deutsche Gesetzeslage als mit Unionsrecht nicht vereinbar ansehen, findet eine Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat derzeit faktisch nicht statt. Der Grund für die fehlende Umsetzung liegt hierbei nicht in einer gesetzlichen Regelungslücke, sondern in einem Vollzugsdefizit. Die für die Aufsicht und Durchsetzung der Vorratsdatenspeicherung zuständige Bundesnetzagentur hat verwaltungsgerichtliche Urteile zum Anlass genommen, Verstöße der Telekommunikationsunternehmen nicht zu sanktionieren. Durch die aktuell unsichere Rechtslage – eine letztinstanzliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sowie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und möglicherweise auch des Europäischen Gerichtshofes zu den einschlägigen Regelungen in TKG und StPO stehen noch aus – sehen sich viele Telefonanbieter derzeit weiterhin nicht in der Pflicht, Daten auf Vorrat zu speichern.

Schon 2017 berichtete das BKA, dass über 8.000 NCMEC-Hinweise auf entdeckte Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen nicht weiter ermittelt werden konnten, da beim Service Provider die IP-Adresse nicht mehr gespeichert war. Der mögliche andauernde Missbrauch einer letztlich zwar unbekannten, aber sicher großen Zahl von Kindern/Jugendlichen konnte in diesen Fällen nicht gestoppt werden.

2019 berichtete das BKA exemplarisch hierzu einen typischen Fall: 2019 erhielt es vom US-NCMEC einen Hinweis auf einen 17-jährigen, bislang polizeilich nicht in Erscheinung getretenen Täter, der den 7-jährigen Sohn seiner Schwester sexuell missbrauchte, dies live filmte und das Video über soziale Netzwerke verbreitete. Anhand der vorliegenden IP-Adresse konnte der Anschluss der Mutter des Opfers zugeordnet und in den nachfolgenden Ermittlungen der Täter selbst innerhalb von wenigen Tagen identifiziert und festgenommen werden. Die vorliegende IP-Adresse wurde am Tag des Eingangs der NCMEC-Meldung beim Provider angefragt, so dass bei diesem noch Bestandsdaten vorhanden waren. Wäre die Meldung nur zwei Tage später beim BKA eingegangen, wäre dieser Ermittlungsansatz weggefallen. Die Identifizierung wäre zumindest wesentlich erschwert, vermutlich eher aber verhindert worden. Zudem hätte die Gefahr bestanden, dass weitere Missbrauchstaten an dem Jungen verübt worden wären.

 

Die deutsche Polizei hat anhand von zahlreichen Fällen belegt, dass bei fehlender Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten und insbesondere der IP-Adresse die Aufklärung von schweren Straftaten oder die Gefahrenabwehr oftmals nur durch gespeicherte Telekommunikationsverkehrsdaten geklärt/verhindert wurden bzw. ins Leere laufen; die Delikte waren Terroranschläge, Mord, Bandstiftung, Amok, Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern/Jugendlichen (fast 40 %).

 

 

 

 

Die Privatwirtschaft

 

Unterstützung erhalten die Strafverfolgungsbehörden auch von Facebook, Google, Twitter und Dropbox, die im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern inzwischen im Rahmen des Project Protect“ eng zusammenarbeiten: Mit der PhotoDNA-software von Microsoft werden Missbrauchsabbildungen detektiert, herausgefiltert und gelöscht. Der Informationsverbund stellt sicher, dass gelöschte Inhalte bei den anderen ISP nicht wieder hochgeladen werden können; die Täter wandern dann jedoch zumeist ins Darknet ab.

 

Gerade Ermittlungen im Bereich des zwielichtigen Darknets sind sehr zeitaufwendig und rechtlich problematisch. Aus Mangel an polizeiintern verfügbaren Lösungen oder Ressourcen müssen Analysen zuweilen extern vorgenommen werden. Die Verarbeitung personenbezogener Daten stellt jedoch grundsätzlich einen Grundrechtseingriff dar. Eine Kooperation mit den privaten Analyseanbietern birgt nicht selten die Gefahr einer mangelnder Datenschutz-Kontrolle und kann zur fragwürdigen Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen werden.

 

In diesem Spannungsfeld entwickelte das EU-Projekt TITANIUM (kurz für: Tools for the Investigation of Transactions in Underground Markets) eine mögliche Alternative, die zwar primär zur Bekämpfung von Cyberkriminalität im Zusammenhang mit Kryptowährungen entwickelt wurde, jedoch auch für die Bekämpfung der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filme sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen geeignet sei. 15 Partner aus ganz Europa entwickelten in einem interdisziplinären Team unter der Federführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Mitarbeit des BKA eine Software zur rechtskonformen und gerichtsfesten Suche nach öffentlich verfügbaren und vom entwickelten Algorithmus erkannten relevanten Informationen im Darknet und deren Analyse – unter größtmöglicher Wahrung der Grundrechte der Betroffenen[29]. TITANIUM ist seit Januar 2019 in Deutschland, Finnland, Spanien und Österreich in einer mehrmonatigen Testphase. Zwischen- oder Abschlussberichte wurden noch nicht publiziert.

 

In der “Sicherheitskooperation Cybercrime”, die in Deutschland schon seit 2011 besteht, sind neben dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) inzwischen sechs Landeskriminalämter vertreten (BW, NW, HE, NI, RP und SN). Ziel ist, die phänomenologischen Erkenntnisse zu vertiefen, gemeinsame strategische Konzepte zur Bekämpfung von Cybercrime zu entwickeln, effektive Präventionsmaßnahmen abzuleiten und den technischen Wissenstransfer zu erweitern. Wie den Jahresberichten jedoch zu entnehmen ist, wird die CSEA-Kriminalität dort leider aber sehr stiefmütterlich behandelt.

 

Eine weitere bedeutsame Zusammenarbeit findet im Forschungsprojekt VOICE des gleichnamigen Vereins “Voice e. V.” statt[30]. Es dient der Verhinderung sexualisierter Gewalt im Sport. Betroffene Opfer aus acht europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Slowenien, Spanien und Ungarn) sollen Gelegenheit bekommen, ihre persönliche Geschichte erzählen. In Deutschland sind Dr. Bettina Rulofs und Gitta Axmann vom Institut für Soziologie und Genderforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln sind für die Koordination und Gesamtleitung des Projektes zuständig. Dazu arbeiten Universitätspartner, nationale Sportverbände und unabhängige Opferschutzorganisationen in jedem beteiligten europäischen Land zusammen. Der Soziologe Mike Hartill forscht an der Edge Hill Universität in Großbritannien vor allem zum Thema sexueller Missbrauch von Jungen im Sport und appelliert vor allem an Männer, die in ihrer Kindheit oder Jugend im Sport sexuell missbraucht worden sind, sich bei ihm zu melden. European Non-Governmental Sports Organisation (ENGSO Youth), European Gay & Lesbian Sport Federation (EGLSF), European Paralympic Committee (EPC) und die European University Sports Association (EUSA) sind weitere Partner dieses Projekts.

Nach fünf Arbeitsschritten (Working Programms) soll am Ende auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Lehrmaterialien zur Prävention sexualisierter Gewalt im und durch Sport erstellt werden.

 

 

 

Das BKA

 

Die Funktion des BKA als Nationales Zentralbüro der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) und des Europäischen Kriminalpolizeiamtes (Europol) erlangt vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung.

 

Die beim BKA eingerichtete „Zentralstelle Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ nimmt die Aufgaben eines Bindeglieds zwischen in- und ausländischen Strafverfolgungsbehörden sowie die einer nationalen zentralen Auswerte- und Koordinierungsstelle wahr. Beim BKA wird die so genannte „Hashwerte-Datenbank Pornografische Schriften (HashDBPS)“ geführt. Für jedes inkriminierte Bild wird mittels einer speziellen Software ein alphanumerischer Code, der so genannte „Hashwert“ errechnet. Dieser Code ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. So werden bereits erfasste Bilder erkannt und müssen nicht mehr manuell gesichtet werden. Das reduziert die auszuwertenden Bilddateien und entlastet die AuswertInnen und beschleunigt den Auswerteprozess. Datenbestand und Nutzung dieser Datenbank sind jedoch deutlich optimierbar.

Beim BKA eingehende Strafanzeigen und Tat-/Täterhinweise müssen jedoch an die jeweils zuständigen Polizeibehörden in den Bundesländern weitergeleitet werden, da das BKA keine ausdrückliche zentrale bzw. bundesweite originäre sachliche Zuständigkeit für die Verfolgung der Kriminalität im Internet hat.

 

Das BKA erhielt 2019 rund 62.000 Hinweise alleine vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). 2017 waren es über 35.000 Hinweise und 2018 rund 70.000 Hinweise mit Deutschlandbezug. Aus diesen 62.000 Hinweisen des Jahres 2019 ergaben sich 21.600 Fälle, ähnlich so viele wie im Vorjahr. Die Zusammenarbeitsprozesse zwischen NCMEC und BKA wurden inzwischen derart optimiert, dass die Hinweise vom BKA bearbeitet, und schnellstmöglich an die Strafverfolgungsbehörden der Länder weitergeleitet werden können, um dort ohne zeitlichen Verzug Ermittlungsverfahren einzuleiten und diese weiter zu verfolgen. Da die PKS eine Ausgangsstatistik ist, zeigt sie, was in den jeweils vergangenen Jahren bearbeitet werden konnte; insoweit war der Anstieg bei den Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen eine Art Spiegelbild der enormen Zunahmen der Hinweise, speziell von NCMEC. Auch zukünftig wird das NCMEC jährlich weitere Verdachtsfälle in etwa gleichen Größenordnungen melden.

 

Mit entsprechender Gesetzesänderung werden zusätzlich die Anbieter sozialer Netzwerke bei einer eingereichten Beschwerde durch ihre Nutzer verpflichtet sein, strafbare Inhalte im Bereich des sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung der Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen zentral an das BKA zu melden (die so genannte „Ausleitungsverpflichtung“). Auch diese Informationen werden dann schnellstmöglich den örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder zur Strafverfolgung zugeführt. Im Bundeskriminalamt sollen 300 zusätzliche Mitarbeiter gemeldete Postings überprüfen und Nutzer anhand der IP-Adressen identifizieren[31]. Auch will die Regierung einfachere Meldewege, damit Nutzer verdächtige Inhalte schneller melden und Plattformen schneller reagieren könnten.

 

 

Cyberzentren

 

Aus alledem folgt, dass die Fallzahlen in den kommenden Jahren zunächst weiter steigen werden – als Folge effektiverer kriminalistischer Kooperation und verbesserter rechtlicher Rahmenbedingungen, die zusammen eine weitere Aufhellung des Dunkelfeldes bewirken.

 

Die sichergestellten Datenmengen werden mittlerweile jedoch immer größer und ihre Auswertung und Bearbeitung binden erhebliche personelle Ressourcen. Daher hat das BKA sein Personal im Bereich der Bekämpfung von Missbrauchsbildern und -filmen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen seit 2016 um ein Drittel erhöht und arbeitet permanent an neuen technischen Verfahren zur Informationsgewinnung- und Auswertung.

 

Dies erfordert aber auch und gerade von den Bundesländern noch erhebliche Anstrengungen, um die vom BKA zur Verfügung gestellten, zum Teil enormen Sicherstellungsmengen überhaupt auswerten zu können.

 

Zentrale Ansprechstellen Cybercrime (ZAC) sind beim BKA und bei den LKÄ aller Bundesländer eingerichtet, in Flächenstaaten auch mit analogen Pendants in den Polizeipräsidien, haben vorrangig das Ziel, die Wirtschaft zu informieren und im Falle einer Cyberattacke (Angriffe auf die IT-Systeme, Distributed-Denial-of-Service-Attacken (DDoS),  Betrug, Wirtschaftsspionage, Computer-Sabotage, Ausspähen oder Diebstahl von Unternehmens- und Kundendaten, Erpressung, usw.) zu beraten und zu unterstützen.[32] Sie dienen als „Single Point of Contact (SPoC) für Unternehmen und öffentliche/nichtöffentliche Institutionen. Eine ähnliche oder vergleichbare Struktur gibt es für Cybercrime mit CSEA-Hintergrund kaum.

 

Eine Ausnahme bildet dabei vielleicht das LKA Nordrhein-Westfalen, das in den letzten Monaten einen großen und sehr erfolgreichen Entwicklungssprung im Kontext zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen machte. Zum einen hat es am 23.04.2019 eine Stabsstelle „Revision der kriminalpolizeilichen Bearbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie“ (Stabsstelle KiPo) im Innenministerium eingerichtet, die die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung in diesem Deliktsfeld umfassend überprüfte, Handlungsbedarfe identifizierte, Handlungsempfehlungen für eine optimierte Bearbeitung gab und ein Landescontrolling einführte. Die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der CSEA-Materialien wurden kriminalpolitische und kriminalstrategische Schwerpunkte. Das Personal wurde von 105 auf 268 Stellen angehoben. Das speziell und hochmodern ausgestattete Cybercrime-Kompetenzzentrum (ZAC), eine Unterstützungs- und -Auswerteeinheit, die im LKA mit Hilfe des niederländischen Unternehmens ZIOS aufgebaut wurde, und der „Forensik Desktop“ (virtueller Auswerterechner) sind Leuchtturmprojekte mit Vorbildcharakter, und unterstützen mit einer eigenen 2-Petabyte-Cloud inzwischen sogar Europol und das BKA. Ein landesweites „Hinweistelefon“ beim LKA NW ist in Vorbereitung.[33]

 

Das LKA NW steht in engem Kontakt mit der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NW (ZAC)“ bei der Staatsanwaltschaft Köln.

Auch beim LKA Hessen befindet sich solch ein starkes Kompetenzzentrum im Aufbau, das mit vier Millionen Euro und 134 Beschäftigten bis Ende 20121 eine Forensik-Plattform zur besseren Aufklärung von CSEA-Kriminalität fertig gestellt haben wird und eng mit der staatsanwaltschaftlichen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Frankfurt/a.M. zusammenarbeiten soll.

Dieser Entwicklung werden bald alle anderen Zentralen Ansprechstellen Cybercrime (ZAC) der anderen LKÄ nachfolgen müssen.

Es gibt eine Reihe von weiteren Einrichtungen bi- und multilateraler Art, die sich der bilateralen Kooperation in der Verbrechensbekämpfung widmen. Dazu gehört unter anderem auch das in Kehl angesiedelte „Gemeinsames Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit (GZ)“. Hier arbeiten deutsche und französische Polizeibeamte und Zöllner Seite an Seite. Es geht um die Bekämpfung grenzüberschreitender, eher regionaler Delikte. Ziel ist es, effektiv und schnell handeln zu können.

Ähnliche Zentren existieren im deutsch-polnischen Gebiet, im deutsch-tschechischen sowie im deutsch-niederländischen Raum. In Luxemburg gibt es eine Einrichtung, in der Bedienstete aus vier Ländern tätig sind (Deutschland, Belgien, Frankreich und Luxemburg).

Auf EU-Ebene schließlich gibt es noch weitere ähnlicher Einrichtungen und Dienststellen anderer EU-Mitgliedsstaaten.

Inwieweit diese Zentren bilateraler Zusammenarbeit in der internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen CSEA eingebunden sind, wurde (noch) nicht überprüft.

 

 

Bilderkennung

Die weltweit zumeist genutzte Technik, um Missbrauchsabbildungen zu entdecken, zu sichern und zu dokumentieren, dürfte die PhotoDNA-Technologie sein, die von Microsoft in Zusammenarbeit mit der Universität Dartmouth/UK entwickelt wurde. Sie wird bei Microsoft, Google, Adobe Inc., Facebook und Twitter eingesetzt, um Missbrauchsabbildungen sexueller Gewalt gegen Kinder aufzuspüren, zu blockieren und den Strafverfolgungsbehörden zu melden. Microsoft stellte NCMEC diese Technik kostenlos zur Verfügung.

Das BKA setzt seit 2003 die „Computergestützte Bildersuche“ der Firma DotNetFabrik aus Heidenheim ein.

Mit ähnlichen Funktionen nimmt eine Software der hessischen Firma DigitEV GmbH einen „Vergleich von Videodateien kinderpornographischen Inhalts“ vor. Das Programm soll helfen, Inhalte in polizeilichen Datenbeständen zu filtern und doppelte Dateien zu löschen.

Das BKA ist im Forschungsprojekt „Multi-Biometrische Gesichtserkennung“ (GES-3D) als „Endanwender“ beteiligt. Eine dort entwickelte Software soll Suchanfragen auf Basis eines schlechten, nicht vollständigen Gesichtsfotos ermöglichen.

 

Die Bundespolizei arbeitet am Projekt „Multi-Biometriebasierte Forensische Personensuche in Lichtbild- und Videomassendaten“ (MisPel) mit, das vom Forschungsministerium gefördert wird. Dabei wird die „zeitnahe Erkennung von ermittlungstechnisch relevanten Personen“ untersucht und es werden „Strategien für nachhaltige Einsatzszenarien“ entwickelt. Beteiligt sind die Polizei Hamburg, das Mobile Einsatzkommando Karlsruhe und ein „Internetsoziologe“ vom Netzwerk Terrorismus- und Extremismus-Forschung. Das Vorhaben wird von der US-Firma L-1 Identity Solution koordiniert, die mit der Bundespolizei eine Biometrie-gestützte Grenzkontrolle einführt.

 

Verschiedene Fraunhofer-Institute arbeiten an der Entwicklung einer automatisierten Mustererkennung von Bildern und Videos mit CSEA-Inhalten.

 

Der evidente Wandel zum Tatmittel Smartphone verlangt schnelle, bezahlbare und effektive Funktionen der Mobilgeräte-Forensik, denn die Beweise finden sich heute mehr und mehr auf Smartphones und online-Apps, statt wie zuvor auf PCs und Laptops. Die Nutzer können so MMS-artige Nachrichten mit Fotos, Videos und Zeichnungen als Anhang verwenden. Die Kommunikation erfolgt in diesen Fällen über den Datenpfad, so dass Nachrichteninhalte nicht in den Datensätzen der Gesprächsdetails der ISP aufgezeichnet werden. Das verlangt nach neuen Techniken wie z.B. die von MSAB vertriebenen Software XRY und XAMN. Die Inhaltserkennungsfunktion filtert automatisch sämtliche Fotos heraus, auf denen Menschen abgebildet sind. Hash-Filter und Hash-Merklisten können genutzt werden, um Bilder herauszufiltern, die bereits als kinderpornografische Daten bekannt sind. Solche Bilder können entsprechend markiert und ausgeschlossen werden. Wenn “neue” Bilder gefunden werden, können diese markiert, gehasht und im Project-VIC-Format exportiert werden. So können sie dann an andere Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. XRY ermöglicht Ermittlern eine superschnelle Verarbeitung von Bildern – bis zu 15 Mal schneller mit Computern mit CUDA-fähigen NVIDIA-Grafikprozessoren. XAMN bietet Ermittlern die Möglichkeit, Daten aus unter-schiedlichen Fällen in einer Ansicht zu betrachten – um Zusammenhänge zwischen Verdächtigen und Opfern zu finden. Das mit dieser Software erlangte Beweismaterial ist forensisch sicher und verfügt über ein verifiziertes Protokoll, über das sich die Rechtsgültigkeit digitaler Beweise nachweisen lässt.

 

Eine zumindest bundeseinheitliche Strategie, besser noch eine europäische, zur Bündelung der Ressourcen, der Finanzmittel und des Personaleinsatzes wären auch hier wünschenswert.

 

NCMEC & IWF

Im Jahr 2019 registrierte die deutsche Polizei 12.262 Fälle von Kinderpornografie[34]. Das entsprach einem Zuwachs von fast 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Daten sind um etwa 2.100 weitere Fälle zu ergänzen, die vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) übermittelt wurden, zu denen aber keine Pesonendaten vorliegen.

NCMEC arbeitet eng mit amerikanischen Internetanbietern und Serviceprovidern wie Facebook, Microsoft, Yahoo oder Google zusammen, die ihre Datenbestände und die über ihre Dienste verbreiteten Daten mittels modernster Filtertechnologien permanent nach Missbrauchsabbildungen scannen. Die festgestellten Dateien werden von den ISP gelöscht und die verfügbaren Informationen werden dem NCMEC übermittelt (17 Millionen Fälle sexuellen Missbrauchs). Insgesamt gingen 2019 beim BKA über 62.000 NCMEC-Hinweise auf mögliche strafbare Handlungen in Deutschland ein. Aus diesen 62.000 Hinweisen ergaben sich 21.600 Fälle, die im BKA ausgewertet und an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer weitergeleitet wurden, um dort in eigener Zuständigkeit Ermittlungsverfahren einleiten zu lassen[35].

 

Auch das englische Pendent zu NCMEC, die IWF (Internet Watch Foundation) ist ein wichtiger key actor. In einer 3-Monats-Studie, gesponsert von Microsoft, fand es 2.082 live-streamed Bilder Bilder von sexuellem Kindesmissbrauch[36]. Das IWF warnte am 18.05.2018 vor den erkannten Trends dieser Untersuchung: 98 Prozent all dieser Opfer des sexuellen Missbrauchs waren jünger als 13 Jahre alt, das jüngste war gerade mal drei Jahre. Fast jedes fünfte Kind wurde vor laufender Kamera vergewaltigt, sexuell gequält oder gefoltert, in 40 Prozent handelte es sich um schweren sexuellen Missbrauch (Kategorie A oder B),  ein besonders alarmierender Hinweis auf „grooming“ und „sexting“ .(“youth-produced sexual images”) sei, dass die Kinder offensichtlich in ihrer häuslichen Umgebung aufgenommen worden seien[37]. Darüber hinaus gehörten in den letzten sechs Monaten vor der Publizierung des Berichts beachtliche 38 % aller an IWF berichteten Nachrichten/Bilder inzwischen zur Kategorie „selbst-aufgenommene“ Bilder. Zunehmend gelingt es also Pädokriminellen, mit gefakten Identitäten (gleichaltriges Kind) das Vertrauen der Opfer zu erschleichen, um heimliche Aufnahmen zu fertigen. Der Missbrauch findet statt, obwohl der Täter nicht im Raum ist. Das bedeutet, dass jede Plattform, die live-streaming-Dienste anbietet, Tatort werden kann[38]. Die alternative Interpretation wäre, dass immer mehr Jugendliche/Kinder selbst inkriminiertes Bildmaterial von sich oder Peers produzieren und verbreiten

 

IWF setzt methodisch einen selbst entwickelten „Crawler“ ein, der über 470.000 Hashs bekannter sexueller Missbrauchsabbildungen und -filme gespeichert hat, um 2019 fast 72 Millionen Webseiten und rund zwei Drittel von einer Milliarde Bildern nach Duplikaten zu scannen. Zudem bietet IWF Usern die Möglichkeit, Bilder/Filme mit sexuellem Missbrauch mit dem „Report criminal content“-button anonym zu melden.

 

In ihrem Report 2019 berichtet die IWF von rund 260.500 gemeldeten Fällen, von denen fast 133.00 Bilder/Filme sexuellen Missbrauch zeigen (+25% zu 2018) und fordert von der EU eine „Zero-Toleranz-Politik“, denn in 9 von 10 Fällen stehen die Server in Europa (2018: 79 Prozent) und 73 Prozent der Fälle des Vertriebs sexueller Missbrauchsabbildungen stammten aus den Niederlanden (2018: 47 Prozent).

 

Europol

Europol ist die europäische Polizeibehörde, die nun 27 Mitgliedstaaten im Kampf gegen Terrorismus, Cybercrime und andere Formen schwerer und organisierter Kriminalität unterstützt – durch die Erstellung von Lagebildern (Situation Reports) und Beurteilungen von Bedrohungslagen (Threat Assessments), Informationssammlungen und -analysen, Informationsaustausch sowie durch operative Aktivitäten. Europol ist jedoch kein „europäisches FBI“, weil ihm exekutive Befugnisse fehlen. Obwohl das Europäische Parlament mittlerweile einige wichtige Kontroll-Zuständigkeiten erhalten hat, bleibt das Defizit an parlamentarischer Kontrolle Europols bestehen. Hinzu kommt, dass die „Gemeinsame Kontrollinstanz“, die für die datenschutzrechtliche Überwachung Europols zuständig ist, die Anforderungen an eine unabhängige Kontrollinstanz nicht ganz erfüllt.

Die Mitgliedsstaaten sehen nach wie vor die innere Sicherheit als zum Kernbereich nationaler Souveränität gehörig, was die langjährigen Widerstände gegen die Behebung von klassischen „Geburtsfehlern“ erklärt: Die deliktischen Abgrenzungen, das Übergewicht/die Autonomie der Analyse („intelligence-led“ vs. „expert-led“), die Überbetonung „nachrichtendienstlicher“/datenschutzrechtlicher Regeln („need to know principle“ vs. „need to share principle“) und die zu geringe Beteiligung an operativer Polizeiarbeit.

Von Anfang an gut lief die Zusammenarbeit der Europol Liaison Officers, der nationalen Verbindungsbeamten, die in ihren nationalen Büros unter dem Dach Europols arbeiten, von den nationalen Zentralstellen entsandt sind, nach nationalem Recht arbeiten und derer nationalen Fach- und Dienstaufsicht unterliegen.

Mit der Schaffung von Befugnissen für mehr operative Tätigkeiten im Rahmen der so genannten gemeinsamen Ermittlungsgruppen („Joint Investigation Teams “- JIT), wurde eine für alle Strafverfolgungsbehörden segensreiche Entscheidung getroffen.[39] Grundsätzlich agiert Europol nur auf Anforderung eines EU-Mitgliedsstaates; nach Art. 7 der Europol Council Decision[40] darf Europol aber auch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten auffordern, zu ermitteln[41]. Grundsätzlich soll Europol die nationalen Polizeien aber nicht ersetzen, sondern sie in ihrer Arbeit unterstützen. Mit Europol’s new Regulation, die am 01.05.2017 in Kraft trat, wurde endgültig der Weg zur einer effektiveren, flexibleren und mehr operativen Polizeiagentur geebnet, ohne dass Europols Kernfunktionen, Unterstützung und Stärkung der strafverfolgenden Tätigkeiten von mehr als zwei EU-Mitgliedsstaaten, geändert wurde. Europol darf künftig in begründeten und genehmigten Einzelfällen unmittelbar mit den zuständigen Behörden in den EU-MS zusammenarbeiten, die nationalen Zentralstellen sind nur noch zu informieren. Europol, Eurojust und das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF richten auf der Basis eines Treffer-/Kein-Treffer-Systems einen Informationsverbund ein, um diesen Informationsaustausch weiter zu intensivieren.

Damit Europols Funktion als Knotenpunkt für den Informationsaustausch der EU-Mitgliedsstaaten noch besser gewährleistet werden kann, wurden weitere verpflichtende Regelungen für die Informationsübermittlungen mit Dritten eingeführt und der innereuropäische Informationsaustausch ausgeweitet, z.B. werden danach auch bilaterale Informationsaustausche nachrichtlich Europol zu melden sein. Zum Informationsaustausch insgesamt wird Europol künftig jährlich dem Parlament, dem Rat, der Kommission und den nationalen Parlamenten berichten.

Cybercrime ist heute einer der neun Schwerpunkte, die Europol im Rahmen seiner Arbeitsplanung (four-year Policy Cycle – EMPACT, 2018-2021) und bei der Priorisierung seiner Aufgaben setzt: Der Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexueller Gewalt an Kindern[42]  steht dabei ganz oben auf der Liste. Der sexuelle Missbrauch von Kindern, die Herstellung und online-Verbreitung von Missbrauchsbildern und -filme ist ein ständig wachsendes Phänomen, das verschärft wird durch die technischen Entwicklungen (mobile Vernetzungen, flächendeckende Internetanschluss-möglichkeiten – auch in Entwicklungsländern, wachsender Markt von Streaming-Lösungen und -dienste, die Nutzer immer stärkere Anonymität bieten, und die zunehmende Kommerzialisierung dieses pädokriminellen Marktes).

Das European Cybercrime Centre (EC3) wurde schon am 11.01.2013 installiert. Es ist die europäische Zentralstelle für alle Cybercrimefragen und soll die europäische Expertise und Analyse zusammenführen, um die Ermittlungsarbeiten von Polizei und Justiz der Mitgliedsstaaten zu unterstützen – in Kooperationen, mit Partnerschaften und mit gemeinsamen Verantwortlichkeiten.

Aktuell ist die Zahl von Missbrauchsabbildungen und -filmen, die in Europols Datenbank gesammelt und analysiert werden, auf fast 47 Millionen angewachsen, eine fast gleiche Menge (45 Millionen) berichtete NCMEC in den USA für 2019, was dort eine Verdopplung der Anzahl der Bilder im Vergleich zum Vorjahr bedeutete.[43]

Abb.4

STRATEGY: Die beiden strategischen Teams sorgen

  • für Prävention und Management (Gründung von Partnerschaften, Entwicklung standardisierter Aus- und Fortbildung, Koordination von Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen).
  • Strategie und Entwicklung (Strategische Analyse, Formulierung von Maßnahmen der Gesetzgebung und der Politik) und Steuerungsmaßnahmen für das Internet.

FORENSIC EXPERTISE: Die zwei forensischen Teams („Digital Forensics“ und „Document Forensics“), dienen der Forschung, Entwicklung und operative Unterstützung der Mitgliedsstaaten.

OPERATIONS: Von den abgebildeten Teams sind für den Gegenstand dieser Studie von besonderer Bedeutung

  • die Unit „Cyber Intelligence“ (für die nicht-operative, strategische Analyse);
  • das Analyseprojekt „AP TWINS“ (Prävention und Repression aller Formen der Kriminalität, die im Zusammenhang mit der sexuellen Ausbeutung und dem sexuellen Missbrauch von Kindern stehen; dies umfasst auch die Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsabbildungen und -filmen sexuellen Missbrauchs von Kindern auf allen online-Umgebungen und jegliches andere kriminelle Verhalten, das online zum Nachteil von Kindern begangen wird, wie z.B. grooming, selbst hergestelltes unzüchtiges Material, sexuelle Erpressung und live-Fernübertragung sexuellen Missbrauchs.
  • EC3 betreibt darüber hinaus ein Projekt namens HAVEN (Halting Europeans Abusing Victims in Every Nation), mit welchem die Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten dabei unterstützt werden können, pädokriminelle Sextouristen zu detektieren, die in typische „Opferländer“ reisen, um dort ihre Straftaten zu begehen. Die europäischen Strafverfolgungsbehörden sollten auch Europols PNR-Datenbank (“Passenger Name Record”) nutzen und die Hilfe des Travel Intelligence Teams von Europol anfordern.
  • die „Joint Cybercrime Action Taskforce (J-CAT)“, die seit September 2014 gemeinsam mit EC 3 die größten und wichtigsten Cybercrime-Fälle der EU-Mitgliedsstaaten mit Analyse und Auswertung wie folgt unterstützt (mit dem so genannten „intelligence-led approach“): Die 18 Strafverfolgungsbehörden, die Mitglied der J-CAT sind, kommen aus 16 Staaten, davon sind neun EU-Mitgliedsstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien und Spanien mit zwei verschiedenen Polizeiagenturen), und sieben non-EU-Staaten (Australien, Canada, Großbritannien, Kolumbien, Norwegen, Schweiz und die USA mit zwei Polizeiagenturen). Ein zugewiesener Verbindungsbeamter von Eurojust (der Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen) nimmt an den wöchentlichen Lagebesprechungen teil, um die justizielle Begleitung der Ermittlungsverfahren zu sichern. Sexueller Kindesmissbrauch ist eines der vier Prioritäten von J-CAT. Die Anzahl der vollendeten Operationen steigt kontinuierlich von Jahr zu Jahr (2019 waren es schon multinationale 18 Operationen);
  • CEPOL, die European Union Agency for Law Enforcement Training veranstaltete im Rahmen ihres Awareness-Programs, jährlich mehrere mehrsprachige webinars, mit denen 2019 mehr als 580 Stafverfolgungsbeamte aus 30 Staaten in Sachen J-CAT beschult werden konnten.
  • EC3 betreibt in enger Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten eine spezielle Website („#TraceAnObject“), analog zur gleichnamigen FBI-Seite mit gleichem Ansatz), wo zu abgebildeten Objekten (zumeist Einrichtungsgegenstände oder Kleidungsstücken missbrauchter Opfer) anonyme Hinweise auf Täter, Opfer oder Tatorte geben zu können. 2019 wurden 24.000 Hinweise registriert, die zur Rettung von neun Kindern führten, die sexuell missbraucht worden waren.

(Internet: www-europol.europa.eu/stopchildabuse,Twitter: #StopChildAbuse).

 

 

Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)

Jährlich veröffentlicht Europols EC3 einen Bericht („Internet Organised Crime Threat Assessment (IOCTA)“, zuletzt am 09.10.2019[44], in dem die drastische Überlastung der schieren Zahl der Missbrauchsabbildungen im Internet beklagt[45] wurde.

Abb.5

Folgende zentrale Bereiche (key areas) bei Methoden und Mitteln des sexuellen Kindesmissbrauchs (CSEM: Child Sexual Exploitation Material) wurden in diesem Bericht herausgestellt:

  • Peer-to peer Netzwerke (P2P), die zumeist Applikationen der sozialen Medien nutzen; dabei sind der zunehmend anonymisierter Zugang zum Darknet (z.B. mit Virtual Private Networks (VPN) oder Tor[46]) und die Verbreitung von Verschlüsselungstechnik die wichtigsten und zentralen Bereiche. Dort wird der Zugang zu Missbrauchsabbildungen und -filmen gefunden, dort werden diese weiterverbreitet und dort muss vordringlichst der Kampf gegen die Produktion und den nicht-kommerziellen Vertrieb dieses Bild- und Filmmaterials geführt werden;
  • Live-streaming von sexuellem Kindesmissbrauch wird durch ständig verbesserte/verbilligte oder gar neue Technologien erleichtert (z.B. Skype, Periscope, etc.). Dies gilt insbesondere für den Kindesmissbrauch in überseeischen Gebieten (Philippinen), oft auf Anforderungen westlicher Kunden. Das Phänomen des “Live-und Tele-Missbrauchs“ (“Live distant child abuse”-LDCA) wurde als eines der bedeutendsten Treiber im kommerziellen Vertriebsbereich („pay-per-click“) von Child Sexual Extortion Material (CSEM) festgestellt.

Neue Bilder oder Filme sexuellen Missbrauchs von Kindern, die live eingespeist werden, sind nicht nur rein mengenmäßig einfach mehr Bilder oder Filme, sondern häufig auch eine wertvolle „Währung“ in der Tätergemeinde und oft die „Eintrittskarte“ für pädokriminelle Chatrooms, für das Darknet und für manch andere dunkle Kreise.

  • Als relativ neues Gefährdungsmoment sieht EC3 die aktuelle Entwicklung der so genannten „Deepfake“-Technologie, eine AI-basierte Technik, mit der Bilder/Videos in andere Videos integriert werden können. Dadurch wird möglich, bekannte Persönlichkeiten in pornografische Videos zu kopieren. Obwohl diese Technologie relativ neu ist, entwickelt sie sich sehr schnell, ist einfach zugänglich und zu handhaben. Kernprobleme zur Authentizität des Sachbeweises müssen gelöst werden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.
  • Online-Ansprachen und sexueller Missbrauch korrelieren stark. Immer mehr Kinder und Jugendliche verfügen über ein eigenes Smartphone, immer mehr Kinder und Jugendliche stellen gedankenlos selbst unzüchtiges Material her (Europol: Self-generated explicit material/ SGEM). MMS-artige Nachrichten mit Fotos, Videos und Zeichnungen werden meist als Anhang verwendet, also erfolgt die Kommunikation in diesen Fällen nicht über den Datenpfad und Inhalte werden daher nicht in den Datensätzen der ISP aufgezeichnet. Für Ermittler ein zusätzliches schwerwiegendes Problem. Immer öfter findet dieses CSEAM auf Umwegen (Agenten, Hacker, Facebook, Groomer u.a.) seinen Weg zu Pädokriminellen, die u.a. mit dem Ziel des späteren Missbrauchs des Opfers auch den Kontakt zu ihnen aufbauen (grooming) oder sie mit den Bildern erpressen oder zur Herstellung weiteren CSEAMs nötigen. Die modi operandi sind unverändert: Meist beginnt der Tatverlauf mit einem einfachen chat im open web, über eine der vielen Dienste der sozialen Medien (Facebook, Instagram, online gaming, live video platforms …), häufig mit einem völlig falschen Profil oder mit der Behauptung, gleichaltrig zu sein. Nach dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses folgt die Aufforderung auf verschlüsselte Applikationen umzusteigen (z.B. WhatsApp oder Viber), um dort das inkriminierte Bild-/Filmmaterial besser und angeblich sicherer austauschen zu können. Danach wird das CSEAM für den weiteren Missbrauch, für Mobbing oder Erpressung etc. benutzt.

Abb. 6

Quelle: LKA NW, Präventionsvideo Cyber-Kompetenzzentrum

 

Seit 2018 versucht EC3 mit dem jährlichen European Youth Day at Europol (EYD), in Gesprächen seiner Cybercrime-Experten mit Minderjährigen (12 – 15 Jahre alt) auf die online-Gefahren aufmerksam zu machen (zuletzt am 11.02.2020).

Diese Aktion knüpft an die vorherige SayNo!campaign an, die mehr präventiv gegen die sexuelle Nötigung oder den sexuellen Missbrauch kämpfte und soll immer am 18. November eines Jahres stattfinden, am European Day of the Protection of Children Against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, um an die 1989 UN Convention on the Rights of the Child zu erinnern, die am 20.November verabschiedet wurde.

 

Diese Aktionen und dieser Termin müssten EU-weit viel stärker betont, wiederbelebt und instrumentalisiert werden.

 

Letztlich hat Europol ein operatives Zusammenarbeitsabkommen mit Interpol geschlossen. Das Abkommen kann auf der Internetseite von Europol (www.europol.europa.eu) abgerufen werden.

EC3 Co-operationen

 

Im Einklang mit Kapitel V von Europol’s New Regulation arbeitet auch EC3 mit einer Reihe von externen Partnern zusammen um seine Aufgaben noch besser zu erfüllen.

 

  • Um Missbrauchsabbildungen /-filme zu verhindern, sie im Netz zu detektieren, zu verfolgen und zu verhindern, dass sie weder in P2P-Gruppen angesehen und weiter verbreitet werden, noch kommerzialisiert Verwendung finden können, arbeitet EC3 mit speziellen Berichten auch der von der Europäischen Kommission finanzierten European Financial Coalition against Commercial Sexual Abuse of Children Online (EFC),[47] zu, einem Netzwerk von Strafverfolgungsorganen, NGOs und öffentlichen/privaten Partnern (Stakeholder), das ebenfalls CSEM bekämpft.

 

  • EC3 arbeitet auch mit ENISA, der European Union Agency for Cyber Security zusammen; Europol verabschiedete 2016 ein Joint Statement, in dem insbesondere kritische Fragen zur Proportionalität von Strafverfolgung vs. Datenschutz und Ver- oder Entschlüsselung behandelt wurden[48].

 

  • EC3 arbeitet auch mit dem European Crime Prevention Network (EUCPN) zusammen, das 2015 einen Bericht zum Thema “Cybercrime: a theoretical overview of the growing digital threat“ vorstellte.

 

  • EC3 beteiligt sich ebenso bei der Virtual Global Taskforce (VGT)[49], ein weltweiter Verbund von Strafverfolgungsbehörden, die sich ebenfalls vor langem dem Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern verschrieben haben. Die ‚P4-Strategie‘ der VGT umfasst:

 

Persue:           Verfolgung von Tätern und Netzwerken;

Prevent:         Verhinderung von Tatgeschehen und Tatgelegenheiten;

Protect:          Schutz der Kinder, Opfer oder Sekundäropfer zu werden;

Prepare:        Strafverfolgungsbehörden für den Kampf gegen CSE fit zu machen.

Auf der VGT-website gibt es einen “Berichtsknopf” („Report Abuse button“) mit dem Verdachtsfälle auf Kindesmissbrauch global gemeldet werden können – ein sehr effektives Mittel zur Bekämpfung der CSE.

  • Die Opfer werden stets mindestens zweimal viktimisiert: Bei der Aufnahme der Bilder/Filme und dann, wenn der Pädokriminelle die Bilder weltweit ins Netz stellt. Zur Identifizierung von CSE-Opfern ist eine enge internationale Zusammenarbeit aller Strafverfolgungsbehörden und Experten-Organisationen unabdingbar; 2015 veranstaltete EC3 deshalb eine 12-tägige Tagung der internationalen Victim Identification Taskforce (VITF), bei der Experten von 11 Polizeibehörden und -organisationen zusammenkamen[50] und über 240 neue CSEM-Sammlungen in Interpols Datenbank „Child Sexual Exploitation Image“ (ICSE DB) eingespeist werden konnten. Der Erfolg ermutigte Europol, weitere solche Fachtagungen zu veranstalten. Im Mai 2019 fand bereits die sechste, nunmehr zweiwöchige VITF-Tagung in Form eines workshops statt, bei der sich nunmehr 34 Experten aus 24 Staaten und Analyse-Experten von Interpol mit Europols EC3 trafen, um sich auszutauschen. Insgesamt konnten 466 neue Datensets zusammengestellt und in Interpols ICSE-Datenbank eingespeist werden, weitere 280 bereits bestehende Datensets konnten angereichert werden. Vermutlich konnten bereits dadurch drei weitere Opfer sexuellen Missbrauchs an Kindern identifiziert werden (je eines in der EU, USA und der RF).

 

  • Im Bereich der public-private co-operation arbeitet EC3 auch mit der 2014, u.a. von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene Organisation WePROTECT Global Alliance to end child sexual exploitation online[51] Diese Organisation ist aus einer Fusion der britischen WePROTECT und der EC-US- Organisation Global Alliance to end child sexual exploitation online, entstanden, die 2012 von 54 Staaten gegründet worden war. Beide Organisationen zusammen zählen derzeit über 80 Regierungen, 20 global agierende Technologieunternehmen und 24 führende internationale Organisationen und NGO.

2016 veröffentlichte „die Fusion“ die Leitlinien „‘Preventing and Tackling Child Sexual Exploitation and Abuse (CSEA): A Model National Response’. Diese Leitlinien sollte es Staaten ermöglichen, die eigene Gesetzgebung, ihre Strukturen und Organisationen zu überprüfen, Schwachstellen zu erkennen und Maßnahmen zu priorisieren, um die Selbstverpflichtungen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch effektiver umzusetzen. Ob es eine Evaluierung gab, oder ein Monitoring dieser Leitlinien erfolgte, ob es Berichte, Ergebnisse, o.ä. gibt, konnte nicht festgestellt werden. Dennoch: Ein interessanter und vielversprechender Ansatz, der die internationalen Rahmenvorgaben der verschiedenen Akteure (Vereinte Nationen, EMPACT, NCMEC, EC3…) endlich vereinen könnte.

 

  • Auch mit der GSMA Mobile Alliance Against Child Sexual Abuse Content (kurz: the Mobile Alliance), die 2008 gegründet wurde, arbeitet EC3 zusammen. Diese Internationale Gruppe bringt Vertreter der Smartphone- (mobile-) Industrie zusammen, um u.a. zu verhindern, dass die mobile payment services von Organisationen oder Individuen missbraucht wird, um CSEA zu monetisieren. Dadurch soll das online-Volumen von CSEA-Material reduziert werden. Die Operatoren werden angehalten, jegliche Information über CSEA unverzüglich und direkt den nationalen Hotlines (NCMEC, IWF, BKA…[52]) zu melden, bzw. dort, wo es (immer) noch keine Hotlines gibt, den jeweiligen nationalen Polizeibehörden.

 

  • EC3 ist auch Teil der weltweiten “Internet Regierung”, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), die geschaffen wurde, um ein sicheres und stabiles Internet zu schaffen. Namentlich ist es Mitglied der Public Safety Working Group (PSWG) seines Governmental Advisory Committee (GAC) und unterstützt hier den Kampf gegen den Domain Name System (DNS) Missbrauch (Malware, Botnets, Phishing, Pharming und Spam), der weltweit nicht nur mengenmäßig drastisch zunimmt[53].

ICANN sieht übrigens auch ohne gerichtliche Anordnung explizit in vier Fällen eine unmittelbare Handlungspflicht von Register und Registraren – und eine davon ist der sexuelle Missbrauch von Kindern, weil in diesen Fällen physische und oft irreparable Bedrohungen und Beschädigungen für menschliches Leben ausgehen.

  • Auf gesamteuropäischem Niveau ist EC3 in diesem Kriminalitätsbereich auch eng mit dem Europarat („Council of Europe – CoE“) verbunden: 2010 trat die Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse (CETS No. 201) in Kraft[54], die nach dem Tagungsort auch als „Lanzarote Convention“ bekannt ist und auf der UN-Kinderrechtskonvention (CRC) fußt. Art. 34 der CRC fordert von allen Staaten unmissverständlich, Kinder vor allen Formen sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs zu schützen. Für den Europarat und für die Vereinten Nationen sind „Kinder“ Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben[55]. Die CoE-Konvention verpflichtet die Teilnehmerstaaten, sexuellen Missbrauch von Kindern präventiv und repressiv stärker zu bekämpfen, die Rechte der Kinder-Opfer zu stärken und internationale Kooperation in der Bekämpfung dieser Kriminalitätsformen zu intensivieren, die vom CoE unter anderem Namen geführt wird: Online Child Sexual Exploitation and Abuse (OCSEA). Die Umsetzung dieser Maßnahmen überwacht das sog. Lanzarote Committee, das aus von den MS nominierten Experten besteht und in Straßburg tagt, wenn mindestens ein Drittel seine Mitglieder dies beantragt. Da die EU (wie die UN, Europol, Interpol, u.a.) Teilnehmer dieser Meetings sind, sollte mit einem Antrag an den CoE, Directorate-General I – Human Rights and Rule of Law davon Gebrauch gemacht werden.

 

  • Europol unterstützte auch die Präventionskampagne des CoE „KIKO And The Hand“[56], die Kinder von 3-7 Jahren erreichen will, um ihnen die „Unterwäsche-Regel“ beizubringen: Alles am eigenen Körper, was normalerweise von der Unterwäsche bedeckt ist, gehört nur dem Kind selbst und darf ohne seine Erlaubnis nicht von anderen berührt werden. Gelehrt wird zudem, dass es gute und schlechte Berührungen gibt, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt, oder dass es das Recht hat, Küsse oder Berührungen zu verweigern, selbst wenn sie von Verwandten kommen. Kinder sollen lernen, NEIN zu sagen und solche Vorfälle einem Erwachsenen erzählen, dem sie vertrauen. Dieser Präventionsansatz scheint sich in den vergangenen Jahren nicht mehr durchgesetzt zu haben und sollte je nach aktuellem Sachstand intensiviert/reaktiviert werden.
  • Europol unterstützt auch die CoE-Initiative „Missing Children Europe“[57] und das damit verbundene CoE-Projekt „Together against sexual exploitation of children“, welches die Umsetzung der von der EU-Directive 2011/92/EU geforderten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs, der sexuellen Ausbeutung und der Kinderpornografie überwachte.

 

  • EC3 übernahm 2015 die Aufgaben der European Financial Coalition against Commercial Sexual Exploitation of Children (EFC), die den online-Kindesmissbrauch bekämpfen wollte, indem sie die Hauptakteure zusammenführte, die für die Überwachung und Finanzierung der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) mit Missbrauchsinhalten zuständig sind („follow the money“).

 

  • Die Europol-Initiative Police2Peer ist ausgerichtet auf Personen, die in P2P-Netzwerken versuchen, auf CSEA-Material zuzugreifen oder dieses zu teilen. Die Strafverfolgungsbehörden stellen in diese File-Sharing-Netzwerke eigene Dateien ein, die wie CSEA-Material aussehen, meist jedoch Dateien ohne Inhalt sind. Sobald eine Person versucht, diese scheinbar missbräuchliche Datei herunterzuladen, warnt die Polizei vor den rechtlichen Risiken und gibt Informationen, wo Hilfe angeboten wird.

 

  • EC3 arbeitet eng mit dem UNODC zusammen, dem UN Office on Drugs and Crime Die Vereinten Nationen, die vor 30 Jahren die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedete (CRC), stellte in einer Analyse vom Januar 2020 (pdf-Version nach Bezahlschranke) international eine deutliche Zunahme des Kriminalitätsphänomens Kindesmissbrauch und -ausbeutung (Child Abuse and Exploition – CSA/E) fest[58]. Der zuletzt veröffentlichte Jahresbericht von UNODC fokussiert inhaltlich aber auf Terrorismusbekämpfung, Transnationale Organisierte Kriminalität, Drogenkriminalität, Korruption und Stärkung der Kriminalprävention / Effiziierung der Strafverfolgungssysteme und geografisch eher in Afrika, Südamerika und Asien. Das UNODC Global Programme on Cybercrime erwähnt zwar die weltweite Unterstützung bei der Verbesserung der Legislative und beim Expertentraining zur Bekämpfung der CSA/E, das Thema wird aber außer durch die Produktion von zwei Handbüchern zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder nicht vertieft; es hat dort derzeit offensichtlich keine Priorität[59].

 

  • Europol’s C3 arbeitet auch mit privaten Unternehmen und der Industrie zusammen, namentlich mit Internet Service Providern (ISP/OSP), um die Flut der CSEM zu detektieren, zu bearbeiten und gerichtsfest aufzubereiten – ein absolutes, international anerkanntes „must have“, um CSEAM einzudämmen. Dafür sucht es Hilfe durch Einsatz von künstlicher Intelligenz (Artificial Intelligence – AI“), Gesichtserkennungssystemen (Face Recognition Systems) oder neuer forensischer Technologien für die Untersuchung von Mobilgeräten (z.B. MSAB[60]). Gesucht werden ähnliche Modelle wie z.B. wie bei der erfolgreichen „No-More-Ransom-Initiative“, die vor zwei Jahren zusammen mit der niederländischen Polizei und zwei Industriepartnern ins Leben gerufen wurde und den „Kunden“ nicht nur relevante Informationen anbot, sondern mehr als 60 Werkzeuge zur freien Entschlüsselung von über 100 Arten von Verschlüsselungs-Schadsoftware zur Verfügung stellte.

 

  • Vor allem muss die Europol-Konvention fortgeschrieben werden, um der Agentur mehr operative Rechte einzuräumen. Um im Kampf gegen CSEAM effektiver führen zu können, muss Europol personenbezogene Daten direkt von den OSP und anderen Datenbesitzern der Privatwirtschaft erhalten dürfen. Das Gesetzgebungsprogramm der Europäischen Kommission hatte für Ende 2020 eine Überprüfung des Mandats für Europol angekündigt. Die angekündigten Rechtsvorschriften, die OSP verpflichten werden, bekanntes Material über sexuellen Kindesmissbrauch den Behörden zu melden, sollte so umgesetzt werden, dass diese OSP diese Daten Europol, EC3, anliefern sollen, nachrichtlich den nationalen Zentralbehörden, und sollten so schnell wie möglich verabschiedet werden.

 

Europol will den EU-MS bei Ermittlungsverfahren eine Top-Level-Unterstützung bieten (insbes. bei kriminellem Missbrauch von Verschlüsselungstechnik oder Kryptowährungen), inklusive Werkzeuge und Dienste, die den EU-MS zentral zur Verfügung gestellt werden können. Dabei bedarf es immer mehr operative Unterstützung und ein enges Zusammenspiel mit dem strategischen und taktischen Bereich. Dazu gehört neben der Analyse krimineller Verfahrensweisen und Trends auch die Bewertung von neuen und zukünftigen Technologien. Das Ziel ist, einen pro-aktiven, umfassenden und effektiven Ansatz der Ermittlungsbehörden zu ermöglichen. EC3 und seine vielen verschiedenen Partner in den Bereichen Strafverfolgung, Industrie und Wissenschaft sind ein Paradebeispiel für die Möglichkeiten einer vernetzten Reaktion auf Cyber-Kriminalität. Das Modell erlaubt allen Partnern, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, zu koordinieren und zu priorisieren und führt letztlich zu internationalen Erfolgen, wie die kürzlich erfolgte Schließung zweier großer Darknet-Marktplätze. Solche Lösungen brauchen wir auch für CSEM. Das geplante Innovationszentrum und -labor als Ansprechstelle für die national einzurichtenden Zentren ist der richtige Schritt in eine bessere EU-weite Kooperation zur Bekämpfung der CSEA-Kriminalität.

 

Es ist zu leicht vermuten, dass in der weiteren digitalen Entwicklung, z.B. dem Internet of Things (IoT), dem Internet of Everything (IoE) und den Cyber-Physical Systems (CPSs) jede Menge Cybercrime-Elemente schlummern werden. Die Cybercrime-Forensik wird künftig eine enorme Bedeutung erfahren und essentieller Teil aller Strafverfolgungsbehörden werden – weltweit.

 

Über die enge Zusammenarbeit zwischen Europol und Eurojust sowie Europol und Interpol siehe die dortigen Ausführungen.

 

 

Eurojust

 

Eurojust ist die Agentur der EU für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, gegründet 2002 für den Kampf gegen Terrorismus und schwere, organisierte Kriminalität die mehr als zwei (Mitglieds)Staaten betreffen, hält enge Verbindung zum Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) und hat mit vielen internationalen Organisationen Abkommen zur Zusammenarbeit geschlossen, vor allem natürlich mit Interpol, Europol, Frontex[61] OLAF[62] und UNODC[63]  Es besteht aus hochrangigen Staatanwälten oder Richtern der EU-Mitgliedsstaaten, die in den nationalen Verbindungsbüros arbeiten.

Abb. 7

https://www.eurojust.europa.eu/sites/default/files/Publications/AnnualReport/AR2019_DE.pdf

 

Seit September 2019 hat Eurojust ein Register zur Terrorismusbekämpfung (CTR) eingerichtet, um die Intensivierung und Beschleunigung transnationalen Ermittlungen europäischer Staatsanwälte zu ermöglichen. Von Januar 2021 bis Juni 2024 gilt ein neues Abkommen zur grenzüberschreitenden Beweissicherung in Cybercrime-Verfahren, das die 4.500 Praktiker, die auf der SIRIUS-Plattform zusammenarbeiten, noch besser vernetzen wird.[64] Eurojust arbeitet eng zusammen mit dem European Judicial Cybercrime Network (EJCN).

 

Nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist Eurojust ausersehen, den Nukleus für eine künftige europäische Staatsanwaltschaft zu bilden (Art. 85 ff. AEUV).

 

Eurojust gibt seit 2019 gemeinsam mit Europol und dem EJN den Jahresbericht „SIRIUS EU Digital Evidence Situation Report“ heraus, der zweite wurde im Dezember 2020 veröffentlicht und basiert stark auf einer Umfrage bei den SIRIUS-MS, den ECJN- und EJN-Kontaktstellen von 21 EU-MS und einem Workshop mit Experten aus den USA und Irland. Der Report thematisiert besonders die schwierige und langwierige Zusammenarbeit mit non-EU Online Service Provider (OSP), den komplizierten Prozess der Beweissicherung nach den Regeln der Mutual Legal Assistance (MLA), der allzu oft an der mangelhaften und Standardisierung scheitert (zu langwierig), die EU-weit fragmentarischen Regelungen zur „Vorratsdatenspeicherung“[65] bzw. die EU-weit unbefriedigend Frage nach einem Kostenregelungssystem, die Problematik der zunehmenden Verschlüsselung und die Wirksamkeit der in allen EU-MS zum Zwecke der grenzüberschreitenden elektronischen Beweissicherung eingerichtete-Single Points of Contacts (SPoCs) – Kernthemen auch diese Studie.

Zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit Europol führte Eurojust in 2019 ein Audit durch, um Schwachstellen in der Zusammenarbeit zu erkennen und die Effektivität zu erhöhen und führte zu einer Empfehlung, die in Eurojust‘s Action Plan 2020 ihren Niederschlag fand.[66]

Inzwischen koordiniert und bearbeitet Eurojust über 8.000 Anfragen um justizielle Unterstützung (Report 2019, Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 17 %) und hat eine besondere Bedeutung in den 270 gemeinsamen Ermittlungsgruppen (Joint Investigation Teams – JIT) erlangt. Deren Zahl stieg um 35%. Die fast 4.000 anhängige Fälle, 161 JIT, die aus den Vorjahren fortdauern, und über 1.384 Großeinsätze demonstrieren die zunehmende Komplexität grenzüberschreitender Strafermittlungen und die wachsende Bedeutung von Eurojust.

 

Im Bericht 2019 wird zwar exemplarisch und relativ ausführlich der Fall einer schwedischen Mutter publiziert, die 2016 ihre fünf Kinder gezwungen hatte, vor einer Webcam zu posieren und sexuelle Handlungen zu vollführen. Die Missbrauchsvideos sollten im Internet verkauft werden. Mit einem JIT konnte in Schweden ein Ring Pädokrimineller ermittelt werden, der insgesamt 12 Kinder missbrauchte; die Mutter floh, konnte aber mit Hilfe Europols 2018 in Malaga/Spanien ausfindig gemacht und festgenommen werden. Schwedische Jugendbehörden waren eingebunden, um die Kinder wieder sicher nach Schweden zurückzubringen. Die Mutter wurde 2019 zu einer Freiheitsstrafe von nur viereinhalb Jahren verurteilt, ein männlicher Kunde, der die CSEA-Materialien wiederholt kaufte, zu dreieinhalb Jahren.

 

Allerdings ist die Bedeutung Eurojusts im gesamten Bereich Cybercrime mit nur acht Fällen und nur drei Aktionstagen[67] offensichtlich noch recht überschaubar. Um welche Cybercrime-Fälle es sich handelt, ist nicht ausgewiesen. Eine Fachtagung im Juni 2019 war dem Thema Cybercrime gewidmet. Das Kriminalitätsphänomen CSEA ist ansonsten im Jahresbericht im Zusammenhang mit der GLACY-Konferenz[68] vom September 2019 und eher am Rande und/oder im Zusammenhang mit Menschenhandel erwähnt.

 

Gerade im Hinblick auf die Vermögensabschöpfung bei CSEA-Tätern wäre eine stärkere Aktivität von Eurojust wünschenswert. 

 

Interpol

 

Interpol ist die älteste internationale Polizeiorganisation, gegründet 1923 (IKPO), juristisch ein Verein, eingetragen nach französischem Privatrecht und inzwischen auf vertraglicher Basis auf 194 Mitgliedsstaaten angewachsen. Die Interpol führt keine internationalen Kriminalitätsstatistiken und verfügt über keine eigenen Fahnder und Ermittler, sondern koordiniert nur die Zusammenarbeit nationaler Ermittler. Es gilt der Grundsatz der nationalen Souveränität. Überlegungen wie sie derzeit bei Europol angestellt werden, ob man Polizeibeamte mit Exekutivbefugnissen auch im Ausland ausstatten sollte (Stichwort EuroCOP), sind bei Interpol kein Thema.

 

Die Bedeutung und Wirkung der Interpol ist zunächst ihre Pionierarbeit im Bereich der internationalen polizeilichen Kooperation, besonders im technischen und rechtlichen Bereich. Seit 1997 hat Interpol einen Sitz in der UN als Beobachter. Im Zeitalter der Globalisierung und der internationalen digitalen Vernetzung gewinnt das Interpol-Generalsekretariat durch das Interpol Global Communication System (I-24/7) zunehmend an Bedeutung. Seit 2002 verbindet I-24/7 fast alle Nationalen Zentralbüros (NZB), in Deutschland das BKA, in den USA wurde dafür eigens eine eigene Dienststelle eingerichtet. Der Austausch von Informationen erfolgt in vier offiziellen Sprachen (Englisch, Spanisch, Französisch und Arabisch).

 

Vor allem aber der Ausbau seiner Funktion als Sammelstelle internationaler Datenbestände, auf die die einzelnen Mitgliedsländer zurückgreifen können, ist von wachsender Bedeutung. Interpol verfügt heute über sehr umfangreiche Datensammlungen, z.B. über Personen, Fingerabdrücke, DNA-Profile vom Tatort oder vom Mundhöhlenabstrich Verdächtiger (noch im Aufbau), gestohlene Fahrzeuge / Fahrzeugscheine und Reisedokumente / Ausweise (Automated Search Facility – ASF), verschwundene Kunstgegenstände, zum unsachgemäßen Umgang mit radioaktivem Material oder eben zum sexuellen Kindesmissbrauch, speziell zu Missbrauchsabbildungen/-filme sexueller Gewalt gegen Kinder.

 

INTERPOL hat eine eigene Spezial-Einheit für dieses Kriminalitätsphänomen aufgebaut, das Crimes Against Children Team (CACT), in dem über 100 speziell ausgebildete Ermittler aus mehr als 60 Staaten arbeiten, um Informationen auszutauschen und entsprechende Daten mit Kollegen aus der ganzen Welt zu teilen. Diese Gruppe besteht aus Strafverfolgern, regionalen und internationalen Organisationen, NGOs, Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft, und trifft sich jährlich um neue Trends und Techniken zu diskutieren, um die Analyse- und Ermittlungsarbeit zu verbessern („good practice approach“).

 

Die Unit betreibt seit 2008 eine spezielle Datenbank, die International Child Sexual Exploitation (ICSE)[69] und sammelt darin mit den an die Datenbank angeschlossenen 64 Staaten[70] und mit Europol über 2,7 Millionen von Bildern, Videos, sonstige digitale und audiovisuelle Inhalte, die die Basis für ihre kriminalistische Analyse und für die Unterstützung der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten sind. Algorithmen suchen key words in den pädokriminellen Foren und Chat Rooms, sie sind die basic tools der Ermittler. Die von Interpol inzwischen eingesetzte „Crawler“-Software erkennt u.a. auch die Nacktheit der abgebildeten Personen oder ihr vermutliches Alter (durch strukturierte Gesichtserkennungs-Software). Wenn immer Bilder, Filme oder Texte mit solchen Inhalten im Internet gefunden wird, fügt sie die Software der Datenbank hinzu, nachdem Experten geprüft haben, ob es sich tatsächlich um Missbrauchsabbildungen, -filme oder -texte handelt.

 

Die Abbildungen/Filme zeigen zwar nur selten den/die TäterIn, sondern meist nur die kindlichen Opfer – manche von ihnen sind jünger als ein paar Tage oder Wochen! Dennoch gelingt es den Ermittlern immer häufiger und schneller, durch den Einsatz spezieller, bildvergleichender Software weltweit über 23.500 Opfer zu identifizieren, Duplikate herauszufiltern, die Verbindungen zwischen den Opfern, den Tatorten und den Tätern herzustellen und 10.752 Tatverdächtige zu analysieren. Den Erfolg zeigt das nachfolgende Schaubild:

Abb. 8

https://www.interpol.int/Crimes/Crimes-against-children/International-Child-Sexual-Exploitation-database

Dennoch bleibt festzustellen, dass täglich immer noch Millionen von Bildern und Filmen missbrauchter Kinder im Netz kursieren, die nicht identifiziert und deren Täter nicht ermittelt werden konnten. Manches CSEA-Material bestimmter Kinder erscheinen über die Jahre sogar immer wieder im Netz.

Eine Studie nach einer Zufallsauswertung des Bildmaterials der ISCE-Database, die Interpol (CACT) im Februar 2018 gemeinsam mit ECPAT[71] International durchführte („Towards a Global Indicator on Unidentified Victims in Chield Sexual Exploitation Material”), ergab, dass es offensichtlich eine direkte Beziehung zwischen Alter/Gender und Schwere der pädokriminellen Verbrechen gibt: Jungen und sehr junge Kinder werden offensichtlich eher Opfer meist schwerer sexueller Gewalt. Anders gesagt: Je jünger die Opfer, desto schwerer der Missbrauch – das gilt selbst für Babys.[72]

Ein weiteres, stetig anwachsendes Problem sei das Phänomen des vom Opfer selbst produzierten CSEA-Materials, das vielfältige Probleme erzeuge.

Die ICSE-Datenbank ist jedoch nicht einzigartig, sie besteht neben zwei anderen, vergleichbaren Datenbanken, eine in den USA (NCMEC Child Recognition and Identification System- CRIS) mit dem angeschlossenen Child Victim Identification Program (CVIP) und in den UK (Child Abuse Image Database – CAID). Bis vor kurzem existierte noch in Kanada bei der Royal Canadian Mounted Police das Child Exploitation Tracking System – CETS-Canada). 2018 kündigte die Australian Intelligence Commission an, eine solche Datenbank mit gleichem Namen (CETS-Australia) zu schaffen.

 

Die Entwicklung weiterer Datenbanken und zusätzlicher Initiativen auf lokaler oder regionaler Ebene muss daher kritisch hinterfragt werden (wie z.B. das 2013 von den Niederlanden initiierte Projekt „In-4-mation“ oder die vom LKA Niedersachsen entwickelte, lernfähige Bildsichtungs-Software zur Erkennung von CSEA-Material, die seit Juni 2020 im Praxisbetrieb und inzwischen auch schon in mehreren anderen Bundesländern im Einsatz ist.[73]. Vielleicht mit Ausnahme von nationalen Datenbanken für Travelling Sex Offenders (TSO), führen sie eher zu einem Überfluss an Datensystemen, unnötige Duplizierung von Bilddaten, Vergrößerung der Koordinierungsproblemen und insgesamt zu höchst sub-optimalen Ergebnissen in Bezug auf Workflow und Effizienz.

 

Das Gegenteil ist m.E. erforderlich, zumal ja, technisch gesehen, alle derartigen Datenbanken dem gleichen Hash-Based-Matching-Prinzip folgen. „Microsoft Inc.’s PhotoDNA“ und „Videntifier Technologies’ visual fingerprints“ benutzen bei der Detektion von CSEAM, zudem unterschiedliche Algorithmen, um die Hash-Sets für jedes Bild zu schaffen, die in den nationalen oder internationalen Datenbanken gesammelt werden („hash sets“ = Fingerabdrücke für Bild-Dateien). Seit neuestem arbeiten die Tech-Riesen FacebookCVIPCAID / Instagram und Google im „Project Protect“ auch mit Twitter und Dropbox zusammen, um CSEAM ausfindig zu machen und deren Weiterverbreitung zu unterbinden. In der Folge verlagert sich der Markt immer mehr in das Darknet und/oder verschlüsselt in zunehmendem Maß das Material.

 

Diese Datenbanken für Bild- und Filmmaterial schwellen inzwischen extrem an. In einem durchschnittlichen Ermittlungsverfahren fallen inzwischen einem bis drei Terabyte an Daten an (Netclean 2017). Millionen von Bildern und Tausende Stunden an Videos warten auf tiefergehende Analysen für jeden Verdächtigen und für jedes Opfer. Da ist es sinnvoll, erst zentral und automatisiert CSEA-Material zu checken, um danach die zusammengefassten und bereinigten Zwischenergebnisse den IT-Forensikern zu präsentieren – auch aus Gründen der Fürsorge und der mentalen Hygiene.

 

Zentrale hash-sets erleichtern auch die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor; so nutzen prominente US-Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter hash-sets erkannter CSEA-Materialien, die von NCMEC geliefert werden. Damit können sie ihre Plattformen selbst überwachen, um schon den Ladevorgang dieser Materialien zu verhindern. Auch Interpol schuf einen solchen hash-set für sein Projekt „Baseline“, das sich zunächst an Internet Service Provider wendete (ISP), jedoch inzwischen auch non-ISP Unternehmen erreicht.

COSPOL (Comprehensive Operational Strategic Planning for the Police) war 2004 auf Initiative von Norwegen und dem Vereinigten Königreich von der European Police Chief Task Force (EPCTF) ins Leben gerufen worden, vereinte 14 Mitgliedsstaaten[74] und verstand sich als eine Art operative, ermittelnde Ergänzung in der Landschaft der internationalen Organe und Agenturen wie Europol und Interpol, denen es ja bekanntlich an eigenen Ermittlungsbefugnissen mangelt. Ziel von COSPOL sei die Entdeckung und Zerschlagung von kriminellen Netzwerken und Organisationen. Eines der Kriminalitätsphänomene ist die Produktion und die Verteilung von CSEAM. Hierfür wurde das Projekt CIRCAMP (COSPOL Internet Related Child Abusive Material Project) gegründet, das von Europol und Interpol analytisch unterstützt wird (werden muss), obwohl es neben den bestehenden oder möglichen Joint Investigation Teams (JIT) als zusätzlicher, paralleler Akteur m.E. nicht gerade dienlich ist. Der Block- und Filter-Methodik folgend war die Schwerpunktaktion von CIRCAMP die Entwicklung, Implementierung und Verteilung eines Child Sexual Abuse Anti Distribution Filters (CSAADF) – ein eher rein präventiver Ansatz, der gerade die von COSPOL angestrebte intensivierte repressive Ermittlungstätigkeit zur Identifizierung von Opfer, Tatort und Täter verhindert. Acht der Länder nutzen CSAADF, um Webseiten zu blockieren, stellen Listen mit den URLs dieser Webseiten und stellen sie den ISP zur Verfügung, damit diese über die Domainnamen eine Stopp-Seite auf dem Computer/mobilen -endgerät des Nutzers angezeigt wird. Die erfassten Daten werden an Europol weitergeleitet und Interpol erstellt eine „Worst of list of domains (IWOL)“ für die Mitgliedsstaaten.

Dieses Verfahren wird in der Internetgemeinde und von mehreren namhaften NGO durchaus kritisch, als eine Art Zensur gesehen („extreme action“… „goodbye democracy“)[75], zumal es sich als „Büchse der Pandora“ erweisen könnte, wenn u.a. auch Urheberrechtsverstöße damit gefiltert werden könnten. Eine Reihe anderer guter Gründe spricht gegen diesen Ansatz,[76] der jedoch nach Auswertung offener Quellen nach den heftigen internationalen Datenschutzreaktionen ohnehin seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr von sich reden macht. Es ist schwer verständlich, dass die Europäische Kommission, die Task Force der europäischen Polizeichefs, Europol und Interpol so viel Ressourcen in ein Blockier und Filtersystem investieren, statt die Verbrechen direkt zu verfolgen.

Auch m.E. ist es wichtiger, die CSEA-Produktion zu stoppen als die Verbreitung.

Weder die Strafverfolgungsbehörden und -organisationen, noch die Inhalteanbieter oder die Serviceprovider (OSP) können das Problem alleine lösen. Das Kriminalitätsphänomen Online-CSEA verlangt m.E. auf globalem Niveau eher mehr konzertierte Anstrengungen, Aktionen und mehr Fusionen.

OSP könnten erkanntes CSEA-Material, statt zunächst erst an eine nationale Zentralbehörde, theoretisch durchaus auch unverzüglich an eine globale (Interpol) oder kontinentale Stelle (Europol, NCMEC oder CETS Australia) senden und die nationalen Zentralbehörden nachrichtlich informieren. Letztlich: Die künftigen Investitionen in Automation, Cloud Computing, IT-Forensik und die unbedingt erforderliche Artificial Intelligence (AI) übersteigen ohnehin alle personellen und finanziellen Ressourcen der nationalen und auch internationalen Akteuren, was nach Pool-Lösungen ruft.

Abb. 9

Organisation von CSEM/CSAM in der ICSE Database (Quelle: 2018 Interpol/ECPAT- Technical Report)

 

 

 

European Union

 

Die Bemühungen der Europäischen Union, Missbrauchsabbildungen und -filme sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen von Internet Service Providern (ISP) blockieren oder filtern zu lassen, reichen zurück bis 1996, als die Communication on Illegal and Harmful Content on the Internet (COM (96) 487 final) und das Green Paper on the Protection of Minors and Human Dignity in Audio-Visual and Information Services (COM (96) 483 verabschiedet wurden. Die Wirkungen der beiden Dokumente waren jedoch arg begrenzt. Erstens haben die Mitgliedstaaten die beiden Papiere sehr unterschiedlich angesehen und umgesetzt, und selbst im Bereich der Missbrauchsabbildungen/-filme sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen variierten die nationalen Gesetzgebungen zum Teil erheblich. Zweitens minderte die Subsidiaritätsklausel ein einheitliches Vorgehen erheblich, indem die nationalstaatlichen Interessen im Vordergrund standen. Drittens betonte selbst die Europäische Kommission ihre begrenzte legislative Kompetenz, so dass von Anfang an zwischen illegalen und schädlichen bzw. gefährlichen Inhalten (harmful content) unterschieden wurde, die separat angegangen und behandelt wurden.

 

Der Schwerpunkt bei Kinderpornografie lag zunächst auf Annäherung oder gar. Harmonisierung der nationalen Gesetze. 1999 bis 2005 betrieb die EC ein sehr bedeutsames Programm, die Finanzierung und Einrichtung nationaler Hotlines und Kontaktstellen zur online-Meldung illegaler Inhalte und zur Benachrichtigung der ISP.

Die nächste Aktion war die 2000 Council Decision to Combat Child Pornography on the Internet (2000/375/JHA), nach der die Mitgliedsstaaten aufgefordert wurden, mit „technischen Mitteln“ die Verteilung von kinderpornografischem Material zu blockieren.

Diese Empfehlung war jedoch nicht sehr erfolgreich. Diese Council Decision wurde zwei Jahre später durch das Europäische Parlament gestoppt[77], da sich technische Blockaden als weitgehend ineffektiv für die Bekämpfung der Kinderpornografie herausstellten, dagegen die Meinungsfreiheit übergebührlich bedrohten. Die nächste Council Framework Decision on Combating the Sexual Exploitation of Children and Child Pornography (2004/68/JHA) enthielt daher keine Empfehlung mehr für das technische Blockieren illegaler Inhalte – allerdings blieb es den Mitgliedstaaten freigestellt, solche Techniken einzusetzen.

 

2006, nach der Evaluation des 2003-2004 Safer Internet Programme (COM (2006) 663 final), wurde die Blockiertechnik erneut zu einem bedeutenden Hilfsmittel im Kampf gegen Kinderpornografie erklärt und die Mitgliedsstaaten aufgefordert, diese europaweit zu installieren und zugleich eine black list von bekannten illegalen Seiten einzurichten. Anlass für diesen Richtungswandel war die signifikante Steigerung der Zahl von Internetseiten mit kinder- oder jugendpornografischen Inhalten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) berichtete von einer Steigerung von 1.894 Domains (2014) auf 3.077 Domains (2006), was eine Art moralische Panik insbesondere bei den Mitgliedsstaaten, die bisher keine Blockaden installiert hatten, auslöste. Da zudem England und Schweden, die solche Blockiersysteme etabliert hatten, positive Erfahrungen demonstrierten, waren die früheren Sicherheitsbedenken behoben.

 

Dieser Trend wurde im Mai 2007 weiter fortgesetzt mit dem Commission document ‘Towards a general policy on the fight against cyber crime’ (COM (2007) 267 final), in welchem eine Politik der “public-private agreements” empfohlen wird, mit welcher  EU-weit Seiten mit illegalen Inhalten, speziell mit Material zum sexuellen Missbrauch, blockiert werden sollen[78].

 

Im März 2009 wurde dieser Ansatz durch die Europäische Kommission weiter verfestigt, indem sie eine Framework Decision on Combating the Sexual Abuse of Children (COM (2009)135 final) vorschlug, die erstmals die Mitgliedsstaaten verpflichtete, online den Zugang zu inkriminierten Seiten zu blockieren. Mit dem Inkrafttreten des EU-Lissabon-Vertrages wurde die gleiche Vorlage als Directive (COM (2010) 94 final) umgesetzt

 

Die in der Wissenschaft immer noch strittigen Blockier-/Filtersysteme sind in Dänemark, Finnland, Italien, Malta, Norwegen und Schweden mit Einführung des Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter (CSAADF), unter polizeilicher Führung in der Praxis und auf nationaler Ebene erprobt worden. Noch immer gibt es keine EU-weite Blocklist, allerdings arbeitet CIRCAMP mit Unterstützung von Interpol und Europol an einer „worst-of“ Liste, in der aufgenommen wird, was in allen Teilnehmerstaaten als illegal gilt. Andere Mitgliedsstaaten arbeiten mit „industriegeführten“ Systemen (IWF in UK), die wenigstens von staatlich unabhängigen Organisationen überprüft werden.

 

Um die gesetzlichen Regelungen noch mehr anzunähern/zu harmonisieren und das Monitoring dieses Prozesses zu verbessern, wurde 2011 die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie verabschiedet (vor 10 Jahren!).

Damit wurde eine ganze Reihe von online und offline begangenen Handlungen (sexuelle Missbräuche) neu eingestuft (20 verschiedene Straftatbestände), inhaltliche Verbesserungen oder Aktualisierungen vorgenommen), Regelungen zum Strafrahmen, zu Verjährungsfristen oder zum Informationsaustausch getroffen u.v.a.m. Im Dezember 2016 veröffentlichte die Kommission zwei Berichte über den Stand der Umsetzung dieser Richtlinie. Der Bericht zur Direktive selbst offenbart, dass erhebliche Probleme in der Umsetzung bestanden, d.h. dass die Richtlinie (noch) nicht befriedigend und schon gar nicht fristgerecht umgesetzt wurde. Die Kommission musste daher gegen die 15 säumigen Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren einleiten, um bis zum Berichtstermin Antworten zu bekommen. Die Ergebnisse der rechtlichen Umsetzungen sind eigentlich ein Art Offenbarungseid: Zu unterschiedlich sind die Art der Umsetzung, die Begrifflichkeiten, die Definitionen, zu vage die Antworten oder es wurden zu „wenig aufschlussreiche Informationen“ übermittelt. Kein einziger Artikel der Richtlinie ist einheitlich umgesetzt worden. Zwar wurden „erhebliche Anstrengungen“ konstatiert, doch wird auch beklagt, dass „gegenwärtig einige der größten Herausforderungen für die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den Präventions- und Interventionsprogrammen für Straftäter (Artikel 22, 23 und 24), dem materiellen Strafrecht (Artikel 3, 4 und 5) sowie den Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Opfer im Kindesalter (Artikel 18, 19 und 20) stehen – mit den Kernpunkten also.

Die Kommission sollte vom EP aufgefordert werden, diese EU-Richtlinie erneut zu evaluieren und sie sollte bereits im Vorfeld auf ihre Durchsetzungsbefugnisse hingewiesen werden (Vertragsverletzungsverfahren).

 

Auch die Zuarbeit zum Bericht über die Bewertung der von den MS getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderpornografie (COM (2016) 872 final vom 16.12.2016 wurde nicht von allen Mitgliedsstaaten termingerecht und vollinhaltlich geleistet. Wenigstens haben fast alle Mitgliedsstaaten Hotlines eingerichtet, die befugt sind, auf das Material zuzugreifen (mit Ausnahme von BE, ES und IT, die ihrer Informationspflicht vermutlich über Europol oder Interpol Genüge leisten); Die Dachorganisation dieser Hotlines ist INHOPE[79]. Jedoch sind die Meldeverfahren sehr unterschiedlich und damit unterschiedlich lang. In 93% aller Fälle wird das CSEAM aber innerhalb maximal 72 Stunden aus dem Internet entfernt – das ist eindeutig zu spät, in dieser Zeit kann das Material millionenfach weiterverbreitet werden. Selbst die Regelung zur Entfernung von CSEAM oder von Sperrungen sind nicht einheitlich umgesetzt worden.

Dennoch will die Kommission keine Änderungen des Art. 25 der Richtlinie erwägen, sondern baut darauf, dass der „geschaffene Mehrwert Kindern in vollem Umfang zugutekommt“ und die MS diese Bestimmungen uneingeschränkt umsetzen werden. Na, dann! Auch hier ist die Kommission darauf hinzuweisen, darauf zu drängen, dass die Richtlinie voll inhaltlich umzusetzen ist.

Die EU-Security Union Strategy für die Jahre 2020 bis 2025 adressiert insbesondere die Bedrohung der Cyber-Sicherheit in den Mitgliedsstaaten und fordert diese auf, ihre Anstrengungen zu Erreichung dieses Ziels zu verstärken, dafür auch eng zusammenzuarbeiten und gewonnene Erkenntnisse und Informationen zu teilen.   Zu diesem Zweck wurde 2016 die NIS-Richtlinie (Directive on security of Network and Information Systems)[80] verabschiedet, mit der die Gesetzgebung in Sachen Cyber-Sicherheit in allen Mitgliedsstaaten bis Ende 2020 harmonisiert/implementiert werden muss, die dann überprüft wird. Von besonderer Bedeutung sind die Einrichtung von nationalen NIS-Zentralstellen, Aufbau von Computer Security Incident Response Teams (CSIRT), eine homogene Sicherheitskultur in allen KRITIS-Bereichen und Austausch von „best-practice“-Modellen über das „NIS-toolkit“. Damit soll die EU fit für das digitale Zeitalter gemacht werden.

Am 27.06.2019 wurde der Cybersecurity Act verabschiedet, der ein EU-weites Rahmenwerk für die IT-Zertifizierung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen etabliert und das Mandat der Agentur der Europäischen Union für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) gestärkt werden soll, der auch eine zweijährige Berichtspflicht gegenüber der Kommission abverlangt wird. (nix Parlament?) Der Cybersecurity Act ist für das hier behandelte Kriminalitätsphänomen jedoch kaum relevant.

Die Überprüfung der NIS-Richtlinie[81] führte erneut zu sehr unterschiedlichen, unvollständigen und unerfüllten Ergebnissen und fiel insgesamt recht kritisch aus („Enforcement regime of NIS is ineffective“…“MS do not share information systematically with one another“). Mitte Dezember 2020 wurde daher ein Vorschlag für eine neuen NIS-Richtlinie (NIS2)[82] unterbreitet, mit der durch systematische und strukturelle Änderungen die erkannten Mängel behoben werden sollen und in der u.a. auch auf die Schaffung einer Gemeinsamen Cyber Einheit (Joint Cyber Unit), einer neuen Cyber Security Strategy, präzisere Vorschriften für Berichtspflichten, -inhalte und -termine bei besonderen Ereignissen gedrängt wird. Die Thematik CSEA wird mit dem letztgenannten Schwerpunkt allenfalls nur indirekt angesprochen. Ansonsten sind die Maßnahmen, die innerhalb der nächsten 18 Monate umgesetzt werden sollen, mehr technischer Natur und kaum relevant für das hier behandelte Kriminalitätsphänomen.

 

 

Akronyme

 

AAPA                         Audiovisual Anti-Piracy Alliance

AI                                Artificial Intelligence (dtsch: Künstliche Intelligenz (KI))

AP                              Analysis Project (Europol)

ASF                            Automated Search Facility (Interpol)

BKA                            Bundeskriminalamt

CAAR                        Consolidated Annual Activity Report (Konsolidierter jährlicher Tätigkeitsbericht)

CACT                         Crime Against Children Team (Interpol)

CAID                          Child Abuse Image Database (UK/IWF)

CEDAW                     Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

CEOP                        Child Exploitation and Online Protection Center [Zentrum für Kinderschutz gegen Ausbeutung im Internet]

CEPOL                      European Agency for Law Enforcement Training

CETS                         Child Exploitation Tracking System (Kanada, Australien)

CIRCAMP                 Cospol Internet Related Child Abusive Material Project

CJM                           Cybercrime Judicial Monitoring

CMS                           Case Management System (Fallbearbeitungssystem)

CoE                            Council of Europe (Europarat)

COSPOL                   Comprehensive Operational Strategic Planning for the Police

CPSs                          Cyber Physical Systems

CRC (KRK)               Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz: Kinderrechtskonvention

CRC-Komitee           UN-Komitee über die Rechte des Kindes

CRIS                          Child Recognition and Identification System (NCMEC)

CSA                           Child Sexual Abuse

CSAADF                   Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter

CSE                           Child Sexual Exploitation

CSEA                         Child Sexual Exploitation and Abuse

CSEAM                     Child Sexual Exploitation and Abuse Material

CSIRT                        Computer Security Incident Response Teams

CTR                           Counter-Terrorism Register (Justizielles Terrorismusregister)

CVIP                          Child Victim Identification Program (NCMEC)

DDoS                         Distributed Denial of Service

DNS                           Domain Name System (ICANN)

EAW                           European Arrest Warrant (Europäischer Haftbefehl (EuHb))

eco                              Europäischer Verband der Internetwirtschaft e.V.

ECPAT                      Ending the Sexual Exploitation of Children [Sexuelle Ausbeutung von Kindern beenden]

EC3                            Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität bei Europol

EEA                            Europäische Ermittlungsanordnung

EFC                            European Financial Coalition against Commercial Sexual Exploitation of Children (Europol)

EIO                             European Investigation Order (Europäische Ermittlungsanordnung- EEA)

EJCN                         Europäisches Justizielles Netzwerk gegen Cyberkriminalität

EJN                            Europäisches Justizielles Netz

EJR                            Eurojust-Verordnung

EMPACT                   European Multidisciplinary Platform Against Criminal Threats (Europäische multidisziplinäre Plattform gegen kriminelle Bedrohungen)

ENISA                        European Union Agency for Cybersecurity

ENPE                         European Network of Prosecutors for the Environment (Europäisches Netz der in Umweltsachen tätigen Staatsanwälte)

EPPO                         Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA)

EU                              Europäische Union

EUCPN                      European Crime Prevention Network

EuHb                          Europäischer Haftbefehle

EU-MS                       EU-Mitgliedsstaaten

EUROMED               Euro-Mediterranean Partnership (Euro-mediterrane Partnerschaft)

EUROPOL                European Union Law Enforcement Agency (Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung)

EUStA                        Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO)

EYD                           EUROPEAN YOUTH DAY (EUROPOL)

Frontex                      Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der EU

GAC                           Governmental Advisory Committee (ICANN)

GLACY                      Global Action on Cybercrime (Weltweite Bekämpfung der Cyberkriminalität)

GSMA                        Mobile Alliance Against Child Sexual Abuse Content (Mobile Alliance)

GZ                              Gemeinsames Zentrum für Polizei- und Zollzusammenarbeit

HashDBPS               Hashwerte-Datenbank Pornografische Schriften (BKA)

HAVEN                      Halting Europeans Abusing Victims in Every Nation  (Europol)

ICANN                       Internet Corporation for Assigned Names and Numbers

IKT                             Informations- und Kommunikationstechnologien

INHOPE                    International Association of Internet Hotlines 8Dachverband der Internet-Beschwerdestellen)

INTERPOL                International Criminal Police Organization (Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO))

IOCTA                       Internet Organised Crime Threat Assessment (Europol)

IoE                              Internet of Everything

IoT                              Internet of Things

ISCE                          International Child Sexual Exploitation Database (Interpol)

ISP                             Internet Service Provider

IWF                            Internet Watch Foundation (UK)

IWOL                         Interpol Worst List of domains

J-CAT                        Joint Cybercrime Action Taskforce (Verbund zur internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Cyberkriminalität)

JCU                            Joint Cyber Unit

JHA                            Justice and Home Affairs (Justiz und Inneres)

JIT                              Joint Investigation Team (Gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG))

KSAK                         Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern

LDCA                         Live distant child abuse (Europol)

MENA                        Middle East and Northern Africa (Naher Osten und Nordafrika)

MLA                           Mutual Legal Assistance (Rechtshilfe)

NCMEC                     National Center for Missing and Exploited Children

NIS                             Network and Information Systems across the Union (NIS Dirctive)

NGO                           Non-Governmental Organisation [Nichtregierungsorganisation]

NZB                            Nationales Zentralbüro (für Interpol und Europol)

OAP                            Operativer Aktionsplan

OCG                           Organised Crime Group (Gruppe organisierter Kriminalität)

OCSEA                      Online Child Sexual Exploitation and Abuse (Europarat)

OLAF                         Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung

OPSC                        Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention über den Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornographie

OSCE                        Organisation for Security and Co-operation in Europe (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE))

OSP                            Online Service Provider

P2P                             Peer-to-Peer Netzwerke

PNR                           Passenger Name Record (Europol)

PSWG                       Public Safeety Working Group (ICANN)

SGEM                        Self-Generated Explicit Material (Europol)

SIRIUS                      Scientific Information Retrieval Integrated Utilisation System (Integriertes Nutzungssystem zur Auffindung wissenschaftlicher Daten)

SPoCs                        Single Points of Contacts (Eurojust)

TCM                           Terrorism Convictions Monitor (Bericht über Verurteilungen wegen terroristischer Straftaten)

THB                            Trafficking in human beings (Menschenhandel)

TOR                           The Onion Router

TSO                           Travelling Sex Offenders

TWINS                       Analysis Project Twins supports the prevention and combating of all forms of criminality associated with the sexual exploitation and abuse of children.

UK                              Vereinigtes Königreich

UN                              Vereinte Nationen

UNAIDS                    Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV/AIDS

UNICEF                     Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen

UNODC                     Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung

UNWTO                    Welttourismusorganisation

US(A)                         Vereinigte Staaten (von Amerika)

USAID                       Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung

VGT                           Virtual Global Taskforce

VITF                           Victim Identification Taskforce (Europol)

WHO                          Weltgesundheitsorganisation

ZAC                            Zentrale Ansprechstellen Cybercrime (bei Justiz, für Wirtschaft und für CSEA)

 

 

Anlage 1

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sexualisierte-gewalt-kinder-sexueller-missbrauch-kinderpornografie-anhoerung-bundestag-strafrahmen-verbrechen-keuschheitsprobe/

Sexting

These concerns have become all the more acute in the face of recent empirical evidence which suggests that sexual materials produced by children have become firmly embedded in the larger corpus of CSAM/CSEM in circulation.65Sexting may be broadly understood as the exchange of sexually explicit material via ICT,66 typically encompassing picture, video and textual content. While most research and public discourse on this phenomenon has addressed the problematic aspects of children’s sexting behaviours, sexting behaviour can function as a form of flirting and adolescent experimentation, and to enhance a sexual relationship.67 Notwithstanding, substantial concerns have been expressed around the permanence of the imagery that is produced in the context of sexting activities and its potential to lead to long-lasting and harmful consequences for children and young people.68 Particular focus has been given to legally problematic materials produced in the course of sexting exchanges, which have been described as ‘youth-produced sexual images’, or ‘pictures created by minors (age 17 or younger) that depict minors and that are or could be child pornography under applicable criminal statutes’.69Law enforcement, education, and social care professionals work with children whose formative sexual experiences are based upon such imagery.70 Problematically, many children perceive little wrong with the redistribution of sexually explicit images of their peers, or pressuring another child to producing and sharing a sexual image of themselves.71 At country level, schools in the United Kingdom have reported increasing experiences of cases featuring prepubescent children involved in the production or exchange of ‘youth-produced sexual imagery’.72 Here, the concern is not alone the production and dissemination of ‘youth-produced sexual imagery’ at increasingly young ages, but the associated problems of sexual abuse and exploitation of younger-age children that can result from this behaviour. The longer-term implications of this scenario are unclear, but can be linked to increasing criminal justice system engagement with children and young people as ‘perpetrators’ of CSAM/ CSEM-related offences. A recent Freedom of Information request to the UK’s Ministry of Justice by Phippen and Brennan73 demonstrated a year-on-year increase (2010-2015) in the number of prosecutions of 18-24 year olds under section 1 of the UK’s Protection of Children Act 1978. Indeed, a general increase in such offences was observed across this 5-year period where the perpetrator was a minor.74 This data indicates an increasing number of youth CSAM/CSEM users becoming engaged with law enforcement and the criminal justice system. Here the need for accurate classification and victim identification is particularly acute, given the complexity of some case presentations involving minors, where the distinction between victim and perpetrator is difficult to make. This cohort is at particular risk of falling through the cracks for victim identification, particularly where child subjects of ‘self-generated’ CSAM/CSEM are classified as perpetrators rather than victims. The victim-blaming attitudes towards those featured in exploited ‘self-generated’ material that prevail among young people, responses that emphasise the illegality of ‘sexting’ practices with frequent recourse to prosecution, and attendant reluctance for victims to report, act as major barriers to victim identification and assistance in these cases.75One obvious consequence of the variable presentation of sexting behaviours is that the cases that come to the attention of law enforcement are highly varied in presentation and context. Cases range from comparatively benign activities (e.g. where sexual materials are produced and shared in the context of a romantic adolescent relationship), to instances of explicit criminal harm (e.g. where a child is coerced into producing the material). Therefore, an on-going challenge remains: that of reliably distinguishing sexting behaviours and engagements with youth-produced imagery where some form of criminal harm is apparent, and where there is a public interest in sanctioning and managing the perpetrators. Outside of cases of illegal adult involvement, there may be a public interest in criminal sanction in a proportion of peer-perpetrated sexting cases, e.g. where the case features coercion and other exploitative dimensions, or the exploitation and abuse of prepubertal children. Indeed, the online sexual extortion of children has emerged as a substantial challenge in these investigations. Online sexual extortion activities targeting children occur at the intersection of a number of criminal behaviours, including financial extortion, sexual grooming and online solicitation, and may bear the characteristics of one or all of these offences. This apparent overlap can give rise to conceptual confusion regarding the nature of online child sexual extortion, the criminal offences that may be implicated in this activity, and present challenges to reporting, victim identification, and other management interventions.76 For example, a recent US survey of youth implicated in cases of sexual coercion and extortion determined that only 13% of victims reported their case to law enforcement.

 

 

 

 

 

 

Anlage 2

Fragebogen für den wissenschaftlichen Dienst (WD) des Europaparlaments

 

Kindesmissbrauch und Kinderpornographie sind nicht nur eine besonders schwere Form der Verletzung des Kindeswohls, das auch von Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention geschützt ist (seit 1992 deutsches Bundesrecht), sondern sind besonders widerliche Gewaltdelikte, weil sie sich die Schwächsten unserer Gesellschaft, die Schutzbedürftigsten zum Ziel macht, welche die geringste Beschwerdemacht und realiter die wenigsten (politischen) Fürsprecher hat.

 

Für die Betroffenen ist sexuelle Gewalt oft mit schwerwiegenden psychischen Folgen verbunden: Viele leiden bereits im Kindes- und Jugendalter unter psychischen Störungen und sind während ihrem Erwachsenenleben weiterhin psychisch belastet, wobei die Probleme oft bis ins hohe Erwachsenenalter anhalten. Nicht nur auf individueller Ebene sind die Folgen teils dramatisch, auch die gesellschaftlichen Kostenfolgen sind u.a. durch anfallende Gesundheitskosten und Arbeitsausfälle hoch. Zusätzlich besteht das Risiko, dass Opfer von Kindsmisshandlung und von sexuellem Missbrauch als Erwachsene selbst zu Tätern und Täterinnen werden.

 

Aus diesem Grund erarbeitet die EVP im Rahmen der „EU-Strategie zur wirksameren Bekämpfung des Missbrauchs von Kindern“ (24.07.2020) einen umfassenden EU-Aktionsplan, um Prävention und Repression effektiver zu gestalten und die Errichtung eines „Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ voranzutreiben. Um diese Aufgabe mit größtmöglicher Effizienz erledigen zu können, bedarf es allerdings zuvor einer Erhebung der aktuellen Situation in den Mitgliedstaaten (IST-Analyse) und engster Zusammenarbeit der EU-Ausschüsse LIEBE, CULT, FEMM und JURI.

 

Primär bedarf es des Einverständnisses über oder zumindest der Vergleichbarkeit von rechtlichen Tatbestandsmerkmalen, einheitlicher(e) Begriffe, Definitionen und Operationalisierungen der Kernelemente dieses komplexen Kriminalitätsphänomens. Nur dann kann das Ziel eines umfassenden Aktionsplanes auch erreicht werden. Dies gilt übrigens für alle sonstigen OSINT-Intelligence-Cycles, den Arbeitszyklen, um relevantes Wissen zu erwerben um dieses in effiziente Aktionen umzusetzen (Planung, Informationssammlung, Datenverarbeitung, Analyse und Präsentation), im vorliegenden Fall auf der polit-strategischen Ebene.

 

Kindesmissbrauch hat kriminalphänomenologisch enorm viele Facetten. Sie reichen von psychischer über physischer und sexueller Gewalt bis hin zur Kindstötung, die häufig als gemischte Tatbegehungsform vorkommen. Sexuelle Gewalt tritt zumeist nicht als isoliertes Ereignis auf, sondern steht oft im Kontext von psychischer und physischer Misshandlung, Vernachlässigung und weiteren Gewalterfahrungen („Bullying, Mobbing“). Sexuelle Gewalt und die so genannte Kinderpornographie stehen in engster deliktischer Nähe. Diese Deliktsformen betreffen auch Jugendliche und Schutzbefohlene. In Deutschland hatten Straftaten der sexuellen Gewalt an Kindern langfristig abgenommen, nehmen aber seit ca. drei Jahren wieder deutlich zu. Inwieweit diese Fallentwicklung auf eine tatsächliche Abnahme zurückzuführen war oder andere Gründe hatte, bspw. in verändertem Meldeverhalten, kann nur durch umfangreichere Daten und Wiederholungen von methodisch hochwertigen Befragungen ermittelt werden – erst recht nach der deutlichen Steigerung der vergangenen Jahre. Erst im Rahmen eines solchen, auch von der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen geforderten regelmäßigen Monitorings kann sich zeigen, ob eingeleitete Präventionsprogramme und gesetzgeberischen Maßnahmen zu einer Verringerung der Prävalenz führen und ob gewährte Hilfen und therapeutische Interventionen Folgebelastungen reduzieren.

 

Trotz der vielfach artikulierten und publizierten Bedeutung des Kriminalitätsphänomens auf polit-medialer Ebene und gesetzgeberischen oder regulativen „Nachsteuerungen“ „muss die Datenlage zur Häufigkeit sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Deutschland insgesamt eher als mager, für einzelne Bereiche gar als dürftig gewertet werden“[83].

 

Im Dezember 2019 hat die Bundesregierung den „Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ ins Leben gerufen. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gemeinsam initiierte Gremium soll den interdisziplinären Austausch zwischen den staatlichen und nichtstaatlichen Verantwortungsträgern auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen vertiefen und fördern, schon 2021 sollen die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse für längerfristige Maßnahmen vorgelegt werden.

 

Der jüngste Appell der deutschen Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey[84] an Eltern, Fachkräfte und Beschäftigte in Schulen, Jugendämtern, bei der Polizei, in der Justiz und Medizin noch wachsamer zu sein, um frühzeitig Missbrauch zu erkennen und entschlossen eingreifen zu können, verlangt aber auch entsprechende Normen und Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene.

 

Umso bedeutsamer sind Datenerhebung und -analyse auf EU-Ebene, wo vermutlich in vielen MS noch offen ist, ob eine Mehrheit der Fälle überhaupt bekannt wird, wirksame Meldedienste und -wege eingerichtet sind, ob ausreichend Spezialdienststellen und Fachkräfte existieren, ob alters-, religions-, kultur- oder deliktsspezifische Versorgungslücken bestehen, usw. Mangelhafte Datenerfassung führt aber zu mangelndem Wissen über die Nachhaltigkeit von Präventions- und Interventionsmaßnahmen, zu denen auch Strafverfolgungsmaßnahmen zu zählen sind.

 

 

I          Die Opfer

Ein erster Rechtsvergleich auf EU-Ebene zeigt beispielhaft, welche Praxisprobleme sich bei der Betrachtung der Kriminalitätsphänomene Kinderpornographie und sexuellem Missbrauch von Kindern auftun, denn die Begriffe „Kinder“, „Jugendliche“, „Minderjährige“ oder gar “junge Menschen“ variieren z.T. erheblich, überlappen sich, sowohl in Hinblick auf Altersgrenzen als auf Rechtsbegriffe und -folgen:

In Belgien gilt man zum Alter von 18 Jahren man als minderjährig, jugendschutzrechtliche Bestimmungen verlangen, dass Kinder ab 12 mit den offerierten Unterstützungsleistungen einverstanden sein müssen. Auf föderaler Ebene ist man ab 14 Jahren strafrechtlich mündig

In Bulgarien gilt nach dem Gesetz für Personen und Familien eine Person bis 14 Jahre als Kind, Personen von 14 bis 18 Jahren als Jugendliche.

 

In Dänemark gilt bis zum Alter von 14 Jahren eine Person als Kind. Jugendlich ist man zwischen 14 und 18 Jahren.

 

In Deutschland sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert.

In Estland sind Kinder nach dem Kinderschutzgesetz Personen bis 18 Jahren, nach dem Jugendarbeitsgesetz sind Jugendliche aber Personen zwischen 7 und 26 Jahren.

In Finnland ist nach dem Kinderfürsorgegesetz ein Kind eine Person unter 18 Jahren und als „junge Person“ werden diejenigen unter 21 Jahren bezeichnet.

 

In Frankreich gilt eine Person nach dem Code civil bis zur Vollendung des 18. Lebensjahr als minderjährig, Jugendliche sind Personen bis 21 oder 25 Jahren.

 

In Griechenland sind Personen zwischen dem 8. und dem vollendeten 18. Lebensjahr Minderjährige.

 

In Irland gilt man bis zum Alter von 18 Jahren als Kind, es gibt jedoch bestimmte Regelungen, die Kindern unter 18 Jahren Rechte geben, die normalerweise Erwachsenen vorbehalten sind (zum Beispiel das Recht zur Eheschließung).

 

In Italien gibt es keine spezifischen Normen für Kinder und Jugendliche. Im Allgemeinen pflegt man diese Zeitspannen mit der Schullaufbahn zu verbinden und sie dem Reifeprozess bis zum Erreichen der Volljährigkeit ab 18. Jahren zuzuordnen. Die Zeitabschnitte von der Geburt bis 13 Jahre dürften den verschiedenen Kindheitsphasen zugeordnet werden können („bambino“), das Alter von 14 bis 17 Jahren der Jugend („adoloscente“).

In Kroatien werden die Begriffe »Kind« und »Jugendliche« derzeit durch verschiedene Regelungen unterschiedlich definiert. Gemäß dem Familiengesetz ist das Volljährigkeitsalter 18 Jahre. Das Strafgesetzbuch, definiert ein Kind im Sinne dieses Kodex als eine Person, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Nach dem Jugendgerichtsgesetz ist ein Minderjähriger eine Person, deren Alter zum Zeitpunkt der Straftat zwischen 14 und 18 Jahren lag.

In Lettland gelten Personen als bis 18 Jahren als Kinder, Jugendliche sind Personen zwischen 13 und 25 Jahren

 

In Litauen gilt die Definition des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes. d.h. als Kind wird jede Person unter 18 Jahren angesehen

 

In Luxembourg gelten Personen unter 18 Jahren als Minderjährige, man macht grundsätzlich gesetzlich keinen Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen. Jedoch unterscheidet das Gesetz zum Schutz junger Arbeitnehmer vom 23. März 2001 zwischen Kindern unter 15 Jahren und Jugendlichen unter 18 Jahren.

 

In Malta wird eine Person als minderjährig betrachtet, bis sie das 18. Lebensjahr erreicht.

 

In den Niederlanden werden Personen unter 18 Jahren gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch als minderjährig angesehen. In der niederländischen Jugendpolitik wird jedoch Jugend im Allgemeinen als Altersgruppe von 0-27 Jahren definiert. Innerhalb dieser Altersgruppe wird unterschieden (in der Politik, nicht in den Gesetzen) zwischen Kindern (0-12 Jahre), Jugendlichen (12-18 Jahre) und jungen Erwachsenen (18-27 Jahre). In den Niederlanden gilt der Begriff Jugend für Kinder und Jugendliche von 0 bis 23 oder 27 Jahren.

 

In Österreich gibt es keine bundeseinheitliche Legaldefinition der Begriffe „Kind“ und „Jugendlicher“. Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gelten als Minderjährige. Nach den Jugendschutzgesetzen der Länder Steiermark, Kärnten, Tirol und Vorarlberg gelten Personen bis zum vollendeten 14. Lebensjahr als Kinder und Personen ab dem vollendeten 14. Lebensjahr bis zum vollendeten 18. Lebensjahr als Jugendliche. Nach dem Salzburger Jugendschutzgesetz gelten als Kinder Personen bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und Personen ab dem vollendeten 12. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr als Jugendliche. Das Jugendschutzgesetz Oberösterreich bestimmt, dass alle Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Jugendliche sind. Jugendschutzgesetze der Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland verwenden anstelle der Begriffe „Kinder“ und „Jugendliche“ den Begriff „junge Menschen“ für Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr.

 

In Polen gelten Personen von der Vollendung des 13. Lebensjahrs bis zu Ihrem 18. Lebensjahr als minderjährig, danach sind sie Erwachsene. Polen kennt einen Ombudsmann für Kinderrechte.

 

In Portugal gilt eine Person bis zu 18 Jahre als Kind, danach ist sie volljährig.

 

In Schweden ist eine Person unter 18 Jahren ein Kind. Es gibt einige spezifische Bestimmungen über Jugendliche, die in unterschiedlichen Gesetzen geregelt sind. Die Altersbestimmungen für Jugendliche variieren innerhalb dieser Gesetze.

 

In Slowakei sind gem. UN Kinderrechtskonvention sind Personen unter 18 Jahren Kinder

 

In Slowenien sind nach dem Ehe- und Verwandtschaftsbeziehungsgesetz Personen bis 18 Jahren Kinder

 

In Spanien sind Personen unter 18 Jahren Minderjährige. Kinder gelten als minderjährige Personen. Jugendliche sind allgemein Personen zwischen 15 und 24 Jahren. Personen zwischen 15 und 17 Jahren werden als Kinder oder Jugendliche definiert

In Tschechien Bis 18 Jahre gilt eine Person als Kind und bis 26 Jahre als junge Person (nur praktisch, nicht im Gesetz geregelt). Gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch werden natürliche Personen, die nicht das 18. Lebensjahr erreicht haben, als Minderjährige bezeichnet

In Ungarn werden alle Personen unter 18 Jahre rechtlich als Kinder bezeichnet

 

In Zypern gilt man bis zum Alter von 18 Jahren als Kind oder Jugendlicher.

 

 

Zusammenfassung:

In der ganz überwiegenden Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten (Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern) gilt die UN-Kinderrechtskonvention (mehr oder weniger direkt), wonach „Kinder“ Personen bis zum 18. Lebensjahr sind; teilweise wird auch der Begriff „Minderjährige“ verwendet. Auch Luxemburg dürfte eher der ersten Ländergruppe zugeordnet werden, obwohl nach einer anderen rechtlichen Grundlage des Landes auch eine Zuordnung zur zweiten Ländergruppe denkbar wäre. In Griechenland gilt die Besonderheit der Minderjährigkeit vom 8. bis zum 18. Lebensjahr. Diese Ländergruppe wird in der Folge als „Gruppe A“ oder „A-Länder“ zusammengefasst.

 

Nur in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Polen sind Kinder eindeutig als Personen im Alter bis zu 13 Jahren und Jugendliche/Minderjährige als Personen im Alter von 14 bis zu 17 Jahren definiert. Die Volljährigkeit tritt mit dem 18. Lebensjahr ein. In Italien und Österreich sind zwar regionale oder altersmäßige Differenzierungen Untzu beachten, doch können diese beiden Staaten dieser Ländergruppe noch zugerechnet werden. Diese Ländergruppe wird in der Folge als „Gruppe B“ oder „B-Länder“ zusammengefasst.

 

Zu Rumänien liegen noch keine Angaben vor.

 

Der WD/EP wird gebeten, die erhobenen Daten rechtssicher zu überprüfen und die fehlende Information zu Rumänien einzuholen.

 

 

II       Generelle Kinderrechte

 

Kinder haben in Deutschland grundsätzlich folgende Kinderrechte, die ihnen nicht nur zustehen, sondern die der Staat auch verteidigen soll, um die Kinder zu schützen:

  1. Alle Kinder haben die gleichen Rechte. Kein Kind darf benachteiligt werden. Kinder haben das Recht, so gesund wie möglich zu leben.
  2. Kinder haben ein Recht auf Schutz und Fürsorge durch ihre Eltern. Wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, muss der Staat dafür sorgen, dass die Kinder einen neuen Lebensplatz bekommen.
  3. Jedes Kind hat ein Recht auf eine Identität und auf Familie. Dazu gehört das Recht auf einen Namen, eine Geburtsurkunde und Nationalität.
  4. Kinder dürfen nicht willkürlich von ihrer Familie getrennt werden.
  5. Kinder haben nicht nur ein Recht auf Bildung, sondern auch die Pflicht zum Schulbesuch.
  6. Kinder haben das Recht auf Erholung und Spiel. Es muss also auch genügend Platz und Raum dafür zur Verfügung stehen.
  7. Kinder haben das Recht, sich zu informieren, eine eigene Meinung zu haben und an Entscheidungen beteiligt zu werden, die sie betreffen. Das gilt im alltäglichen Leben wie auch beispielsweise im Fall einer Scheidung. Hier müssen die Kinder angehört werden, bei wem sie zukünftig leben wollen.
  8. Jedes Kind hat das Recht auf einen bestimmten Lebensstandard. Sind Eltern dazu nicht aus eigener Kraft in der Lage, muss der Staat den Eltern Unterstützung bieten.
  9. Kinder dürfen nicht arbeiten oder ausgebeutet werden.
  10. Kinder müssen vor körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt geschützt werden. Erst 2000 wurde in Deutschland das „Recht auf eine gewaltfreie Erziehung“ festgeschrieben. Bis dahin waren Schläge als „Erziehungsmaßnahme“ nicht verboten.
  11. Behinderte Kinder haben ein besonderes Recht auf Fürsorge und auf ein aktives und möglichst selbstständiges Leben.
  12. Kinder brauchen besonderen Schutz im Krieg und auf der Flucht.

Zusammenfassung

Der WD/EB wird gebeten zu überprüfen, ob die o.a. generellen Kinderrechte in den EU-Mitgliedsstaaten identisch sind, bzw. ob und welche Abweichungen vorliegen, welche Rechtsebene diese Kinderrechte garantiert (Verfassung, Bundesgesetz, Landesgesetz).

 

 

III      Sexueller Missbrauch

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

 

In Deutschland wird der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 StGB verfolgt.

Strafbar ist der sexuelle Missbrauch durch Eltern oder durch Täter oder Täterinnen, denen die Kinder (und Jugendliche) zur Erziehung, zur Ausbildung oder sonst zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind (z.B. Lehrer, Heimerzieher, Ausbilder)

 

Ist das Opfer zwischen 16 und 18 Jahre alt, muss hinzukommen, dass der Täter oder die Täterin die durch das jeweilige Obhutsverhältnis bestehende Abhängigkeit ausgenutzt hat; dieses Obhutsverhältnis verlangt eine Unter- und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst.

 

Nach Gesetzesänderung 2015 können sich nun auch Vertretungslehrer und Vertretungslehrerinnen strafbar machen. Diese waren zuvor ausgeschlossen, weil ihnen die Kinder nicht „regelmäßig anvertraut“ waren.

 

Ebenso wurde 2015 der Schutz auf Stiefkinder, Enkel und die Kinder von Partnern ausgeweitet, die nun genau so wie leibliche Kinder geschützt sind und die Verjährung wurde bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers erweitert. .

 

Wer sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

574Katholische 12.

2017 wurden in Deutschland 403 Fälle von Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen registriert, 2018 waren es 513 Fälle und 2019 waren es 574. Die Fallzahlen der früheren Jahre schwanken und sind in etwa gleichgeblieben. Herausragend waren die Fälle an der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg (2010) und die Missbrauchsfälle in vielen katholischen Einrichtungen, wie die von der Kirche in Auftrag gegebene bundesweite Studie für die Jahre 1946 bis 2014 (MHG-Studie) ergab.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden, und welche Strafandrohungen und Verjährungsfristen gelten.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren, die Strafandrohungen und institutionalisierte Formen der Hinweisaufnahme (Meldepflichten, Zentralstellen, Hot-Lines, bischöfliche Beraterstäbe, Ombudsmann usw.)

 

 

 

IV      Sexueller Missbrauch

Sexuelle Gewalt an Kindern

 

In Deutschland wird der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB verfolgt.

Sexueller Missbrauch oder richtiger: sexuelle Gewalt an Kindern (bis 14 Jahre) ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können.

 

Bereits der Versuch eines Sexualkontaktes mit einem Kind ist strafbar.

 

Angebliche Einwilligungen von Kindern, sind rechtlich unwirksam. Der Täter oder die Täterin nutzt dabei seine/ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Die Strafandrohung bezieht sich also auch auf sexuelle Handlungen, die keinen unmittelbaren Körper- oder Hautkontakt voraussetzen: Das gilt auch dann, wenn Mädchen oder Jungen solche Sex-Szenen beispielsweise per Videostream verfolgen.

 

Diese sozialwissenschaftliche Definition bezieht sich dabei auf alle Minderjährigen. Bei unter 14-Jährigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie sexuellen Handlungen nicht zustimmen können. Die Formulierung „sexueller Gewalt an Kindern (bzw. Jugendlichen)“. stellt heraus, dass es sich um Gewalt handelt, die mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird. Der ebenfalls verwendete Begriff „sexualisierte Gewalt“ geht noch einen Schritt weiter und verdeutlicht, dass bei den Taten Sexualität funktionalisiert, also benutzt wird, um Gewalt auszuüben.

 

Wer sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, in besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.

 

Wer die sonstigen Formen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vornimmt, die in § 176 Abs. 4 und 5 StGB beschrieben sind, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Darunter fallen auch Fälle des Anbahnens von sexuellem Missbrauch in Chatrooms (so genanntes Grooming).

 

2017 wurden in Deutschland 11.547 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern registriert, 2018 waren es 12.423 Fälle und 2019 waren es 16.570. Diese Fallzahlen gehen seit Jahren nicht zurück. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Spektakuläre Missbrauchsfälle ereigneten sich zuletzt in Lügde, Bergisch Gladbach, Münster oder Köln.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS, die Strafandrohungen und institutionalisierte Formen der Hinweisaufnahme (Meldepflichten, Zentralstellen, Hot-Lines, Ombudsmann usw.)

.

 

 

V       Sexueller Missbrauch

Schwere sexuelle Gewalt an Kindern

 

In Deutschland wird der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 a StGB verfolgt und liegt insbesondere in den folgenden drei Fallgestaltungen vor:

Sexueller Missbrauch durch Beischlaf oder ähnliche Handlungen (§ 176a Absatz 2 Nr. 1 StGB)

Strafbar sind alle Handlungen an Kindern, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind: Analverkehr, Oralverkehr, Eindringen mit dem Finger oder Ähnliches. Täter oder Täterinnen müssen in diesen Fällen regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechnen (Verbrechenstatbestand)

Gemeinschaftlicher sexueller Missbrauch (§ 176a Absatz 2 Nr. 2 StGB)

Im Falle des gemeinschaftlichen sexuellen Missbrauchs an Kindern, bei dem mindestens zwei Personen als Täter zusammenwirken, nimmt das Gesetz eine besondere Schutzlosigkeit des Opfers an. Wie auch bei den anderen Varianten des § 176a Absatz 2 StGB droht den Tätern oder Täterinnen hier eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren (Verbrechenstatbestand).

Sexueller Missbrauch mit der Gefahr schwerer Gesundheitsschädigung (§ 176a Absatz 2 Nr. 3 StGB)

Bestraft werden alle sexuellen Handlungen an einem Kind – oder solche, die der Täter oder die Täterin von dem Kind an sich hat vornehmen lassen –, wenn der Täter oder die Täterin das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung bringt. Zum Nachweis der konkreten Gefährdung von Gesundheit und Entwicklung eines Kindes ist in der Regel kinder- und jugendpsychiatrischer Sachverstand gefragt. Auch in diesen Fällen ist regelmäßig mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechnen (Verbrechenstatbestand)

2017 wurden in Deutschland …..Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch an Kindern registriert, 2018 waren es …. Fälle und 2019 waren es 2.631 erfasste Fälle mit 2.881 geschädigten Kindern. Sexuelle Gewalt wird durch die Verbreitung im Netz in ihrem Ausmaß grenzenlos verstärkt. Spektakuläre Missbrauchsfälle ereigneten sich zuletzt in Lügde, Bergisch Gladbach, Münster oder Köln.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS und die Strafandrohungen.

 

 

VI      Sexueller Missbrauch

Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB)

Jeder Täter bzw. jede Täterin – auch Jugendliche (14- bis 18-Jährige) und Heranwachsende (18- bis 21-Jährige) – macht sich wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen strafbar, wenn er oder sie eine Zwangslage des Mädchens oder Jungen ausnutzt oder Geld für die sexuelle Handlung bezahlt.

Eine Person über 21 Jahre macht sich durch jede sexuelle Handlung mit einer oder einem Jugendlichen unter 16 Jahren strafbar, wenn das Opfer ihr gegenüber nicht zur sexuellen Selbstbestimmung fähig ist. Notwendig ist dabei nach der letzten Gesetzesänderung nicht mehr eine generelle fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung, sondern die spezielle – gegenüber dem Täter oder der Täterin – fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung.

Wer sexuellen Missbrauch von Jugendlichen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wer sexuellen Missbrauch von Jugendlichen gemäß §182 Abs. 3 StGB begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, insbesondere in den „A-Ländern“, in denen der Kindesbegriff bis zum 18. Lebensjahr reicht, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden.

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren in den übrigen MS und die Strafandrohungen.

 

 

VII     Sexueller Missbrauch

Besitz, Erwerb und Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern (ehem. Kinderpornografie, §§ 184b, 184 c, 201a Abs. 3 StGB)

 

Die so genannte „Kinderpornografie“ ist nach § 184b StGB die „fotorealistische Darstellung“ von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen unter 14 Jahren. Um zu verdeutlichen, dass es keine erlaubten sexualisierten Darstellungen von Kindern geben kann, sollten Begriffe wie „Missbrauchsabbildungen“ oder „Missbrauchsfilme“ statt Kinderpornografie verwendet werden. Inzwischen ist auch die versuchte Verbreitung und Herstellung von kinderpornografischen Schriften strafbar.

Die verbotenen Darstellungen umfassen Aufnahmen sexueller Handlungen aller Art, die vor oder an Kindern oder die von Kindern durchgeführt werden. Seit der Gesetzesänderung vom Januar 2015 ist nun auch im Gesetz klargestellt, dass Aufnahmen eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes unter 14 Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung verboten sind. Auch sexuell aufreizende Abbildungen des Genitals oder des unbekleideten Pos eines Kindes sind danach nun ausdrücklich in die Strafbarkeit aufgenommen.

Herstellung, Besitz, Erwerb und Verbreitung solcher Fotos oder Filme sind strafbar – unabhängig davon, ob das Material in gedruckter oder digitaler Form vorliegt.

Die Verbreitung von „jugendpornografischen Schriften“ – also entsprechenden Darstellungen von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren – ist ebenfalls strafbar (§ 184c StGB). Darunter fällt nach der Gesetzesänderung vom Januar 2015 auch die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung. Davon ausgenommen ist allerdings die Herstellung solcher Bilder zum ausschließlich persönlichen Gebrauch, wenn die dargestellte Person in die Wiedergabe eingewilligt hat.

Der Anteil kinderpornografischen Materials der im Internet im Umlauf ist, wächst rasant. Schon 2011 wurde in einer Studie[85] nachgewiesen, dass etwa 35 % der kinderpornografischen Abbildungen „schwere Übergriffe“ darstellten (Copine-Skala 7-10) und rund 26 % „detailliertes erotisches Posing“ (Copine-Skala 6). Weitere 12 % der kinderpornografischen Abbildungen stellten „Sexuelle Handlungen eines Kindes“ dar (Copine-Skala 7)[86]. Dabei war das Opferverhältnis zwischen Jungen und Mädchen in etwa gleich, den größten Anteil stellten Kinder im Alter von 9-13 Jahren (77%), gefolgt von der Altersgruppe der 4- bis 8-jährigen Kinder (20,5%).Die Anzahl jüngerer Opfer im Alter weniger Monate bis drei Jahren nahm schon damals deutlich zu (2%). Dieser Trend setzt sich bis heute fort.

Auch die Verbreitungswege über das Internet weiten sich, trotz des Zugangssperrengesetz von 2009, immer weiter aus. Die Verbreitungswege durch peer-to-peer-Netzwerke, Usernets oder über das World Wide Web werden immer schwieriger zu verfolgen, insbesondere in geschlossenen Benutzergruppen. Dort müssen vor Eintritt bestimmte Leistungen erbracht werden, die in der Regel im Einbringen neuer Missbrauchsabbildungen/-filme bestehen.[87] Inzwischen sind deutsche Ermittler für diese „Keuschheitsproben“ rechtlich besser abgesichert, wenn sie sich mit computergenerierten Bilder Zutritt zu Darknet-Foren verschaffen, auch das Cybergrooming ist strafbar, wenn der Täter an eine(n) verdeckten Ermittler gerät und die Anbieter sozialer Netzwerke müssen Missbrauchsbilder/-filme mit den dazugehörigen IP-Adressen an die Zentralstelle im BKA melden.

Typisches Täterverhalten[88]:

  • Der überwiegende Teil der Opfer kennt die Täter bereits vor dem sexuellen Missbrauch.
  • Mädchen werden zu etwa einem Drittel von Tätern aus der Familie missbraucht.
  • Männliche Opfer werden meist von Bezugspersonen aus dem außerfamiliären Nahraum und von Fremden sexuell ausgebeutet.
  • Ein Drittel der Täter ist selbst noch im Kindes- und Jugendalter.
  • Einzelne Täter missbrauchen viele Kinder.
  • Zwei Drittel der Täter, die innerhalb der Familie missbrauchen, haben auch Opfer außerhalb der Familie.
  • Die Täter kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten.
  • Häufig besteht eine berufliche (oder ehrenamtliche) Nähe zu Kindern.
  • Teilweise erfolgt eine gezielte Kontaktaufnahme zu alleinerziehenden Müttern.
  • Täter bezahlen Opfer, um weitere Opfer zum Täter zu bringen („Schlepper“).

Der bloße Besitz solcher Bilder wird mit einer Geldstrafe oder einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert. Für die Verbreitung solcher Fotos und Filme wird derzeit noch eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe angedroht, wird dies gewerbsmäßig gemacht, erhöht sich die Strafandrohung auf bis zu zehn Jahren.

 

Ebenfalls neu wird nach der letzten Gesetzesänderung nun auch die Herstellung (zum Zwecke des späteren Verkaufs) von und der Handel mit Bildaufnahmen von nackten Kindern und Jugendlichen unter Strafe gestellt (§ 201a Absatz 3 StGB). Dies betrifft Bilder, in denen Kinder und Jugendliche nicht in sexualisierter Art, sondern etwa beim Spiel, aber nackt abgebildet werden.

Dies wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

Für jugendliche Täter gelten besondere Regeln, statt Haftstrafen sollen Weisungen, Verwarnungen oder Arrest ausgesprochen werden, selbst in schweren Fällen dürfen mehr als fünf Jahre Gefängnis nicht verhängt werden.

 

Derzeit werden aber nur in 0,2 % aller Verurteilungen Strafen von bis zu 15 Jahren ausgesprochen, ein Drittel aller Strafen wird ohnehin zur Bewährung ausgesetzt. Davon profitiert auch das Milliardengeschäft der Kinderpornografie. Deshalb wird in einem neuen Gesetz für Fälle in denen ein tatsächlicher Missbrauch eines Kindes vorliegt die Mindeststrafe von einem Jahr bis zur Höchststrafe von 10 Jahren angedroht. Die Tat wird dann als „Verbrechen“ eingestuft.

 

2019 erhöhte sich die Zahl der polizeilich erfassten Delikte von „Kinderpornografie um etwa 65 Prozent von 7.450 Fällen (2018) auf mehr als 12.200 Delikte. Eine Vielzahl der Hinweise kam aus dem US-Meldesystem NCMEC.[89]

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen, ob die obige Beschreibung der Herstellung, des Besitzes, des Erwerbs und der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen oder -filmen von Kindern in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich oder vergleichbar unter Strafe gestellt ist, ob andere Tatbestandsmerkmale in den jeweiligen Straftatbeständen Verwendung finden oder ob diese anders interpretiert werden. Wie regeln die anderen MS die „Keuschheitsproben“ im Darknet? Gibt es auch in den anderen MS die Pflicht für die Provider, Kinderpornographische Inhalte samt IP-Adresse an die Behörden zu melden?

Ist auch in den anderen MS die Anfertigung und der Vertrieb von Bildaufnahmen nur nackter Kinder und Jugendlicher strafbewehrt?

Welche Erkenntnisse bezüglich der Opfer (Alter, Geschlecht, soziale Beziehungen etc.) liegen in den anderen MS vor?

Welche Sonderregelungen liegen für jugendliche Täter vor?

 

Von besonderer Bedeutung sind Fallzahlen der vergangenen drei Jahren und die jeweiligen Strafandrohungen.

 

 

 

V       Sexueller Missbrauch

Dunkelfeldforschung und praktische Ableitungen

 

In Deutschland werden fast neun Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen bis zum 16. Lebensjahr Opfer sexueller Gewalt[90]. Langfristig gesehen (1999-2019) lebten nach Angaben des Statistisches Bundesamt in diesem Zeitraum in Deutschland zwischen 12 und 10,7 Millionen Kinder/Jahr. Die Anteile von Jungen und Mädchen sind über die Jahre ziemlich gleich, auch wenn der Anteil der Mädchen etwas kleiner als der der Jungen ist (bis ca. 2 %). Grob geschätzt dürften danach durchschnittlich pro Jahr etwa 450.000 Mädchen und 150.000 Jungen Opfer sexueller Gewalt geworden sein.

 

Die Fall- und Opferzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, das so genannten „Hellfeld“, machen dagegen nur einen Bruchteil aus[91]. Dennoch schätzt das BKA das Dunkelfeld nur auf ca. 1:15, d.h. 16.000:240.000 (Fälle), bzw. 15.000:165.000 (Opfer), andere Untersuchungen (Kavemann und Lohstöter) gehen dagegen von der Relation 1:20 aus, eine allerdings ebenfalls sehr vorsichtige, konservative Schätzung.

 

Eine neuere deutsche repräsentative Studie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa jeder achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste.[92] Die Studien weichen in Definitionen, Forschungsdesign, Ein- und Ausschlusskriterien, methodische Artefakte (Rücklauf, Studiendesign, Stichprobenumfang und -gewinnung) z.T. stark voneinander ab und die Datenerfassung in den Versorgungs- und Betreuungssystemen ist grundsätzlich mangels Meldepflichten lückenhaft. Im Ergebnis sind daher keine klaren, definitiv verlässlichen Aussagen zum Vergleich zwischen Hell- und Dunkelfeld möglich

 

In Deutschland konzentrieren sich die präventiven und repressiven Interventionen daher sehr stark (zu stark?) auf das polizeiliche „Hellfeld“ d.h. auf den justizbekannten Täter. Die Täter des Dunkelfeldes und Männer, die sich selbst in Gefahr sehen, Täter zu werden (Pädophile, potentielle Täter) bleiben meist unberücksichtigt.

 

Pädophile leiden aber an einer sexuellen Ansprechbarkeit auf kindliche Körper, die sich während der Pubertät manifestierte und von da an bestehen bleibt. Potentielle Täter haben sich diese sexuelle Ausrichtung daher zwar nicht „ausgesucht“, sind aber letztlich alleine verantwortlich für ihr sexuelles Verhalten. Nach inzwischen gesicherten wissenschaftlichen Untersuchungen[93] haben rund ein Prozent der Männer auf Kinder gerichtete Fantasien, d.h. ca. 250.000 Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren sind alleine in Deutschland als potentielle Täter anzusehen.

 

Ihnen wird seit 2004 in Deutschland ein vom Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité ins Leben gerufene „Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPD)“ Hilfe im Rahmen eines Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ angeboten.

 

Zusammenfassung

Der WD/EP wird gebeten festzustellen,

  • ob eine vergleichbare Dunkelfeldforschung in anderen EU-MS betrieben wurde,
  • ob die o.a. Dunkelfeldschätzungen dort verifiziert werden können,
  • ob die o.a. sexualwissenschaftlichen Erkenntnisse (Manifestation des Sexualtriebs) durch andere europäische Studien bestätigt werden können,
  • ob in den EU-MS vergleichbare Primär-Präventionsprojekte existieren, die sich an die Gruppe potentieller Täter mit pädophiler Neigung sowie an Dunkelfeld-Täter wendet und präventive Therapien anbietet,
  • Falls möglich erbitten wir hierzu Erfahrungsberichte und Kontaktdaten.

 

 

VI     Meldepflichten[94]

 

Bei der Anzeigepflicht von deutschen Behörden und Amtsträgern unterscheidet der Gesetzgeber:

 

  1. Wer im Bereich der Strafverfolgung tätig ist -also etwa bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft – muss Straftaten anzeigen, wenn sie oder er dienstlich davon erfahren hat.

 

  1. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Behörden, wie beispielsweise der rund 600 Jugendämter, besteht eine solche Pflicht zur Strafanzeige generell nicht; sie gilt nur bei Gefahr im Verzug, wenn die Einschaltung der Polizei zur Abwendung einer Gefährdung erforderlich erscheint (§ 8 a Abs. 4 Satz 2 SGB VIII).[95]

Mitarbeiter der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe unterliegen jedoch einer Meldepflicht an die Jugendämter.

Für alle Fachkräfte besteht jedoch ein Melderecht.

 

Die Jugendämter sind daher im Rahmen der Wahrnehmung ihres so genannten staatlichen Wächteramtes verpflichtet, sorgfältig zu prüfen, welche Schritte aus Sicht des Kinderschutzes unverzüglich zu ergreifen sind. Zuallererst gehört hierzu die Prüfung des bestehenden Verdachtes. Abhängig hiervon sind weitere Maßnahmen zu ergreifen, wie insbesondere die Herausnahme aus der vermuteten Gefahrensituation. Gegebenenfalls sind zum Schutz des Kindes auch familiengerichtliche Entscheidungen herbeizuführen.

 

Die Anzeige einer vermuteten Straftat ist in diesem Kontext bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, sozusagen als „ultima ratio“, ebenfalls genauestens zu prüfen. Das Jugendamt hat insbesondere zu prüfen, ob die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden dem Wohl des Kindes dient oder es eher geboten ist, von einer Strafanzeige abzusehen. Hierbei sind insbesondere maßgeblich und leitend der Gedanke der Wiederholungsgefahr einerseits und die besonderen Aufklärungsmöglichkeiten im Rahmen der Strafverfolgung andererseits. Es ist im Einzelfall abzuwägen, welche Vor-und Nachteile ein Strafverfahren dem Kind bringt. Falls dann das Jugendamt sich nach Abwägen aller Güter zu einer Anzeige entschließt, wird die Strafverfolgungsbehörde durch die Amtsleitung des Jugendamtes eingeschaltet.