Yusuf Al-Qaradawi:  Die Stimme des Hasses und der Hetze muss verstummen

21. Juni 2021

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Uwe G. Kranz

BS-Beitrag März 2019

Als 2011 der amerikanische “bin Laden des Internets“, Anwar al-Awlaki[1] von einer US-Drohne im Jemen gesichtet und getötet worden war, glaubte man, einen der wichtigsten Drahtzieher weltweiter Terroranschläge eliminiert zu haben. Der westlich gebildete Prediger[2] kommunizierte und interagierte nicht nur mit drei der 9/11-Attentätern,[3] sondern auch schon zuvor mit Major Nidal Hasan, der als islamistischer Attentäter am 05.11.2009 in Fort Hood 13 US-Soldaten ermordete. Er galt als Drahtzieher des Anschlagsversuchs des sogenannten „Unterhosenbombers“ auf den Flug nach Detroit/USA (25.12.2009[4]) und war im Jemen kurz zuvor, am 17.01.2011, wegen Anstiftung zum Mord an Ausländern in Abwesenheit zu 10 Jahren Haft verurteilt worden. Man hatte mit ihm aber zugleich auch den Sprecher der AQAP (Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel) zum Schweigen gebracht und damit der Al-Qaida-Propagandamaschine insgesamt einen empfindlichen Schlag versetzt. Mit seinem Tod verlor die AQ vermutlich ihre einflussreichste Stimme, die in zahllosen Predigten und Propagandavideos die Botschaften Osama bin Ladens und der Al-Qaida weltweit verbreiteten, Muslime radikalisierte und neue Dschihadisten rekrutierte. In den Jahren danach gelang es Strafverfolgern, Politik, NGOs und Providern gemeinsam und mühsam, sozusagen Stück für Stück seine über 70.000 Video- und Audiobotschaften aus dem Internet und den sozialen Medien zu löschen und Kopien zu verbannen. Nur noch wenige sind verblieben.

Längst hat al-Awlaki aber einen „würdigen“ Nachfolger gefunden: den in Ägypten geborenen Prediger und islamischen Rechtsgelehrten Yusuf al-Qaradawi, der als Autor von über 120 Büchern und Schriften überaus produktiv war. Er gilt als der neue spiritueller Führer der weltweiten Muslimischen Bruderschaf, tresidiert seit 1961 in Doha und hat auch die katarische Staatsbürgerschaft angenommen.

Seine Funktionen als Vorsitzender der „Union of Good“ (gegründet zur Finanzierung der Terrororganisation Hamas), der „International Union of Muslim Scholars“ (IUMS) in Doha/Katar und als Gründer des ECFR (European Council for Fatwa and Research) in Dublin/IRL erlauben es ihm, seine extremistischen Hetz- und Hassreden z.B. über Google, YouTube, Twitter oder Facebook (zwei Millionen Followers!) zu verbreiten, insbesondere über seine eigene Webseite (www.qaradawi.net) und das Internetportal (IslamOnline.net), an dem er selbst beteiligt ist.

Mit seiner wöchentlichen Fernsehsendung („Die Scharia und das Leben“) beim katarischen Fernsehsender al Jazeera, erreicht er über 60 Millionen Menschen weltweit. Diese werden von ihm mit seinen weit über das religiöse hinausgehenden Botschaften zunehmend radikalisiert. Zum Beispiel, indem er die Bomben- und Brandanschläge auf Israel und die Tötung von Juden rechtfertigt, Selbstmordattentate im palästinensischen „Befreiungskampf“ als „Märtyrertod“ billigt, zur Tötung  amerikanischer „Besatzungs“-Soldaten im Irak aufruft, den Holocaust zwar nicht direkt leugnet, aber als „eine gerechte Strafe Allahs für die Juden“ preist, die Todesstrafe für Apostasie fordert, zur Tötung von Homosexuellen aufruft, die Todesstrafe für den außerehelichen Geschlechtsverkehr verlangt, oder bereits vergewaltigte Frauen und Mädchen verurteilt, weil sie durch Kleidung oder Parfum den Täter indirekt zur Tat aufgefordert hätten. Die Aufzählung ist nicht abschließend.

Damit geriert sich als „globaler Mufti“, als „New Media Shaykh“, der mit seinem zunehmend rigorosen Diskurs[5] dem islamistischen Terrorismus die religiöse Basis und Rechtfertigung verschafft und jedweden Säkularismus strikt ablehnt. Mittels seiner Fatwas treibt er damit -bis zur endgültigen Einführung der Scharia in der Ummah- international zunehmend ein paralleles Rechtssystems voran.

Ihm dafür das Prädikat „Symbol der Toleranz“ zu verleihen, was sonst namhafte Wissenschaftler vor rund 10 Jahren wagten, war geradezu grotesk und kontraproduktiv, ebenso wie ein von wohlmeinenden Islamwissenschaftlern verfasster Sammelband über sein Wirken, worin er regelrecht zur islamischen „Referenzfigur“ hochstilisiert wurde. Ein gefährlicher Irrtum, wie sich bald zeigte,  denn er war es schließlich, der ab  Mai 2013 weltweit am medienwirksamsten mit seiner folgenschwersten und gefährlichsten Fatwa zum Dschihad aufrief, und die Muslime aus aller Welt aufforderte, nach Syrien zu kommen, um gegen das Regime und die Ungläubigen zu kämpfen (siehe Aufruf zum “Hijrah“ in dem Daesh-Magazin DABIQ vom August 2014).

Es sind insbesondere seine jahrelangen[6] Fatwas, Aufrufe und Rechtfertigungen, für Selbstmordattentate, die diesen Prediger so gefährlich machten und immer noch machen[7]. Es reicht eben nicht, dass sich nur die saudischen Religionswächter strikt gegen Selbstmordattentate aussprechen, weil der Islam den Suizid in jeder Form verbiete. Deshalb ist es auch folgerichtig, seine diesbezüglichen Äußerungen in und auf allen Medien zu löschen. Seit Juni 2017 steht al-Qaradawi auch auf der Terrorliste von Ägypten, Bahrein, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emirate; Im Januar 2018 wurde der inzwischen 91-jährige in Ägypten in Abwesenheit zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt – im September 2017 wurde er von Interpol nach einer Analyse seines Verfahrens in Ägypten aus der online-wanted list gestrichen!

Wegen seiner Hetzschriften und -auftritte hat er Einreiseverbote für die USA, England, Frankreich und Tunesien erhalten. Neben diesen rein physischen Auftritts-Verboten braucht es aber auch Maßnahmen im digitalen Raum. Seine Hass- und Hetzschriften gehören verboten, aus der Medienwelt insgesamt gelöscht, damit nicht noch mehr junge Menschen intellektuell infiziert, sozusagen „terroristisch angefixt“ werden können. Der Daesh gilt zwar als militärisch besiegt, aber seine ideologische, seine digitale Basis ist nach wie vor ungebrochen – und der Daesh verfügt immer noch über geschätzte rund $400 Millionen, mit denen er seine Propagandamaschinerie und Rekrutierungssysteme finanzieren kann.

Al-Qaradawis Medienwirksamkeit hat auch schiitische Nachahmer gefunden: Das Counter Extremismus Projekt (CEP)[8] wies kürzlich auf die Terrorgruppe Kataib Hezbollah (KH) hin[9], die im Auftrag Irans vornehmlich in Syrien und dem Irak operiert und verantwortlich ist für die Tötung von Hunderten US-Soldaten, Zivilisten und UN-Helfern. Diese Gruppe betreibe seit mehreren Jahren eine eigene Webseite auf der Internetplattform GoDaddy und rufe zu Attentaten auf – eigentlich ein klarer Verstoß gegen die Geschäftsbedingungen des Providers und zwingend ein Grund für Löschung der Inhalte und Sperrung des Verbreiters. GoDaddy weigerte sich jedoch, unter Berufung auf die seiner Ansicht nach höherwertigere Meinungsfreiheit, dies zu tun und verwies darauf, dass man ja mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeite. Die inkriminierten Inhalte blieben im Netz.

Das ist aber nicht ausreichend. In der künftig noch stärker erforderlich präventiv-orientierten Bekämpfung des Terrorismus muss der Fokus auch auf die Verhinderung der Radikalisierung, verstärkt auf die Bekämpfung der Entstehung von „home-grown terrorists“ liegen. Die bisherigen Bemühungen von Google, Twitter, YouTube & Co in der Erkennung und Löschung extremistischer oder gar terroristischer Inhalte sowie in der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden sind, obwohl zigtausende Inhalte gelöscht werden konnten, längst nicht ausgeschöpft. Da geht deutlich mehr! Die erforderliche Software ist längst entwickelt, um erkannte extremistische Inhalte in einer globalen Datenbank zu erfassen und künftige uploads in den verschiedenen sozialen Medien zu verhindern. Die Zusammenarbeit mit den Providern ist rechtlich noch zu mühsam und durch grundsätzliche Vorbehalte erschwert. Angesichts europaweit ständig wachsender Zahlen von einheimischen Salafisten, rückkehrenden Foreign Terrorist Fighters (FTF), und entlassenen (und demnächst vermehrt zu entlassenen) Gefangenen aus deutschen, europäischen (und „syrakischen“!) Gefängnissen ein längst überfälliger Schritt. Diese Kader sind allesamt zumindest radikalisiert, größtenteils gewaltbereit und von dem Willen beseelt, den großen Auftrag der beiden islamistischen Anführer von Al-Qaida und Daesh (ISIS;ISIL) umzusetzen: Sich zu sammeln, neu zu strukturieren und auszustatten – und den Kampf in die eigene Heimat zu tragen.

[1] Geboren am 21.04.71 in Las Cruces, Neu Mexico/USA, gestorben am 30.09.2011 nahe Khashef/Jemen; p

[2] Geboren am 09.09.1926 in Ägypten, Katarischer Staatsangehöriger seit Colorado State University, B.S. in Civil Engineering; San Diego State University, Masters in Education; George Washington University, attended a Ph.D. Human Resources program; Ausführlicher: https://www.ezw-berlin.de/html/15_758.php und https://www.thenational.ae/opinion/comment/hatred-violence-and-the-sad-demise-of-a-muslim-scholar-1.305107

[3] http://govinfo.library.unt.edu/911/report/911Report_Ch7.htm

[4] Kurz vor der Landung des Flugs NW 253 in Detroit entzündete der 23-jährige Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab ca 80 g Nitropenta, die er zuvor in seiner Unterhose versteckt hatte. Er wurde von anderen Passagieren überwältigt.

[5] Konferenz für islamisch-christlichen Dialog, Doha, 2004: „Es gibt keinen Dialog zwischen uns (den Juden und dem Islam, der Verf.), mit Ausnahme von Schwert und Gewehr“

[6] Seit den 1990er Jahren

[7] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article6435289/Al-Qaradawi-ist-kein-Symbol-islamischer-Toleranz.html, 17.02.2010

[8] https://www.counterextremism.com/sites/default/files/threat_pdf/Kata%E2%80%99ib%20Hezbollah-07192018.pdf

[9] Siehe Gastbeitrag des Verfassers für den Behördenspiegel Januar 2019

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